1. Meine Frau.

[416] Vielfaches Glück ist mir zu Theil geworden und mancherlei Freuden habe ich genossen, aber die ganz eigentliche und beständigste Lebensfreude, die mein ganzes Herz ausfüllte und allen übrigen Genüssen erst den rechten Werth gab, war die Verbindung meiner wissenschaftlichen Thätigkeit mit der liebevollen Nähe meiner Frau. Daß ich nach meinem Wunsche arbeiten konnte und ein solches Weib besaß, machte mein höchstes Glück aus. Eines förderte das Andere: mit der Genugthuung, in meinem Berufe nach Kräften gewirkt zu haben, war ich um so empfänglicher für den Genuß des häuslichen Glücks; und in dessen Bewußtsein kehrte ich mit der heitersten Ansicht des Lebens, gestärkt und ermuthigt, wieder zur Arbeit zurück. Mein Leben empfing Licht und Wärme von der vereinten Wirkung des Doppelgestirns, Wissenschaft und Liebe, und mußte welken, als der Tod mein häusliches Glück zerstörte. Ich muß ausführlicher darüber sprechen.

Johanne Marie Pichler (S. 75 ff.) hatte den Schuluntericht genossen, wie er nun eben in einem österreichischen Marktflecken in den siebenziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte sein können. Dagegen verdankte sie[416] um so mehr der Natur, so daß sie durch eigene Kraft und im Umgange von Menschen, mit denen ihr Geschick sie zusammenführte, geistig und sittlich sich zu vervollkommnen vermochte. Wohl gestaltet und von gesunder Constitution, war sie mit hellem Verstande und frischem Sinne ausgestattet, und sie hatte die Gelegenheit, welche ihr das Schicksal darbot, diese Gaben zu entwickeln, nicht versäumt. Frühzeitig hatte sie die mannichfaltigen Charaktere, Beweggründe und Handlungsweisen der Menschen kennen gelernt, den Hochmuth und die Habsucht sammt deren Folgen, die durch die Verbindung mit Bigoterie nur um so grauenhafter waren, an der eigenen Schwester und deren Gatten erkannt, die Zerrüttung des Wohlstandes durch Unsittlichkeit im Hause ihres Oheims beobachtet, dann wieder an ihrem Vater gesehen, wie unverschuldetes Unglück den frohen Lebensmuth nicht zu beugen vermag, und den Segen, den wohlgesinnte Menschen um sich her verbreiten, erfahren. Die Schule des Lebens, in welche sie kam, war streng, und ihrem reinen Sinne mußte auch ein klarer Verstand zu Hülfe kommen, damit sie in schwieriger Lage die rechten Maßregeln ergreifen, die Rechte des Vaters vertheidigen, seinem gesunkenen Wohlstande als Gastgeber wieder aufzuhelfen, die Armuth der Wirthschaft vor den Blicken des Publicums verdecken, den Leichtsinn einzelner Gäste in Schranken halten und Allen Achtung einflößen konnte. Bei der glücklichen Lösung dieser Aufgaben, unterstützt durch den Umgang ehrenwerther Menschen und durch das Lesen der von denselben ihr empfohlenen Bücher, hatte sich ihr Verstand ausgebildet, ohne von schulgerechten Formen geregelt und mit Kenntnissen, die ihrem Wirkungskreise fern lagen, bereichert worden zu sein. Männer und Frauen von wahrhafter Bildung, vermöge deren man auch den geistigen Flitterstaat richtig zu beurtheilen versteht, achteten sie wegen der Klarheit ihres Verstandes. Sie selbst auch unterschied sehr gut das Wesentliche vom Unwesentlichen; so unterhielt sie sich mit ihren fernen Freundinnen sehr gern schriftlich, ohne sich des Mangels an Orthographie zu schämen, dessen sie sich wohl bewußt war; der Inhalt der zierlichen und kunstgerechten Antworten,[417] welche darauf eingingen, bewies, daß ihre sorgfältiger erzogenen Freundinnen die herzlichen und verständigen Zuschriften mit Achtung und freudiger Dankbarkeit aufgenommen hatten. Ihr kerngesundes Urtheil kam Manchem, der es hören wollte, zu Statten. So ward sie auch mir eine treffliche Rathgeberin. Sie beurtheilte die Menschen meist ganz richtig, und wenn ich durch den Geistesreichthum eines Mannes von zweideutigem Charakter angezogen wurde, war mir ihre Warnungsstimme sehr nützlich. Nicht nur in Allem, was unser gemeinschaftliches Wohl betraf, sondern auch selbst in meinen eigenen Angelegenheiten, wo ich mich noch nicht entschieden hatte, hörte ich gern ihren Rath. Zum Beispiele will ich nur anführen, daß sie mich im Jahre 1826 bestimmte, nach Paris zu gehen; anfänglich wollte ich nichts davon wissen, weil meine Aussprache des Französischen und das Erscheinen meiner Persönlichkeit nicht so war, daß ich mich nach Paris wagen zu dürfen glaubte, aber sie überwand meine Bedenklichkeiten, und ich dankte es ihr nachher gar sehr, daß sie mich überredet hatte. Ich vergalt ihr diesen Dienst, indem ich meinerseits es veranstaltete, daß wir auf dieser Reise auch ihren Geburtsort besuchten (S. 372), den sie seit ihrer Kindheit nicht wieder gesehen hatte. So bereitete ich ihrem Herzen die Freude einer lebendigen Erinnerung an ihre erste Jugendzeit, indeß sie meinem wissenschaftlichen Interesse eine große Befriedigung verschafft hatte, und in dieser gegenseitigen Sorge mag man ein Bild von unserem Verhältnisse überhaupt erblicken.

