6. Beehrungen.

[468] In Folge meiner freimüthigen Aeußerungen bei den öffentlichen Amtshandlungen einerseits und der unter den Festgenossen herrschenden Aufregung andrerseits wurde mir am zweiten Tage der Säcularfeier, dem 30. August, die höchste Ehrenbezeigung von meinen Mitbürgern zu Theil. Ich lege der Erzählung davon die Berichte zum Grunde, welche in Nr. 204 und 205 der Königsberger Zeitung darüber abgestattet wurden. In dem ersten Artikel vom 30. August heißt es: »Burdachs Reden am 25. und 28. dieses hatten die Begeisterung aller Commilitonen geweckt. Das Festmahl der ehemaligen Universitätsgenossen am 29. d. gab Veranlassung, der Bedeutung seines Strebens in ihrem vollen Werthe zu gedenken; einstimmig sprach sich der Wunsch aus, ihm die Anerkennung der Commilitonen durch ein akademisches Vivat feierlich darzubringen. Die Anordnungen waren schnell getroffen. Heute Mittag 1 Uhr versammelten sich mehr als tausend ehemalige Universitätsgenossen auf dem Paradeplatze. Dr. Dinters Anrede an die Menge belehrte sie über die Bedeutung der Huldigung und die Art ihrer Ausführung. Paarweise geschaart, Arm in Arm, Männer in der vollen Bedeutung des Wortes, zogen sie hinab zum Albertinum, wo die jetzt studirende Jugend und ein großer Theil der hiesigen Einwohner sich ihnen anschloß. Auch fehlte es in dem begeisterten Zuge nicht an dem Glanze der Waffen.« (Ich erkannte von Männern, die noch im Staatsdienste stehen, unter Andern zwei Obersten und zwei Präsidenten.) »So nahte sich der Zug, lautschallende Musik an der Spitze, der Wohnung des Gefeierten. In ehrfurchtsvollem Schweigen stellte sich die bis dahin laute Menge unter seinen Fenstern auf. Er erschien in würdiger Einfachheit, geschmückt mit dem Albertusbilde. Landrath von Auerswald nahm das Wort.« Er erinnerte an[468] die Tage der Burschenschaft und an Burdachs Verhältniß zu derselben, versicherte, »in den älteren Söhnen der Albertina sei nicht erloschen jene Flamme der Begeisterung, in welcher die Herzen erglühen für alles Hohe und Edle, und gestählt werden zu jenem einzig wahren Muthe, der früher oder später den Widerstand der stumpfen Welt bezwingt.« Dies, schloß er, sei der Gruß und Dank, den die älteren Söhne Albertinas darbrächten. In deren Namen überreichte hierauf der Burgemeister Sperling einen werthvollen silbernen Pocal nebst einem silbernen Credenzteller, erkauft aus den Beiträgen einer kaum zwölfstündigen Sammlung. Ein donnerndes, sich stets erneuerndes Hoch auf Burdachs Wohl begleitete den Schluß der Rede Sperlings. Die begeisterte Menge bewegte sich alsdann in fast stundenlangem Zuge vor Burdachs Fenstern vorbei.

Ich konnte mich dieser Ehrenbezeigung nicht ganz unbefangen freuen: welch' hohen Werth immer der Beifall meiner Mitbürger für mich hatte und wie lebhaft ich es auch erkannte, wie höchst ehrenvoll dieser in seiner Art einzige Beweis der öffentlichen Achtung für mich war, so war ich doch von einer so glanzvollen, meinem schlichten Charakter nicht entsprechenden Darlegung zu sehr überrascht, als daß mein Stolz sich so recht hätte daran weiden können. Die mir erwiesene Ehrenbezeigung wurde aber auf eine meinem Herzen wahrhaft wohlthuende Weise zu einer bleibenden gemacht. Der Burgemeister Sperling überreichte mir nämlich außer dem Pocale und Credenzteller eine Brieftasche mit der Aufschrift: Burdach-Stiftung beim Dintervereine, worin 50 Thaler als Ueberschuß von den zum Ankaufe der kostbaren Geschenke zusammengebrachten Gelder enthalten waren; diese Summe vermehrte sich bald auf 105 Thaler, und der Vorstand des Dintervereins zeigte mir unter dem 13. October an, daß dies den Stamm eines Capitals abzugeben bestimmt sei, von dessen Zinsen alljährlich an meinem Geburtstage den Zöglingen der Kleinkinderschulen ein kleines Fest im Freien gegeben werden sollte.[469]

Bei dem ganzen Jubiläum war ich, wie immer, mei ner Ueberzeugung gefolgt, ohne der einen oder der andern Partei gefallen zu wollen; so hatte ich denn, wo mein Amt mir zu reden gebot, manch freies Wort gesprochen, ohne die Sitte zu verletzen oder gegen die fest begründeten Verhältnisse zu verstoßen. Wenn der Parteigeist sich meiner Aeußerungen für seine Zwecke bemächtigte, hielt ich es in jeder Hinsicht für das Rathsamste, keine Kenntniß davon zu nehmen. Es waren über meine Antwort auf die Rede des Ministers mährchenhafte Berichte in den öffentlichen Blättern erschienen und Großthaten von mir erzählt worden, die mir ganz fremd waren; ich kümmerte mich nicht darum, denn es lohnt nicht, nach Seifenblasen zu schlagen, die bald genug von selbst platzen.

