5. Universitätsleben.

(1793 bis 1797.)

[46] Mit frischem Sinne und den besten Vorsätzen ging ich zu den akademischen Studien über und widmete mich ihnen mit regem Eifer, wenn auch nicht immer mit ausdauerndem Fleiße.

Bei Raabe hörte ich Encyklopädie der Wissenschaften, bei Eck Literargeschichte.

Heydenreich, ein scharfsinniger Denker und guter Dichter, lehrte Philosophie nach Kantischen Grundsätzen. Ich hörte bei ihm Fundamentalphilosophie und Naturrecht. Sein Vortrag war lebendig, anziehend, klar und ganz geeignet, in das Studium der Philosophie einzuführen. In dieses versuchte ich auch tiefer einzudringen und beschäftigte mich viel mit philosophischer Lectüre; doch reichte meine Bemühung, die in der Art der Darstellung liegenden Schwierigkeiten des Verständnisses zu überwinden, nicht hin, um mir alle Stellen, namentlich in Kants Werken, völlig klar zu machen und ich mußte mich mit Dem begnügen, was mir zu verstehen gelungen war, indem ich mich damit tröstete, daß manche meiner Freunde nicht glücklicher waren, andere, im Besitze der Terminologie, sich einbildeten, mehr zu verstehen, als wirklich der Fall war und selbst philosophische Schriftsteller einander oft das Nichtverstehen vorwarfen.

Platner, ein Mann von classischer Bildung, war mehr Philosoph für die Welt, als der Speculation mächtig. Seine äußere Erscheinung imponirte; eine ansehnliche Gestalt, eine ausdrucksvolle Physionomie, eine sonore Stimme, eine stolze, etwas steife Haltung bezeichnete eine vornehme Persönlichkeit, und da er bei seinen lebhaften Geiste und seinem Reichthume an Witz auch einen feinen Geschmack und viel Sinn für äußeren[46] Glanz hatte, so nahm er in den höheren Zirkeln einen der ersten Plätze ein. Um den hierzu erforderlichen Aufwand bequemer bestreiten zu können, wollte er sich das Honorar von seinen Vorlesungen sichern und doch des unanständigen Verhältnisses beim Einziehen desselben überhoben sein: so gab er denn seine Vorlesungen seinem Famulus, Schubert, in Pacht. Dieser, der mit ihm studirt hatte und ihm auf das Treueste ergeben war, bewachte die zwei- bis dreihundert Zuhörer seines Patrons mit Argusaugen und ließ keinen ohne Zahlung durchkommen; er erlegte jährlich die stipulirte Summe und erwarb sich dabei ein nicht unbedeutendes Vermögen, welches er bei seinem Tode den Platnerschen Erben hinterließ. Platner hatte die Sprache in hohem Grade in seiner Gewalt und sprach besonders das Latein mit seltener Gewandtheit und Eleganz. Sein Hörsaal, großartig und geschmackvoll, wie ein Salon für die feinste Gesellschaft ausgestattet, war, besonders in den Vorlesungen über Anthropologie, Moralphilosophie und Aesthetik, zahlreich besucht, namentlich von der Gesammtheit des studirenden Adels, da der freie, geistreiche Vortrag des beredten Mannes höchst interessant war und zum Denken anregte, ohne ernste Anstrengung zu fordern. Er bestritt die kritische Philosophie; indeß war sein Kampf mehr ein Plänkeln und beruhte vorzüglich wohl auf Mißverständniß. Ich erinnere mich, daß er eines Tages in einer Gesellschaft, wo die Rede auf die neueste Philosophie kam, sagte, man habe ihm von einem Bär erzählt, der die schönsten Melodien pfeife und ihn, da er es nicht hätte glauben können, zum Käfig eines Gimpels geführt, mit der Erklärung, dies Thier verstehe man jetzt unter dem Namen Bär: es lag darin das Bekenntniß, welche Schwierigkeiten er in der Kantischen Terminologie gefunden hatte.

