VI

Tierfang unter Nordlichtern und Tropengluten

[99] Ist man geneigt, unserem schmunzelnden Philosophen Wilhelm Busch Glauben zu schenken, so werden Affen auf überzeugende Weise gefangen. Der eifrige Witzblattleser findet auch an anderer Stelle köstlich illustrierte Rezepte, wie man mit Salz, geleimten Stiefeln oder einem geschwind geschlagenen Schwanzknoten sich des grimmigen Leuen oder des munteren Affen bemächtigt. Leider haben meine Tierfänger mit diesen von den Humoristen erprobten Hausmitteln keine befriedigenden Ergebnisse erzielt, und so will ich denn verraten, wie unser schwarzer Geschäftsfreund Abdallah Okutt vom Stamme der Basas mit meinen Fängern zu Werke geht, ohne sich von den Pavianen seine Nase zur »Qualspirale« drehen zu lassen. Dieser alte Straußenfänger meldete sich wie üblich nach Ankunft meiner Expedition in unserer nubischen Station am Gasch am Fuße der Sahaney-Berge.

Unterhalb des Felsens glitzert wie Silber das trockene Flußbett des Gasch, der nur während einiger Monate im Jahr, in der Regenzeit, Wasser führt, aber den übrigen Teil des Jahres lediglich eine gewaltige Fläche blendenden Sandes bildet. Hier befanden sich in kurzen Abständen mehrere Wassertümpel, die von den Affen als Tränke benutzt wurden. Den ganzen Tag hörten wir das Streiten und Schnattern der Affen, das sich auch in der Nacht fortsetzte. Ganze Affenfamilien oder auch, wenn man will, ganze Haremswirtschaften knurrten auf dem Felsen, leise grunzend, immer mißtrauisch und auf der Hut vor ihrem ärgsten Feind, dem schleichenden Leoparden.

Hütet euch, arme Affen, jetzt naht Meister Abdallah Okutt, der für ein anständiges Bakschisch sofort bereit ist, für uns eine Anzahl der großen braunen Paviane (Cynocephalus doguera) zu fangen. Alles, was er zu diesem Zweck braucht, sind einige Äxte, eine Anzahl[100] Stricke und Hilfe. Sogleich werden sämtliche Wasserlöcher des Gasch mit Dornbüschen verstopft – bis auf eins. Auf diese Weise sind die Paviane gezwungen, die gleiche Tränke mit unseren Tieren zu teilen.

Mit der größten Ungeniertheit nahmen die Affen unseren Vorschlag an, gewöhnten sich an unsere Nachbarschaft und hatten ihre Scheu so weit verloren, daß sie bald mit unseren Tieren zugleich nur fünfzig Schritt von uns entfernt ihren Durst löschten. Um die Affen noch sicherer und vertrauter zu machen, wurde in der Nähe des Wasserloches regelmäßig Durra1 gestreut, welches die großen Männchen mit Gier fraßen, wobei sie alle anderen beiseite stießen.

Während dieser heuchlerischen Freundlichkeit von unserer Seite wurde die Falle hergerichtet, unter der man sich keinen komplizierten Apparat vorstellen darf, denn sie besteht ganz einfach aus einer aus Baumzweigen geflochtenen Rotunde, die, durchsichtig wie ein Käfig, in ihrem Äußeren dem kegelförmigen Dach einer Eingeborenenhütte gleicht. Der ganze Kegel wird mit dünnen Zweigen und Stricken verflochten, die man aus der Rinde des Baobab2 dreht. Das ganze bildet dann einen soliden Käfig von ziemlichem Gewicht, den unsere Leute an der Tränke aufstellten. Unter die an der einen Seite hochgekanntete Falle wird einfach ein starker Knüppel gestellt. Zunächst geht es aber noch nicht an den eigentlichen Fang, sondern es wird weiter geheuchelt. Jetzt verstreute man die täglichen Durraportionen nicht mehr auf den Sand, sondern legte sie in die Falle. Erst als die Tiere auch hier seelenruhig ihr Futter holten, machte Abdallah Ernst.

Im Dunkel der Nacht knüpfte er einen langen Strick an den stützenden Knüppel, und nun kommt die Tragödie. Heiß brennt die Mittagssonne hernieder, als ein Trupp durstiger Paviane schnatternd zur gewohnten Tränke eilt. Einige der stärksten Männchen stürzen sich sofort über das Lockfutter ..., ein Ruck an dem Strick,[101] die Falle schlägt zu Boden, und die Freibeuter sind gefangen. Die Szene, die nun folgt, ist urkomisch, fast dramatisch und spottet jeder Schilderung. Einen Augenblick sitzen die Überrumpelten wie erstarrt. In ihren Augen glüht das Entsetzen, und verzweifelt suchen die Gefangenen, sich wie Kreisel drehend, einen Ausweg. Die Herde draußen, nicht minder überrascht, ist im ersten Schrecken geflohen. Nun kehrt sie zurück und feuert die Gefangenen durch ohrenbetäubendes Grunzen und Schreien an, das Äußerste zu versuchen. Die Kühnsten springen dicht an die Falle heran und führen erregte Zwiegespräche mit den Eingesperrten. Die Jäger lassen es aber natürlich nicht einmal zu einem Versuch einer Selbstbefreiung kommen. Sobald die Falle zugeklappt ist, eilen sie aus ihren Verstecken herbei, und nun beginnt der schwierigste Teil des Geschäfts: das Herausnehmen der über große Körperkräfte und gefährliche Gebisse verfügenden Paviane. Die Jäger haben sich jeder mit einer langen gegabelten Stange, der »Scheba«, versehen. Mit dieser sucht man den Hals des Tieres zu erfassen, und wenn jeder Affe zu Boden gedrückt ist, kann der Käfig aufgehoben und der Gefangene mit starken, aus Dompalmenfasern geflochtenen Stricken gefesselt werden. Sicherheitshalber wird das Maul gut verbunden und der ganze Körper zur Sicherheit nochmals fest in ein Tuch gewickelt, so daß der arme Vierhänder schließlich aussieht wie eine zum Räuchern präparierte Wurst, die unsere Neger, an einer Stange aufgehängt, zu zweit fröhlich zur Station tragen.

Die großen Affen haben starke Nerven – kein Wunder, sie rauchen, trinken und arbeiten nicht und leben immer in der Sommerfrische. Nach einer kurzen Erschöpfung erholen sich die Tiere nach einigen Ruhetagen so völlig, daß ihre angeborene Frechheit wieder die Oberhand gewinnt. Wütend springen sie jeden an, der nur von ferne dem Käfig naht. Die großen Männchen, ihrer Paschawürde entkleidet, müssen in Einzelhaft gehalten werden, denn sie sind herrisch und unverträglich. Gibt man ihnen Gesellschaft, so endet die Kameradschaft nach einem erbitterten Kampfe mit dem Tode des Schwächeren. Selbst Weibchen, die man ihnen zur Gesellschaft gibt,[102] gehen ein, da der ungalante Pascha das ganze Futter allein frißt. Dieser Futterneid, der bei Pavianen stark ausgeprägt ist, bildet auch die Ursache, daß meistens die stärksten Männchen gefangen werden. Keinem Untergebenen, allerhöchstens seiner Favoritin, gibt so ein Haremstyrann die Erlaubnis, ihm in die Falle zu folgen und schüchtern einige Brocken aufzulesen.

Menges, der viele solcher Affenstationen geleitet hat und dessen Berichte ich hier folge, machte dabei einige interessante Beobachtungen. Ein junges Weibchen, mit einer starken Narbe an der Nase als besonderem Kennzeichen, wurde dreimal gefangen, und jedesmal natürlich in Gesellschaft eines anderen Gebieters. Die Schwarzen begrüßten die Sitt (Frau) schließlich als eine alte Bekannte. Bei der dritten Begegnung verlor Meister Abdallah seine ganze männliche Galanterie, gab der Dame einen Denkzettel mit der Nilpferdpeitsche und entließ sie mit einer ernsten Verwarnung. Ich weiß nicht, ob man aus diesem Vorkommnis auf mangelnde Intelligenz der Paviane schließen kann. Jedenfalls war die junge Dame in Affenkreisen wohl sehr begehrt, denn zweimal wurde die Witwe sofort von einem neuen Pascha zu seiner Geliebten erkoren. Ihm mußte sie folgen, und wer Affen beobachtet hat, der weiß, wie sklavisch unterwürfig die Äffinnen ihrem gestrengen Herrn sind. Ungehorsam wird streng bestraft. Ging der Gebieter in die Falle – so mußte sie ihm folgen.

Hat der Pavianfang auch seine komischen Seiten, so ist er für die Fänger keineswegs lustig und auch nicht ohne Gefahr. Ohne in die Enge getrieben zu sein, greift auch das stärkste Pavianmännchen zwar kaum einen Menschen an. Der Umgang mit den frischgefangenen Tieren ist aber voller Gefahr. Ihre mächtigen Zähne messen sich mit denen der Leoparden, und ihre Körperkraft ist ganz gewaltig. Ernste Verwundungen der Fänger sind an der Tagesordnung. Die halbwilden Basas, deren hoffnungsvoller Sproß unser Abdallah ist, kümmern sich indes nicht viel um die Gefahr, spielt doch der Pavian auf ihrer Speisekarte eine große Rolle. In acht Tagen hatte er uns zweiundzwanzig große Männchen eingefangen,[103] die des öfteren von ihren Gefährten besucht wurden. Nach der mittäglichen Tränke zogen ganze Herden von Pavianen nach der Seriba, bestiegen die Palmen und riefen unseren Gefangenen unverständliche Worte zu, die darauf mit Klagetönen antworteten. Zuletzt artete die Unterhaltung in ein ohrenzerreißendes Konzert aus. Eines Tages sprang ein besonders Beherzter über den Dornverhau in das Lager und eilte auf den Käfig zu, in welchem vielleicht sein Bruder, Vater oder Onkel saß. Unsere Eingeborenen jagten den Eindringling aber rasch hinaus, während die »Zuschauer« rings auf den Bäumen ein wütendes Geheul über diese Unhöflichkeit anstimmten.

Zuweilen verwandelt sich der Schauplatz des Affenfanges auch in ein Schlachtfeld, besonders wenn es sich um eine Expedition gegen die großen silbergrauen Hamadrias handelt. Diese sind sehr angriffslustig und, da sie in ungeheuren Herden auftreten, auch sehr gefährlich. Ernst Wache, einer meiner jüngeren Reisenden, erzählte von einer Hamadriasschlacht in Abessinien, an welcher annähernd 3000 Affen teilnahmen. Schon die Art, wie diese Tiere den Kampf einleiten, hat etwas Schreckenerregendes. Sie sträuben die Mähne, fletschen die mächtigen Gebisse und trommeln mit den Händen wütend auf den Boden. Dabei kommen sie bis auf wenige Fuß an den Gegner heran und fordern ihn zum Zweikampf heraus.