Ihr reiner, unverdorbener Sinn war für die Schönheiten der Natur in hohem Grade empfänglich. Wie sie in ihrer Jugend auf dem Leopoldsberge die Anmuth der Landschaft genossen, bei frühestem Morgen die Quelle im Walde besucht, bald dem Gesange der Vögel gelauscht, bald der stillen Emsigkeit der Käfer mit Lust zugesehen hatte, so erhielt sie dies lebendige Gefühl für Naturerscheinungen bis in ihr Alter. An frühem Morgen stand sie gemeiniglich in stiller Betrachtung an ihrem gegen Osten nach Garten und freiem Felde zu liegenden Fenster, und oft holte sie mich von meinem Arbeitstische, um mich[418] mit ihr über die Pracht des Morgenrothes oder der aufgehenden Sonne zu freuen; und dann ging es in den Garten, um die Pflanzen zu pflegen, die ihr so viel Freude gewährten. Sie versäumte keine Gelegenheit, sich am Anblicke der schönen Natur zu weiden: als sie einst bei der Familie eines Landgeistlichen zum Besuche war, suchte man sie am ersten Morgen zur Frühstückszeit vergeblich auf ihrem Zimmer, denn sie war längst wach und, da sie die Hausthüren verschlossen gefunden, durch das Fenster gestiegen, um im Garten und Feld den jungen Tag zu begrüßen. Jede Reise, die wir unternahmen, war daher auch eine Quelle von Freuden für sie, und am meisten, wenn wir Beide allein oder in einem kleinen Kreise gleichgestimmter Freunde waren; doch im letzteren Falle stahl sie oft auch sich weg, um ungestört den Eindrücken der schönen Landschaft sich hinzugeben, denn ihre Gefühle zur Schau tragen zu wollen, war ihr durchaus fremd. So war denn besonders unsere Reise im J. 1837 genußreich, wo wir unseren Aufenthalt in größeren Städten abkürzten, um der sächsischen Schweiz und den anmuthigen Gegenden Thüringens und Frankens mehr Zeit widmen zu können.

Der Ernst ihrer Liebe zur Natur hatte aber darin seinen Grund, daß sie nicht vom bloßen sinnlichen Reize angezogen wurde, sondern mit frommen Gefühlen an den Urheber dachte. Sie war religiös im wahrhaftesten Sinne des Wortes und in ächt weiblicher Richtung: mit fester Zuversicht auf das, was ihr Herz im Einklange mit ihrem Verstande bei Betrachtung der Natur ihr sagte, ohne über das Unerforschliche grübeln zu wollen. Durch den Umgang mit aufgeklärten Männern und durch das Lesen religiöser Schriften hatte sie auch hier das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden gelernt und vom Zwange ihrer Confession sich befreit, ohne die edleren Formen derselben, die ihr von Kindheit an heilig erschienen waren, hintanzusetzen: sie war Katholikin, aber nicht Papistin, achtete am Geistlichen nur das Geistige und räumte keinem Priester eine Gewalt über ihr Gewissen ein. Wie bei unserer Verheirathung mir weder von der Wiener Geistlichkeit, noch auch von Seiten der Familie wegen meiner protestantischen Confession ein Hinderniß[419] in den Weg gelegt oder eine Verpflichtung in Betreff der Kindererziehung abgefordert worden war, so vermied ich natürlich auch Alles, was sie in ihrem Glauben hätte stören können, ja, ich ermunterte sie öfters zum Besuche ihrer Kirche. Aber sobald sie in dieser keine Befriedigung fand, suchte sie dieselbe in der meinigen: schon in Leipzig, wie später in Königsberg, pflegte sie, nachdem sie die Messe gehört hatte, in die protestantische Kirche zu gehen, wenn ein geistvoller Mann darin predigte. Jeden Morgen hielt sie, in ihr Schlafzimmer eingeschlossen, vor einem Bilde der Madonna nach Raphael eine halbe Stunde lang ihre Andacht, und beim Schlafengehen küßte sie ein anderes, aber auch vorzügliches Bild der Maria, das über ihrem Bette hing. Ein Rosenkranz kam nie in ihre Hände: das Mahlmann'sche Vaterunser aber wurde ihr tägliches Gebet. In Leipzig konnte sie eines Tages, als sie aus ihrer Kirche kam, ihre Entrüstung über das, was sie im Beichtstuhle hatte hören müssen, nicht verbergen, schwieg aber über den Inhalt, und ich konnte nur aus späteren Aeußerungen vermuthen, daß der Priester ihr wegen meines und ihrer Kinder Ketzerthums Vorwürfe gemacht hatte; seitdem ging sie nicht mehr zur Beichte, wenn sie nicht der vernünftigen Ansichten des Geistlichen im Voraus gewiß war. In Dorpat konnte die Messe der griechischen Kirche wegen der dabei hervortretenden handwerksmäßigen Gemeinheit und Rohheit ihr nur widerlich erscheinen, und da keine katholische Kirche da war, so nahm sie mit mir und einer ihr befreundeten Familie das heilige Abendmahl bei dem verehrten Pastor Lenz in der protestantischen Kirche. Sie verehrte Luthern als heldenmüthigen Kämpfer für die Sache der Freiheit und der Vernunft; da wir nach Eisenach kamen, konnte sie es kaum erwarten, die Wartburg zu besuchen, während ich, wie bei allen ähnlichen Gelegenheiten, sie ganz ungestört ihren eigenen Empfindungen überließ, und als wir in dem uns angewiesenen Zimmer uns fürs Erste etwas eingerichtet hatten, öffneten wir das Fenster, um uns den Marktplatz zu beschauen: in demselben Momente ertönte ein Lutherscher Choral vom Rathhause her, und wie sie die wohlbekannte[420] Melodie vernahm, stürzten ihr die Thränen aus den Augen; in dieser Stimmung betrachtete sie dann die Andenken an Luther auf der Wartburg als ein Heiligthum. – Daß sie über den Confessionen stand, zeigte sich eines Tages in Königsberg dem Consistorialrath Krause gegenüber; sie besuchte seine Predigten mit großer Erbauung, und da wir freundschaftlichen Umgang mit ihm hatten, so äußerte sie eines Tages gegen ihn, sie wünsche wohl, bei ihm zum Abendmahle zu gehen; als er aber – unüberlegter Weise – darauf versetzte, er freue sich darüber und habe schon längst gedacht, daß sie, von der katholischen Confession unbefriedigt, zur protestantischen übergehen werde, schwieg sie betroffen still, und wiewohl sie nicht weiter darüber sprach, konnte man es ihr doch anmerken, der protestantische Priester hatte bei ihr etwas an Achtung verloren. Ihr Standpunct über den Confessionen verführte sie bisweilen zu einem gänzlichen Vergessen der Gesetze ihrer Kirche, was denn zu Scenen Anlaß gab, die mir heimlich viel zu lachen gaben und ihr nicht den mindesten Kummer machten: der katholische Propst Regenbrecht war nur zweimal bei uns in Gesellschaft, und beide Male fügte es sich, daß, als er die Fleischspeisen unberührt ließ, ich daran dachte, daß es Fasttag war, welche Entdeckung sie keineswegs in Verlegenheit setzte; von Marienbad aus machten wir eines Tages in größerer Gesellschaft eine Lustpartie nach einer benachbarten Pfarre, wo ein ansehnliches Mittagsessen arrangirt war, und als gegen Ende der Tafel der Pfarrer selbst hinzukam und meine Frau sich freundlich mit ihm unterhielt, fragte sie ihn in aller Unschuld, ob sie nicht auch das Vergnügen haben werde, seine Frau Gemahlin kennen zu lernen, wo ich denn mit schlecht verbissenem Lachen schnell andere Fragen an den Pfarrer richtete, um ihm die Antwort zu ersparen.

