IX

Erlebnisse mit Riesenschlangen und Krokodilen

[170] Als Mowgli, der Held der berühmten Dschungelgeschichten Rudyard Kiplings, in jenem unterirdischen Gelasse zwischen versunkenen Schätzen der dort hausenden uralten Klapperschlange gegenübersteht, sagt er, er wünsche mit dem poison people, mit dem giftigen Volk, nichts zu tun zu haben. Mowgli ist die Stimme der Natur. Tiere und Menschen meiden das giftige Volk der Schlangen und übertragen ihre Scheu auch auf diejenigen Arten, die nicht giftig sind. Die Schlange steht etwas abseits der Schöpfung. Kein geistiges Band verbindet sie mit den übrigen Kreaturen. Sie begegnet nur Feinden oder Flüchtigen, keinen Freunden. Als im Sommer 1874 in meiner Handelstierschau eine Riesenschlange sich befreite, gerieten sämtliche Tiere in die größte Aufregung. Es war ein ziemlich schwaches Exemplar der Python sebae aus Afrika, der ich in einem Bottich ein warmes Bad bereitet hatte. Dieser war mit einer Klappe versehen und wurde überdies noch mit einer Decke zugedeckt. Als ich alles wohl verwahrt hatte, begab ich mich in mein Büro, um schriftliche Arbeiten zu erledigen. Aus dieser Arbeit wurde ich nach zwei Stunden durch die Schreckensbotschaft aufgescheucht, daß die Schlange aus ihrer Badewanne entwichen sei und nun auf den Käfigen der Affen und Papageien herumkrieche. Ich stürzte nach dem Raubtierhaus und fand dort unter den Tieren einen wahren Tumult. Alle, ohne Ausnahme, befanden sich in einer furchtbaren Aufregung und hatten, soweit sie das Reptil sehen konnten, nur Augen für dieses. Wie besessen sprangen die Raubtiere in ihren Käfigen umher und schlugen unter Fauchen und Brüllen gegen die Gitter. Die Affen und Papageien kreischten aus Leibeskräften – es war ein Höllenskandal. Keines der Tiere wollte etwas mit der Schlange zu tun haben. Die Schlange wieder einzufangen, war keine leichte Arbeit. Übergeworfene Decken nützten nichts. Das Tier war in dem[171] warmen Bad so lebhaft geworden, daß die Schnelligkeit ihrer Bewegungen all unserer Mühe spottete. Mit dem Ketscher, mit dem ich vorzüglich umzugehen verstand und den ich benutzte, Affen und kleinere Raubtiere aus ihren Kästen herauszuholen, gelang es mir, den Schlangenkopf zu erfassen. Ich packte sie hinter dem Genick und brachte sie mit einiger Hilfe wieder in ihren sicheren Kasten.

Die Scheu, welche die Tiere an den Tag legten, ist berechtigt. Im Umgang mit wilden Tieren erfordert der Verkehr mit Schlangen die größte Vorsicht. Bei den Giftschlangen versteht sich dies von selbst, und die nichtgiftigen Arten verfügen über lebensgefährliche Muskelkräfte. Alle sind in gereiztem Zustand überaus angriffslustig und bissig, und kein Tier hat mich schon so oft in Lebensgefahr gebracht wie gerade die Schlangen. Tausende sind durch meine Hände gegangen, und ich habe ihren Charakter, ihre Gewohnheiten und ihr Leben genau kennengelernt. Wahre Ringkämpfe habe ich zuzeiten mit großen Exemplaren ausgefochten und bin auf Grund persönlicher Erfahrung völlig davon überzeugt, daß eine Schlange von achtzehn bis zwanzig Fuß Länge einen Menschen in kürzester Zeit totdrückt. Nach dem, was ich gefangene Schlangen verschlingen sah, zweifle ich nicht daran, daß eine erwachsene Borneo-Pythonschlange ganz gut einen Menschen von hundert bis hundertfünfundzwanzig Pfund Gewicht herunterwürgen kann. Über die Freßgier der Riesenschlangen ist allerdings viel gefabelt worden. Vor Jahren wurde mir eine Zeitungsnotiz zugesandt, ein wahres Muster »exakter« naturwissenschaftlicher Berichterstattung. Die Notiz lautete:

»Ein Pferd von einer Schlange verschlungen. Was eine Boa constrictor alles verschlingen kann, darüber berichtet Mr. Gardner eine erstaunliche Tatsache in seinen ›Reisen durch Brasilien‹. Die Boa kommt in der ganzen Provinz Goyaz häufig vor und findet sich besonders an den bewaldeten Ufern der Seen, Sümpfe und Ströme. Manchmal, so erzählt der Verfasser, er reichen die Riesenschlangen die ungeheure Länge von vierzig Fuß. Die größte, die ich jemals sah, fand sich an dieser Stelle. Aber sie lebte nicht mehr. Einige[172] Wochen vor unserer Ankunft in Capé konnte man das Lieblingspferd von Señor Lagoeira nicht finden, obgleich es auf der Weide nicht weit vom Haus gewesen war. Bald darauf fand man im Walde in der Gabelung eines Baumes, dessen Zweige sehr zum Wasser herabneigten, diese tote Riesenschlange. Sie war augenscheinlich lebend von der letzten Flut erfaßt worden, und da sie sich in einem Erschlaffungszustand befand, war sie ertrunken. Sie wurde von zwei Pferden aufs freie Land gezogen und maß siebenunddreißig Fuß. Als man sie öffnete, fand man die zerbrochenen Knochen eines Pferdes und das halbverdaute Fleisch. Die Kopfknochen waren unbeschädigt, woraus man schloß, daß die Boa das ganze Reitpferd verschlungen hatte.« – Gut gebrüllt, Löwe!

Man braucht sich übrigens nicht in das Gebiet des Jägerlateins zu verlieren, die Tatsachen, die von der Kraft und der Freßlust der großen Schlangen zu berichten sind, genügen völlig. Es ist noch nicht lange her, da ließ ich ein rachitisches und deshalb wertloses chinesisches Zwergschwein töten und in einen Kasten werfen, in welchem sich zwei große Borneo-Riesenschlangen befanden. Das Schwein wog annähernd fünfzig Pfund und war eindreiviertel Stunden später bereits von einer dieser Schlangen verschlungen. Ich beschloß, diese Fütterungsversuche fortzusetzen, sobald geeignete Tiere in unserem Garten zugrunde gingen. Zunächst kamen zwei junge Nilgau-Antilopen in Betracht, die während der Nacht von einer Schlange gefressen wurden, obwohl jede etwa zwanzig Pfund wog. Kurz darauf konnte ich sogar beobachten, wie eine Schlange von fünfundzwanzig Fuß Länge einen Ziegenbock von achtundzwanzig Pfund verschlang. Dies schien ihr aber noch nicht genug zu sein, denn als ich ihr wenige Stunden später einen neununddreißig Pfund schweren Bock vorwerfen ließ, der von drei anderen Schlangen verschmäht worden war, packte sie auch diesen und hatte ihn innerhalb einer halben Stunde gefressen.