Der Fang dieser Tiere vollzieht sich in ähnlicher Weise. Nur wird die Falle aus fest in den Boden gefügten Stäben errichtet, die dicht mit dornigen Mimosenzweigen durchflochten werden. Dieses Haus, das entweder rund oder oval ist und in der Länge sechs, in der Breite vier Meter mißt, wird auf jeder Seite mit einer Falltür versehen, deren Strick bis zum Versteck des Jägers führt. Die großen Affenarmeen, die sich zwischen den Felsen umhertreiben, zerfallen in einzelne Sippen, deren jede von einem Leitaffen geführt wird. Wenn sich eine Schar Hamadrias der Falle genähert hat, bleibt der Leitaffe als Wache an der Tür stehen, bis die Lieblingsweibchen und die Jungen gefressen haben. Sobald der Leitaffe sich selbst zum Fraß in die Falle begibt, wird er von einem anderen abgelöst.[104] Die hintere Tür ist aber offen und unbewacht. Durch diese schleichen sich so viele Affen ein, daß die Falle sich schnell füllt. Plötzlich bricht ein heiserer Schrei aus tausend Kehlen, ein unbeschreiblicher Tumult entsteht – die Falltüren sind heruntergefallen!

Bei einer solchen Gelegenheit war es, erzählt Wache, daß eine Armee von 3000 Hamadrias sich auf die wenigen Jäger stürzte. Sie verteidigten sich mit Gewehren und Knüppeln, wurden aber trotz aller Tapferkeit in die Flucht geschlagen. Die siegreichen Affen behaupteten das Feld und befreiten sämtliche Gefangenen. Im Getümmel des Kampfes konnte man wahrhaft rührende Szenen beobachten. Ein kleiner Affe, der durch einen Knüppelschlag betäubt am Boden lag, wurde von einem großen Männchen gerettet und kühn mitten durch die Feinde hinweg in den Busch getragen. Eine Mutter, die bereits ein Junges auf dem Rücken trug, nahm noch ein zweites Baby auf, dessen Mutter erschossen worden war. Groß wie die sprichwörtliche Liebe im Affenvölkchen ist aber auch die Strenge. Die Leitaffen als Erzieher der Herde schalten mit grausamer Rücksichtslosigkeit und mißhandeln ihre Untergebenen mit geradezu sadistischer Wut.

Eine Niederlage der Jäger gehört indes zu den Seltenheiten. Die Eingeborenen jagen die Affen durch Hetzjagden, nachdem sie in die Ebene hinabgekommen sind, um die in der Nähe der Dörfer liegenden Durrafelder zu berauben. Bei dieser Verfolgung werden die leicht ermüdenden Jungtiere und Mütter mit Babys den Jägern zur Beute.

Diese Affenfangberichte beweisen schon, daß eine Tierhandlung wie kein anderes Handlungshaus gezwungen ist, in einem umfangreichen Maße praktische Geographie zu treiben. Ihr Arbeitsfeld ist die ganze Erde. In den afrikanischen Urwald, in die Dschungel Indiens, in die weiten Steppen Sibiriens und die Eiswüsten der Polargebiete müssen Kundschafter entsandt werden. Ihnen folgen die Weltreisenden und Jäger mit ihren eingeborenen Hilfskräften. Anders als der Jäger, den nur die Lust am Sport treibt, müssen wir[105] zu Werke gehen, denn es gilt, den Tierbestand zu schonen und das erjagte Wild lebend heimzubringen. Tief aus dem Inneren unkultivierter Länder bewegt sich manche Tierkarawane im monatelangen Marsch durch Steppe und Wildnis, und jeder Fußbreit eroberten und mühsam erkundeten Weges muß oft mit Verlusten bezahlt werden.

Als schlechthin das Tierparadies war jahrelang der ägyptische Sudan zu bezeichnen. Einer seiner besten Kenner, mein alter Freund Joseph Menges, durchstreifte oft das ganze nordabessinische Tiefland, welches sich von Massaua bis zum oberen Blauen Nil erstreckt. Aus der reichen Tierwelt seien von den Säugetieren nur erwähnt: der afrikanische Elefant, das schwarze Nashorn, das Nilpferd, die Giraffe, der Löwe, Leopard und Gepard, die gefleckte und die gestreifte Hyäne, der Hyänenhund, der Erdwolf, der Honigdachs und der Sattelschakal, ferner der Wildesel, der Kaffernbüffel, zahlreiche Antilopenarten, Wasserbock, Buschbock, Sömmering, Dorcas und arabische Gazelle, Klippspringer und Zwergantilope; weiter das Warzenschwein, das Erdferkel, das Stachelschwein, der Hunds- und Mantelpavian und zahlreiche Affenarten. Reich ist die Vogelwelt vertreten mit dem schnellfüßigen Strauß, dem Marabu, dem Sekretär, dem Gaukleradler, verschiedenen Geiern und mehreren Wildhuhnarten. Krokodile, Schlangen usw. vervollständigen die endlose Reihe des jagdbaren Wildes. Dieser Reichtum an Tieren, unter denen sich die Riesen der Tierwelt befinden, zog schon im klassischen Altertum die Aufmerksamkeit des Abendlandes auf sich, denn die Vertreter der indischen und überhaupt der asiatischen Tierwelt gelangten seltener auf den europäischen Markt, da der Seeweg rund um Afrika zu beschwerlich war.

Diese an Wild so überreichen Gebiete sind nicht etwa von Jägervölkern bewohnt, vielmehr sind die Eingeborenen durchweg entweder seßhafte Ackerbauern, die in den wenigen Städten des Landes nebenbei noch Handel und Handwerk betreiben, oder Nomaden, die mit ihren Herden von Weideplatz zu Weideplatz ziehen, die einfachen Zelte und den wenigen Hausrat auf dem Kamelrücken[106] mit sich führend. Man unterscheidet unter den mächtigeren Stämmen der Sudanvölker die Djalin, Schukurieh, Dabaina, Hamran, Beni-Amer, Marea, Habab, Halenga, Hadendoa, die durch ihre Kamelzucht berühmten Ababdeh Bischarin und die Takruri. Diese letzteren sind aus Darfur3 eingewanderte mohammedanische Neger, die, wie alle diese nubischen Stämme, Anhänger des Propheten sind und uns stets gastfreundschaftlich empfingen. In den Städten und Marktplätzen des Landes, wie in Kassala, wo es bereits eine Telegraphenstation gab, in Kedarif, Doga und Galabat, findet man außerordentlich geschickte eingeborene Handwerker, die mit primitiven Werkzeugen Schilde aus Elefanten- und Büffelhaut, Lanzen, Schwerter, Messer und Sättel für Kamele und Pferde anfertigen. Unter ihren Schabracken findet man wahre Prachtstücke. Daneben werden feine Gold- und Silberarbeiten, Arm- und Beinringe in Filigran hergestellt.

Zweimal täglich nimmt der Nubier seine »Luchme« zu sich, das Nationalgericht, das er entweder mit Milch oder mit »Mellach« genießt. Luchme ist eine Art von Polenta aus Durrakorn. Die Sklavin, die in jeder »besseren« Familie zu finden ist, zerreibt das Korn auf dem Reibstein zu Mehl und läßt es in kochendem Wasser zu einem Brei gerinnen. Verkehrte Welt: Die Fleischspeise, das Mellach, wird als Sauce serviert. Man bereitet dieses Gericht aus Fleisch, das an der Sonne getrocknet und zu Pulver zerrieben, dann mit Butter und einer gedörrten Pflanze, deren arabischer Name Weka ist, vermischt wird. Das Ganze wird dann gekocht und mit Salz und rotem Pfeffer gewürzt. Die Sauce wird über die Luchme gegossen und das Gericht in einer hölzernen Schüssel auf dem Boden angerichtet. Familienmitglieder und Gäste kauern sich rings um die Schüssel, und alle greifen mit einem frommen »Bismillah«, d.h. »In Gottes Namen«, zu. Wie in altbiblischen Zeiten, so taucht auch heute noch jeder mit seiner reingewaschenen Hand in die Schüssel, formt sich ein Klößchen, wendet es in der Sauce um und führt es zum Munde, bis die Schüssel leer ist oder alle gesättigt sind. Alsdann beginnt[107] der für uns Abendländer so lächerliche Ohrenschmaus. Die gute Sitte im Orient will es, daß jeder Gesättigte, um den Hausvater zu ehren, kräftig aufstößt. Jedem herzhaften Rülpser folgt ein lautes, ehrenfestes »El Hamdulillah«, d.h. »Gott sei Dank«.

Bei außergewöhnlichen Gelegenheiten, wie Hochzeiten und anderen Familienfesten, wird ein Ochse geschlachtet und auf dem Flecke verzehrt. Der Talg wird an Ort und Stelle zum Einfetten der Frisur verwendet. Es ist ganz unglaublich, mit welcher Schnelligkeit das Tier geschlachtet, zerteilt, geröstet und verzehrt wird. Noch unglaublicher sind die Mengen, die von einzelnen Menschen genossen werden. Mit einem Büffel oder einer Giraffe wird auf der Jagd nicht viel Federlesens gemacht. Der Schmaus wird auf der Stelle aufgetischt, und nur Haut und Knochen bleiben übrig. Ich entsinne mich einer Flußpferdjagd am Atbara4, bei der einige hundert Eingeborene das geschossene, annähernd 5000 Pfund schwere Nilpferd innerhalb von zwei Stunden restlos verputzten. Die Scharen von Geiern, die sich auf dem Schauplatz der Schlächterei sammelten, erhielten nur noch die Knochen.

Die vornehmsten unter den Jägern sind die Schwertjäger oder »Agaghir« (Mehrzahl von Agahr = Schwertjäger), die sich selbst für die »Aristokratie« ihres Standes halten, denn die von ihnen betriebene Jagd mit dem Schwerte erfordert Kühnheit, Gewandtheit und Geschicklichkeit. Die gut berittenen Jäger folgen dem Wild und durchschlagen ihm mit einem Hieb ihres scharfgeschliffenen Schwertes die Knie-oder Achillessehne eines Hinterbeines. Die Jagdpferde sind von abessinischer Rasse, kleine, aber kräftige und feurige Tiere. Diese Jagdart erfordert eine große Geschicklichkeit der Reiter. Sie wird im höchsten Maße gefährlich, wenn sie wehrhaften Tieren gilt, wie dem Kaffernbüffel, dem Nashorn, dem Löwen oder gar dem Elefanten. Obgleich sich stets zwei bis vier Schwertjäger zusammentun, werden die Jäger dann leicht zu Gejagten.[108]

Zur Elefantenjagd ziehen nur die geübtesten Jäger aus, die vorzüglich beritten und so eng miteinander befreundet sind, daß sie sich in der Gefahr unbedingt aufeinander verlassen können. Wird die Herde auf günstigem Gelände angetroffen, so versuchen die Jäger, den mit den besten Zähnen bewaffneten Bullen von seinen Gefährten zu trennen. Der Elefant ist, durch eine vieltausendjährige Verfolgung gewitzigt, nicht nur vorsichtig, sondern auch furchtsam geworden und flieht, wenn sich nur ein Ausweg findet. Wird er jedoch gestellt, so geht er sofort zum Angriff über. Unter wütendem Trompeten, das die Pferde vor Angst ganz unbändig macht, stürzt er sich auf die Jäger, die nun ihrerseits fliehen. Mit Vorliebe greift der Elefant hellfarbige Pferde an, besonders Schimmel, die ihm bei seinem nicht sonderlich guten Sehvermögen zuerst auffallen. Einer der Jäger reitet deshalb einen Schimmel, um, dicht vor dem Elefanten herreitend, dessen ganze Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Die anderen jagen hinter dem verfolgenden und verfolgten Elefanten her, bis der erste Jäger ihm auf zehn Schritte nahe gekommen ist. Jetzt springt er hurtig vom Pferd, und in dem Augenblick, da der Elefant das Bein auf die Erde setzt, saust die scharfe, mit beiden Händen geführte Klinge nieder und zerhaut die Achillessehne, so daß das Tier einseitig gelähmt wird. Sofort wendet sich der verwundete Bulle nach dem tückischen Angreifer, und nun ist es der Schimmelreiter, der sich, aus dem Sattel springend, dem Elefanten nähert und mit wuchtigem Hieb auch die Sehne des rechten Hinterbeines durchhaut. Das mächtige Tier ist nun völlig hilflos. Wurden die Hiebe kräftig genug geführt, so sind auch die großen Schlagadern durchschnitten, und das Tier stirbt an Verblutung. Falls Gewehre zur Hand sind, gibt man dem besiegten Riesen den Gnadenschuß, und nun werden die kostbaren Stoßzähne ausgebrochen. Die Haut, die sehr geschätzt wird für die Anfertigung von Schilden, Schwertscheiden und zum Binden der primitiven Pflüge, wird in einzelnen Bahnen abgezogen. Sind Nomadenlager in der Nähe, dann zieht die gesamte Bevölkerung zum Kampfplatz, um das Fleisch zu bergen, das, in Streifen geschnitten und[109] an der Sonne getrocknet, ähnlich dem südamerikanischen Charque, einen geschätzten Vorrat für die Regenzeit bildet.

