Schopfadler (Spizaëtus occipitalis)

[644] Ungefähr dieselben Gegenden bewohnt ein verwandter, aber viel kleinerer Adler, welchen wir seiner langen Haube wegen Schopfadler nennen wollen (Spizaëtus occipitalis, Falco occipitalis und senegalensis, Morphnus, Harpyia und Lophoaëtus occipitalis). Er ist gedrungen gebaut, langflügelig, kurzschwänzig und hochläufig, das Gefieder ziemlich einfarbig. Ein sehr dunkles Braun bildet die Grundfärbung, der Bauch ist dunkler, die Brust lichter, die Innenseite des Schenkels weißlich, die Fußwurzel schmutzigweiß, die Oberseite mit kupferpurpurbraunem Schimmer überhaucht. Die Schwingen erster Ordnung sind in der Wurzelhälfte innen weiß, außen schmutzig bräunlichweiß, in der dunkelbraunen Endhälfte innen, die an der Wurzel weißen [644] Armschwingen über beide Fahnen, mit zwei dunklen Querbinden gezeichnet, die Schwanzfedern auf der Außenfahne braun, auf der Innenfahne fast weiß mit drei breiten schwarzbraunen Querbinden und breiter, ebenso gefärbter Endbinde geziert, die kleinen Flügeldecken längs dem Handrande weiß, die übrigen unteren Flügeldecken schwarzbraun.


Schopfadler (Spizaëtus occipitalis). 1/5 natürl. Große.
Schopfadler (Spizaëtus occipitalis). 1/5 natürl. Große.

Das Auge ist hochgelb, der Schnabel hornblau, an der Spitze dunkler, an der Wurzel heller, die Wachshaut hellgelb, der Fuß strohgelb. Die Länge beträgt funfzig bis zweiundfunfzig, die Breite einhundertundzwanzig bis einhundertunddreißig, die Fittiglänge dreiunddreißig bis fünfunddreißig, die Schwanzlänge achtzehn bis zwanzig Centimeter. Unter den afrikanischen Haubenadlern ist der Schopfadler einer der verbreitetsten, wenn nicht der am weitesten verbreitete von allen. Er findet sich vom siebzehnten Grade nördlicher Breite an bis zum Vorgebirge der Guten Hoffnung und vom Senegal bis zur Küste des Rothen Meeres, nicht minder auf Madagaskar, und zwar in der Ebene wie im Gebirge, vorausgesetzt, daß die Gegend bewaldet sei. In die freie Steppe hinauswagt er sich nur dann, wenn auch hier dichterer Baumschlag nicht gänzlich fehlt, beispielsweise ein von Schlingpflanzen durchflochtenes Mimosendickicht die Ufer eines zeitweilig wasserhaltigen Regenstromes begrünt. In den Waldungen des [645] oberen Nilgebietes ist er eine ziemlich häufige Erscheinung. Hier sieht man ihn in den Wipfeln der Mimosen nahe am Stamme ruhig sitzen und höchst ernsthaft mit seiner Holle spielen. Bald kraust er die Stirne, schließt die Augen halb und richtet nun seine Haube auf, daß sie senkrecht steht, breitet wohl auch die einzelnen Federn seitlich aus und sträubt dabei das übrige Gefieder; bald legt er die Holle wieder glatt auf den Nacken nieder. Diese wichtige Beschäftigung treibt er halbe Stunden lang, ohne sich zu regen. Er ist dann ein Bild vollendeter Trägheit, ein sehr wenig versprechender Raubvogel. Doch lernt man den Träumer bald auch von einer anderen Seite kennen, so bald er etwas jagdbares bemerkt: ein Mäuschen, eine Feldratte, ein Erdeichhörnchen, ein girrendes Täubchen, ein Flug Webervögel etwa. Blitzschnell streicht er mit kurzen, raschen Flügelschlägen ab, wendet sich, unserem Habicht vergleichbar, gewandt durch das dichteste Gestrüpp, jagt der erspähten Beute eifrig nach und ergreift sie fast unfehlbar. In Betragen und Wesen läßt er sich mit unserem Habichte vergleichen. Er ist ebenso frech und raublustig wie dieser und im Verhältnisse zu seiner Stärke unbedingt der beste Räuber des Waldes. Nur den geordneten Waldstaat der innerafrikanischen Affen beunruhigt er ebensowenig wie alle übrigen Adler der Osthälfte unserer Erde: bei einer Gesellschaft, welche unter sich das ausgeprägteste Schutz-und Trutzbündnis geschlossen hat, würde er auch schlechte Geschäfte machen. Doch ich habe bereits (Bd. I, S. 118) beschrieben, wie es dem Adler ergeht, welcher sich an Affen wagt. Laut Heuglin jagt er auch auf Kriechthiere und Fische, vielleicht ebenso auf Lurche, und im Nothfalle fällt er, wie schon Levaillant hervorhebt, auf das Aas: in der Nähe von Schlachtbänken sah ihn Heuglin wie die Raben auf Hochbäumen sitzen und auf die Abfälle lauern oder umherliegende Knochen abfleischen.