Es sollte aber noch besser kommen! Als acht Tage später eine ausgewachsene sibirische Steinziege verendet war, die vierundsiebzig Pfund wog, ließ ich ihr die Hörner abhauen und warf den[173] Kadaver der Schlange vor. Der Wärter meinte, daß ein so großes Tier doch wohl kaum von einer Schlange heruntergewürgt werden könne, und im stillen war ich der gleichen Ansicht. Aber schon nach einer Stunde, als ich mich gespannt ins Reptilienhaus begab, fand ich zu meinem größten Erstaunen, daß dieselbe Freßkünstlerin bereits daran war, diese dritte und diesmal ausgewachsene Ziege zu verschlingen. Der Kopf war bereits im Rachen des Untieres verschwunden. Ich sandte sofort nach einem Photographen, um eine Blitzlichtaufnahme des interessanten Schauspiels machen zu lassen. Das Würgen verursachte dem Tiere sichtlich große Arbeit. Die Schlange stöhnte von Zeit zu Zeit ganz vernehmlich, ein Umstand, der mir ebenfalls neu war. Als nur noch die Hinterkeulen der Ziege aus dem Schlangenrachen hervorsahen, ließ ich die Aufnahme machen. Erschrocken durch das Blitzlicht, würgte die Schlange das Opfer, zu dessen Verschlingung sie fast zwei Stunden gebraucht hatte, innerhalb von dreißig Sekunden wieder aus. Um die Muskelkraft einer Riesenschlange zu untersuchen, ließ ich am nächsten Tage die wieder herausgewürgte Ziege sezieren. Und nun fand es sich, daß das Genick der Ziege vollständig aus dem Gelenk gedreht war. Sämtliche Knochen, sogar alle Rippen waren aus den Wirbeln herausgepreßt. Man kann sich hiernach ein ungefähres Bild von der ungeheuren Muskelkraft großer Schlangen machen.

Lebende Tiere tötet die Schlange sehr schnell. Sie greift stets nach dem Kopf. Mit Blitzesschnelle ist der obere Teil ihres Körpers um das Opfer gewunden, dem sie das Genick aus den Gelenken reißt. Das Würgen beginnt erst, wenn das Tier tot ist. Die Riesenschlange hält das Opfer so lange umschlungen, bis sie keinerlei Bewegung ihrer Beute mehr spürt, dann erst geht sie daran, das Opfer zu verschlucken. Sind es größere Tiere, so läßt die Schlange den Fraß zunächst gänzlich los und macht den Kopf der Beute durch Speichel schlüpfrig, damit er besser gleitet. Bei dem Würgen dehnt sich der Unterkiefer wie ein Gummisack. Während das Tier schlingt, hat es die Nahrung mit dem Schwanzende von hinten umschlungen und schiebt die Beute langsam in den Rachen hinein, indem es Ober-[174] und Unterkiefer hin und her bewegt. Dann und wann tritt eine Erholungspause bis zu zwölf Minuten ein. Dennoch verzehrte eine andere Schlange später sogar eine vierundachtzigpfündige Ziege in nur etwa eineinhalb Stunden.

Sieht man die großen dicken Riesenschlangen still in der Wärme ihrer gläsernen Käfige liegen, so ahnt man nicht, welcher Kraft, Gewandtheit und Schnelligkeit diese Tiere fähig sind. Viele Hunderte von Riesenschlangen aller Arten sind im wirklichen Sinne des Wortes durch meine Hände gegangen, wobei ich unzählige Male gebissen wurde. Der Biß der Riesenschlange ist nicht gefährlich. Jedenfalls mache ich mir nicht viel daraus. Gewöhnlich bleiben von den nadelscharfen Zähnen einige in den Wunden sitzen, sie müssen natürlich sofort herausgezogen werden. Als sich einer meiner Kunden einmal selbst eine Schlange aussuchen wollte und sie ungeschickt anfaßte, biß sie ihn so heftig in die Hand, daß ich genug zu tun hatte, den Mann aus seiner gefährlichen Situation zu befreien. Die steckengebliebenen Zähne zog ich sofort selbst heraus und behandelte die Wunde. Da der Gebissene die Sache aber hinterher auf die leichte Achsel nahm, mußte er sich in ärztliche Behandlung begeben und war wochenlang unfähig, die gebissene Hand zu gebrauchen.

Viel gefährlicher als der Rachen sind die Muskelringe der Riesenschlangen. Nur meiner Kaltblütigkeit und, ich darf wohl sagen, auch meiner Gewandtheit habe ich es zu verdanken, daß ich aus vielen kritischen Episoden mit Schlangen lebend davongekommen bin. Einen der gefährlichsten Kämpfe focht ich in den neunziger Jahren aus, als ich mit Hilfe eines Wärters vier dunkle Pythonschlangen, jede fünfzehn bis achtzehn Fuß lang, von einem Kasten in den anderen beförderte. Ich hatte mich, wie immer zu diesem Geschäft, mit einer großen Wolldecke bewaffnet, als Schutz für das Gesicht, denn stets wählen die Schlangen den Kopf als Hauptangriffspunkt. Zwei Tiere hatte ich bereits ohne große Mühe hinübergebracht. Als ich aber mit der dritten Schlange beschäftigt war, fuhr die vierte wie der Blitz mit offenem Rachen auf mich los, daß ich ernstlich[175] verwundet worden wäre, hätte ich nicht meinen weichen Filzhut vom Kopf gerissen und dem wütenden Tier entgegengeschleudert. Als sich die Schlange in den Hut verbissen hatte, packte ich sie mit der anderen Hand im Genick und gab dem Wärter hastig den Befehl, mir mit dem Ketscher zur Hilfe zu kommen. Der Mann stellte sich in der Erregung etwas ungeschickt an, war nicht schnell genug, und schon hatte die Riesenschlange ihr Schwanzende um mein rechtes Bein geschlungen und versuchte mich mit aller Kraft von unten herauf zu umringeln. Ich wehrte mich verzweifelt. Hätte die Schlange meinen Oberkörper erreicht, so wäre es um mich geschehen gewesen. Plötzlich sah ich auf dem Boden das äußerste Ende des Schwanzes, auf den ich mit dem linken Absatz so kräftig trat, daß die Schlange aus Schmerz oder Schreck mich sofort losließ. Zwar fuhr sie blitzschnell wieder auf mich zu, doch jetzt war ich gewappnet. Ich parierte den Angriff mit der Wolldecke, in die ich das Reptil verwickelte, so daß ich es glücklich in den Kasten brachte. Die andere Schlange hatte sich während dieser Episode zum Glück ruhig aufgeringelt und sah aus geschlitzten Augen dem Kampf als neutrale Macht zu.