Bei Carus hörte ich Geschichte der Philosophie. Er las sein mit der gewissenhaftesten Sorgfalt ausgearbeitetes Heft wörtlich ab und bemühte sich, den mangelnden Reiz eines freien Vortrags durch einen sehr geglätteten blumenreichen Stil zu ersetzen. Uebrigens flößte er bei näherer Bekanntschaft durch die lauterste Sittlichkeit und ungeheuchelte Beschei denheit hohe[47] Achtung ein, wie er denn auch sein stilles Leben in unbefleckter Würde bis zum Ende führte, während meine beiden anderen Lehrer der Philosophie unglücklich endeten: denn Heydenreich stürzte sich durch grobe Ausschweifungen in das tiefste Elend, und Platner gab nicht nur durch seinen Stolz mancherlei Blößen, sondern hatte auch in seinem Alter das Unglück, wahnsinnig zu werden.

Zu Fortsetzung meiner philologischen Studien hörte ich die Erklärung des Theokrit bei Eichstädt, der sich eben als Privatdocent in Leipzig habilitirt hatte, und des Pindar bei Beck. Letzterer war ein grundgelehrter Mann, dessen blitzendes Auge von hoher geistiger Regsamkeit zeugte, während sein steifes, ängstliches Auftreten bewies, daß sein Reich nur in der Studirstube war. Späterhin war ich einmal in einer Gesellschaft, wo der Doctor der Theologie, Wolf, klagte, daß er bei den Diners der Minister in Dresden durch die Leipziger Priesterkrause, in welcher er doch erscheinen müsse, im Kauen bedeutend gehindert werde, worauf Beck versetzte, daß er bei solcher Gelegenheit andere Beschwerden zu ertragen habe, indem es keine Kleinigkeit sei, drei Stunden lang den Chapeaubas mit dem linken Arme an den Leib geklemmt zu halten und dabei zu speisen. – Ich hörte noch seine Vorlesungen über Universalgeschichte, die von Gelehrsamkeit strotzten, übrigens sehr trokken waren, wozu noch ein monotoner, stoßweise durch ein fast rhythmisches Knurren unterbrochener Vortrag kam. Dagegen wohnte ich mit großem Interesse den Vorlesungen über die Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts bei, welche Dr. Hommel, ein junger, lebhafter, liebenswürdiger Mann, späterhin Justizrath in Dresden, hielt.

Ludwig, bei dem ich allgemeine Naturgeschichte, Zoologie, eine Art vergleichender Anatomie, Naturgeschichte des Menschen und Mineralogie hörte, vereinigte den Weltmann mit dem Gelehrten, was gerade nicht zum Vortheile des Letzteren ausfiel. Ein für einen Privatmann ansehnliches Naturaliencabinet, verbunden mit einer beträchtlichen Bibliothek und Sammlung von naturhistorischen Abbildungen unterstützte ihn bei seinen Vorträgen.[48] Bei einer bequemen Wohlhabigkeit hielt er sich mehr an der Oberfläche seiner Wissenschaft, wie denn eines Tages Reinhold Forster, als er seine Mineralien besah und mehrere Seltenheiten darunter entdeckte, von denen Ludwig gar nichts wußte, ihn deßhalb ausschalt und grob genug war, ihm zu sagen, er verdiene gar nicht, dergleichen schöne Sachen zu besitzen. Indessen wußte er Interesse für die Naturgeschichte zu wecken, unter Andern auch durch Stiftung der Linnéschen Gesellschaft, in welche er seine ihm Ehre machenden Schüler, wie Freiesleben, Fischer (von Waldheim), Tilesius u.s.w. und, um einen gewissen Glanz darüber zu verbreiten, Studirende von Adel aufnahm.

Der berühmte Hedwig war in seiner Persönlichkeit und für den eigentlichen Botaniker interessanter, als in seinen Vorträgen für den Anfänger. Ich weiß noch sehr gut, wie ich gehofft hatte, über die Natur der Gewächse im Allgemeinen und über die Eigenschaften und Kräfte der einzelnen belehrt zu werden und mich daher nicht wenig wunderte, als zuerst mehrere Wochen mit einer ermüdenden Aufzählung der Namen für die verschiedenen Formen der Pflanzentheile zugebracht wurden, worauf die Erklärung des Linnéschen Systems folgte, so daß dann für die Abhandlung der eigentlichen Phytologie, als für einen Anhang, nur wenig Zeit übrig blieb. Für die Trockenheit der Vorträge entschädigten uns die Vertheilungen frischer Pflanzen zum Herbarium und die wöchentlichen Excursionen, besonders die nach dem Universitätsholze, die von Sonnabend Mittag bis Sonntag Abend dauerten und wo außer dem Botanisiren auch commercirt und allerhand Kurzweil getrieben wurde.