Wie sie überall durchaus wahrhaft war, so beruhte auch ihr Interesse für die Werke der schönen Künste keineswegs auf Schein oder Nachahmungssucht, vielmehr vermochte etwas Gelungenes darin sie wirklich zu entzücken. Am meisten war ihr Sinn für Musik entwickelt und ihr Geschmack darin gebildet,[421] wie sie denn auch in jüngeren Jahren eine gute und kunstgeübte Sängerin war. Hatte sie nun auch für theatralische Darstellung, sowie für Poesie und Malerei ihr eigenes Urtheil, so pflegte sie doch bei einem gemeinschaftlichen Kunstgenusse dieser Art mich zu beobachten, um, wenn ich ein mit dem ihrigen übereinstimmendes Urtheil verrieth, sich desto inniger über die Kunstleistung zu freuen, wie ich denn meinerseits ihr einen Einfluß auf mein Urtheil über Musik einräumte.

Sie bewies ein lebhaftes Interesse für die öffentlichen Angelegenheiten, in sofern diese das Gefühl für Recht in Anspruch nahmen. Daher las sie denn in den Zeitungen die politischen Artikel nicht wie manche Frauen zuletzt, sondern immer zuerst und die Avertissements sehr oft gar nicht. Stimmte ihr Urtheil mit ihrer angebornen Liebe zum Vaterlande überein, so war allerdings ihre Theilnahme am wärmsten; aber wie sehr sie Oesterreich liebte, galt ihr Deutschland doch noch mehr; und als ich von Dorpat aus bei Preußens Rüstung gegen Napoleon eine für unsere Umstände große Summe als Beitrag zu den Kriegskosten einsenden wollte, war sie damit völlig einverstanden. Als Weltbürgerin hatte sie Gefühl für das Geschick jedes Volkes, besonders aber, in sofern eine Beziehung zum Familienleben dabei hervortrat; hatte daher die Julirevolution gleich bei ihrem Ausbruche sie freudig bewegt, so wurde sie eine noch innigere Anhängerin derselben, als ihr Schilderungen vom Familienglücke Ludwig Philipps gemacht wurden.

Was die Aeußerlichkeiten betrifft, so entsprach ihre Kleidung durch Einfachheit, Sauberkeit und guten Geschmack ganz ihrem Charakter, und so bot sie, da sie vorzüglich gut gebaut war, eine angenehme Erscheinung dar. Diese Nettigkeit war aber nicht auf das Erscheinen vor Fremden berechnet, sondern gehörte zu ihrer Persönlichkeit, und wurde nicht erst durch große Veranstaltungen und stundenlange Aufmerksamkeit für gewisse Stunden angenommen, sondern war eins mit ihr und ihrem Negligée, ihrem Nachtkleide und ihrer Bekleidung im Wochenbette eben so eigen, als ihrem Anzuge für die Gesellschaft; auch wenn sie mit mir allein war, war nie etwas Unsauberes, Mißfälliges,[422] Nachlässiges an ihr zu entdecken, und der Wunsch, mir zu gefallen, war nicht der eigentliche Grund davon; schon um ihrer selbst willen war sie höchst sauber und anständig in ihrem Aeußern: es war ihre sittliche Reinheit und Würde, die sich darin spiegelte und etwas Widerwärtiges ganz unmöglich machte.