Einem noch ernsteren Kampf, der die ganze Wildheit dieser Bestie entfesselte, fiel im Frühsommer 1904 beinahe mein ältester Sohn Heinrich zum Opfer. Eine große Riesenschlange griff ihn an. Er aber packte auch die Schlange, die sich um ihn zu schlingen versuchte. Wer diesen ungleichen Kampf gewonnen hätte, ist unschwer zu erraten, wenn nicht sofortige Hilfe zur Stelle gewesen wäre. Heinrich, ein Wärter und ich kämpften ähnlich der bekannten Laokoon-Gruppe minutenlang unter Aufbietung aller Kräfte gegen das Ungeheuer. Plötzlich packte die Schlange mit dem frei gewordenen Schwanze das rechte Bein Heinrichs und wand sich dabei unaufhaltsam höher und höher herauf. Ein Ringen auf Leben und Tod fand statt, und erst nach höchster Anspannung gelang es uns mit Hilfe meines Inspektors, das Tier in einen Sack hineinzupressen. Sechsundzwanzig Fuß maß die Bestie und wog über zweihundert Pfund![176]

Die Geschicklichkeit in dem Umgang mit diesen gefährlichen Reptilien baut sich auf eine lange und mannigfache Erfahrung auf. Dem mühsam errungenen Wissen ging ein Tasten und Experimentieren vorauf, zuweilen mit glücklichem Abschluß, zuweilen auch nicht. So brachte Anfang der siebziger Jahre ein Kapitän aus Brasilien zwei Boa constrictor nach Hamburg. Als ich an Bord kam, teilte mir der Steward gleich mit, daß die Schlangen leblos in ihren Kästen lägen, sie seien gewiß tot. Rätselhaft war der Zustand der Tiere keineswegs. Es war Mitte Dezember, und man hatte die Schlangen ohne Schutz in dem eiskalten Raum stehenlassen. Sie waren einfach erstarrt. Der Kapitän, der inzwischen hinzugetreten war, gab dem Steward schon die Weisung, die Tiere über Bord zu werfen. Als ich mich erbot, zu versuchen, die Schlangen ins Leben zurückzurufen, gab der Seemann lachend seine Zustimmung. Ich wickelte meine leblosen Reptilien in eine Wolldecke, gabelte schleunigst eine Droschke auf und fuhr nach dem Spielbudenplatz, wo wir damals wohnten. Auch mein Vater lachte und meinte, wenn du es fertigbringst, diese Schlangen wieder lebendig zu machen, dann hast du Wunderdinge geleistet. Ich ließ meine Schlangen einfach vor dem Ofen liegen, der im Vogelladen stand. Nach einer Stunde kündigte ein furchtbarer Aufruhr unter den Vögeln an, daß sich etwas Außergewöhnliches ereignet hatte. Wahrhaftig, der Ofenplatz war leer, und das Geschrei der Vögel ließ mich leicht die Stelle entdecken, wo meine »toten Schlangen« ganz gemütlich spazierenkrochen. Merkwürdig, wie manchmal der Zufall spielt! Als ich noch bei der Schlangenjagd war, öffnete sich die Tür, und Vater Kreutzberg, der alte Tierschaubesitzer, gerade von Rußland kommend, trat ein. Sofort beteiligte er sich an der Jagd, und als wir die Ausreißer wieder eingefangen hatten, erzählte er mir lachend, daß er gerade gekommen sei, um Schlangen zu kaufen. Er legte mir achtzig gute preußische Taler auf den Tisch, und nun stand zwei Leuten noch eine Überraschung bevor, meinem Vater und dem Kapitän, dem ich am nächsten Morgen die Hälfte des Erlöses vor seinen ungläubigen Augen auf den Kajütentisch legte.[177]

Später erwies es sich als nichts Seltenes, daß erstarrte Schlangen ankamen. Nur hatte ich nicht immer das gleiche Glück mit der Wiederbelebung. Den schlimmsten Fall erlebte ich im Jahre 1883. In England hatte ich 163 Riesenschlangen gekauft, die einen Wert von über 1000 Pfund Sterling repräsentierten. Auf der Überfahrt geriet das Schiff nach zwei Reisetagen in einen schweren Nordoststurm und mußte nach London zurückdampfen, da die Kohlen auszugehen drohten. Bei Gravesend bunkerte der Dampfer und begab sich wieder auf die Reise nach Hamburg. So mußten meine an tropische Wärme gewöhnten Schlangen sieben Tage in der kalten Nordsee verbringen. Starr und leblos kamen sie in Hamburg an, und alle Hausmittel versagten diesmal ihren Dienst. Das ganze für diese Schlangen angelegte Geld war verloren, eigentlich der doppelte Betrag, denn die Tiere waren bereits nach den USA um einen entsprechenden Preis fest verkauft. Unter diesen Umständen war meine Trauer um die Toten, das wird man mir glauben, echt.

Bei meinem ersten Zusammenstoß mit dem »giftigen Volk« spielten Puffottern die Hauptrolle. Sie kamen in den sechziger Jahren in einem großen flachen, oben mit Draht überzogenen und mit Brettern vernagelten Kasten ins Haus. Da die Tiere in diesem Kasten nicht bleiben konnten, so zimmerte ich mir einen praktischen zurecht. Die zu lösende Schwierigkeit bestand nun in dem Umquartieren der gefährlichen Schlangen, mit deren Lebensgewohnheiten ich damals noch nicht recht bekannt war. In der Meinung, ich könne einfach die Schlangen von einem Kasten in den andern schütten, löste ich ein Brettchen, bog das darunter befindliche Drahtgeflecht zurück – und nun schüttelte ich eben. Mit Blitzesschnelle schossen die Tiere mit den Köpfen nach der Öffnung, glitten aber nicht hinüber in den neuen Kasten, sondern wandten sich seitwärts und wären mir beinahe entwischt. Noch heute fährt mir ein Schreck durch die Glieder, wenn ich an diese Situation zurückdenke. Schnell entschlossen schüttete ich sie in ihren alten Behälter zurück, dessen Öffnung ich mit dem neuen Kasten verschloß. Später[178] schnitt ich mit einer spitzen Säge ein viereckiges Loch in den Schlangenkasten, etwa drei Zoll im Quadrat, und gegen dieses Loch stellte ich die mit einem Schieber versehene Öffnung des neuen Käfigs. Vom alten nahm ich die Bretter herunter, so daß das Tageslicht durch die Drahtmaschen in den Kasten fiel. Ich wußte nämlich so viel, daß Schlangen sich gerne ins Dunkle zurückziehen, und dies bestätigte sich, denn in kaum einer Stunde waren sämtliche Puffottern, acht an der Zahl, in den neuen Kasten hinübergeschlüpft, den ich nun ganz einfach mit der Schiebetür verschloß.