Für den mit modernen Hinterladern bewaffneten Europäer hat auch die Jagd auf großes Wild alle Schrecken verloren. Anders der Kampf der Eingeborenen gegen das größte lebende Tier der Erde. Die Waffen der Jäger sind viel primitiver als die mächtigen, die der Elefant führt. Diese Jagd, die einem Zweikampf gleicht, stellt große Anforderungen an die Geistesgegenwart, die Gewandtheit und den Mut der Angreifer. Die Sudanesen behaupten, kein gewerbsmäßiger Elefantenjäger sterbe in den Kreisen seiner Familie, sondern alle endigen früher oder später unter den Zähnen oder Fußsohlen eines gejagten Elefanten. In ähnlicher Weise wird auch das Rhinozeros und der Büffel erlegt. Selbst dem Löwen, dem Erzfeind seiner Viehherden, geht der Hamraner Jäger kühn mit dem Schwert zu Leibe. Die Reihe der Jäger könnte noch weiter geschildert werden, bis hinab zu den Beduinen, den geschickten Straußenjägern, die im Sudan Gastrollen geben, oder bis zu den großen europäischen Sportsleuten – aber ich will hier nicht von der Jagd allein reden, noch weniger von Massenschlächtereien, sondern nach diesem kurzen Überblick über die Tiere und Menschen dieses Landes vom Fang berichten, der die Tiere lebend in die Hand des Jägers liefert.

Morgenerwachen in Hagenbecks Tierfangstation am Atbara. Ein leichter Wind kräuselt die Grassteppe. Im hellen Licht der höhersteigenden afrikanischen Sonne stehen glanzübergossen die Bäume. Im Uferdickicht lärmen unzählbare Schwärme von Vögeln, vom riesenhaften Marabu bis zum Schwälbchen, das über die Wasserfläche schießt. Schon steigt die Hitze, und unzählige summende Insekten erfüllen die Luft. Auch in unserer Station am Flußufer wird es lebendig. In der weiten Seriba, die von einem aus Baumstämmen geschichteten Verhau umgeben und deren einziger Ausgang durch ein Dornengeflecht verschlossen ist, erheben sich die Strohhütten der Europäer und ihrer schwarzen Diener, die Ställe für gefangene Tiere und einige Vorratsschuppen.[110]

Längst sind die Feuer verlöscht, die über Nacht an verschiedenen Stellen der Seriba zum Abschrecken der Raubtiere unterhalten wurden. Gestern bei der Ankunft von Hagenbecks Jägern war alles eitel Lust und Freude. Alte Freunde wurden von den mit der Landessprache vertrauten Weißen begrüßt, in der landesüblichen Weise wurden Geschenke gespendet und entgegengenommen. Reiche Gastgeschenke in Form von fetten Schafen, Hühnern, Eiern, Honig, Durramehl, großen Töpfen voll Durrabier und Honigwein strömten in das Lager der weißen Männer, die sich ihrerseits auch nicht lumpen ließen und ihren dunkelhäutigen Freunden eine Menge hochgeschätzter europäischer Artikel zum Geschenk übersandten. Darauf großes Freuden- und Willkommensfest auf der Hagenbeckstation. Zuerst ein Schmaus, bei dem die eßbaren Gastgeschenke zum größten Teile von den Schenkern selbst verzehrt werden. Dann Kriegstänze der Männer unter Trommelbegleitung und Geschrei, Gruppentänze anmutiger Frauen und Mädchen unter Händeklatschen und monotonem Trommelrhythmus. Ein Wettrennen auf flinken Reitdromedaren und Jagdpferden bildet den Höhepunkt des Festes, das bis tief in die Nacht hinein beim Schein der Lagerfeuer andauert.

Heute tritt das »Geschäft« in seine Rechte. Sklavinnen bereiten unter freiem Himmel das Morgenmahl. Eingeborene bieten sich als Jäger und Treiber an. Jagdzüge werden besprochen, Aufträge gegeben und letzte Hand an die Ausrüstung gelegt. Die Sattelkissen werden frisch gepolstert, die Schwerter geschliffen, während die Sklavinnen die Proviantschläuche mit Durramehl und Wasser füllen. Wenn die Jagdgesellschaft auszieht, folgen ihr einige mit Wasser und Proviant beladene Kamele sowie eine Herde Ziegen, die den einzufangenden Jungtieren die Milch liefern soll. Die Jagd geschieht in der Form, wie ich sie eingangs bei den Eingeborenen beschrieb. Bei Giraffen und Antilopen, oft sogar bei Büffeln, ist sie ohne Gefahr, da sie meist auf der Flucht ihre Kälber schmählich im Stiche lassen. Die Dickhäuter verteidigen dagegen ihre Jungen hartnäckig, und oft muß man leider die Alten töten. Wenn die[111] Mutter auf das Geschrei des gefangenen Kleinen zurückkehrt und sich zu einem Kampf auf Leben und Tod rüstet, wird ihr Tod zu einer traurigen Notwendigkeit.

Auf diese Weise, lediglich durch Verfolgung und Abschneiden von der Herde, wurden 1826 in Kordofan5 die ersten Giraffen gefangen. Im großen wurde dieser Fang jedoch erst betrieben, seitdem der dem Leser bereits bekannte Casanova die Schwertjäger in Taka zu Helfern gewann und durch ihre Vermittlung auch die ersten afrikanischen Elefanten als Gefangene erhielt. In den siebziger Jahren fingen wir allein 33 Giraffen, 10 Elefanten, 13 Antilopen, 4 Löwen, 5 Leoparden, 7 Hyänen, 6 verschiedene kleine Raubtiere, größere Mengen Affen, Strauße und allerlei seltene Vögel, dazu mehrere Nilpferde, die mein Bruder Diederich erlegte, der 1874 leider auf Sansibar am Schwarzwasserfieber verstarb.

Sehr geschickte Helfer waren uns auch die Fallensteller aus dem Stamme der Takruris, während die Hawati als geübte Wasserjäger und vortreffliche kühne Schwimmer uns vorzügliche Dienste beim Fang von Nilpferden und Krokodilen leisteten. Mit der Harpune greifen sie das Wild sogar im Wasser an. Auch junge Nilpferde werden mit besonders gebauten Harpunen, die nicht tief eindringen und deren Wunden leicht heilen, gefangen. Wenigstens drei Viertel der früher nach Europa gebrachten Flußpferde wurden auf diese Weise erbeutet. Dankbar gedenke ich dieser dunklen Söhne Afrikas, die meinen Fängern und Reisenden wertvolle Hilfe leisteten. Im Zuge der Völkerschauen lernte ich eine Anzahl der tapfersten Jäger kennen, die in mir nach ihren Begriffen so eine Art Oberhäuptling der von mir ausgesandten »Krieger« sahen. Als Mangel an Repräsentation wurde dabei der Umstand angesehen, daß ich nur eine »Bibi« besaß, während diese Häuptlinge mit einem stattlichen Harem und einer noch stattlicheren Kinderschar aufwarten konnten. Besonders mit dem Somalihäuptling Hersy Egga, den der Leser[112] schon bei den Völkerschauen kennenlernte und der mir später bei meinem größten Transport von 2000 Dromedaren sehr behilflich war, verband mich eine andauernde Freundschaft.

Zurück zur Fangstation am Atbarafluß! Der Tag des Abschieds für dieses Jahr rückt heran. Hof und Ställe sind gefüllt mit gefangenen Tieren. Wären nicht viele der Gefangenen in Kisten und Kasten eingeschlossen, so gliche der Ort einem kleinen Paradiese. An Bäumen angekettet, sieht man junge Elefanten und Nilpferde, Giraffen und Büffel, Löwenkätzchen spielen im Grase, und über sie hinweg springt in zierlicher Bewegung eine Meerkatze. In primitiven Holzkästen grunzen Warzenschweine, fauchen Leoparden, schnattern Affen und kreischen die Papageien, während gravitätisch Strauße und Marabus einherstelzen. Nur unsere schwarzen Freunde sind bedrückt, weil die Hagenbeckleute Abschied nehmen.

Endlich ist alles zum Aufbruch bereit. Nun beginnt, noch schwieriger als die Jagd, der wochenlange Marsch von der Station zu dem Hafenplatz am Roten Meer. Hundert schwerbeladene Dromedare eröffnen die bunte Karawane, der weitere hundertfünfzig Tiere folgen einschließlich der wandernden Molkerei, unserer Ziegenherde. Der Mond ist aufgegangen und gießt sein Licht auf das erstarrte Sandmeer der Wüste hinab. Da die Tageshitze zu groß ist, werden die Nachtstunden bis zur Dämmerung für den Karawanenzug bevorzugt. Ringsumher tiefe Einsamkeit, die nur hin und wieder durch das heisere, unheimliche Lachen einer Hyäne unterbrochen wird. Gleich einer Schlange windet sich unsere Karawane durch das eintönige Auf und Ab der Sanddünen, deren silbrige Zinnen im Scheine der Gestirne schimmern. Im wiegenden Rhythmus des Paßschrittes schreiten die Dromedare mit ihren schwankenden Lasten. Dazwischen marschieren, ein phantastischer Anblick, Strauße, Giraffen, Elefanten und Büffel, deren bizarre Schatten als stumme Begleiter neben ihnen über den glitzernden Sand ziehen. Das Janken des Lederzeuges, das Schnaufen der Tiere und die unterdrückten Zurufe der Treiber sind die einzigen Laute in dieser lautlosen nächtlichen Weite, über die sich von Horizont zu Horizont der[113] funkelnde Sternendom Afrikas wölbt. Die Umgebung des Roten Meeres ist von alters her wegen ihrer Hitze verrufen. Im Sommer hält sich das Thermometer fast beständig auf 45 Grad Celsius im Schatten. Auch nachts tritt kaum eine merkliche Kühlung ein. Die ärgsten Feinde, die sich dem Marsch entgegenstellen, sind deshalb auch die Hitze und der Wassermangel. An den Ruhetagen wird auch die Jagd eifrig betrieben, um den Lagerproviant zu ergänzen. Die Hauptsache aber bleibt das Wasser, von dessen Vorhandensein das Leben aller abhängt.