Dem entsprechend mußte auch um sie her Alles reinlich und in größter Ordnung sein; nicht bloß die Zimmer waren so, auch die Küche mußte jederzeit sauber, wohlgeordnet, selbst zierlich sein, und wenn noch diese, da sie eben darum in einigem Rufe stand, nicht selten von Gästen mit Vergnügen beschaut wurde, so war es doch auch in der Vorrathskammer, in die kein Fremder trat, nicht anders. Dies Bedürfniß der Ordnung sprach sich unter Anderem auch aus, wenn wir Gäste gehabt hatten: waren auch diese im Verhältnisse zu unserer Einrichtung noch so zahlreich gewesen und bis nach Mitternacht geblieben, so ging sie doch nicht eher zur Ruhe, als bis alles Geschirr gereinigt und sammt dem Geräthe an seinen gehörigen Platz gebracht war, so daß am frühesten Morgen keine Spur der gestrigen Gesellschaft zu bemerken war. Diese Liebe zur Ordnung wie zur Reinlichkeit war nicht das Werk der Erziehung und Angewöhnung, denn sie war weder der Mutter, noch den Schwestern eigen, sondern stammte aus ihrem eigenen Innern, war der Ausdruck eines klaren Verstandes und einer geordneten Gemüthsverfassung.

In ihrer Lebensweise liebte sie die Regelmäßigkeit, ohne jedoch sich von ihr tyrannisiren zu lassen. Sie stand gern früh auf, im Sommer um vier, im Winter um fünf Uhr, in unsern jüngeren Jahren, wenn ich eine dringende Arbeit hatte, noch früher, und ich weiß, daß wir in Leipzig zur Winterszeit eine gute Weile schon nebeneinander gearbeitet hatten, wenn der Thürmer sein Morgenlied anstimmte. Ueberhaupt sehr mäßig, bewies sie ihr treues Halten an der Natur unter Anderem auch in einem Zuge, den ich bei niemand Anderem beobachtet habe: sie fühlte nämlich bei der Mahlzeit den Punct, wo das Bedürfniß befriedigt war, so bestimmt, daß sie dann den schon auf die Gabel genommenen Bissen wieder hinlegte.[423]

Sie war eine sehr thätige und sehr verständige Wirthin. Die Thätigkeit war ihr Bedürfniß, und ich erachte es für ein großes Glück, daß ich seit 1820 das Kypkesche Stift bewohnte, wo Garten und Hühnerhof ihr auch in späteren Jahren Beschäftigung gewährte. Sie war unermüdlich, aber nicht von einem blinden Drange getrieben, sondern nur um des Zweckes willen und so lange es nöthig schien, um, sobald dies nicht mehr der Fall war, der Ruhe, der Lectüre, dem Umgange, dem Genusse der Natur oder der Kunst sich hinzugeben. Damit hing nun eine andere Eigenthümlichkeit zusammen, die gar manches Mal der Gegenstand meiner Scherze wurde: sie lebte nämlich immer in der nächsten Zukunft und ruhte in ihrer Häuslichkeit nicht eher, als bis Alles im Voraus besorgt war; ehe der Mittag kam, mußte schon alles Geschirr zur Mahlzeit in Bereitschaft stehen; kaum war der Mittag vorüber, so konnte man schon Anstalten für den Abend bemerken, und vor dem Schlafengehen wurde der Tisch zu Bereitung des Frühstücks servirt. Sie befleißigte sich einer strengen Wirthlichkeit, war sparsam, ohne karg zu sein. Sie hielt streng auf Ordnung im Hauswesen, machte es, auch als wir noch in sehr beschränkten Verhältnissen lebten, möglich, jede Schuld zur bestimmten Zeit, wenn auch nur in Abschlagszahlungen, zu berichtigen, hatte daher auch einen Credit, zu dem ich im äußersten Falle selbst meine Zuflucht nehmen konnte. Seitdem ich einen festen Gehalt hatte, überließ ich ihr den ganzen Haushalt und entwarf ihr einen regelrechten, aus mehreren Titeln bestehenden Etat, den ich so reichlich einrichtete, daß mir für weitere Ausgaben nicht viel übrig blieb und ich dafür auf extraordinäre Einnahmen rechnen mußte; ich wußte nämlich, welches Vergnügen es ihr machte, etwas zu erübrigen, was sie nach ihrem Willen verwenden konnte: daraus flossen denn die Mittel zu Geschenken für mich und für unsere Kinder; auch überraschte sie mich eines Tages mit einem artigen Sümmchen, das sie heimlich in der Sparkasse angelegt hatte. Als ich noch in einer bedrängten Lage war, fehlte uns doch nie eine gesunde, kräftige und wohlschmeckende Kost, und als ich ein reichliches Einkommen hatte,[424] blieb unser Tisch eben so einfach, nur daß die Festgerichte, die auch vormals nicht ganz gefehlt hatten, etwas häufiger zum Vorschein kamen; denn sie war im Kochen wie im Backen nicht nur wohl unterrichtet, sondern auch genial, so daß sie bei aller Achtung vor bewährten Recepten sich doch nicht sclavisch an die Vorschrift band, sondern nach eigenem Urtheile componirte; jedes aber, auch das neu ausgesonnene Gericht, ging schmackhaft unter ihren Händen hervor, und sie freute sich des allgemeinen Wohlgefallens, mit welchem die Werke ihrer Kunst verzehrt wurden. Eben so freute ich mich über ihre Verständigkeit und Menschlichkeit, wenn ich Gelegenheit hatte, sie beim Einkaufe zu beobachten: sie ließ sich nicht übertheuern, drückte aber auch nie einen Armen durch ein zur Gewohnheit gewordenes gedankenloses Abdingen, sondern nahm überall billige Rücksicht.