Unser Lehrer in der Chemie und Pharmacie war Eschenbach, der in der literarischen Welt nur als Uebersetzer aufgetreten ist. Er las nach des alten Gmelins Handbuche, sehr faßlich, und erläuterte das Wichtigste durch wohlgelingende Experimente; aber von den neueren Fortschritten in seiner Wissenschaft nahm er keine Notiz. Auch in dieser alten Form zog mich die Chemie sehr an: ich studirte sie emsig und fing auch an zu experimentiren. Um so mächtiger wirkte das antiphlogistische[49] System auf mich, wo das ganze Reich der Mischung in großartiger Einfachheit so klar dem Blicke vorlag: das Studium desselben war mir eine Art geistiger Eroberung, die einen eigenen Genuß mit sich führte. Es ist daher wohl erklärlich, daß ich auch späterhin bei dieser Lehre stehen blieb, da die neuerdings entdeckten Thatsachen dem Gedanken sich noch nicht fügten und nicht abzusehen war, wie man hier zu wissenschaftlicher Einheit werde gelangen können; in den neueren Bearbeitungen der allgemeinen Chemie glaubte ich zu wenig philosophischen Geist zu finden und in dem speciellen Theile eine mikrologische Zersplitterung zu sehen. Die wissenschaftliche Chemie unserer Tage aber war mir wegen ihrer mathematischen Form unzugänglich.

Auch Hindenburgs Vorlesungen über Mathematik blieben für mich ohne Nutzen, so daß ich denn auch in seinen ausgezeichneten Vorträgen der Physik die schwierigeren Rechnungen bei Seite ließ. Dieser berühmte Erfinder der combinatorischen Analysis führte trotz einiger Unbeholfenheit seine Experimente in der Regel gut aus, wie er denn auch nur in seiner äußeren Haltung als ein pedantischer Stubensitzer er schien, in er Gesellschaft aber Witz und Laune bewies.

Haasens Ruf als Anatom überstieg sein Lehrtalent bedeutend. Er las sein altes lateinisches Heft ab und demonstrirte dann das Vorgetragene an Präparaten, aber oft so zerstreut, daß Niemand außer ihm selbst das zu Zeigende sehen konnte, wie er denn wohl auch naiv genug bisweilen sagte: »sehen Sie, wie ich das schön sehen kann!« Er hatte manche Lächerlichkeiten, die wir zu unserer Ergötzlichkeit aufzufassen nicht unterließen. Als Beispiel seiner Urtheilskraft führe ich an, daß er, wenn der Oberconsistorial-Präsident bei Revision der Universität seine Vorlesung besuchte, den ganzen Sectionstisch mit Schädeln bedeckte, sich mit einer Menge von Skeleten umgab und einen eigenen Vortrag für den hohen Gast über die Eintheilung der Kopfknochen hielt, womit er sonst die Osteologie einleitete. – Ich hörte die Anatomie auch bei Ludwig, der sie nach Sömmerring, also mehr den Zeitalter gemäß vortrug,[50] wobei er nach trockenen Präparaten und Kupfern demonstrirte.

In der Physiologie (die ich zuerst bei Kreyßig gehört hatte, welcher mit diesen Vorlesungen seine akademische Laufbahn eröffnete), Pathologie, Semiotik, Arzneimittellehre, allgemeinen und speciellen Therapie und Chirurgie hatten wir einen trefflichen Lehrer an Hebenstreit. Er war ein scharfsinniger, gelehrter und überaus thätiger Mann, der jede auch noch so kurze Pause von Geschäften wissenschaftlich zu benutzen im Stande war. Bei seinen ausgebreiteten Kenntnissen in allen Zweigen der Naturwissenschaft und der Medicin war er als Stadtphysikus ein selten erreichtes Muster für solche Beamte. Er hatte eine nicht unbedeutende Praxis und beschäftigte sich dabei viel mit literarischen Arbeiten, wie er denn Uebersetzungen der Schriften von Hunter, Fontana, Gardiner, Gilibert, Bell, von Marum lieferte. Außer seinem Lehrbuche über medicinische Polizeiwissenschaft hat er kein eigenes Werk herausgegeben; jedoch hat ihm besonders seine Dissertation über den Lebensturgor eine ehrenvolle Stelle unter den Physiologen des achtzehnten Jahrhunderts gesichert. Wir widmeten ihm eine unbedingte Verehrung und hielten unter seiner Leitung ein Disputatorium, welches großes Interesse für uns hatte.