Von der entgegengesetzten Seite erschien ein Artikel in der Allgemeinen Preußischen Zeitung, welcher mehr Aufmerksamkeit verdiente. Durch denselben sollte nämlich, wie es schien, Denen, die meinem offenen, ehrlichen Benehmen ihren Beifall geschenkt und überhaupt den bei unserer Säcularfeier herrschenden Geist mit lebhaftem Interesse beobachtet hatten, die Freude verdorben werden. »Der Prorector,« heißt es darin, »beantwortete die Ansprache des Ministers in der würdigsten Weise. Er dankte dem Minister, daß er nicht bloß durch sein Kommen der Universität seine Theilnahme bewiesen, sondern auch durch seine wohlwollende Vermittelung auf das Verhältniß der Universität zu ihrem erhabenen Rector wohlwollend eingewirkt habe; – woran die Bemerkung geknüpft wurde, daß die Universität fortwährend nur von Ehrfurcht und Liebe zu ihrem erhabenen Rector beseelt gewesen sei« – (hier ist ein Irrthum: eine solche dem Könige gebührende Versicherung an den Minister zu richten, würde ich für sehr unpassend gehalten haben). – »Zugleich äußerte er sich über akademische Disciplin, Burschenschaft u.s.w. ganz so, wie es der Referent in der Kriegs-und Friedens-Zeitung« – (der Königsberger Zeitung, die dem Leser wahrscheinlich nicht zur Hand ist) – »gemeldet hat. Den übrigen Theil der Ansprache des Ministers ließ der Professor Burdach ganz unberührt.« – (Mit diesem unberührt[470] gebliebenen Theile konnte bloß die Aeußerung über die Unzufriedenheit des Königs gemeint sein; ich glaube aber auch diese, soweit es mir zustand, beantwortet zu haben) – »und überhaupt war die Rede desselben höchst anständig und der Würde des Prorectors durchaus angemessen« – (ein in diesem Zusammenhange gehörig verdächtigendes Lob). – »Bei dem glänzenden Diner, welches der Professor Burdach gab, brachte der Gastgeber einen sehr herzlichen Toast auf den Minister aus, der des Lobes ganz gewiß nicht zu wenig enthielt.« (Diese wie die übrigen auch im Originale mit gesperrten Lettern gedruckten Worte bezeichnen die Tendenz des Aufsatzes sehr deutlich, setzten mich aber in Erstaunen. Daß mein Toast erwähnt wurde, war erklärlich; was aber den Inhalt betrifft, so war ich mir bewußt, daß ich nicht mehr hatte sagen wollen, als was die Pflicht und die Ehre der Universität mir gebot. War mir ein Schmeichelwort wider Willen entschlüpft? ich befragte mehrere meiner Gäste: sie bestätigten es, daß ich nur Wünsche für die rechte Art und den heilsamen Erfolg der Wirksamkeit des Ministers ausgesprochen hatte, und Personen, mit welchen sie noch am Abende desselben Tages gesprochen, bezeugten, daß sie es als eine Feinheit gerühmt, wie ich dem hohen Gaste die ihm schuldige Aufmerksamkeit bewiesen hätte, ohne ihm eine Schmeichelei zu sagen. Unmöglich konnte ich diese Verdächtigung ohne Weiteres auf mir lasten lassen; aber was sollte ich thun? In den Zeitungen widersprechen? Dann wäre eine Replik erfolgt, in welcher der muthmaßliche Verfasser des Artikels mit gleicher Dreistigkeit, vielleicht mit Nennung seines Namens, das Erzählte gehört zu haben bezeugte, und da es sich bloß um ausgesprochene Worte handelte, so wäre ohne protokollarische Vernehmung der Mehrzahl der Anwesenden nichts auszurichten gewesen. Ein werther Freund, der über die Unthulichkeit eines solchen Widerspruchs mit mir einverstanden war, meinte, es würde hinreichen, wenn in der Vorrede zur Beschreibung des Festes erklärt würde, Alles, was mit dem hier Berichteten im Widerspruche stünde, sei erlogen. Dies konnte jedoch nicht genügen, da ich um diese Zeit die Abfassung[471] der gedachten Beschreibung schon selbst übernommen hatte, und darin vermöge meiner amtlichen Stellung nur einen einfachen Bericht liefern zu müssen, mithin über die geäußerten Gesinnungen, besonders aber über die meinigen, kein Urtheil fällen zu dürfen glaubte, ja es selbst für undelicat hielt, meine Antwort auf die »Ansprache« des Ministers zu veröffentlichen. Ich wendete mich also an meine Collegen und forderte den akademischen Senat auf, den auf meine Ehre gemachten Angriff zurückzuweisen. Ich fand vollkommene Bereitwilligkeit dazu, und nach Berathung über den deshalb einzuschlagenden Weg wurde eine Dankadresse beschlossen, und ich war (denn ich scheute mich nicht, an dieser vorläufigen Deliberation Theil zu nehmen) unter der Bedingung, daß dieselbe in den Zeitungen eingerückt wurde, damit einverstanden. Die hierauf in meiner Abwesenheit berathene, unter dem 16. November von sämmtlichen ordentlichen Professoren unterzeichnete und in die Königsberger Zeitung vom 25. November aufgenommene Adresse sprach »den innigsten und aufrichtigsten Dank aus für die edle und würdevolle Weise, mit welcher ich bei der Feier des Jubelfestes die Universität vertreten hätte.« Dieses Zeugniß der Gesammtheit meiner Collegen mußte hinreichen, jene Verdächtigung zu entkräften, und die Zeit seines Erscheinens während ich noch im Amte war, mußte andeuten, daß es eben diesen Zweck habe.