Seit jener Zeit hatte ich eine heillose Achtung vor Giftschlangen. Trotz aller Vorsicht wäre ich aber dennoch durch Klapperschlangen beinahe ums Leben gekommen. An einem Sommertag des Jahres 1898, als ich – soeben von der Reise zurück – das Reptilienhaus inspizierte, fiel mir ein starker Fäulnisgeruch auf, und beim Nachsuchen fand ich in einem der großen Schlangenkäfige einen verdrahteten Karton, in welchem sich unter mehreren lebenden Klapperschlangen auch zwei tote, bereits in Fäulnis übergegangene, befanden. Diese Kadaver mußten sofort entfernt werden. Ich nahm den Kasten vor und versuchte von der Seite aus, wo eine kleine Schiebetür angebracht war, mit einem aus starkem Draht zurechtgebogenen Haken die toten Tiere herauszuholen. Zu diesem Zweck mußte ich mich mit dem Gesicht über den Kasten beugen, während ich mit der linken Hand unten den Haken einführte. Auf diese Weise gelang es mir schnell, zunächst einen der Kadaver zu packen und langsam herauszuziehen. Der zweite war schwieriger zu erreichen, er lag unter zwei lebenden Exemplaren. Mir blieb nichts übrig, als die Schlangen aufzustöbern, und das nahmen beide ungeheuer übel, besonders die größere. Als ich gerade mit dem Gesicht dicht oberhalb des Gitters liege, um besser sehen zu können, und mich dabei mit dem rechten Arm gegen das blendende Licht der Sonne schütze, fährt die Schlange unvermutet und schnell wie der Blitz mit weit offenem Rachen in das Gitter hinein. Zwar schnellte ich erschrocken zurück und wartete ein wenig, bis das Tier sich beruhigt hatte, nahm dann aber ahnungslos meine Arbeit wie[179] der auf, die ich nun ohne Zwischenfall zu Ende führte. Erst am nächsten Morgen wurde mir bekannt, welcher furchtbaren Gefahr ich entronnen war und daß der Tod dicht neben mir gestanden hatte. Als ich mich ankleidete, machte meine Frau mich auf eine Reihe von Flecken am rechten Rockärmel aufmerksam, die sie für Schmutzflecke hielt. Ein einziger Blick auf die vermeintlichen Flecken machte mich im tiefsten Innern erschauern. Es waren lauter kleine, feine, grünlich schillernde Kristalle. Die Schlange hatte bei dem Biß ins Gitter ihr ganzes Gift nach meinem Gesicht gespritzt, und nur durch den Umstand, daß der vorgehaltene Arm eine Schutzwand bildete, war ich dem Verderben entgangen. Vom Aufenthalt im Freien hatte ich an vielen Stellen eine rauhe aufgesprungene Haut. Hätte das Gift freien Zutritt in die Blutbahn gefunden, so würde ich elend zugrunde gegangen sein. Ich habe beobachtet, daß Meerschweinchen und weiße Ratten innerhalb einer Minute nach dem Biß verendet waren.

Allerdings erlebte ich den Fall, daß eine Klapperschlange der Ratte unterlag, die ich ihr als Futter vorgeworfen hatte. Unser Erstaunen war groß, als wir die große Klapperschlange am Morgen mit durchbissenem Genick auffanden, während die Ratte ganz gemütlich in einer Käfigecke saß und von dem Fleische ihres erlegten Feindes speiste. Schade, daß keine Zeugen bei diesem interessanten Kampfe zugegen waren. Bei allem Respekt vor der mutigen Ratte hüteten wir uns aber doch, noch einmal wildgefangene Ratten als Schlangenfutter zu verwenden.

Kämpfe von Schlangen untereinander sind nicht selten. Sie streiten sich um die Beute, und es kommt vor, daß im Verlaufe dieses Streites die kleinere von der größeren Schlange mitsamt der strittigen Beute aufgefressen wird. Alle Schlangen sind von einer dummen, fast automatischen Gefräßigkeit. Ich fütterte einmal eine Schlange mit einem Kaninchen und deckte die in einem mit Wärmflaschen geheizten Käfig gehaltene Boa constrictor für die Nacht wie üblich mit einer Wolldecke zu. Was geschah? Die Schlange begann während der Nacht die Wolldecke hinabzuwürgen, vermochte[180] das Knäuel aber nur zur Hälfte zu zwingen. Am nächsten Morgen fand ich das Tier erstickt vor.

Einen ähnlichen dummen Unglücksfall habe ich nicht wieder erlebt, wohl aber, daß eine Schlange die andere auffraß und daß heftige, sogar wilde Kämpfe um die Beute stattfanden. Einmal packten zwei Pythonschlangen von neun und sieben Fuß Länge gleichzeitig ein Kaninchen. Beim Verschlucken haben dann beide, die eine am Kopf und die andere am Hinterteil, das Kaninchen hinabwürgen wollen, wobei die größere Schlange die kleinere mit erwischte und verschluckte. Am nächsten Morgen konnte man genau sehen, wie die kleinere Schlange der Länge nach in dem Körper der großen lag.

Vier Riesenschlangen von bedeutender Größe stürzten ein andermal aufeinander los, um im Streit über ein totes Kaninchen einen Ringkampf aufzuführen, der jeder Beschreibung spottete. Im Nu waren drei der Bestien zu einem unentwirrbaren Knäuel geworden, der sich wild im Käfig hin und her wälzte. Als der Kopf einer dieser Schlangen in den Rachen einer anderen geriet, versuchte ich, die Kämpfenden zu trennen. Sofort fuhren alle mit geöffneten Rachen auf mich los, und ich mußte den Dingen ihren Lauf lassen. Nach einem dreistündigen Kampfe ließen die ermatteten Tiere voneinander ab. Auf diesen Moment schien das kleinste der Reptile, das dem Kampf untätig zugesehen hatte, nur gewartet zu haben, denn es wagte sich aus seiner Ecke hervor und machte sich über das Kaninchen her. Schon hatte die Schlange ihr Opfer zu würgen angefangen, als aufs neue eine Rivalin heranschoß, ihr den Schwanz einige Male um den Hals schlang und so furchtbar drückte, daß sie nicht nur das Kaninchen losließ, sondern total kampfunfähig wurde. Mit ihren Ringen hielt die große Schlange die kleinere umklammert und fraß das Kaninchen auf. Als sie damit fertig war, ließ sie die kleinere Gegnerin los, die sich nun wutentbrannt mit einer blitzschnellen Bewegung um ihre Peinigerin ringelte und sie mit Aufbietung solcher Kraft preßte, daß das große Tier stöhnende Laute hören ließ. Sofort waren alle vier Tiere wieder in einen wirren Kampf verwickelt, der volle elf Stunden andauerte. Ein so hart[181] näckiger Schlangenkampf war bei den großen indischen Pythons, welche zu den größten Riesenschlangen gehören, bis dahin im Tierpark noch nicht beobachtet worden. Ich war darauf gefaßt, am nächsten Morgen ein paar Leichen zu finden – aber keine Spur, jeder der vier Raufbolde lag zusammengeringelt friedlich in seiner Ecke.

Dennoch sind diese Kämpfe zahm im Vergleich mit denjenigen der großen Borneo-Riesenschlangen, die sich nicht mit der Umschlingung des Gegners begnügen, sondern sich mit ihren messerscharfen Gebissen wie Hunde ineinander festbeißen. Die Eifersucht um eine Beute stachelt sie zu maßloser Wut an. Ich entsinne mich eines Falles, wo eine größere Schlange die kleinere in den Nacken biß, sich dann mit dem Körper um den üppigen Leib des Tieres ringelte und ihrem Opfer mit einem Ruck ein großes Stück Fleisch aus dem Halse riß. Was diese Kraftleistung bedeutet, kann nur derjenige ermessen, der über die ungeheure Zähigkeit der Haut einer großen Schlange unterrichtet ist. Die furchtbare Verwundung geschah, ehe ich die Tiere auseinanderbringen konnte. Als ich mit einem spitzen Stock das Ungeheuer bearbeitete, war der Unfall bereits geschehen. Noch an demselben Tage habe ich die verletzte Schlange photographieren lassen, um eine Abbildung der kolossalen Bißwunde aufbewahren zu können. Das verwundete Tier ging innerhalb weniger Tage ein. Ähnliche Kämpfe konnte ich in den letzten Jahren in meinem Stellinger Tierpark, über dessen Aufbau ich abschließend noch berichten werde, häufig beobachten.

Es liegt auf der Hand, daß bei der Art und dem Umfang des Fraßes die Kräfte, die für den Stoffwechsel sorgen, ganz besonders sein müssen. Das Interessanteste, was ich in dieser Hinsicht erlebt habe, beobachtete ich an einer indischen Pythonschlange von nur vierzehn Fuß Länge, die innerhalb von vierundzwanzig Stunden vier elf- bis siebzehnpfündige Heidschnuckenlämmer verschlang, deren Hörner bis zu sieben Zentimeter Länge besaßen. Die Schlange war am zweiten Tage durch die in ihrem Innern entwickelten Gase so unförmig aufgeschwollen, daß die Haut auf dreißig Zentimeter[182] Länge aufplatzte und streckenweise fünf Zentimeter weit auseinanderklaffte. Die Verdauung dieser Mahlzeit war nach zehn Tagen beendet. Die Wollteile wurden in dicken Ballen abgestoßen, die Knochen in weißen Exkrementen, während Klauen und Hörner nicht verdaut wurden. Am elften Tage fraß die Schlange erneut eine Heidschnucke. Ein Schwein scheint dagegen ein ziemlich schwer verdaulicher Bissen zu sein. Die Hauer und Klauen eines Wildschweins wurden nämlich erst acht Tage nach ihrer Ankunft aus Singapore durch eine große, fünfundzwanzig Fuß lange Borneoschlange in meinem Tierpark ausgeschieden.

Den zarteren Gemütern, die sich vielleicht über die unästhetischen Freßleistungen der Schlangen entsetzt haben, gewährt die Mitteilung hoffentlich etwas Beruhigung, daß die Tiere auch ungeheuer lange hungern können und dies zuweilen sogar freiwillig tun. Recht freßlustige Tiere, die oft drei bis vier Wochen nacheinander jede Woche Nahrung zu sich nahmen, fasteten dann ohne sichtbaren Grund oft ein halbes Jahr, ohne den geringsten Schaden zu nehmen.

Ich kenne einen Fall, in dem eine brasilianische Wasserschlange zwei volle Jahre nichts fraß, dann aber lustig wieder ans Futter ging und noch viele Jahre im Amsterdamer Zoo verbrachte! Am liebsten und am schnellsten fressen die Schlangen bei hellem, offenem Wetter. Warme, stets gut ventilierte Käfige in der ihnen zusagenden Temperatur zwischen achtzehn und fünfundzwanzig Grad Reaumur sind Vorbedingung für eine gute Haltung der Schlangen. Verschafft man den Tieren nicht die entsprechenden Wärmegrade, dann sind sie nicht zum Fressen zu bewegen und bekommen außerdem durch Erkältung Mundfäule. Wenn man den erkrankten Tieren dann einen recht warmen Käfig mit großem Wasserbassin gibt, kurieren sie sich selbst. Wochenlang legen sie sich unter den Wasserspiegel, so daß nur die Nasenspitze zum Atmen hervorsieht. Das Wasser löst die eitrigen Stücke des Rachens ab, und das Tier entfernt sie durch Hin- und Herschlagen des Kopfes. Zuweilen halfen wir mit einer Federpose die brandigen Stücke entfernen und haben[183] auf diese Weise Schlangen kuriert, denen bereits ganze Stücke von den Kiefern losgefault waren.

Selten wird der Schlangenkäfig zur Kinderstube. Die Schlangen, von denen ich bislang erzählte, legen Eier und brüten sie aus. Die Wasserschlangen dagegen gebären lebende Junge. Vor etwa fünfzehn Jahren hatte ich einmal Gelegenheit, die Vorgänge in einer solchen Wochenstube zu beobachten. Die Mama – eine geborene Eunectes murinus – gehörte zur größten Schlangenart, die in Brasilien vorkommt. Sie war fünfzehn Fuß lang und außergewöhnlich wohlbeleibt. Nach einigen Monaten überraschte sie uns mit achtundvierzig Kinderchen. Ein reicher Familiensegen. Dem glücklichen Vater konnte ich keine Nachricht geben, er war in den Wäldern Brasiliens zurückgeblieben. Die Geschichte hat auch einen Haken, denn die Jungen, welche, jedes für sich, in einem durchsichtigen Hautsack steckten, waren leider sämtlich tot. Auch bei den Eier legenden Arten wird die Fortpflanzung en gros betrieben. Ich entsinne mich einer dunklen Pythonschlange, die während einer Reise eine stattliche Zahl von Eiern gelegt hatte. Als ich das Tier von den Eiern aufscheuchte, sah ich drei bis vier Junge aus ihren pergamentartigen Eischalen mit dem Kopf gegen mich emporschnellen. Die Wochenstube wurde in einem großen, passenden Käfig untergebracht. Von etwa fünfzig Eiern hatte die Schlange einundzwanzig ausgebrütet, die übrigen waren vertrocknet. Die Jungen benutzten ihre Eierschalen als Wohnhülsen, aus denen sie dann und wann herauskrochen. Manche kamen überhaupt nicht heraus. Die Ernährung machte zuerst Schwierigkeiten. Frösche wurden nicht angenommen. Dagegen schienen junge weiße Mäuse mehr nach dem Appetit der kleinen Reptile zu sein, die in der Art der Alten gepackt, getötet und verschlungen wurden. Schließlich verkaufte ich die ganze Familie an den Jardin d'Acclimatation in Paris, wo die Jungen leider nicht die gehörige Pflege hatten und bald eingingen. Man stopfte sie aus und praktizierte sie wieder in die Eierschalen hinein; wer Lust hat, kann die Tiere heute noch in dem Pariser Zoo anschauen.

Je länger und je mehr ich Schlangen beobachtet habe, desto[184] weniger habe ich begriffen, warum die Schlange das Sinnbild der Klugheit geworden ist. Gefräßigkeit, Faulheit und unter gewissen Umständen unerschöpfliche Wut sind die Lebensäußerungen, in welchen sich nach meiner Ansicht das Wesentliche aus dem Schlangenleben zusammenfaßt. Trotzdem möchte ich nicht behaupten, daß den Schlangen jegliche Begabung fehlt. Das beweisen die Vorführungen der Schlangenbeschwörer, jedoch bezweifle ich, daß mit Schlangen auch nur annähernd ähnliche Leistungen erzielt werden können wie mit den Tieren höherer Ordnung und daß der Schlangenbändiger in ein freundschaftliches Verhältnis zu seinen Zöglingen eintreten kann. Von den eingeborenen indischen Schlangenbeschwörern abgesehen, arbeiten die weißen Schlangenbändiger nie mit der Kobra, der indischen Brillenschlange. Ich bitte ihre ehrenwerte Zunft um Entschuldigung, wenn ich verrate, daß sie fast ausschließlich mit jungen Exemplaren der Riesenschlangen auftreten. Sooft das breite Publikum auch Schlangen gesehen haben mag, dieselbe Unkenntnis, die es in der Regel vielen anderen Tieren gegenüber behält, bleibt ihm im erhöhten Maße auch den Schlangen gegenüber. Oft hörte ich in meinem Park schon Ausrufe wie: »Sieh doch einmal, Mann, diesen schönen Strauß, was er für prachtvolle Pfauenfedern trägt.« Oder wie ich seinerzeit in Triest beim Verladen eines kleinen afrikanischen Nashorns ein Bäuerlein zum andern sagen hörte: »Schau dir mal das kleine Elefantel an.« – »Ach, Unsinn, siehst du denn nicht, daß er keinen Rüssel hat?« – »Du Schafskopf, bei dem wächst er noch!« So könnte ich darauf wetten, daß unter hundert Zuschauern nur ganz wenige zu beurteilen vermöchten, was für Schlangen sie vor sich haben. Heute gehört die Gilde der Schlangenbändiger mit Ausnahme einiger Artisten und Schlangentänzerinnen fast der Vergangenheit an. Aber es gab Zeiten, wo ich den Schlangenimport en gros betrieb. An einem Tage erhielt ich einmal 276 Exemplare der Gattung Python bivittatus, die nach Nordamerika einen reißenden Absatz fanden. Mit virulenten Giftschlangen, d.h. solchen, deren Giftapparat in Ordnung ist, wird ein Schlangenbändiger nie arbeiten. Er bricht ihnen vor[185] der Vorführung die Giftzähne aus. Trotz dieser Vorsicht ist der Mann nicht vollständig ungefährdet, denn die Giftzähne wachsen nach, und er muß ständig auf der Hut sein. Es bedarf keiner Erklärung, daß die Giftschlange ohne Giftzahn nicht einmal so gefährlich ist wie eine gewöhnliche junge Riesenschlange, von einer ausgewachsenen gar nicht zu sprechen. Außerdem ist das Gebiß der Riesenschlange viel stärker als das der Kobra. Wirkliche Kunststücke habe ich von keiner Schlange ausüben sehen. Der ganze Trick, der sich mit ihnen ausführen läßt, besteht darin, daß man die Tiere aus der Dunkelheit, in der man sie gehalten hat, plötzlich an das Tages- oder Rampenlicht setzt. Die gereizten Tiere schnellen empor und scheinen ihren Meister zu bedrohen, der sie durch Musik beruhigt. Denn das allerdings mußte ich stets und immer wiederholt feststellen: Es gibt kein Geschöpf, auf das die Musik nicht irgendwelchen Einfluß hätte. Ich behaupte zwar nicht, daß sich eine hungrige Riesenschlange mit der Mondscheinsonate besser abfinden würde als mit einem Kaninchen, aber ich halte es für zweifellos, daß auch Schlangen gerne Musik hören.

An dieser Stelle möchte ich noch die Erinnerung an eine schöne Provenzalin auffrischen, die mir seinerzeit viel Freude machte. Es war noch zu Beginn meiner Laufbahn als Zirkusdirektor. Damals befand sich unter meinen Artisten ein Mann, der als Deckenläufer eine Glanznummer ausführte. Er war imstande, sich vor den Augen des verblüfften Publikums wie eine Fliege an die Zimmerdecke des Raumes zu heften und daran entlangzulaufen. Sein Geheimnis bestand in einem Paar eigens konstruierter Saugschuhe, deren Sohlen luftleer gepumpt waren und die sich deshalb an der Decke anhefteten. Nach einer Reihe von Jahren hatte er ein hübsches Vermögen gesammelt. Nun wurde er arbeitsmüde, mag wohl auch das eine oder andere Mal auf den Kopf gestürzt sein, kurzum, da lernte er eines Tages jene schöne Provenzalin kennen, von der ich jetzt sprechen will. Sie war ein Mädchen von überaus zierlicher Figur, mit großen, prachtvollen, dunklen Augen und langen, ungewöhnlich schwarzen Locken. Dieses Mädchen heiratete er und machte sie[186] zur Schlangenbändigerin, was dem jungen Ehepaar auf viele Jahre hinaus einen reichen Gewinn brachte.