Außerdem hörte ich Vorlesungen bei Koch über Formulare, bei Dehn über die Salze, bei Kühn über Mineralwasser, bei Richter über Geburtshülfe.

Klinische Anstalten gab es damals noch nicht in Leipzig. Indeß erhielten wir klinischen Unterricht durch den Candidat Braune, der als Famulus des Dr. Geyer die Stelle des Arztes am Jakobsspitale versah. Da er ein heller Kopf und guter Beobachter war, der schon eine ziemliche Erfahrung sich angeeignet hatte, so war seine Klinik sehr lehrreich, und zwar um so mehr, da er noch jung, nicht promovirt und ohne Anmaßung war, so daß wir ohne allen Rückhalt gegen ihn uns äußern, unsere Bedenklichkeiten ihm mittheilen und nähere Belehrung von ihm verlangen konnten. Bei dem Umfange des Hospitals fehlte es auch nicht an Gelegenheit, viele Kranke zu[51] sehen. Dem Wundarzte des Hospitals, dem Dr. Eckoldt, machte ich auch eine Zeitlang die Visite, wiewohl ich eben so wenig Neigung als Geschick zur Ausübung der Chirurgie hatte.

Eine Gelegenheit, mich in der ärztlichen Praxis zu üben, fand ich, da ich Amanuensis bei Professor Ludwig wurde, insofern dieser die ihm als Amtsphysikus bisweilen zufallenden Behandlungen von Kranken mir übertrug. Uebrigens war dieses mein Amanuensen-Amt wenig vortheilhaft für mich: das Stuhlgeld, welches ich von den Zuhörern der Ludwigschen Vorlesungen einnahm, mußte ich mit großem Zeitaufwande erkaufen, indem ich dafür die Naturaliensammlung in gehörigem Stande zu erhalten, die Bibliothek zu katalogisiren, die Meßkataloge zu excerpiren und ähnliche Arbeiten zu besorgen hatte. Dabei mußte ich mich jeden Mittag bei meinem Patrone nach Aufträgen erkundigen, und er hatte die vornehme Unart, mich oft ohne alle Ursache halbe Stunden und länger auf Bescheid warten zu lassen; indessen ist mir die Unbilligkeit eines solchen Verfahrens dadurch so einleuchtend geworden, daß, als ich in die Lage gekommen war, wo ich Leute auf mich konnte warten lassen, ich auch den Geringsten zur Schonung seiner Zeit immer sogleich abgefertigt habe.

In den letzten Jahren zog mich das Brownsche System sehr an. Von Girtanner, der mir als Schriftsteller über die französische Revolution sehr widrig geworden war, aber mich zuerst mit der durch Lavoisier in der Chemie bewirkten Revolution bekannt gemacht hatte, ließ ich mich gern über die Revolution unterrichten, welche John Brown in der Medicin hervorgebracht hatte. Hier war in der Anerkennung der im gesammten Leben herrschenden einen und untheilbaren Grundkraft ein oberstes Princip für die Medicin aufgestellt; diese Begründung durch eine philosophische Auffassung und die große Einfachheit, welche diese Lehre auszeichnete, sagte mir in hohem Grade zu. Indeß war ich theils durch meine bisherigen Studien, namentlich durch Hebenstreits Vorträge, theils durch die Beobachtungen, die ich unter Braun am Krankenbette machte, vor der Gefahr, ein blinder Anhänger der neuen Schule[52] zu werden, gesichert. Ich sah ein, daß die Brownsche Lehre weder für die Erkenntniß des gesammten Lebens, noch auch für die Grundsätze der Heilung erschöpfend sei, wohl aber ein Element für eine bestimmte Sphäre der Heilkunst abgebe.