Die Karawane zieht so schnell dahin, wie es die Gangarten der Tiere gestatten wollen. Einige Stunden wird marschiert, dann gerastet, die Tiere werden gefüttert und getränkt, und weiter geht's. Die großen Tiere werden von Eingeborenen geführt, eine Giraffe von drei, ein Elefant von zwei bis vier, eine Antilope und ein Strauß ebenfalls von je zwei Eingeborenen.

In der Mitte des Zuges bewegt sich schwerfällig eine Gruppe von Dromedaren, von denen immer ein Paar zusammengekoppelt ist. Zwischen den beiden Tieren hängt eine mächtige, mit Riemen von roher Haut verknotete Kiste, ein Käfig, in welchem sich ein junges Nilpferd befindet. Über die Packsättel sind zwei starke Stangen gelegt, und an diesen hängt die Last, die mindestens 300 Kilo wiegt. Für jeden einzelnen dieser gewichtigen Reisenden sind sechs bis acht weitere Dromedare nötig, die das Wasser tragen für das Bad, welches dem Nilpferd in einer Wanne aus zusammengebundenen gegerbten Ochsenhäuten an jedem Rasttag auch in der Wüste bereitet werden muß. Eine Stunde nach Sonnenaufgang findet diese Marschpause statt im spärlichen Schatten von Mimosen und Akazien oder auch im künstlichen Schutze aufgespannter Matten. Sehr oft kommt es vor, daß die wenigen Wasserplätze in der Wüste, die oft bis zu hundert Kilometer auseinanderliegen, von fremden Nomaden besetzt sind. Schon greifen die wilden Wüstensöhne zu den Waffen, bis der Karawanenführer den Streit durch das bewährte Bakschisch in Form eines dort hoch angesehenen Maria-Theresia-Talers beilegt. Das kostbare Naß ist oft nur eine[114] fürchterlich trübe Brühe, die nunmehr die Proviantschläuche füllt. Auf drei bis vier Tage dauernden Märschen bis zur nächsten Oase waren oft nicht weniger als 30 bis 40 Dromedare allein damit beschäftigt, der Tierkarawane das Wasser nachzuführen oder mit ihm voranzuziehen.

Trotz der sorgfältigsten Pflege gehen viele Tiere auf dem Transport zugrunde. Selbst starke Pavianmännchen werden dabei vom Hitzschlag getroffen. Selten wird die Sorge um das Wohlergehen von Tieren und Menschen durch heitere Zwischenfälle unterbrochen. Einmal jedoch ereignete sich beim Zug durch ein nordabessinisches Tal folgende heitere Begegnung: Als die Karawane kurz vor Sonnenuntergang an einer Tränke haltmachte, traf sie dort mit einer großen Herde von Mantelpavianen zusammen, die bald darauf ihre gefangenen Kameraden bemerkten und sie mit grunzenden Zurufen umringten. Als die Karawane weiterzog, begleitete uns die Pavianherde wenigstens eine halbe Stunde lang und führte mit den Eingesperrten erregte Zwiegespräche. Dann und wann sprang ein kühnes Männchen bis auf zwanzig Schritt an die wandelnden Käfige heran, stellte sich auf einen Steinblock und hielt eine wütende Ansprache. Vielleicht forderte er die Gefangenen auf, ihre Kisten zu zerbrechen? Dennoch mußten diese kühnen Freiheitskämpfer bald den Steinwürfen unserer Kameltreiber weichen.

Nach 35 bis 40 Tagen erreichen die Karawanen oder das, was von ihnen übriggeblieben ist, die Hafenplätze am Roten Meer, von wo sie nach Suez verladen werden. Dort nehmen die von Indien oder Ostasien nach Hamburg gehenden Dampfer die kostbaren Ladungen an Bord. Möglicherweise wird die ganze umfangreiche Tiersammlung aber auch mit der Eisenbahn nach Alexandrien geschafft und von dort nach einem Mittelmeerhafen, Triest, Genua oder Marseille, verladen. Nach weiteren langen Eisenbahnfahrten kommen die Tiere endlich in Hamburg zur Ruhe. Seit dem Aufbruch vom Lager am Atbara oder am Gasch6 sind dann nahezu[115] drei Monate verflossen, ehe die Auswanderer aus dem afrikanischen Urwald wieder in »geordnete Verhältnisse« kommen.

Unser Tierparadies im Sudan war fast fünfzehn Jahre verschlossen, und der Engel mit dem flammenden Schwerte, der die paradiesische Pforte bewachte, war Abdullahi Kalifat el Mahdi, der Nachfolger des Propheten.7 Als Lord Herbert Kitchener mit seinen Truppen 1898 vor Omdurman erschien und den Mahdistenaufstand niederschlug, dröhnte innerhalb der Stadt noch die dumpfe Kriegstrommel des Kalifen. Er wartete den Einzug des Siegers nicht ab, sondern entfloh in die Berge von Kordofan, wo er noch eine Zeitlang lebte und später im Kampfe fiel. Unter denen, die im Gefolge Kitcheners in Omdurman einzogen, befand sich auch Slatin Pascha, der mutige Österreicher, der früher Gouverneur einer Provinz gewesen und als Sklave des Kalifen zehn Jahre mit kahlgeschorenem Kopfe und bloßen Füßen neben dem Pferde des Tyrannen herlaufen mußte. Ebenso wie es entstanden, gleich einer[116] Fata Morgana, ist aber das Reich des Mahdi wieder vergangen – ein Stück mittelalterlicher Romantik mitten in unserer Zeit, einer Romantik leider, die den Sudan förmlich entvölkert hat. Ich verlor meine Niederlassung in Kassala, und mein Reisender Kohn wurde von den fanatischen Menschen niedergemetzelt ...

Langsam sind unter ägyptisch-englischer Herrschaft geordnete Verhältnisse zurückgekehrt. In den Gebieten indes, die für uns in Betracht kommen, hat sich vieles in trauriger Weise verändert. Der reiche Wildbestand, den meine Reisenden vor dem Mahdistenaufstand dort antrafen, ist heute auf kaum ein Zehntel des einstigen Bestandes zusammengeschrumpft. Der Elefant findet sich nur noch in kleinen Trupps, das Rhinozeros ist fast vollständig ausgerottet, die Giraffe ist nördlich von Takassieh ein seltenes Tier geworden, die früher so zahlreichen Antilopen sind aus vielen Gegenden ganz verschwunden, und der Büffel ist zu Tausenden der Rinderpest zum Opfer gefallen.

Die Schuld an dieser traurigen Verwüstung des Tierbestandes tragen die Folgen der Mahdistenkriege, durch die die eingeborenen Stämme in den Besitz von modernen Gewehren kamen. Während die Schatzkammern des Mahdi sich bis zum Bersten füllten, wurde die Bevölkerung seines Reiches von Hungersnöten hinweggerafft. Als es im Sudan nichts mehr zum Plündern gab, wandten sich ganze Heeresmassen, besonders die Baggara-Araber vom Weißen Nil, ebenso berühmt wie die Schwertjäger des Ostsudans, gegen das Wild. Ein erbitterter Kampf um Fleisch begann, und der Massenschlächterei fielen die wertvollsten Tierbestände zum Opfer. Auch die Grenznachbarn der Sudanesen, die Abessinier, die vom gleichen Schicksal befallen wurden, haben auf gleiche Weise gehaust und als tüchtige Geschäftsleute besonders dem Elefanten nachgestellt, der neben seinem Fleisch auch noch das wertvolle Elfenbein hergab. Der Fürst der Grenzprovinz Ermetscho erlegte mit seinen Truppen allein in einem eintägigen großen Kesseltreiben 56 Elefanten. Es war eine förmliche Schlacht, mit Verlusten auf beiden Seiten, denn auch zwanzig abessinische Krieger blieben auf dem Platze, die freilich[117] fast alle durch die verirrten Kugeln ihrer Kameraden niedergestreckt worden waren.

In Abessinien, wo es auf Menschen nicht anzukommen scheint und alles Wild als kaiserliches Gut angesehen wird, pflegt man die Jagd überhaupt im großen Stil zu betreiben. Einer meiner Reisenden erlebte einmal eine derartige Jagd auf Zebras, die für mein Unternehmen bestimmt waren. Mit ihren Anführern waren nicht weniger als 2000 Soldaten aufgeboten worden, die als Treiber die Herde in einem sandigen Flußbett mit hohen Felsufern zusammentrieben. Auf einen Wink ihrer Führer begann ein wahrhaft barbarisches Schauspiel. Weit über tausend Mann stürzten sich, mit Stricken bewaffnet, mitten unter die wütend um sich schlagenden Tigerpferde. Nach einigen Stunden waren sie von der Übermacht überwältigt – und dreiunddreißig Soldaten lagen totgeschlagen oder schwerverletzt am Boden. Die Tiere wurden gefesselt. Als kaiserliches Gut wurden die Zebras auf dem Marsch einfach in die Hütten der Eingeborenen geführt, wo man sie an allen vieren anpflockte. In wenigen Tagen hatten sie sich so weit beruhigt, daß man sie ohne große Sicherheitsmaßregeln fortführen konnte. Es handelt sich hier um das wundervolle Grevy-Zebra, welches einen vorzüglichen Charakter besitzt und bei richtiger Behandlung leicht zum Haustier gemacht werden kann. Viel wilder und schwerer zu zähmen ist das Kilimandscharo-Zebra, dessen störrische Art mehr an den Esel gemahnt.

Als nach Niederkämpfung des Mahdistenaufstandes meine Reisenden wieder im Sudan erschienen, fanden sie auch unsere alten Freunde und Helfer der eingeborenen Stämme in völlig veränderten Verhältnissen wieder. Manche waren ganz verschwunden oder nahezu ausgerottet. Kriege, Hungersnot, die Blattern und die Cholera hatten derart gehaust, daß beim Untergang Mahdias 1885 kaum mehr als zehn Prozent der ursprünglichen Bevölkerung übriggeblieben waren. Der berühmte stolze Stamm der Hamran, der die besten Schwertjäger hervorbrachte, war bis auf zwanzig Leute zusammengeschmolzen. Von den Schwertjägern war überhaupt keiner[118] mehr am Leben, so daß diese kühne, ritterliche Jagdart der neuen Generation nur noch durch die Erzählung der alten Leute bekannt ist. Allgemein wird die Jagd nunmehr mit dem Gewehr ausgeführt. Wenn die Fangarten als solche auch die gleichen geblieben sind, indem man den Alten ihre Jungen abjagt, so ist es doch klar, daß der weittragenden Kugel die alten Tiere viel zahlreicher zum Opfer fallen als früher mit primitiven Waffen. Daneben werden noch Fallen und Fanggruben verwandt, die auf gewohnten Wildwechseln aufgestellt werden. Das Nilpferd zum Beispiel kommt den Jägern entgegen durch seine Gewohnheit, das Junge vor sich hergehen zu lassen. Der Zweck dieser Maßregel ist leicht zu erraten. Nach hinten ist das Tier durch seine eigene dicke Haut geschützt, und vorn kann es die Gefahren, die dem Jungen etwa drohen sollten, übersehen. Die Nilpferdmutter liebt ihr Kind ebenso wie jede andere Mutter. Wenn es aber plötzlich im Urwald, ohne daß irgendeine Gefahr sich angekündigt hatte, vor ihren Augen versinkt, bekommt sie einen derartigen Schreck, daß sie entsetzt flüchtet. Wenn alles gut geht, ist die Beute jetzt dem Jäger sicher. Nach dem glücklichen Fang eines jungen Nilpferdes kamen einmal die Eingeborenen unserem Jäger freudestrahlend entgegen und riefen ihm frohlockend die Botschaft zu: »Bana kiboko makufa!« (»Das Nilpferd ist tot!«) Es war nämlich vor Aufregung an Herzschlag eingegangen, worauf den Jägern nichts anderes übrigblieb, als zu antworten: »Nakula kiboko!« (»Freßt es auf!«) Diese Erlaubnis hatten die Eingeborenen erwartet und daher ihre strahlende Vorfreude. Zuweilen, wenn das gefangene Tier eine Nacht in der Grube verbringen muß, mischt sich auch Simba der Löwe ein, so daß am anderen Morgen in der Fanggrube nichts mehr zu finden ist als Haut und Knochen.