Sie war heiter und lebhaft, liebte daher auch die Geselligkeit, so wie sie eine angenehme Gesellschafterin war. Waren die häuslichen Geschäfte abgethan, so verlebte sie den Nachmittag gern in Gesellschaft von Freundinnen; ich sah dies gern, da ich wußte, daß es ihr wohl that und munterte sie oft dazu auf, besonders in den Jahren, wo unsere Kinder sie nicht mehr beschäftigten. Sie suchte zu gefallen, wie es ihre Weiblichkeit mit sich brachte, aber sie bediente sich dazu keines andern Mittels, als daß sie mit Unbefangenheit sich gab, wie sie war, das natürliche Wohlwollen, das sie für den Menschen überhaupt fühlte, ungekünstelt äußerte, sich bemühte, angenehme Empfindungen zu erregen, Jeden nach seiner Weise behandelte, verständig urtheilte, bescheiden sich benahm, ihrer etwanigen Vortheile sich nicht rühmte, noch auch einen falschen Schein anzunehmen suchte. Sie beurtheilte die Menschen glimpflich, sträubte sich, ungünstigen Gerüchten Glauben beizumessen und vertheidigte die Beschuldigten; war sie dann von einer wirklichen Schlechtigkeit überzeugt worden, so verabscheute sie dieselbe gründlich, ohne jedoch an der weiteren Verbreitung solcher Nachricht Gefallen zu finden. Durch dies Alles gelang es ihr denn so oft, und insbesondere den höchst Gebildeten und best Gebildeten zu gefallen: die Natürlichkeit ihres Betragens flößte Vertrauen[425] ein, die Reinheit ihrer Gesinnung nöthigte Achtung ab, und ihr Frohsinn, der immer ein richtiges Urtheil und ein lauteres Gefühl für Sittlichkeit zu Stützpuncten hatte, machte sie beliebt. Meine Verwandten waren anfangs gegen sie eingenommen, da sie fürchteten, daß es mir nicht gelingen würde, aus der schwierigen Lage zu kommen, in die ich mich durch meine frühe Verheirathung gesetzt hatte; aber als sie sie näher kennen lernten, änderten sie bald ihre Gesinnungen, und gerade die, welche ihr aus Liebe zu mir am meisten gezürnt hatten, mein Onkel und mein Hänsel, wurden ihre wärmsten Freunde. Wenn ich mit ihr eine Reise machte, konnte ich mich recht daran weiden, wie sie überall die Herzen gewann: selbst einen guten Theil der freundlichen Aufnahme, die ich da fand, hatte ich ihr zu danken; überall wurde sie als eine seltene, ungemein freundliche Erscheinung erkannt. Ja, es war eine Freude, mit ihr zu leben und eine Wonne, von ihr geliebt zu werden.

Ueberhaupt wohlwollend und dienstfertig, war sie auch sehr gastfreundlich gesinnt; unser kleines Haus war als ein gastliches bekannt, und zwar nicht erst, seitdem meine Lage günstiger geworden war, sondern auch schon, wie diese noch viel zu wünschen übrig ließ, wie ich denn z.B. in Rehmanns Briefen von 1804 den wärmsten Ausdruck seiner Dankbarkeit für die bei uns genossene Gastfreundschaft finde. So fiel es ihr auch in Zeiten günstiger Verhältnisse nicht ein, durch großes Gastiren zu glänzen und sich dadurch Vergeltungs-Einladungen zu erwerben, sondern ihre Gastfreiheit war uneigennützig und nur auf gegenseitige Erheiterung des Lebens berechnet.

Es genügte ihr nicht, die Nähe von Trauernden und Bedrängten nicht zu meiden: sie suchte sie auch wirklich auf und bemühte sich, nach Möglichkeit zu helfen durch Trost, oder durch Rath, oder durch Verwendung, oder durch Gaben. In letzterer Beziehung zog sie Geschenke von Nahrungsmitteln oder Kleidungsstücken den Geldgaben vor und richtete besonders ihre Wintervorräthe darauf ein, daß dergleichen Spenden möglich waren. Wo unsere Kräfte nicht ausreichten, nahm sie die Hülfe der Freunde in Anspruch und ließ sich in solchem Falle keine[426] Mühe verdrießen; so haben wir in Leipzig, vereint mit unserem Hänsel, im seligen Gefühle des Wohlthuns so manchen armen Familien zu helfen gesucht, und auch in Dorpat, sowie in Königsberg wußte sie immer einige Freundinnen zum Beistande für ihre Armen zu gewinnen.

Dergleichen Bewilligungen vergalt sie aber auch durch die redlichste Freundschaft. In Betreff von Schwächen oder von stillem Kummer einer Freundin war sie offenherzig gegen diese und verschwiegen gegen Andere. Wer ihr ein Geheimniß anvertraute, der konnte gewiß sein, daß es gut aufbewahrt war, und so war sie auch überhaupt mit der Erzählung eines Ereignisses oder mit der Aeußerung eines Urtheils, woraus für den, welchen es betraf, hätte Schaden entstehen können, sehr vorsichtig; nicht selten hat sie mich, wenn ich unbesonnen etwas ausgesprochen hatte, was zum Nachtheile eines Andern gedeutet werden konnte, durch ihr Stillschweigen beschämt.

Eine liebevolle Tochter und Schwester war sie immer, am meisten freilich, wo sie zugleich Achtung fühlte. So war sie von Ehrfurcht gegen ihren braven Vater durchdrungen und brachte ihm gern Opfer, indeß sie mit den Schwächen der Mutter Geduld hatte. Den wackern Bruder liebte sie von ganzem Herzen, indem sie seinen Charakter schätzte; ihren Schwestern aber suchte sie möglichst nützlich zu werden, und sie in günstigere Verhältnisse versetzen zu können, würde sie sehr glücklich gemacht haben. Was sie als Mutter war, brauche ich kaum noch zu berühren. Es war ein reizender Anblick, sie im Wochenbette zu sehen, wie sie mit dem Ausdrucke der Selbstzufriedenheit und des mütterlichen Glückes auf das eben so zierlich wie sie selbst neben ihr liegende Kind blickte, oder zu sehen, wie die Lust des Säuglings an ihrer vollen Brust als Mutterfreude aus ihren eigenen Augen wiederstrahlte.