Zunächst legte sie sich den melodramatischen Namen Naladamajante zu, unter dem sie in Amerika zu einer Art Berühmtheit wurde, die jahrelang im Zirkus Forepaugh die gewaltigsten Gagen bezog. Diese Frau hatte sich eine besondere Methode ausgedacht, ihre Tiere abzurichten und gefahrlos zu zähmen. Sie ließ sich aus feinen Gummifäden Netze wirken, ähnlich den ganz feinen Haarnetzen, welche unsere Frauen zu tragen pflegen. Diese Gummimaulkörbe legte sie ihren Zöglingen um und befestigte sie hinter des Kopfes breitester Stelle am Nacken. Nach wenigen Tagen hatten die Schlangen die Fruchtlosigkeit ihres Widerstandes eingesehen und ließen sich nun ganz ruhig anfassen und in die gewünschte Stellung legen, wozu die Musik die orientalischen Weisen spielte. Nach eigenen Ideen hatte sie sich Schlangenkästen bauen lassen und nahm diese auch mit ins Schlafzimmer. Naladamajante pflegte den größten Effekt vorm Publikum dadurch zu erzielen, daß sie manche Schlangen zum Schluß der Vorführung auf die Bühne gleiten ließ, durch vorgehaltene Stöcke reizte und unter den Klängen eines wilden Marsches mit weitgeöffnetem Rachen auf sich zuspringen ließ. Es sind genügend lange Jahre seitdem vergangen, so daß ich wohl meiner schönen Provenzalin keinen Nachteil mehr bereite, wenn ich erzähle, daß diese Schlangen allerdings keine Giftzähne mehr besaßen oder auch häufig gewöhnliche Pythonschlangen waren. Interessant ist nur daran, daß auch die verhältnismäßig stupiden Schlangen den stets wiederholten Witz bald durchschauten. Nach vier bis sechs Wochen ließen sich auch die wütendsten Kriechtiere nicht mehr zu dem so effektvollen Bühnensprunge verleiten. Naladamajante brauchte deshalb sehr häufig neue Schlangen und war jahrelang meine beste Kundin, der ich ungefähr aller acht Wochen einen ganzen Kasten voll neuer Schlangen nach Amerika hinüberschickte. Was sie mit den philosophischen Schlangen anfing, die sich nicht mehr uzen ließen, weiß ich nicht. Ich vermute jedoch, daß sie auch diese noch mit Gewinn weiterverkauft hat.[187]

Von einer weiteren ungemütlichen Gesellschaft möchte ich jetzt ein wenig erzählen. Es sind Tiere, mit denen man keine Freundschaft schließen kann, im Gegenteil, es muß immer heißen: Drei oder noch mehr Schritt vom Leibe, wenn man nicht zu Schaden kommen will. – Ich spreche nämlich von den Krokodilen, deren Vorväter schon vor Jahrmillionen in den Schachtelhalmurwäldern hausten. Bei allem schuldigen Respekt vor dem achtunggebietenden Stammbaum halte ich mir die gefräßigen Bestien stets weit vom Leibe. Vielleicht war es ein Glück, daß ich schon in meiner Jugend von einem Krokodil einen Denkzettel erhielt, der mir für mein ganzes späteres Leben eine heilsame Lehre war. Von einem nur zwei Fuß langen Krokodil wurde ich derart in den Zeigefinger gebissen, daß ich nur mit ärztlicher Hilfe einer durch Blutvergiftung drohenden Armamputation entging. Seitdem sind mehr als 2000 Krokodile durch meine Hände gegangen, und wie man sieht, bin ich von keinem verspeist worden, obwohl ich einmal beim Verpacken von zwanzig Alligatoren zur Düsseldorfer Ausstellung kopfüber in das Becken mitten zwischen die Krokodile stürzte. Es ist unfaßbar, mit welcher Schnelligkeit der Mensch im Augenblick der Gefahr zu denken und zu handeln vermag. Gedanke und Tat sind wie Blitz und Schlag. Ehe die Krokodile zur Besinnung gekommen waren, war ich schon wieder aus dem Becken heraus. Hätte mich auch nur ein einziges Tier angepackt, dann wäre ich unrettbar verloren gewesen. Ich weiß aus Erfahrung, daß in dem gleichen Augenblick auch alle anderen Krokodile zufassen und ihre zahnstarrenden Kiefer in das Opfer schlagen.

Alligatorenkämpfe habe ich oft beobachten können, bei denen mir nie ganz wohl zumute war, denn was in diesen Kämpfen zugrunde ging, waren Geschäftswerte. Diese Tiere sind in ihrer Wut unerbittlich. Sie verbeißen sich wie die Ameisen ineinander und lassen nicht los, wenn auch der ganze Kopf darüber zerfleischt wird. Einem solchen Kampf wohnte ich in den achtziger Jahren bei, als wir mit einem Transport 300 Alligatoren empfingen. Auf der Reise waren die Tiere sehr bösartig geworden und hatten in ihrem Ge[188] wahrsam offenbar einen ganzen Haufen von Grimm angesammelt. Ihr wütendes Schnaufen klang etwa so, als wenn eine Maschine Dampf abläßt. Die Transportkisten wurden in das bestimmte Gehege geschoben und rund um das große Becken aufgestellt. Als der fünfte oder sechste Alligator seinen Käfig verlassen hatte, stürzten alle ohne ersichtlichen Grund wie bissige Hunde aufeinander los. Im Handumdrehen waren alle sechs ein einziger sich wälzender Knäuel, der unter Fauchen und Pusten mit wild das Wasser peitschenden Schwänzen auf und ab tauchte. Die Tiere wüteten auf grauenvolle Weise. Krachend und knirschend zerbrachen die Kiefer der Unterlegenen. Hoch spritzte das Wasser in die Luft und färbte sich langsam rot aus vielen schrecklichen Wunden. Ein Dazwischenspringen gab es nicht. Alles, was wir zu tun vermochten, war, das Becken bis oben vollaufen zu lassen, damit die Tiere unter Wasser mehr Schutz finden konnten. Am nächsten Morgen ließ ich das Wasser ab. Da wurde der ganze Schaden offenbar. Fast alle Kämpfer waren auf der Walstatt geblieben, wenn auch einige von ihnen noch lebten. Aber wie! Zweien waren die Kiefer zerbrochen, den beiden andern waren die Vorderbeine total abgedreht und hingen nur noch an der Haut. Einem fünften war das Auge ausgelaufen, und dem sechsten hatten die freundlichen Kameraden ein Stück des Schwanzes abgebissen. Es war das einzige Tier, das später langsam genas und noch verkauft werden konnte.