Es fehlte mir nicht an werthen Freunden, in deren Gemeinschaft ich sowohl meine Studien betrieb, als auch die Freuden des Jugendlebens genoß. Oben an standen zwei, die schon auf der Schule mir sehr befreundet gewesen waren, und jetzt mit mir zusammenwohnten, Schwägrichen und Hayner, zu denen sich noch Constantin gesellte. Wir harmonirten vortrefflich. Schwägrichen betrieb mit großem Eifer die Naturgeschichte, und zwar vorzüglich Kryptogamie und Entomologie, wie er denn auch als der vorzüglichste Schüler Hedwigs späterhin dessen Werk über die Gattungen der Laubmoose herausgegeben und fortgesetzt, auch in der Wildenowschen Ausgabe des Linnéschen Systems die Laubmoose abgehandelt, so wie ein Lehrbuch der Naturgeschichte für Schulen geschrieben hat; übrigens vernachlässigte er dabei das Studium der Medicin keinesweges, indem er namentlich daran dachte, dereinst auf Reisen in ferne Länder sich durch Ausübung der Arzneikunst die Hülfsmittel zu verschaffen, deren der Naturforscher bedarf. In der Aussicht auf weite Reisen hatte er es sich zum Gesetze gemacht, sich durch Entbehrungen aller Art abzuhärten. Da ihm in Hause seines Vaters, eines begüterten, aber keinesweges auf großem Fuße lebenden Kaufmannes, die Lebensweise doch zu üppig schien, zog er es vor, mit uns zu wohnen, wo wir ihm zu Liebe wenigstens auf Matratzen, die auf dem Fußboden lagen, unsere gemeinschaftliche Lagerstätte hatten, aber seinem Beispiele nicht folgten, wenn er kein anderes Frühstück als ein Glas Bier mit einem Stück Schwarzbrod nahm und weite Excursionen, z.B. auf den Harz, mit unglaublich geringen Kosten machte. Aller Weichlichkeit feind, fand er es unwürdig, wenn Männer sich küßten, und konnte durch nichts mehr erzürnt werden, als wenn wir aus Neckerei mit ihm um einen Kuß rangen. Aeußerlich so kalt, daß wir ihm zuweilen eine Froschnatur zuschrieben, hatte er das wärmste Gefühl und war er der herzlichste Freund;[53] dabei der lebhafteste und unterhaltendste Gesellschafter, auch im Kreise von Frauen, übrigens ein guter Musiker.

Hayner hatte auf der Schule die Absicht, nach dem Wunsche seiner Mutter Theolog zu werden gehabt, aber, besonders durch seine Neigung zum Theater bestimmt, diesen Vorsatz aufgegeben. In der That hatte er ein großes Talent zum Schauspieler: ein tüchtiger Musiker und ein vortrefflicher Bassist, hatte er, von Schocher, dem ersten Begründer einer auf bestimmten Grundsätzen beruhenden Declamationskunst, unterrichtet, bei der Richtigkeit seines Urtheils und der Lebhaftigkeit seiner Phantasie eine ausgezeichnete Declamation; und da er vermöge des Hanges zu Sonderbarkeiten und einer Vorliebe für das Pikante, dergleichen bei geistreichen Männern, die zur Hypochondrie hinneigen, nicht selten vorkommt, vorzüglich gern sich in die Rolle eines Intrigants oder eines Buffo dachte, so würde er in diesem Fache gewiß Großes geleistet haben. Da er aber, um seine Mutter nicht zu betrüben, anfänglich nur bei ihren Lebzeiten die Bühne nicht zu betreten beschlossen und das Studium der Medicin begonnen hatte, so widmete er sich diesem auch in vollem Ernste, und, je weiter er darin fortschritt, mit desto größerem Interesse, denn etwas halb zu treiben lag nicht in seiner Natur; die Opernmusik blieb nur zur Ergötzung in müßigen Stunden.

An uns schloß sich besonders Constantin an, der uns Alle an Feuer übertraf, die Poesie wie das ernste Studium mit ungemeiner Lebhaftigkeit auffaßte und bei einer tüchtigen Gesinnung die Freuden des Lebens mit jugendlicher Unbefangenheit genoß. Es war die Zeit, wo man fühlte, daß die Medicin auf Physiologie sich stützen, diese aber die vergleichende Anatomie mehr benutzen müsse. So wendete denn Constantin sein Studium neben der praktischen Medicin vornehmlich auf Zootomie und wählte zum Gegenstande seiner näheren Untersuchung die Leber, die er, da damals der Bau der wirbellosen Thiere noch zu wenig beachtet wurde, vor der Hand nur an den Wirbelthieren emsig untersuchte.