Und so fand sie auch reichen Lohn in der Liebe ihrer Kinder. Die Dankbarkeit der Tochter sprach sich selbst nach deren Tode in einem lieblichen Bilde aus. Als nämlich meine Frau im Jahre 1826, nachdem ich meine weitere Reise von Halle aus angetreten hatte, ihren Geburtstag in Leipzig erlebte,[427] ging sie in aller Frühe auf den Kirchhof, um am Grabe unserer Tochter zu beten, und legte auf dasselbe den Blumenkranz, den sie als Gabe einer Freundin beim Erwachen neben ihrem Bette gefunden hatte. Nach einigen Jahren erfuhren wir, daß der Kranz angewachsen war; während die Blumen verwelkt waren, hatte die sie vereinende Epheuranke Wurzel geschlagen und Zweige getrieben, welche vom Grabe zu der dabei stehenden Acacie reichten und an dieser sich empor wanden: die Asche der Tochter hatte das von Mutterliebe dargebrachte Opfer dankbar angenommen.

Mich hat sie wahrhaft beglückt. Unsere Liebe hatte neben sinnlichem Wohlgefallen gegenseitige Achtung und Uebereinstimmung in unseren Gesinnungen zur Grundlage und dadurch eine ernstere Bedeutung, so daß es der hinzutretenden Gewöhnung eines freundlichen und vertraulichen Zusammenlebens ein Leichtes wurde, unsere Herzen auf ewig innigst an einander zu knüpfen.

Wir achteten einander wegen unserer religiösen Gesinnung und unseres sittlichen Charakters; bei aller Vertraulichkeit und Zwanglosigkeit ist daher unter uns nie etwas vorgefallen oder ein Wort gesprochen worden, was die Sittlichkeit auch nur auf das Leiseste verletzt hätte. Wir achteten einander wegen unserer Arbeitsamkeit und unserer Leistungen. Wie Achtung und Liebe einander gegenseitig fördern, so wurde sie auch durch ihre Liebe zu mir bestimmt, sich eine größere Vorstellung von meinen Leistungen zu machen, deren Werth sie nicht zu beurtheilen vermochte; war ich nun zuweilen durch Unzufriedenheit mit meinen Arbeiten oder durch Besorgniß der Abnahme meiner Kräfte niedergebeugt, so trat sie mir mit der heitern Zuversicht entgegen, daß dies nur ein auf vorübergehender Abspannung beruhender Mißmuth sei und daß ich mir nur einige Erholung gönnen müsse, um wieder andern Sinnes zu werden. In der großen Meinung, die sie von meiner geistigen Kraft hatte, war sie wirklich stolz auf mich und dabei so feinsinnig, daß sie es gegen mich nie aussprach; erst durch Andere erfuhr ich, wie sie sich über mich geäußert und von meiner Berühmtheit gesprochen[428] hatte. So sah ich es auch nur an ihren Mienen, wie es sie freute, wenn ein Vortrag von mir Beifall fand, und wenn ich mir Mühe gab, einen Aufsatz für eine Abendgesellschaft in der Loge auszuarbeiten, so geschah es auch meist nur, um ihr zu gefallen. In der Ueberzeugung von meinem Werthe fand sie sich selbst geschmeichelt, wenn interessante Frauen mich auszeichneten, und suchte ein solches Verhältniß selbst zu fördern, da sie sicher war, nicht darunter zu verlieren. Meine Ehre galt ihr sehr viel, ja um diese zu behaupten, war sie selbst bereit, ihren Wohlstand aufs Spiel zu setzen; dies bewies sie, als ich durch die oben (S. 257) erwähnte Beschuldigung des Ministeriums mich beleidigt fühlte: sie war mit mir einverstanden, daß ich ernsthaft antworten müsse, und erklärte dabei, wenn ich dadurch meine Professur verlöre, so schadete es nicht, ich würde sie doch ernähren, müßten wir uns auch knapp behelfen.

Die Uebereinstimmung in unseren Neigungen war ebenfalls ein Band, welches uns an einander knüpfte, und der Genuß, welchen Jeder von uns an den Schönheiten der Natur und der Kunst fand, wurde durch den Gedanken, daß der Andere sie in gleicher Weise genieße, verdoppelt. Wie glücklich fühlten wir uns, wenn wir zusammen einer ausgezeichneten Vorstellung im Theater beiwohnten, durch Blicke oder Händedruck einander unsere Empfindungen kund gaben, und nachher unsere Urtheile austauschten! Und welch' köstliche Freuden bereitete uns nicht eine gemeinschaftliche Reise! Im Einzelnen fügte sie in ächt weiblicher Weise ihre Urtheile und Neigungen gern den meinigen: mit wem ich mich befreundete, dem wendete auch sie gern ihre Zuneigung zu, und den Dichterwerken, die ich vorzüglich schätzte, suchte auch sie mehr Geschmack abzugewinnen. Ihre Theilnahme an meinem Gefallen oder Mißfallen erstreckte sich oft über das Unbedeutendste, so daß ich z.B. gewiß war, ihr mit einem Male alle Eßlust zu benehmen, wenn ich es mir merken ließ, daß ein Gericht mir nicht schmeckte.

Den Andern zu erfreuen, machte Jedem die größte Freude; wohl ausgesonnene Ueberraschungen fehlten an keinem Geburtsoder[429] Weihnachtsfeste, und im täglichen Umgange erheiterten wir uns durch kindliche Scherze, wie sie denn z.B. in ihrem letzten Sommer mir, wenn ich Mittags aus meiner Vorlesung kam, einige Schritte entgegen ging, ich aber, wenn sie es einmal vergessen hatte, an das Fenster klopfte und wieder eine Strecke zurück ging, um mein Recht zu behaupten und mich einholen zu lassen.

Wir konnten nicht lange von einander getrennt sein, gönnten einander zwar die Erholung außer dem Hause und unterwarfen uns der für nothwendig erachteten Trennung, warteten aber dann auch mit Ungeduld auf die Wiedervereinigung. Wenn ich sie im Sommer das Seebad gebrauchen oder in einer befreundeten Familie das Landleben genießen ließ, begann alsbald der lebhafteste Briefwechsel, der nicht eher aufhörte, als bis die darin ausgesprochene Sehnsucht gestillt war, und Jeder von uns hob dann, wie verabredet, die empfangenen Briefe als ein werthes Andenken auf. Ich sah es gern, wenn sie zu ihrer Erheiterung den Nachmittag und einen Theil des Abends in Gesellschaft zubrachte oder das Theater besuchte, und um mich nicht von meiner Arbeit abzuhalten, verzichtete sie auf meine Begleitung; aber ich lauschte auch zur Zeit ihrer Rückkehr auf ihre Frage nach mir, die sie beim Eintritte ins Haus immer that, und wenn ich sie abholte, sah ich, wie bei meiner Ankunft ihr Gesicht sich verklärte. So beredete sie mich oft, des Abends in Gesellschaft zu gehen; wenn ich aber ein Mal ungewöhnlich lange ausblieb, so fand ich sie schlaflos und von Besorgniß erhitzt.

Als wir älter wurden und die Söhne ihren eigenen Hausstand hatten, wurden wir einander immer unentbehrlicher, und wir waren am frohesten, wenn wir allein zusammen waren; jede solche Mittagsmahlzeit gewährte durch Frohsinn im Gefühle unseres Glückes die schönste Erholung, und den Abend, da ich nie spät arbeitete, brachte ich am vergnügtesten mit ihr zu.

Im Alter wurde sie auch noch durch manche außerordentliche Freude erquickt. So war sie 1832 zu Wien schon in den[430] ersten Tagen der Versammlung der Naturforscher sehr ausgezeichnet worden; als aber bei dem Feste in Luxenburg sie zur Spazierfahrt allein aufgerufen und vom Baron Türkheim zu dem sechsspännigen kaiserlichen Gallawagen geführt wurde, um an der Spitze einer langen Reihe anderer Hofwagen durch den Park zu fahren, mußte sich ihr gepreßtes Herz durch Freudenthränen Luft machen; man denke sich das Glück einer Oesterreicherin auf Befehl des geliebten Kaisers Franz in dessen eigenem Wagen! – Ein stilleres, aber ihrem Herzen unendlich wohlthuendes Fest wurde ihr 1837 an ihrem Geburtstage von unsern Söhnen bereitet: nachdem ich sie, im Garten sitzend, so lange bis alle Veranstaltungen getroffen waren, durch Gespräch fest gehalten hatte, ertönte ein melodischer Gesang aus einer fernen Laube und es traten acht Großkinder hervor, die, paarweise geordnet, singend durch den Garten zogen, um den Sitz der geliebten Großmutter her Stäbe mit Kränzen aufpflanzten, Blumen streuten, den von unserem jüngern Sohne gedichteten sinnigen Text des Gesanges darbrachten und diesen, in einem Halbkreise stehend, nochmals anstimmten. – Endlich rechne ich zu den vorzüglichsten Freuden, die ihr in der letzten Zeit ihres Lebens zu Theil wurden, die in demselben Jahre unternommene Reise, wo sie an meiner Seite die Naturschönheiten der sächsischen Schweiz und Thüringens mit aller ihr eigenthümlichen Wärme genoß und die letzten Liebeszeichen von meinem theuren Onkel empfing, der mit väterlichem Segen für dieses Leben von ihr Abschied nahm.

Bei der Erinnerung an genossene Freuden sinnt man schon wieder auf neue für die Zukunft, und so machte ich nach unserer Rückkehr den Plan, sie in einem der nächsten Jahre nach Schwaben, Baden und der Schweiz zu führen; denn wie sie nicht geruht hatte, bis ich auch nach dem ihr so lieb gewordenen Marienbad gekommen war, so konnte ich es nicht ertragen, daß ich jene herrlichen Gegenden allein sollte gesehen haben. Sehr auffallend war es aber, daß sie, die sonst in unsern Abendunterhaltungen dergleichen Projecte lebhaft auffaßte, diesmal gar nicht darauf eingehen wollte; es war, als ob ihr[431] ahnte, daß mir jenes Glück nicht gegönnt werden würde; indeß fand ich nachmals unter ihren Papieren Auszüge aus Reisbeschreibungen, die mir bewiesen, daß sie sich doch die Möglichkeit, in jene Gegenden zu kommen, gedacht und sich darauf vorbereitet hatte.