Geht indes alles gut vonstatten, dann wird schleunigst eine Palisade um die Grube gebaut und über diese hinweg eine Schlinge zwischen Brust und Vorderbeinen des jungen Tieres hindurchgelegt. Nilpferde schwitzen, wenn sie erregt sind, eine schlüpfrige Flüssigkeit aus, deshalb muß die Schlinge zwischen den Beinen hindurchgeführt werden. Ist dies bewerkstelligt, dann heben wenigstens[119] zwanzig Mann das Tier einige Zentimeter hoch. Sechs weitere Leute springen in die Grube, fesseln die Beine und binden dem Tier das Maul zu, denn mit Nilpferden ist nicht zu spaßen. Sie sind dumm und boshaft und ebenso angriffslustig, wie sie stark sind. Ganz anders das Nashorn, das, einmal an den Pfleger gewöhnt, der Karawane wie ein Hund folgt. Nachdem die Palisaden auseinandergebrochen sind und ein schräger Gang in die Grube gegraben ist, wird das Tier herausgehoben und auf eine Tragbahre aus Knüppeln und Zweigen gelegt. Nun beginnt der schwierige Transport durch den Sumpf oder Urwald, durch den mühsam ein Pfad mit Buschmessern geschlagen werden muß. Keuchend folgen die Träger, die mit der korbartigen Bahre eine Last von rund 2400 Pfund zu schleppen haben. Auf der Station, zu der die Beute vielleicht auf dem Fluß im Eingeborenenfloß transportiert werden konnte, wird das Tier zunächst an die Gefangenschaft und das Futter gewöhnt, ehe die Karawanenreise zur Dampferstation beginnt.

Das Gebiet des Tierfanges und der Expeditionen in fremde Länder ist so überreich an Erlebnissen und Erfahrungen, daß es sich nur streifen läßt, denn seit dem Fang unserer ersten Seehunde sind genau sechzig Jahre bis zur Niederschrift dieser Zeilen vergangen, und jedes Jahr brachte neue Erkenntnisse und Abenteuer. Endlos sind die Tierkarawanen, die aus aller Welt von Grönland wie von Feuerland in Hamburg eintrafen.

Tja – Feuerland! Dor har'n Uhl seten. Besser gesagt, saßen da drei Maghellangänse, die ich mir für 10000 Mark »anschaffte«. In der Stille des Büros hatte ich mir vor einigen Jahrzehnten ein damals neues Gebiet ausersehen: das Feuerland an der Südspitze Amerikas. In ethnographischer wie zoologischer Hinsicht versprach ich mir eine reiche Ausbeute. Dem Gedanken folgte bald die Ausführung, und ein in verschiedenen Ländern bewährter Reisender machte sich auf die Seereise nach Punta Arenas, von wo aus er die Feuerlandfjorde mit seinem Segelboot durchkreuzte und eine wertvolle Sammlung völkerkundlichen Geräts bei den noch auf der Kulturstufe[120] der Steinzeitmenschen stehenden Feuerländern zusammenstellte. Dabei überraschte ihn ein Sturm, und er gab seinem patagonischen Steuermann den Befehl, sofort zu landen. Aus irgendeinem Grunde weigerte sich der Patagonier, und mein Reisender konnte nur mit einem Revolver seinem Befehl Nachdruck verleihen. Es gelang ihm, sich an Land zu retten, er mußte aber seine Sammlung im Stiche lassen. Als er nach einem langen Fußmarsch durch die Pampa wieder in Punta Arenas eintraf, vernahm er die traurige Nachricht, daß sein Boot samt seinem dickköpfigen Steuermann im Sturm gesunken sei. Die in Monaten unter Gefahren, Geld- und Zeitopfern zusammengebrachte Sammlung war verloren. Schließlich gelang es ihm, noch auf weiteren langwierigen Jagden achtundzwanzig große Königspinguine und eine größere Anzahl Gänse, Enten und Schwäne sowie andere Vögel zu fangen. Hocherfreut, wenigstens nicht mit leeren Händen heimzukehren, verlud der Reisende seine kostbare Fracht auf dem Verdeck eines Kosmosdampfers. Bis Montevideo ging alles gut. Zwei Tage nach der Ausreise von diesem Hafenplatz schlug ein plötzliches Unwetter innerhalb von vierundzwanzig Stunden sämtliche Kisten und Kasten in Trümmer, und ein Brecher wusch auf einen Schlag alles über Bord!

Einige Zeit darauf saß ich wieder in meinem Büro und überschlug das Ergebnis dieser Feuerlandexpedition. Alles, was schließlich in meine Hände gelangte, waren drei Maghellangänse, die mit dem Verlust von 10000 Mark etwas teuer bezahlt waren! Diese kleine Geschichte aus alten Zeiten kommt indes eigentlich gar nicht in Betracht im Verhältnis zu den Schwierigkeiten und den enormen Kosten der verschiedenen Expeditionen, die ich nach Sibirien und in die Mongolei ausgerüstet habe.

Eine der interessantesten Forschungsreisen war diejenige, die auf Anregung meines Gönners, des Herzogs von Bedford, nach Asien entsandt wurde, um den Versuch zu wagen, lebende Wildpferde (Equus Przewalskii) nach Europa zu bringen. Frühere Versuche waren gescheitert, mit einer einzigen Ausnahme. Dem bekannten Tierfreund und Züchter Falz-Fein war es gelungen, einige Exemplare[121] dieser seltenen Tiere aus der asiatischen Steppe nach seiner Besitzung Askania Nova8 auf der Krim zu verpflanzen. Damals wußten wir verhältnismäßig wenig über das Wildpferd und so gut wie nichts über die genaue Lage der Fangplätze. Mit der schwierigen Aufgabe, das Notwendige zu erforschen und später die Expedition nach der Mongolei zu führen, betraute ich meine bewährtesten Reisenden Wilhelm Grieger und Karl Wache und versah sie mit reichen Geldmitteln, wertvollen Empfehlungen und Geleitbriefen von der russischen Regierung, dem chinesischen Gesandten in Berlin und einem, der sich als besonders wertvoll erwies, aus der Hand des Prinzen Alexander von Oldenburg. Dieser Geleitbrief enthielt eine warme Empfehlung Griegers an einen damals in Petersburg lebenden hochangesehenen buddhistischen Lama, Dr. Radmai, der ein großer Kenner von Land und Volk der Mongolei war.

Zunächst begleitete Grieger einen Tiertransport zu Herrn Falz-Fein nach Südrußland. Der auf seine Schätze mit Recht eifersüchtige Tierfreund rückte indes mit der gewünschten Nachricht nicht heraus. Erst auf Umwegen gelang es dem Reisenden festzustellen, daß die Fangplätze des Wildpferdes in der Nähe von Kobdo unterhalb der nördlichen Abhänge des Altaigebirges zu suchen seien.[122]

Mit dem eroberten geographischen Fingerzeig reiste Grieger freudig nach Petersburg, um von hier aus die über 4000 km lange Fahrt in die Innere Mongolei vorzubereiten, wobei ihm der buddhistische Lama wertvollste Ratschläge erteilen konnte. Er machte Grieger darauf aufmerksam, daß man dort nicht mit dem in Europa gangbaren Geld reisen könne. Die gangbare Münze ist vor allem eine gewisse Art von Silberbarren, die in der Norddeutschen Raffinerie zu Hamburg hergestellt sein müssen, weil die Eingeborenen dieses weiße Hamburger Silber, wie sie es auch nennen, dem dunkleren englischen vorziehen. Diese Silberbarren wiegen etwa elf Pfund, und bei der Verwandlung in Geld werden sie von den Mongolen erwärmt, in kleine Stücke zerschlagen und dann auf einer eigenartigen Messingwaage abgewogen. Der zweite wichtige Tauschgegenstand war gepreßter Ziegeltee, ein ganz besonderer chinesischer Tee, der im frischen Zustand mit Zweigen und Blättern in die Form von Platten gepreßt wurde. Siebenundzwanzig Tafeln Ziegeltee geben eine Tunse, deren drei eine Kamellast von ungefähr 450 bis 500 Pfund ausmachen. Als Kleingeld, gewissermaßen als Wechselmünze, dienen gewebte wollene Bänder, die bekannten Kata, die, ohne einen praktischen Wert zu besitzen, bei jeder Gelegenheit als Geschenk verwandt werden. Sie sind etwa einen Meter lang, fünf Zentimeter breit und einfarbig, meist blau oder rot. Gelbe Bänder haben nur die Hälfte des Wertes. Als eine Art Scheidemünze mußte sich Grieger außerdem noch mit kleinen Seidentüchern versehen, die einen Kaufwert von zwanzig bis vierzig Kopeken besitzen.

Als die erforderlichen Silberbarren von Hamburg eingetroffen waren, bestiegen meine Reisenden Grieger und Wache die Eisenbahn und machten sich auf den Weg zur Mongolei. Im Frühling, wenn die Fohlen ins Leben treten, mußte die Expedition an Ort und Stelle sein. Zuerst ging es mit der sibirischen Bahn über Moskau zum Ob, vom Ob im Schlitten etwa 250 Werst9 weit nach Biesk, einem Platz, der ungefähr 75 Werst östlich vom Altai liegt.[123]

Bisher war es noch möglich gewesen, auf den weit voneinander entfernten Schlittenstationen karge Nahrung zu erhalten. Die Mühseligkeiten der Reise begannen eigentlich jetzt erst. Von eingeborenen Stämmen wurden Führer und Reittiere in Dienst genommen, um meine Reisenden mit ihren zusammenlegbaren Zelten, ihren Proviantkisten und dem Silberschatz ins Innere zu befördern. Teils zu Pferde, teils zu Kamel, aber immer im Sattel, wurden im tiefen Schnee und bei grimmiger Kälte die 900 Werst über Kaschagatsch nach Kobdo zurückgelegt. Als man von den Tragtieren die fünfzig Kisten mit der für die einzufangenden Wildfohlen mitgenommenen sterilisierten Milch ablud, war sie bei der Kälte von 38 Grad Reaumur unter Null zu Eis gefroren.