Mit diesen drei Freunden lebte ich in glucklicher Vertraulichkeit[54] und ungestörter Harmonie. Ich fand an ihnen Muster des Fleißes; wir arbeiteten tüchtig und unterhielten uns in den Feierstunden über die Gegenstände unserer Studien. Eben so waren wir Genossen bei mancherlei Vergnügungen, von denen sich nur Schwägrichen zurückzuziehen pflegte, da er theils bei seiner Strenge sie sich nicht erlaubte, und sie halb im Scherze, halb im Ernste Ausschweifungen nannte, theils im Kreise seiner Familie Erholung fand. An Energie stand ich ihnen allen offenbar nach, und während Jeder von ihnen durch die Eigenthümlichkeit seiner Richtung ein besonderes Interesse erweckte, hatte ich allein nichts Ausgezeichnetes. Dies Verhältniß erstreckte sich über den ganzen Charakter. Als wir eines Tages in einer recht vertraulichen Stunde unsere Urtheile über einander freimüthig aussprachen, und die Reihe an mich kam, erklärten sie einstimmig, daß sie keinen Fehler an mir zu rügen hätten, was mich empfindlich schmerzte, denn ich fühlte es und sprach es auch aus, daß sie mit diesem Urtheile meine Mittelmäßigkeit ausgedrückt hatten. Darin lag offenbar etwas Wahres; da ich aber mir dessen bewußt war und durch dies Urtheil mich verletzt fühlte, so war darin auch der Beweis enthalten, daß meine Mittelmäßigkeit nicht mit Gemeinheit identisch war. Mein reger Sinn für Wissenschaft und Kunst, mein warmes Gefühl für das Gute und Schöne, meine offene und ehrliche Gemüthsart erwarb mir ihre Achtung, und wenn auch meine Leistungen nicht so bedeutend waren, so wurde ich ihnen um so werther, da ich bei meiner Temperatur das verbindende Mittelglied unter ihnen bildete.

Demnächst wurde ich mit Johann Christian August Clarus innig befreundet, der in Hinsicht auf Geist, Bildung, wissenschaftlichen Eifer und sittlichen Werth keinem jener Freunde nachstand, aber durch ein festeres Auftreten die innere Würde mehr nach außen legte. Dieser Stolz, wie fremd er mir auch war, verletzte mich keinesweges: ich sah in ihm nur den Ausdruck eines kräftigen Selbstgefühls. Dagegen wurde meine Freundschaft mit Wilhelm Schindler etwas kühler, da er, nach dem Abgange meines Onkels von Zerbst auf dem Carolinum[55] in Braunschweig ferner gebildet, nun auf der Universität vornehmlich mit Edelleuten und den an diese sich anschließenden Reichen umging, weshalb ich mich mehr zurückzog.