Gegen Ende Septembers waren in drei Städten Westphalens Adressen an mich erlassen worden, unterzeichnet von Bürgern und Beamten, Juristen und Aerzten, Lehrern und Kaufleuten, Künstlern und Fabrikanten. In der von Bielefeld mit 42 Unterschriften heißt es nach einer Einleitung:

»Unsere Ansicht stimmt mit der Ihrigen überein: auch wir sind fest davon überzeugt, daß ohne die vollständigste Freiheit der Wissenschaft und ihre praktische Bethätigung im Volksleben keine freie menschliche Entwickelung möglich ist. Daß aber ein Mann wie Sie offen für die Freiheit in die Schranken tritt, ist uns die sicherste Bürgschaft für den Sieg der guten Sache. Unser Land muß sich glücklich schätzen, Sie bei der Jubelfeier so vollständig kennen gelernt zu haben. Wir sind überzeugt,[472] daß die Liebe und der Dank des Volkes für Sie die höchste Belohnung ist; deshalb legen wir denn in dieser Adresse die Gefühle nieder, welche wir für Sie empfinden« u.s.w.

Von den Empfindungen und Besorgnissen, welche diese Zuschrift in mir hervorrief, giebt mein Antwortschreiben ein treues Zeugniß. Es lautete so:

»Meine Herren! Empfangen Sie meinen innigsten Dank für das Schreiben vom 22. September, mit welchem Sie mir die freudigste Ueberraschung gewährt haben! Durch das Maß meiner Kräfte genöthigt, meine Wirksamkeit auf den nächsten wissenschaftlichen Beruf zu beschränken, habe ich bei den Kämpfen der Zeit nicht in der Linie fechten können, und nur wo der heimische Boden angegriffen war, im dritten Aufgebote meinen Mann gestanden. Durch das Vertrauen meiner Collegen für das dreihundertste Jahr der Königsberger Universität an deren Spitze gestellt, habe ich in schlichter Weise gethan, was der Augenblick gebot und was ich bei meiner Ueberzeugung in der mir angewiesenen Stellung nicht unterlassen konnte. An eine Belohnung, insbesondere an eine so hohe, wie der Bürgerkranz ist, den Sie, meine Herren! mir reichen, habe ich nicht gedacht. Um so größer ist mein Dank dafür. Jetzt wünsche ich mir zu meiner Beruhigung nur, daß Sie weder, durch übertriebene Zeitungsberichte bestimmt, eine zu hohe Meinung von meiner Leistung haben, noch auch den boshaften Insinuationen, die mich in den Augen freisinniger Männer herabsetzen wollen, Glauben beimessen. Daß ich nichts Ueberschwengliches gethan, lehren die von mir selbst verfaßten ›amtlichen Nachrichten;‹ daß ich mich aber auch nicht zu Kriecherei erniedrigt habe, bezeugt mir die Dankadresse meiner Collegen.«

Die beiden andern Adressen (von Rheda mit 30 und von Gütersloh mit 20 Unterschriften) waren ähnlichen Inhalts und ich beantwortete sie in gleichem Sinne, wie die Bielefelder, indem ich einen Ruhm ablehnte, den ich weder erworben, noch auch erstrebt hatte und mich gegen den Verdacht der Schmeichelei verwahrte.

Was literarische Beehrungen anlangt, so wurde ich in[473] dieser Periode Ehrenmitglied der K.K. Gesellschaft der Aerzte in Wien, der Gesellschaft der Hamburger Aerzte, des Vereins für Staatsarzneikunde im Königreiche Sachsen und der Sociedade das sciencias medicas de Lisboa.

Endlich mußte ich es als Belohnung meiner amtlichen Wirksamkeit betrachten, daß der König mir bei der Huldigung die dritte Classe des rothen Adlerordens mit der Schleife und bei dem akademischen Jubiläum die zweite Classe mit Eichenlaub verlieh.

Quelle:
Burdach, Karl Friedrich: Rückblick auf mein Leben. Selbstbiographie. Leipzig 1848, S. 468-474.
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