Kobdo machten meine Reisenden nun zu ihrem Stützpunkt. Auf der Karte war der ferne Ort zwar als Stadt eingetragen, aber er zählte damals nur 1500 Einwohner. Am Endpunkt der großen Karawanenstraße von Peking gelegen, ist er sogar eine chinesische Festung und Sitz des Gouverneurs. Neben seinem Palast – einem bescheidenen Steinhäuschen – war das wichtigste Gebäude das Gefängnis, in welchem die unglücklichen Opfer der grausamen chinesischen Justiz, mit Ketten um den Hals angeschmiedet, bei lebendigem Leibe verfaulten. Etwa zu drei Vierteln setzt sich die Einwohnerschaft aus Sarden zusammen, einem mohammedanisch-tatarischen Volksstamm aus Turkestan. Den Rest bilden chinesische Kaufleute, die mit mongolischen Artikeln handeln und ihre Waren durch die zweieinhalb Monate von Peking nach Kobdo ziehenden Kamelkarawanen erhalten.

Inzwischen warben Grieger und Wache in den Tälern des Altaigebirges die notwendigen Mannschaften an, denn die Abfohlperiode rückte näher. Werfen wir noch einen Blick auf die Landschaft an den Ufern des Zedzik-Noor, die, im Süden vom Altai begrenzt, von verschiedenen Mongolenstämmen bewohnt wird, deren jeder einem Stammesoberhaupt oder einem Fürsten gehorcht. Grieger fand bei diesen Nomaden freundliche Aufnahme, wenn auch das im Schnee errichtete Zelt trotz aller Decken und Pelze[124] wenig Schutz gegen die eisige Kälte gewährte. Die Feuerung war nicht zu beschaffen, da der für diese Zwecke verwendete trockene Viehdung zu dieser Zeit sehr knapp wird. Mit Vorliebe nehmen die Mongolen den Pferdedung und stapeln ihn lose auf. Ein Stück davon zerreiben sie in der Hand zu feinem Pulver, welches sie mit Stahl und Zunder entzünden. Geht der Wind, so überläßt es der Mongole diesem, in der glimmenden Masse die Flamme anzuregen. Sonst setzt er sich davor und pustet und pfeift geduldig hinein, bis das Feuer emporschlägt.

Vier Monate hindurch gab es fast ausnahmslos Schafsfleisch, wozu die Eingeborenen Tsamba tranken, ein Gemisch von Tee, Butter und Salz, das als Nationalgetränk in der Mongolei und Tibet bis an die chinesische Grenze hoch geschätzt wird. Mit dem Geschmack dieses so mühsam von den Mongolenfrauen in Holzmörsern zerstampften Tees kann man sich eher befreunden als mit der Art, wie der Mongole ihn dem Gast häufig anbietet. Ehe er die Trinkschale füllt, schaut er sie zwar an, aber es bringt ihn nicht in Verlegenheit, wenn er sie schmutzig findet. Er spuckt dann kräftig hinein, reibt nötigenfalls mit den fettigen Zipfeln seines Rockes nach und füllt nun das so gereinigte Gefäß. Ein zweites Lieblingsgetränk ist der Arka, ein aus den Rückständen verdunsteter Milch gewonnener Schnaps. Wählerisch in ihrer Nahrung sind diese abgehärteten Söhne der Natur keineswegs. Gesundes Vieh wird nur in der Not geschlachtet, auch verendetes nicht verschmäht. Die Eingeweide wandern, nachdem man sie durch die Finger gezogen und entleert hat, einfach in den Kochtopf. Merkwürdigerweise ekeln sie sich vor Fischen, die in ihrer Naturgeschichte zu den Schlangen zählen. Aus diesem Grunde hatten sich die Forellen so ungeheuer vermehrt, daß der Zedzik-Noor buchstäblich bis zum Rand mit ihnen angefüllt war. Grieger konnte sie im Frühling einfach aus dem Wasser schöpfen, in dem sie dichtgedrängt zu Tausenden schwammen. An einem einzigen Nachmittag fing er hundert Stück, die er kochte, briet und nach anfänglichem Mißgeschick auch räucherte.[125]

Von dem guten duftenden Fleische hätten die Mongolen nun doch zu gern gekostet. Viele Bettler und Zaungäste fanden sich vor Griegers Zelt ein, der sich der Lungerer auf ergötzliche Weise erwehrte. Einen Forellenbissen pfefferte er heimlich gehörig ein und reichte ihn hinaus, worauf ein heftiges Spucken und Niesen sowie eine eilige Flucht erfolgte. Der Pfeffer war diesen Nomaden unbekannt, und wer die beißend heiße Speise des merkwürdigen Europäers einmal gekostet hatte, war nicht zu bewegen, sie ein zweites Mal anzunehmen. Grieger hatte reichlich Gelegenheit, die seltsamen Sitten und Lebensgewohnheiten der Mongolen zu beobachten. Ihre Toten warfen sie einfach in die Steppe hinaus und überließen sie pietätlos den Geiern und Krähen zum Fraß. Ackerbau wurde nicht betrieben. Seine ganze Arbeit widmete der Mongole dieser Gegenden der Viehzucht. Jeder Mann ist beritten und bewaffnet von der Feuersteinschloß- bis zur Perkussionsflinte. Männer und Frauen tragen Hosen und hohe Stiefel. Die Beinkleider bestehen meistens aus blauer Leinwand, die breiten Sohlen der Stiefel aus Leinwandeinlagen bis zu einer Dicke von zwei Zentimetern. Die größte Freude macht man dem Mongolen mit Tabak, der an der Spitze seiner Wünsche steht. Deshalb legt er auch der Ausstattung seiner Pfeifen große Bedeutung bei und beurteilt nach ihr den Stand des Besitzers. Das Pfeifenrohr, ein etwa dreißig bis vierzig Zentimeter gerader Holzstab, ist mit einem Mundstück aus einem achatartigen Stein geschmückt. Je größer und gewählter dieses Mundstück, desto reicher und vornehmer der Besitzer. Der Mongole ist sehr gastfrei, jedoch wenig gesprächig.

Jedes Mongolenzelt wird von einer Schar schakalartiger, sehr bissiger Hunde bewacht. Der Besitzer scheucht die Kläffer aber rasch und freundlich von dem Ankömmling fort und nimmt diesem das Pferd ab, das er sofort, an drei Füßen gefesselt, auf die Weide führt. Der Gast betritt das gemeinsame Zelt, und sei es Tag oder Nacht, die Mongolin bereitet sofort den Tee und das Lager für den Fremdling. In den Tälern von Kobdo schoß Grieger vor Beginn des Fohlenfanges nebenher eine große Sammlung von Vögeln, in[126] welcher sich eine ganz neue und in Europa bisher unbekannte Fasanenart befand.

Bei alledem wurde der Zweck der Expedition keinen Augenblick aus den Augen gelassen, und als die Zeit der Jagd herankam, waren alle Vorbereitungen getroffen. Mit Hilfe der inzwischen befreundeten Stammesoberhäupter wurden die Jagdgehilfen zusammengestellt, die bislang noch nie in ihrem Leben Tiere lebend gefangen hatten und dazu erst angelernt werden mußten. Zunächst lauerte man den Tieren, wenn sie zur Tränke kamen, aus großer Entfernung auf, um festzustellen, wie weit und in welcher Zahl sich die jungen Fohlen bereits bei den Wildpferdherden befanden. Deutlich waren drei Unterarten der Wildpferde zu unterscheiden. Eine Art fand sich auf einer großen Ebene im Osten des Gebirges, im Norden und Süden von den beiden vom Altai kommenden Flüssen, dem Kui-Kuius und dem Urungu, begrenzt. Beide Flüsse fließen westwärts in einen See. Die andere Art wurde etwa 300 Kilometer südlich von Kobdo auf einer von Bergen umschlossenen Steppe gejagt. Die dritte fand sich in südöstlicher Richtung auf einem großen Plateau im Gebiet des Zedzik-Noor. Alle drei Arten hatten eine gewellte Körperbehaarung, welche sich auch auf die Beine erstreckte. Das Auge war schwärzlich, die Stirn stark gewölbt, nur in der Färbung waren sie verschieden. Sehr zahlreich waren die Wildpferde auch in dieser Gegend nicht. Grieger zählte nur kleine Herden von zwölf bis fünfzehn Stück. Nach der langen Vorbereitungszeit bot der Fang selbst keine Schwierigkeiten mehr. Die Tiere hatten die Gewohnheit, sich einige Stunden an der Tränke zu lagern.

Unter Führung der Hagenbeckleute schleichen sich die Mongolen unter dem Wind mit ihren Pferden heran. Auf ein gegebenes Zeichen stürzt die ganze Gesellschaft mit Hallo und Geschrei auf die lagernde Herde, die entsetzt in einer großen Staubwolke flüchtet, verfolgt von den hetzenden Mongolenreitern. Nach und nach tauchen aus der Staubwolke einige Punkte auf. Es sind die armen Fohlen, die noch nicht schnell genug laufen können und bald mit[127] vor Schreck und Erschöpfung geblähten Nüstern und fliegenden Flanken stehenbleiben. Sie werden mit einer Schlinge eingefangen, die an einer langen Stange befestigt ist, und zum Lager geführt. Dort erwartet sie eine große Anzahl zahmer mongolischer Mutterstuten mit saugenden Füllen, die nun leider daran glauben müssen, da ihre Mütter als Ammen für die jungen Wildfüllen in Dienst gestellt werden. Es währt etwa drei bis fünf Tage, bis sich die Stiefmutter an den kleinen Fremdling gewöhnt hat. Jetzt haben die Nomaden die Fangmethode von den Hagenbeckleuten gelernt und beginnen, den Fang auf eigene Faust zu betreiben. Hatte der erste Auftrag nur auf sechs Wildpferde gelautet, so befinden sich nach kurzer Zeit bereits ihrer dreißig im Lager.

Grieger weiß sich keinen Rat. Es nutzt nichts, er ist gezwungen, heimzutelegraphieren. 2000 Kilometer muß er zu diesem Zweck über Land reiten, vier Tage mit dem Schiff reisen, dann erreicht er die Poststation. Er wartet achtundvierzig Stunden auf die telegraphische Rückantwort aus Hamburg und reist zurück nach Kobdo, wo er nach zwanzigtägiger Abwesenheit wieder eintrifft. Unzählige Male mußten unterwegs die Pferde gewechselt werden. Zuerst in den angetroffenen Mongolenlagern, dann auf russischen Poststationen. Als er wieder auf der Fangstelle eintrifft, ist der Wildpferdbestand auf zweiundfünfzig Fohlen angewachsen. Mit einer Riesenkarawane, zu welcher außer den gefangenen Jungtieren deren Ammen sowie die Lastkamele und dreißig angeworbene Treiber zählen, wird die lange Heimreise nach Europa angetreten. Monatelang wandert der große Treck in Hitze und Kälte durch Gebirge und Täler in einem mühseligen Fußmarsch von 3000 Kilometern bis zur ersten Eisenbahnstation. Während des Tages erreicht die Temperatur bis zu 20 Grad Wärme und sinkt in der Nacht bis unter den Gefrierpunkt. Für manche der jungen Tiere sind die Strapazen zu groß. Sie gehen ein trotz aller Sorgfalt und Pflege. Einmal brechen infolge von Unachtsamkeit der Begleitmannschaft sämtliche Kamele aus und müssen erst mühsam wieder eingefangen werden. Ein anderes Mal meutern die Treiber,[128] wollen den auf sie angewiesenen Reisenden erpressen, der sich mit seiner Kirgisenpeitsche erst wieder Gehorsam verschaffen muß, bis die entlohnte Begleitung wieder in ihre Heimat zurückkehren kann. Elf Monate dauerte der Transport, mit dem erstmalig achtundzwanzig lebende Wildpferdfohlen in Hamburg eintrafen. Drei Tage nach der Ankunft wurden sie von ihren Ammen entwöhnt und von nun an mit Haferschrot, warmer Kleie und gelben Mohrrüben gefüttert. So führte ich die ersten Wildpferde in Westeuropa ein.