Mir fehlte es nicht an einer mich ansprechenden Gesellschaft, da ich einen ziemlich guten Namen unter meinen Commilitonen hatte, so daß hin und wieder meine Freundschaft von ganz tüchtigen Leuten gesucht wurde. Ich mußte mehrmals bei medicinischen Promotionen und juristischen Disputationen opponiren, auch öfters, wiewohl ungern, den Aufforderungen nachgeben, akademische Gelegenheitsgedichte zu machen, die demnach auch ziemlich schlecht ausfielen. Dabei war ich kein Stubenhocker: ich focht, ritt und tanzte, zwar Alles nur mittelmäßig, aber hinreichend, um mir Vergnügen zu machen und hinter meinen Commilitonen nicht ganz zurück zu bleiben. Da ich bei meiner Mutter Wohnung, Tisch und andere Unterstützung genoß, auch ein kurfürstliches und ein Magistratsstipendium bezog, so war es mir möglich, mit meinen Freunden mancherlei Vergnügungen zu theilen, unter welchen das Theater eine vorzügliche Stelle einnahm. Das Leipziger Parterre war, da es keine Sitze hatte, vornehmlich zum Besuche von jüngeren Männern geeignet, und unter diesen gehörte die entschiedene Oberhand den Studirenden, die denn in Hinsicht auf irgend ein Lautwerden das übrige Publikum beherrschten, jede Anmaaßung der Logen schonungslos rügten, jede Aeußerung der Gallerie augenblicklich unterdrückten und über ihr Recht, das Signal zum Lobe oder Tadel zu geben, eifersüchtig wachten. Da außerdem auch gereifte Kunstkenner das Theater besuchten, so hatte dasselbe die Bedeutung eines ästhetischen Tribunals, die es jetzt ganz verloren hat. Man sah sich darin im Ganzen unter lauter gebildeten, kunstsinnigen Männern, unter denen Personen, die aus Langeweile oder um der Mode willen das Theater besuchten, gleichgültig zuschauten oder nur eines geschmacklosen Urtheils fähig waren, nicht laut werden durften; und indem man nicht auf gemächlichen Sitzen Platz nahm, sondern dicht gedrängt auf dem stark abhängigen Fußboden stehend, den Kunstgenuß mit einiger Unbequemlichkeit erkaufen mußte, wurde die Lebhaftigkeit[56] der Theilnahme selbst durch organische Aufregung unterstützt. Eine Begeisterung, mit welcher wir der Aufführung einer Shakspearschen Tragödie, eines Schröderschen Schauspiels, einer Mozartschen Oper, eines Barghiellischen Ballets beiwohnten und nachher die vorzüglichsten Künstler beim Ausgange aus dem Theater oder auch noch an ihrer Wohnung begrüßten, ist mir nie wieder vorgekommen.

Zu meinen liebsten Vergnügungen gehörten ferner kleine Ausflüge, dergleichen ich namentlich nach Zeiz zu Constantins Familie und nach Mittweide zu meinem Onkel machte, der jetzt glücklicher Gatte seiner liebenswürdigen Schülerin, der Schwester meines Freundes Schindler war. Im Frühjahre 1797 machte ich mit Constantin und einem anderen Freunde, Lossius, eine Fußreise nach dem Harze, wo ich unter Anderem die Dampfmaschine bei Hettstädt, die erste in Deutschland, sah, die Roßtrappe und die Baumannshöhle besuchte, bei Goslar und Clausthal die Gruben befuhr u.s.w.