Wenn sie auch trotz allem Ungemach bei und nach der Geburt unserer Tochter gesund geblieben war, so schien doch eine Neigung zu entzündlichen Zuständen der Unterleibsorgane dadurch begründet worden zu sein, die späterhin hartnäckige Verdauungsbeschwerden zur Folge hatten. Sie gebrauchte dagegen das Seebad in drei Sommern, so wie den Kreuzbrunnen zwei Mal in Marienbad selbst und einige Jahre zu Hause; auch benutzte ich jede Gelegenheit, erfahrene Aerzte deshalb zu Rathe zu ziehen, – aber ihre Beschwerden konnten nur durch täglichen Arzneigebrauch gelindert werden. Wie sie indeß bei dem Allem ihren Frohsinn behauptete, so hoffte ich auch, daß ihr vermöge ihrer kräftigen Constitution eine lange Lebensdauer bestimmt sei. Ich rechnete darauf, daß sie mich überleben würde; ich setzte aus einander, wie es eine dem Berufe der Geschlechter angemessene Einrichtung der Natur sei, daß das Weib später sterbe; wenn im Kreise vertrauter Freunde bei mir Gesundheiten getrunken wurden, stieß ich mit ihr darauf an, daß sie ihren Posten behaupten, ihren Beruf völlig durchführen und das Haus schließen müsse; eben so traf ich mit ihr Verabredungen über ihre Einrichtung nach meinem Tode. Zwar befiel mich ein heimliches Grauen, wenn ich zuweilen in ihrer Abwesenheit etwas aus ihrem Verschlusse herausgeben mußte, doch dachte ich mir die Möglichkeit, sie zu verlieren, nie deutlich. Ich hatte ihr dieselbe Meinung über unser Schicksal beigebracht, und vermöge ihrer sittlichen Kraft und ihrer wahrhaften Liebe zu mir hatte sie sich gefaßt gemacht, es zu ertragen; noch wenige Stunden vor dem Eintritte des Fiebers, welches ihrem Leben ein Ende machte, äußerte sie gegen einen Freund, mit welchem sie, da ich nicht zu Hause war, sich unterhielt, sie erkenne es für eine ihrer Pflicht gemäße Bestimmung, mich zu überleben, indem sie den Schmerz, einsam in der Welt zu stehen, mir ersparen müsse.[432] Eben so hat sie, wie ich ebenfalls nachher erfuhr, früher gegen eine vertraute Freundin sich ausgesprochen, daß es ihre Pflicht sei, dies Loos zu tragen, Und als sie auf ihrem Sterbebette meine Angst bemerkte, sagte sie: »Gott wird mir helfen, Du wärst ja sonst gar zu unglücklich.« So hatte sie bis zu ihrem Tode die feste Ueberzeugung, daß ich sie über Alles liebte, daß sie das wahrhafteste Glück meines Lebens ausmachte, und so sind mir diese Worte so ungemein tröstlich, da in ihnen die Gewißheit liegt, daß ich sie glücklich gemacht habe, – denn das Weib, das mit der Ueberzeugung, so geliebt zu werden, stirbt, ist wohl glücklich.

Im November 1838 wurde sie von einem heftigen Fieber befallen, welches bald einen nervösen Charakter annahm und nach vierzehn Tagen (am 4. December) mit dem Tode endete. Auch auf ihrem Sterbelager bewährte sie ihren Charakter. Eine fortwährende Beklemmung nöthigte sie zum Stöhnen; sie besiegte aber das Gefühl der Schwere ihrer Krankheit, um bis zu den letzten Tagen die Wirthschaftsangelegenheiten anzuordnen, für mich und ihre Söhne fortwährend Sorge zu tragen, ihre zum Weihnachtsfeste bereits getroffenen geheimen Veranstaltungen weiter zu führen, und mich zu trösten. Hierdurch, so wie durch die Erinnerung an alle ihre Lieben und durch die Beweise von Theilnahme ihrer zahlreichen Freunde wurden ihre Leiden gemildert. Zuweilen hatte sie einen schönen Traum; auch glaubte sie eines Tages den zu ihrer Geburtstagsfeier im vorigen Jahre vom Chore der Enkel angestimmten Gesang zu hören, und fühlte sich dadurch belebt. Sie liebte das Leben und fürchtete den Tod nicht; so sagte sie in ihrer Natürlichkeit: »Es wird wohl schön sein, zu meiner Line zu kommen; aber ich möchte doch gern noch bei Euch bleiben.« Am 1. December gestand sie, jedoch nur den Söhnen, ihre Ueberzeugung von ihrem nahen Tode. Am folgenden Tage kam ich auf den Gedanken, ob sie doch nicht vielleicht im Empfange der Sacramente ihrer Kirche einige Beruhigung finden könnte; als ich sie deshalb fragte, erwiderte sie: »Du hast Recht; bei der Spaltung der Kirchen wollen wir uns um so mehr hüten, Anstoß zu geben.«[433] Und in diesem Sinne nahm sie die Ceremonie auf, die auch in ihrem Seelenzustande durchaus keine Aenderung hervorbrachte: sie bewährte sich als stark, wo ich die Möglichkeit einer Schwäche an ihr vorausgesetzt hatte. Zwei Tage darauf athmete sie in einem sanften Schlummer ihr Leben aus, während ich mit meinen Söhnen in stiller Ergebung an ihrem Lager saß.

Im Sarge schmückte ich sie mit zwei Dingen, die für sie Kleinodien gewesen waren. An ihre Hand steckte ich den Ring von meinen Haaren, durch den ich mich ihr im Jahre 1798 verlobt hatte (S. 72 flg.); wie damals bei unserer ersten Trennung, so gab ich ihr ihn jetzt bei unserer zweiten mit, und wie das an seiner inneren Fläche eingegrabene Wort: Wiedervereinigung meine damalige Hoffnung ausdrückte, die nachher in Erfüllung ging, so bezeichnete es auch jetzt meine Zuversicht. Um ihren Hals schlang ich eine aus meinem Haare geflochtene Schnur, an welcher ein kleiner Medaillon hing, der auf der einen Seite ein Marienbild, auf der andern eine Locke vom Haupte ihres Vaters enthielt und den ich ihr geschenkt hatte, als wir 1826 in Prag den Geburtstag unserer Tochter feierten (S.373), – denn an diesem Tage pflegte ich alljährlich ihr ein kleines Geschenk mit einem religiösen Buche oder Bilde zu machen –; sie liebte diesen Medaillon sehr und sagte, es sei ihr, als ob er ihr Amulet wäre und ihr, so lange sie ihn auf ihrer Brust trage, nichts Uebles widerfahren könnte.

Quelle:
Burdach, Karl Friedrich: Rückblick auf mein Leben. Selbstbiographie. Leipzig 1848, S. 416-434.
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