Was will die alte Feuerlandexpedition besagen gegen derartige Reisen, wie ich sie in der Folge wiederholt nach Ostasien ausrüstete! Einmal galt es, das Argali oder Riesenwildschaf in Europa einzuführen, um zu versuchen, die Fremdlinge mit großen Hausschafen zu kreuzen und so ein Riesenhausschaf für die Landwirtschaft heranzuzüchten. Auf eine mißglückte Expedition folgte eine zweite, der es ebenso erging. Zwar wurden mehr als sechzig Argalis gefangen, aber sie gingen auf der Reise sämtlich an einer durchfallartigen Krankheit zugrunde. Beide Expeditionen kosteten rund 100000 Mark. – Die Geschichte der Fernost-Expeditionen würde allein einen Band füllen. Aber ich möchte den Leser nicht langweilen und ihm zur Abwechslung etwas vom Elefantenfang in Indien erzählen, über den allerdings schon so viel geschrieben ist, daß ich mich kurz fassen will. Wie allgemein bekannt, treibt man die wilden Elefanten in einen sogenannten Kral, das ist ein weiter umzäunter Platz im Dickicht – und schon saust die mächtige Falltür herunter. Zur Fesselung der Gefangenen verwendet man besonders dazu abgerichtete ausgewachsene weibliche und männliche Elefanten, sogenannte Kunkies, die jeder einen Reiter oder Kornak tragen. Zwei bis drei Tage läßt man die Tiere allein, bis sich die erste Aufregung gelegt hat. Dann reiten die Kornaks auf ihren Kunkies mitten zwischen die wilden Elefanten. Den zahmen Elefanten ist eine Anzahl von Tauen um Hals und Leib gebunden, damit der Kornak in gefährlichen Augenblicken zunächst einen Halt findet. Zudem ist jedem Kunkie noch ein zweiter zahmer Elefant[129] beigegeben, eine Art Boxer, der dem wilden Elefanten notfalls einige achtunggebietende Rippenstöße versetzt, falls er seine zahmen Kameraden angreifen will.

Mensch und Tier arbeiten jetzt zusammen. Die Kornaks reichen ihren Reittieren Stricke zu, die sie mit den Rüsseln erfassen und über den wilden Elefanten werfen. Andere kriechen im Schutz ihrer zahmen Elefanten mit Tauschlingen an die Hinterbeine der Wildlinge. Mit Schnelligkeit werden die Tauenden an den Baumstämmen verankert, so daß die Gefangenen sich nur wenig bewegen können. Bei ihren verzweifelten Anstrengungen, sich zu befreien, schneiden die Stricke oft tief in die Haut der Elefanten ein. Viele tragen tiefe Wunden davon, und manchen indischen Elefanten, der auf direktem Wege in meinen Garten gelangte, habe ich noch wochenlang behandeln müssen. Außer diesem Massenfang wird auch der Einzelfang betrieben, der ganz der Jagd auf junge Elefanten in Afrika ähnelt. Auf ihrer Flucht vor den schreiend aus dem Hinterhalt hervorbrechenden Jägern trennt man die Jungtiere von der Herde und bringt sie durch Ochsenhautschlingen, die schnell um ein Hinterbein geworfen und an einem Baum befestigt werden, zu Fall. Auf diese Weise wurden Elefanten auf Ceylon vielfach von Afghanen gefangen. In späteren Zeiten kauften wir gewöhnlich die Tiere auf den einheimischen Elefantenmärkten, von denen Sonpore einer der größten und bedeutendsten ist, während der Fang in Fallgruben von meinen Reisenden vornehmlich beim Fang der auf den Sundainseln vorkommenden Elefantenarten geübt wurde.

Wenn ich aus dem indischen Dschungel nunmehr den Sprung in das Nördliche Eismeer wagen darf, so kann ich etwas vom Walroßfang berichten, einem Spezialgebiet meines Reisenden Kapitän Ole Hansen aus Hammerfest. Gleich Adrian Jacobsen, ein Norweger von Geburt, betrieb er den Walroßfang in der Arktis schon seit dem Jahre 1886 und führte ebenfalls bereits seit sechzehn Jahren als Kapitän sein Eismeerschiff, das den merkwürdigen Namen »7. Juni« nach dem Datum seiner Taufe trug. Die Walrosse wurden von besonders dazu gebauten Booten aus harpuniert, die etwa[130] zwanzig Fuß lang, sieben Fuß breit und so gebaut sind, daß die Bretter nicht übereinanderliegen, sondern aufeinanderstoßen. Die dadurch glatte Außenwand wird außerdem mit Blech beschlagen. Vorn befindet sich eine Plattform, die einen fest im Kiel des Bootes eingezapften Pfeiler trägt. An diesem werden die Harpunen mit langen Leinen befestigt, die stets wurfklar liegen. Hier steht der Harpunier, während drei Mann rudern. Die Harpune wird auf eine Entfernung von etwa zweiundzwanzig Metern geworfen. Gute Harpunenwerfer erreichten eine Weite von vierunddreißig Metern! Das harpunierte Walroß geht sofort in die Tiefe, kommt aber nach einiger Zeit zum Atemholen wieder an die Oberfläche, wobei Hansen die Beobachtung machte, daß harpunierte Weibchen gewöhnlich mit straffgezogener Leine geradeaus schwimmen, Männchen jedoch das kleine Boot oft mit ihren mächtigen Hauern angreifen. Bei dem Fang der in den Tierpark gebrachten jungen Tiere geriet die aus vier Mann bestehende Besatzung eines Bootes in größte Lebensgefahr. Ein starker Bulle attackierte wütend das Boot, als er die Rufe der gefangenen Jungtiere hörte und stieß drei große Löcher durch die Bordwand.

Um die Jungen lebendig zu fangen, ist es gewöhnlich notwendig, die Mutter zu erlegen. So wurde eins der später in Stellingen befindlichen Tiere auf die Weise erbeutet, daß man die getötete Mutter ganz dicht an das Boot heranzog und sich nun vollständig ruhig verhielt. Es dauerte dann gar nicht lange, bis das Junge kam und der toten Mutter auf den Rücken kletterte. Nun war es natürlich nicht schwer, sich des unbeholfenen Jungtieres zu bemächtigen.

Wie mir Ole Hansen berichtete, befinden sich die größten Walrosse bei Franz-Joseph-Land. Die Walroßjäger erhalten für die erlegten Felle 1,40 Kronen je Kilogramm. Außerdem bildet der Walroßtran einen wichtigen Handelsartikel. Beim Fang der neuerdings nach Stellingen gebrachten Walroßkälber wurden 68 Tiere getötet, darunter ein Bulle, dessen Zähne 75 Zentimeter lang waren und je zweieinhalb Kilogramm wogen. Dabei wurde das Kilogramm mit etwa sechs Kronen bezahlt. Nur zur Paarungszeit im September[131] und Oktober vereinigen sich die Bullen und Kühe an Land. So traf Hansen 1886 an der Nordküste von Nordost-Land noch eine Herde von 370 Stück, die sämtlich von fünf Schiffsmannschaften abgeschlachtet wurden. Der größte Bulle aber, der von unseren Fängern auf der letzten Reise harpuniert wurde, hatte ein Gewicht von annähernd 3000 Kilogramm. Die Haut allein wog 500 Kilogramm. Die jungen Tiere wurden bei Kap Flora gefangen. Das ergiebigste Jagdgebiet ist heute aber wohl die Nordküste von Sibirien.

Es wird nicht lange dauern, dann sind die letzten dieser mächtigen Vertreter der Eismeertierwelt ausgerottet, wenn sie nicht beizeiten unter internationalen Naturschutz gestellt werden. Des öfteren gelang es mir, für die europäischen und nordamerikanischen Zoos Walrosse zu fangen, und jedesmal berichtete mir Kapitän Hansen von neuen Abenteuern aus der Arktis. Das Walroß ernährt sich gewöhnlich von dem pelagischen Auftrieb, einem aus zahllosen kleinen Organismen bestehenden Tierbrei. Interessant war es, von Hansen zu hören, daß er ein Walroß beobachtete, wie es mit seinen Zähnen einen toten Seehund auseinanderriß und dessen Speck aufschlürfte. Im Nebel richtete er oft seinen Kurs nach dem Gebrüll der Walrosse, das in der Windrichtung über zwei Seemeilen durchdringend gehört wird. Im Jahre 1897 tötete ein starker Bulle sogar vier Mann einer gekenterten Bootsbesatzung. Immer wieder tauchte er auf und stieß den schwimmend Flüchtenden seine gewaltigen Hauer durch den Rücken. Der vierte konnte sich auf das Boot retten. Der Bulle ruhte aber nicht eher, als bis er das Boot erneut umgeworfen und auch diesen Mann getötet hatte.

Interessant war es zu beobachten, wie die fünf neu angekommenen Walrosse ihren drei Genossen im Becken des Stellinger »Eismeerpanoramas« zugeführt wurden, von dessen Bau ich in einem späteren Kapitel über die Erschaffung des Stellinger Tierparkes noch berichten werde. Als die Transportkisten an das Becken herangefahren wurden, gerieten die bereits anwesenden Tiere in eine mächtige Erregung. Der Bulle kam, gefolgt von den beiden Weibchen, aus dem Wasser heraus, und alle fingen laut zu brüllen an,[132] geiferten vor Erregung, und ihre Augen färbten sich durch Blutüberfluß rot. Als die Neuangekommenen sahen, wie zärtlich sie beschnuppert und begrüßt wurden, nahmen sie auch sofort an der gemeinsamen Fütterung mit Fischfleisch teil. Nach kurzer Zeit waren sie schon so zahm und zutraulich, als ob sie gleich den anderen schon lange im Tierpark gewesen wären.