Diese Reise aber hatte ganz unerwartete Folgen und wurde ein Ereigniß für mich. Nämlich einige Zeit nach meiner Rückkunft suchte mich ein ehemaliger Schulkamerad, Namens Meißner, auf, der sich eben als Buchhändler etablirt hatte, und verlangte eine Beschreibung meiner Reise für seinen Verlag. Ich war ganz erstaunt über den Antrag und lehnte ihn ab, denn wiewohl ich mich durch Lectüre auf die Reise vorbereitet, auch unterwegs Alles, was mir merkwürdig schien, gesehen und Einiges darüber aufgezeichnet hatte, so war ich doch lediglich zu meinem Vergnügen gereist und hatte also durchaus kein Material, welches einer öffentlichen Bekanntmachung werth gewesen wäre. Indeß die Verführung siegte und ich beging die erste literarische Sünde: wo der Stoff zu dürftig war, suchte ich die Lücken durch humoristische Tiraden auszufüllen. So erschien denn das Büchlein zu Michaelis 17971. Nachdem ich es 40 Jahre lang nicht gesehen hatte, habe ich es mir vor[57] Kurzem wieder verschafft und es von Neuem kennen gelernt. Ein frischer Sinn spricht sich darin wohl aus, und wenn der Witz lahm, die Bemerkung platt, der Ausdruck incorrect ist, so entschuldige ich es damit, daß mir dieser erste Versuch der Schriftstellerei abgedrungen war. Besonders beruhigt es mich, zu finden, wie sorgfältig ich mich zu maskiren gesucht habe: meine Unterschrift ist – – H.; anstatt Leipzig wird B. als mein Wohnort bezeichnet; anstatt meiner bleibenden Reisegefährten werden nur zufällig für eine Strecke Weges sich zu mir gesellende Wanderer erwähnt, und daß ich an einigen Orten bei Freunden oder Bekannten länger verweilte, wird ebenso wie das, was ich daselbst erlebte, verschwiegen; ich habe also von Anfang an die Gehaltlosigkeit des Machwerks erkannt und mich dessen geschämt. – Bald mußte ich die Folgen davon erfahren, daß ich in dem Netze eines industriösen Buchkrämers mich hatte fangen lassen. Um dem Buche mehr Ansehen zu geben, ließ Meißner eine kleine Karte von einem Theile des Harzes mit meiner Reiseroute dazu stechen. Beging er aber damit eine bloße Albernheit, die mich nicht weiter berührte, so that er bald einen Schritt weiter, indem er eine Zeichnung von mir forderte. Alle Vorstellungen, daß sein Verlangen ganz unsinnig sei, waren fruchtlos; der Industriemann versicherte, daß ein Kupferstich zum Absatze des Buchs unumgänglich nöthig sei, und da ich nun einmal schon in der Arbeit begriffen war, so gab ich endlich nach, indem ich eine Zeichnung vom Eingange in die Baumannshöhle lieferte, wie er mir in der Erinnerung ungefähr vorschwebte. Da eine Staffage nicht fehlen durfte, so ließ ich in den Vordergrund vier Figuren kritzeln, mich mit meinen beiden Reisegefährten und dem begleitenden Bergmanne darstellend. Dies Bild, wie wenig es auch der Natur getreu sein konnte, wurde einige Jahre später die Beute eines anderen Industriemannes: als nämlich im »Museum des Wunderwollen« eine Beschreibung der Baumannshöhle erschien, ließ der Verleger, Baumgärtner, eine Copie meiner Zeichnung beifügen, so daß ich denn zuerst im »Museum des Wunderwollen« abgebildet erschienen bin, glücklicherweise so, daß man mich eben so wenig,[58] als die Baumannshöhle selbst darin zu erkennen vermochte. Das Schicksal eines armen Schriftstellers in den Händen hungeriger Buchhändler mußte aber an mir noch weiter in Erfüllung gehen. Meißner schickte im Jahre 1800 das Buch mit einem neuen Titel als neue Ausgabe wieder in die Welt und kündigte es mit einer lächerlichen Lobpreisung an, die so anfängt: »Diese in einem äußerst brillanten Stile geschriebene Reise begreift, außer einer Menge Vorzüge vor den gewöhnlichen Reisen, noch einen Aufwand von natürlichem Witz, der außerordentlich ist und den Leser unwiderstehlich mit sich fortreißt« u.s.w. Bei aller nöthigen Unverschämtheit aber hatte Meißner doch nicht den rechten Tact für sein Gewerbe und machte bald bankerott; indeß war vielleicht nur der Mangel an Geldmitteln, um die Marktschreierei lange genug fortsetzen zu können, an seinem Untergange Schuld.

Im Anfange des Jahres 1798 lieferte ich im Namen des unter Hebenstreit sich übenden Disputatoriums eine Gratulationsschrift zur Promotion eines Mitgliedes der Gesellschaft; der Inhalt war eine im Hospitale gemachte Beobachtung einer unstreitig auf einem Extravasate in der einen Hemisphäre des großen Hirns beruhenden Hemiplegie, die durch einen epileptischen Anfall mit einem Male völlig gehoben wurde2. – Auch finde ich unter meinen Papieren aus diesem Zeitraume einen vollständigen Plan zu einer Leipziger Gesundheitszeitung als erstes Symptom literarischer Projectmacherei.

Fußnoten

1 Bemerkungen und Gefühle auf einer Reise über den Harz. Mit einer karte und einem Kupfer. Leipzig 1798. 8.


2 Apoplexiae per epilepsiam solutae observatio. Lipsiae 1798. 8.


Quelle:
Burdach, Karl Friedrich: Rückblick auf mein Leben. Selbstbiographie. Leipzig 1848, S. 59.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Anselm von Canterbury

Warum Gott Mensch geworden

Warum Gott Mensch geworden

Anselm vertritt die Satisfaktionslehre, nach der der Tod Jesu ein nötiges Opfer war, um Gottes Ehrverletzung durch den Sündenfall des Menschen zu sühnen. Nur Gott selbst war groß genug, das Opfer den menschlichen Sündenfall überwiegen zu lassen, daher musste Gott Mensch werden und sündenlos sterben.

86 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon