Heuschreckenhabicht (Melierax polyzonus)

[599] Im Süden des Erdtheiles lebt, soviel bis jetzt bekannt, die größte Art dieser Sippe, der eigentliche Singhabicht (Melierax musicus), in Mittelafrika ein von ihm hauptsächlich durch geringere Größe abweichender Verwandter (Melierax polyzonus und cantans, Falco, Nisus und Astur polyzonus), welchen ich Heuschreckenhabicht nennen will. Das Gefieder der Oberseite, Kehle und Oberbrust ist schiefergrau, das des Bauches, Bürzels und der Hosen sowie der großen Flügeldeckfedern auf weißem Grunde mit seinen aschgrauen Zickzacklinien gebändert. Die Schwingen sind braunschwarz, die Schwanzfedern von derselben Färbung, aber blasser, dreimal in die Quere gebändert und weiß zugespitzt. Die Farbe der Iris ist ein schönes Braun, der Schnabel dunkelblau, die Wachshaut und die Füße sind lebhaft orangefarbig. Die Länge des Männchens beträgt funfzig, [599] die Breite neunundneunzig, die Fittiglänge dreißig, die Schwanzlänge zweiundzwanzig Centimeter. Das Weibchen ist um etwa vier Centimeter länger und um fünf bis sechs Centimeter breiter. Im Jugendkleide ist das Gefieder auf der Oberseite braun, auf der Unterseite auf weißem Grunde hellbraun in die Quere gebändert. Die Seiten des Kopfes und ein breites Brustband zeigen dieselbe Färbung.

Levaillant, der Entdecker des durch ihn sehr berühmt gewordenen Raubvogels, gibt an, daß der Singhabicht in der Kafferei und den benachbarten Ländern ziemlich häufig vorkomme, auf einzeln stehenden Bäumen sich aufhalte, Hasen, Rebhühner, Wachteln, Ratten, Mäuse und andere Thiere jage, ein großes Nest baue und dasselbe mit vier reinweißen, rundlichen Eiern belege.


Heuschreckenhabicht (Melierax polyzonus) und Schlangensperber (Polyboroides typicus). 1/6 natürl. Größe.
Heuschreckenhabicht (Melierax polyzonus) und Schlangensperber (Polyboroides typicus). 1/6 natürl. Größe.

In diesen Angaben würde nichts merkwürdiges zu finden sein, wenn Levaillant ihnen nicht hinzufügte, daß der männliche Singhabicht seinen Namen verdiene durch ein ziemlich ausführliches Liedchen, welches er, wenn auch in sonderbarer Weise, oft stundenlang fast ununterbrochen vortrage. Ich vermag nicht zu entscheiden, ob diese Angabe wörtlich zu nehmen ist; wohl aber kann ich versichern, daß ich bei seinem nördlichen Verwandten, welchen ich vielfach beobachten konnte, niemals von Gesang etwas gehört habe: ein langgezogener Pfiff war alles, was ich vernahm. Unser Vogel findet sich südlich des siebzehnten Grades in allen Steppenwaldungen sehr zahlreich. Im Urwalde ist er seltener; doch [600] auch hier wird man ihn auf keiner Jagd vermissen. Heuglin beobachtete ihn noch zwei Grad nördlicher als ich und in den Bogosländern wie in Habesch noch in Höhen von funfzehnhundert bis zweitausend Meter über dem Meere, nur sehr einzeln aber am oberen Weißen Nile; Speke erlegte ihn in den Somaliländern; Hemprich und Ehrenberg fanden ihn auch in dem benachbarten Arabien auf. Er wandert nicht und lebt fast immer paarweise, mit Vorliebe in den baumreichen Niederungen der Steppe, unbekümmert um das Treiben der Menschen. Seine Lieblingsplätze sind einzelnstehende Bäume in der Steppe, von denen er nach allen Seiten hin freie Ausschau hat. Hier verweilt er fast den ganzen Tag. Sein Gebiet ist klein; denn in den eigentlichen Steppengegenden wohnt Paar bei Paar, und jedes muß sich mit einem Umkreise von sehr geringem Durchmesser begnügen.

Nur äußerlich hat der Heuschreckenhabicht entfernte Aehnlichkeit mit seinem deutschen Namensvetter; in Geist und Wesen unterscheidet er sich von diesem durchaus. Er ist ein träger, langweiliger Vogel, welcher nichts von der Kühnheit besitzt, die unseren Habicht zu einem so furchtbaren Feinde aller schwächeren Wirbelthiere macht. Trägheit ist der Grundzug seines Wesens. Stundenlang sitzt er auf einem und demselben Flecke, und fast schläfrig überschaut er den nächsten Umkreis seiner Warte. Der Flug ist habichtartig, aber keineswegs rasch und gewandt wie der seines deutschen Verwandten, sondern kraftlos und schleppend. Die kurzen, abgerundeten Flügel werden langsam bewegt und sodann längere Zeit ausgebreitet; hierauf gleitet der Heuschreckenhabicht einige Meter geradeaus durch die Luft, und nunmehr folgen wieder einige Flügelschläge. Nach dem Aufbäumen nimmt er gewöhnlich eine ziemlich senkrechte Haltung an, zieht den Kopf ein und starrt gerade vor sich hin auf eine Stelle.

Rüppell bezeichnet Tauben und andere kleinere Vögel als seine hauptsächlichste Nahrung, hat sich aber geirrt oder, wenn seine Angabe auf Beobachtungen beruht, durch einen Zufall täuschen lassen. Die Hauptnahrung des Vogels besteht hauptsächlich in Kerbthieren, Lurchen und kleinen Säugethieren. Nach meinen Erfahrungen bilden Heuschrecken seine allen bevorzugte, zeitweilig wohl ausschließliche Speise. Neben ihnen jagt er hauptsächlich auf Mäuse; von diesen findet man gewöhnlich Ueberbleibsel in seinem Magen. Hartmann beobachtete, daß er Eidechsen fing, und diese Angabe stimmt mit meinen Erfahrungen durchaus überein. Auf Vögel habe ich ihn bloß dann stoßen sehen, wenn das kleine Geflügel in dichten Schwärmen zu den Tränkplätzen zog; aber nur sehr selten gelang es ihm, aus dem Gewimmel einen zu ergreifen. Zum Flugfangen ist er viel zu täppisch, und niemals sieht man ihn eine der so unendlich häufigen Tauben nach Art unserer Habichte oder Sperber auf weite Strecken hin verfolgen. Schon Nager von der Größe eines Eichhörnchens behelligt er nicht mehr; mit dem Erdeichhörnchen z.B. lebt er im tiefsten Frieden. Seine Horste habe ich nicht aufgefunden. Nach Heuglin stehen dieselben hoch auf dicht belaubten Bäumen und sind aus dürren Aesten aufgebaut. Ueber Eier und Brutgeschäft scheint der genannte Forscher keine Beobachtungen gesammelt zu haben, und auch ich weiß nichts weiter anzuführen, als daß ich frisch ausgeflogene Junge zu Anfang der großen Regenzeit, im August und September, angetroffen habe. Gefangene Heuschreckenhabichte sind das gerade Gegentheil der deutschen Vertreter ihrer Familie, ruhige, stille Vögel, welche wie Edelfalken stundenlang auf einer und derselben Stelle verweilen, wie diese ihren Pfleger bald kennen lernen, nach geraumer Zeit sogar äußerst zutraulich werden und ohne ersichtliches Widerstreben das ihm vorgesetzte Futter annehmen, der Tücke unseres Klimas aber leicht zum Opfer fallen.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 599-601.
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