Ueber die Fortpflanzung des Schopfadlers habe ich selbständige Beobachtungen nicht gemacht. Levaillant sagt, daß er den Horst auf Bäumen gründe und die Nestmulde mit Federn oder Wolle ausfüttere. Das Weibchen soll zwei fast runde Eier legen, welche auf bleichem Grunde rothbraun gefleckt sind.

Der Schopfadler, welcher nicht allzuselten lebend nach Europa gelangt, hält sich bei geeigneter Pflege jahrelang im Käfige; denn er ist hart und gegen Einflüsse des Klimas wenig empfindlich. Ich habe ihn wiederholt gepflegt und anderswo beobachtet. Man darf wohl behaupten, daß er zu den auffallendsten Gliedern seiner Familie gehört und, obgleich er wenig thut, die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, von jedermann beachtet wird. Die lange flatternde Federholle, welche er bei ruhigem Sitzen fast immer aufgerichtet hat, das dunkle Gefieder, von welchem die ungemein lebhaften, feurigen Augen grell abstechen, erscheinen auch dem Laien als ungewöhnlich und deshalb beachtenswerth. In den Morgen- und Abendstunden ist er oft recht lebhaft und dann auch schreilustig, ganz gegen die Art seiner Verwandten. Die Stimme ist wechselreich und die Art und Weise seines Vortrags eigenthümlich. Gewöhnlich beginnt das Geschrei mit mehreren kurz abgebrochenen dumpferen Lauten; auf sie folgen dann regelmäßig länger gehaltene; das Ende ist langgezogen und gellend. Ich glaube, das ganze durch die Silben: »Wewwe, wewwe, we, we, we, wie, wieh, wiiiiiii« ziemlich richtig wiedergeben zu können. Den Wärter begrüßt er zwar, weicht aber allen Versuchen, ein Freundschaftsverhältnis herbeizuführen, mit ersichtlicher Abneigung aus. Wie er sich verwandten Vögeln gegenüber benimmt, weiß ich nicht; viel gutes traue ich ihm jedoch nicht zu. Schwache Säugethiere, welche in seinen Käfig gebracht werden, betrachtet er lange Zeit aufmerksam, glättet dabei sein Gefieder, legt die Holle nieder, trippelt auf der Sitzstange unruhig hin und her und dreht und wendet den Kopf fast wie eine Eule unter ähnlichen Umständen. Nachdem er schließlich seiner Neugier Genüge gethan, geht er zum Angriffe über, läßt sich auf den Boden herab, schreitet auf das zur Beute erkorene Thier zu, greift rasch mit dem einen Fange nach ihm, prallt aber anfangs erschreckt zurück, wenn dieses sich regt. Nach und nach wird er dreister; die rücksichtslose Raublust der Edeladler bekundet er jedoch nicht; er ist auch weit ungeschickter als diese, besinnt sich lange, ehe er einen neuen Angriff beginnt, und führt denselben auffallend schwerfällig aus. Doch mag es sein, daß ihm die Enge des [646] Käfigs als unbesiegliches Hindernis erscheint und er sich da, wo er in altgewohnter Weise fliegend angreifen kann, ganz anders zeigen würde. Es scheint mir, als fehle ihm die Klugheit der Edeladler, welche ähnliche Hemmnisse sehr wohl zu überwinden wissen.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 644-647.
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