Es war vor einer Reihe von Jahren, als Herr Dr. Carl Peters im Inneren von Rhodesia10 nach einem langen Tagesmarsche auf der Farm eines Buren einkehrte, der ihm von den Verwüstungen, die die Tsetsefliege und die Rinderpest auch unter seinem Vieh bestand angerichtet hatten, berichtete. Es war ihm auf seinen Streifzügen aufgefallen, daß die meisten Farmer an eine Feldbestellung gar nicht mehr denken konnten, weil ihnen das Zugvieh verendet war. Dieser Bur hatte sich jedoch auf eine eigenartige Weise selbst geholfen. Noch waren von dem unerschöpflichen Reichtum der afrikanischen Tierwelt in diesen weiten Ländern manche Herden übriggeblieben, die in den fünfziger Jahren noch bis vor die Tore Kapstadts drangen. In der Nähe dieser Burenfarm fanden sich Kudus, Hartebeeste, Elenantilopen und Strauße in friedlicher Nachbarschaft beieinander. Dies brachte den klugen Farmer auf den Gedanken, in die volle Schatzkammer der Natur hineinzugreifen, und Peters war nicht allzusehr verwundert, als der Bur ihn an ein Gehege führte, in welchem sechs mächtige und prächtig entwickelte Elenantilopen grasten. »Diese Tiere«, sagte der Bur, »will ich jetzt einfahren, mit ihnen pflügen und versuchen, ob ich sie im Trab vor meinem Wagen gebrauchen kann!« Peters lächelte, zog eine englische[133] Illustrierte aus der Tasche und zeigte dem Buren eine Reihe von Bildern aus Carl Hagenbecks Tierpark in Hamburg. »Dieser Mann«, fuhr er fort, »wird Ihnen mehr für die Tiere zahlen, als was sie Ihnen wert sind. Wollen Sie sie ihm anbieten?« Die Buren sind alle gute Geschäftsleute, und so erhielt ich plötzlich aus Rhodesia ein Telegramm: »Habe sechzehn Elenantilopen, offeriere sie Ihnen zu soundso viel tausend Mark. Drahtliche Entscheidung und alsdann Abnahme binnen sechs Wochen.«

Ich war hocherfreut über diese prachtvolle Ergänzung meines Tierbestandes, nahm telegraphisch an und schickte meinen erprobten Reisenden Jürgen Johannsen nach Afrika. Neun Monate später brachte er mir nicht nur die von dem Buren erworbenen Exemplare, sondern er hatte noch eine große Anzahl mehr von diesen wertvollen Tieren beschafft, deren Fangart er sich in Rhodesia von Eingeborenen und Buren hatte berichten lassen.

Ungefähr dreißig glänzend berittene Reiter vereinigten sich, kundschafteten in wochenlangen Märschen den Standort der Elenherde aus, die sie in weitem Bogen einkreisten. Ich muß bemerken, daß ein ausgewachsener Elenbulle ungefähr 2400 Pfund wiegt. Seine Kräfte würden genügen, um mehrere Pferde glatt umzuwerfen. Wer sollte ein solches Tier auf der freien Wildbahn fangen und transportieren? Wiederum galt es also, der Herde die Jungtiere abzujagen. Die jungen Geschöpfe versuchen eine Weile in vollstem Laufe der flüchtenden Herde nachzueilen. Aber bald versagen ihre noch unbeholfenen langen Stelzbeine und die jungen Lungen den Dienst. Von einem klebrigen Angstschweiß vollkommen bedeckt, am ganzen Leibe zitternd und jämmerlich schreiend, bleiben sie stehen. Dies ist der Moment, in welchem der auf seinem Pferde herbeipreschende Reiter es am Schwanz erfaßt und zu Fall bringt. Jetzt werden schnell die Hinterbeine gefesselt, und die junge Antilope wird nun dicht in warme Decken eingehüllt. Dem Unkundigen wird diese Vorsichtsmaßregel überflüssig erscheinen. Sie ist aber notwendig, denn durch die aufregende Verfolgung und die Flucht auf Leben und Tod ist das junge Geschöpf vollkommen ausgepumpt.[134] Man kann das Herz deutlich durch Fell und Rippen schlagen sehen. In diesem Zustande bedarf es des unbedingten Schutzes vor jeder raschen Temperaturveränderung, deshalb also die warmen Decken. Aber noch etwas viel Verblüffenderes geschieht: Der eingeborene Jäger entpuppt sich jetzt auch als Medizinmann. Das in Decken wohlgeborgene Tier bekommt eine subkutane Einspritzung mit einem Medikament, dessen Zusammensetzung mir meine Reisenden nicht haben verraten können. Ich weiß nur, daß wenige Minuten nach dieser Einspritzung ein Betäubungszustand eintritt und das Tier in tiefen Schlaf verfällt. Nach meiner Vermutung handelt es sich in diesem Fall um Morphium oder ein ähnliches Alkaloid. Der Grund ist folgender: Die Todesangst, welche das junge Geschöpf durchschüttelt, ist so groß, daß früher alle an Herzschlag starben. Diesem Ausgang wird nun durch die Einspritzung vorgebeugt. Das schlafende Tier wird ins Lager geschafft, wo es vierundzwanzig Stunden in der Betäubung verharrt. Inzwischen hat der Jäger Milchkühe herbeigeschafft, die gefesselt an das erwachende Antilopenkalb gebracht werden. Der Wildgeruch würde die Kuh sonst zum Widerstand gegen den von ihr verlangten Ammendienst veranlassen. Nach einigen Tagen hat sich die Stiefmutter an den jungen Wildling gewöhnt, der jetzt der Kuh folgt wie ehemals der Mutter. Sind die Elenantilopen so weit entwöhnt und erwachsen, daß sie den weiten Marsch bis an die Küste gesund überstehen können, setzt sich die Tierkarawane in Bewegung. Zahlreiche Photographien in meinem Besitz zeigen die im Lager aufgewachsenen Elenantilopen in einem langen Sechser- und Achtergespann mit Ochsen, Maultieren und Zebras zusammen vor dem zweirädrigen Karren auf dem Zuge zur Dampferstation.

Der Transport wilder Tiere, mögen sie nun frisch gefangen oder in der Gefangenschaft geboren sein, ist eine Wissenschaft, die man nur in der Praxis studieren kann. Da es mir vorbehalten war, diese Praxis so recht eigentlich wieder ins Leben zu rufen, so habe ich auch reichlich das Lehrgeld bezahlen müssen. Die Kunst der Verschiffung fremdartiger Tiere, die Technik der »Verpackung«,[135] das geeignete Futter – alles ist mit Opfern erkauft. Wenn die Transporte aus allen Erdteilen oft nach langer Seefahrt in Europa landen, so beginnen neue, anders geartete Schwierigkeiten. Das Führen vom Schiff zu einem Stall, vom Stall zur Bahn, das Ein- und Ausladen und die Weiterreise in den engen, rüttelnden Eisenbahnwaggons, das alles ist mit vielen Schwierigkeiten, Zufällen und Widerwärtigkeiten verbunden. Manches habe ich schon in der Entwicklungsgeschichte des Tierhandels erzählt. Heute besitzen wir einige teuer erkaufte Erfahrungen im Transport, auch die Verkehrswege sind geregelt, aber es gab eine Zeit, da zum Beispiel die Verschiffung eines Elefanten zu einer Art von märchenhaftem Ereignis wurde.

Fußnoten

1 Durra: Hirse-Art, wichtiges Nahrungsmittel der afrikanischen Bevölkerung


2 Baobab: Affenbrotbaum


3 Darfur: Steppenlandschaft im Ost-Sudan


4 Atbara: ein rechter Nebenfluß des Nils, der im Nordwesten des abessinischen Hochlandes entspringt und eine Länge von 1120 km hat.


5 Die Sudan-Provinz Kordofan wurde von dem reformfreudigen ägyptischen Vizekönig Mehemed Ali nach 1819 erobert und wurde damit den Europäern zumindest indirekt zugänglich.


6 Gasch: Chor el Gasch (Mareb), rechter Nebenfluß des Atbaras


7 Die Darstellung des Mahdi-Aufstandes leidet unter schwersten Verzerrungen. Zwar war die mystisch-sektiererische Ideologie des Mahdi Muhammed Achmed und seiner Anhänger ohne Zweifel rückständig und konnte infolgedessen auf lange Sicht auch keine mobilisierende Rolle im Kampf der unterdrückten Kolonialvölker gegen den englischen Imperialismus spielen. Prinzipiell aber waren die Sudanesen naturgemäß in ihrem Recht, wenn sie sich nach der Besetzung Ägyptens durch England 1882 gegen eine Ausdehnung der britischen Kolonialherrschaft auf den Sudan wandten. Die Mahdisten errangen 1883/86 eine Reihe von bedeutenden Erfolgen und unterlagen erst nach einem langwierigen Feldzug 1894/99. Der Sudan hat unter den Folgen dieser Kämpfe, deren Schuld auf die englischen Imperialisten zurückfällt, schwer gelitten. Hinsichtlich der Entvölkerung und der Ausrottung der Tierbestände um 90% gibt Hagenbeck aber einfach zweckbetonte britische Greuelmärchen weiter. Die geordneten Verhältnisse, die unter englischer Herrschaft wiedergekehrt sein sollen, umschreiben verschämt die Ruhe des Friedhofs und den scharfen Terror der Kolonialbehörden, die noch viele Jahrzehnte lang – die Republik Sudan wurde erst 1956 unabhängig – den Sudan nicht geräumt haben. Die Engländer haben es dabei verstanden, den Sohn des Mahdi in eine britische Offiziersuniform zu stecken und sich seiner als Marionette zu bedienen.


8 Askania Nowa: Naturschutzgebiet im Süden der Ukrainischen SSR, begründet von dem russischen Großgrundbesitzer Friedrich von Falz-Fein (1863–1920), der hier einen Natur-Wildpark und Liebhaber-Zoo schuf. 1904 begann Professor M.F. Iwanow in Askania Nowa mit Versuchen zur künstlichen Befruchtung von Tieren. Von besonderem Interesse waren die Arbeiten zur Akklimatisierung wilder Arten, z.B. des Wildpferdes und des Wisents, und Kreuzungsversuche zwischen diesen wilden Arten und unseren Haustieren (Pferd, Rind, Schaf). Askania Nowa wurde 1919 zum Staatlichen Naturschutzpark erklärt. Er ist 385 km2 groß. Die Sowjetmacht hat ihn zu einem Mittelpunkt der Tierforschung und Tierzüchtung ausgebaut. Seit 1932 arbeitet hier auf der Grundlage der biologischen Forschungen Mitschurins das M.-F.-Iwanow-Institut für Hybridisierung und Akklimatisierung von Tieren. Askania Nowa wurde im zweiten Weltkrieg von hitlerfaschistischen Truppen verwüstet. Es ist heute ein wichtiges Zentrum der hochentwickelten sowjetischen Tierzüchtung.


9 Werst: ein Werst = 1,067 km


10 Die britische Kronkolonie Rhodesia, heute immer wieder Schauplatz rassistischer Ausschreitungen einer kleinen weißen Minderheit gegen die um Gleichberechtigung ringende afrikanische Bevölkerung, war eine Gründung des »Diamantenkönigs« und imperialistischen Wortführers Cecil Rhodes von 1889. Sie erlangte wirtschaftliche Bedeutung durch Produktion von Kupfer, Chrom, Gold, Tabak usw. Carl Peters war das kleinere und häßlichere deutsche Gegenstück zu Rhodes; seine brutalen Ausschreitungen gegen Afrikaner in »Deutsch-Ostafrika« (Tansania) führten zu einem Reichstagsskandal, der durch die reaktionären Parteien vertuscht wurde.


Quelle:
Hagenbeck, Carl: Von Tieren und Menschen. Leipzig 1967, S. 136.
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