Späterhin legte ich allen neu angekommenen Krokodilen Maulkörbe aus dünnen Stricken an. Zwar stürzten sie stets voll Kampfbegier aufeinander los, und ein großes Ringen begann, das jedoch unblutig endete, da ihnen die fürchterlichen Rachen verschlossen waren. Schon nach sechs bis acht Tagen trat eine völlige Beruhigung der Tiere ein, und ich konnte mit einem an einer langen Stange befestigten Messer den Nackenstrick des Maulkorbes aus sicherer Entfernung durchschneiden. Mit einem langen Haken fischte ich dann die Schlinge und zog sie den Tieren von der Nase. Selbstverständlich wurden nicht alle zu gleicher Zeit befreit, sondern es vergingen mehrere Tage, bis alle wieder das Maul aufreißen konnten.[189]

Die Krokodile können wochen- und monatelang ohne Futter sein. Ich wählte zur Fütterung möglichst heiße Tage und bevorzugte die Abendstunden. Bewaffnet mit einem Eimer voll kleingeschnittener Lungen von Rindern und Pferden, begab ich mich an das Becken und warf die Stücke in kurzen Zwischenräumen klatschend auf die Wasseroberfläche. Die Krokodile steckten dann ihre Köpfe hervor und schnappten nach der Lunge. Später befestigte ich das Fleisch an einer Holzstange, die so lange auf dem Wasser hin und her bewegt wurde, bis die Tiere die Nahrung erfaßten. Allmählich ging ich immer näher an das Becken heran und habe es fertiggebracht, daß einzelne dieser wild gefangenen Tiere sich schon nach vier bis sechs Wochen von mir aus der Hand füttern ließen. Ein Freundschaftsverhältnis zwischen diesem Reptil und dem Menschen ist natürlich ganz und gar ausgeschlossen. Statt des hingehaltenen Fleisches hätten die Krokodile ohne weiteres auch die Hand geschnappt, hätte ich es an der nötigen Vorsicht fehlen lassen. Sie nahmen das Futter unter Fauchen, aber ohne besondere Bösartigkeit an, und das war alles.

Kleinere Krokodile habe ich häufig schon nach acht Tagen dazu gebracht, das Futter direkt aus der Hand zu nehmen. Ein neun Fuß langes, also gar nicht einmal sehr großes Exemplar fraß dabei vor meinen Augen einmal dreiundvierzig Pfund Fleisch. Bei guter Pflege wachsen Krokodile sehr schnell. Ich vermute, daß sie mit dem achtzehnten bis zwanzigsten Jahre ungefähr ausgewachsen sind. Der größte Alligator, den ich sah, war zwölf Fuß lang, obwohl man schon Tiere von vierzehn Fuß Länge geschossen haben will. Die meisten Krokodile, die ich importierte, gehörten zu der gewöhnlichen Art Alligator mississippiensis, welcher in den Südstaaten der USA beheimatet ist. Die erste Sendung brachte mir bereits 1856 ein alter Hamburger namens Tischer, der in New Orleans wohnte und sich mit dem Fang von Krokodilen, Schildkröten und anderem Getier beschäftigte. In Bremen wurden die von meinem Vater gekauften Tiere in einen Frachtewer umgeladen, an dessen Deck ich nun in Hamburg etwa dreißig Kästen mit einem bunten Gewirr[190] von Alligatoren aller Größen, Sumpfschildkröten verschiedenster Art, dazwischen Nattern, Klapperschlangen und Ochsenfrösche vorfand. Nach langem Handeln erwarben wir sämtliche Tiere für den Preis von 600 preußischen Talern. Ich erhielt von dem glücklichen Verkäufer dazu als Geschenk einen Alligator von etwa dreieinhalb Fuß Länge. Zwar war mein Präsent auf einem Auge blind, aber – einem geschenkten Gaul sieht man nicht ins Maul. Ich war über das Geschenk hocherfreut.

Die Anlagen zur Aufnahme von Tieren waren damals, in der alten Museumsbude auf St. Pauli, noch sehr primitiv. Ein Teil der Alligatoren wurde in den anfangs beschriebenen Seehund-Bottichen untergebracht. Die Schildkröten wurden fast sämtlich an das Hamburger Museum verkauft. Der Kustos Siegel, später Inspektor des Hamburger Zoo, war ein genauer Kenner derartiger Tiere, die er zu einem großen Teil wieder an verschiedene andere europäische Museen verkaufte. Leichter für uns setzten sich die Krokodile ab, die in der damaligen Zeit für Tierschauen und Museen noch recht seltene Tiere waren. Mein Vater machte ein gutes Geschäft und sein Sohn auch. Meinen einäugigen Alligator verkaufte ich um acht preußische Taler, für einen zwölfjährigen Jungen ein beachtliches Vermögen. Tischer kam auch in den nächsten Jahren mit ähnlichen Transporten in Hamburg an. Dann verschwand er von der Bildfläche. Wie wir hörten, soll er drüben durch einen Schlangenbiß ums Leben gekommen sein.

Im Vergleich mit den großen indischen Krokodilen im Ganges und im Brahmaputra sind die amerikanischen Alligatoren nur Zwerge ihrer Sippe. Einen dieser Riesen hat Kipling zum Gegenstand seiner großartigen Tierschilderung gemacht, sie heißt »Die Leichenbestatter«, und der Held ist eines jener großen Krokodile, Gaviale genannt (Gavialis gangeticus), ein Gigant von vierundzwanzig Fuß Länge, der im Strom unterhalb eines Inderdorfes liegt und den Ort seit Menschengedenken brandschatzt. Das ist der »Mugger von Muggerghat«. Das Ungeheuer lag, wie Kipling es beschreibt, in einem Gehäuse, das aussah wie dreifach vernietete[191] Dampfkesselplatten, mit Nägeln beschlagen, verkielt und verpecht. Die gelben Spitzen der Oberzähne überragten anmutig den schön flötenförmigen Unterkiefer. Ich glaube, der englische Schriftsteller kommt der Wahrheit ziemlich nahe. Zwei derartige Bälge gelangten vor Jahren in meinen Besitz. Mein späterer Reisender Johannsen, damals noch Erster Offizier eines Hansadampfers, brachte die Krokodilhäute mit, die sich noch heute im Kaiserlichen Museum zu Wien befinden.

Dazu erzählte mir Johannsen: Als er mit einem Transport Elefanten von Assam auf einer großen Barke den Brahmaputra hinabfuhr, beobachtete er zwei Gaviale, deren Länge er auf mindestens fünfundzwanzig Fuß schätzte. Er schoß auf die Tiere und bot dem Barkenführer dreihundert Rupien falls er die kostbare Beute an Bord ziehen könnte. Leider war es umsonst, denn infolge der starken Strömung kam man nicht an die geschossenen Krokodile heran. Johannsen sah sogar Riesen von reichlich dreißig Fuß Länge. Er hatte den Auftrag, Gaviale für mich zu fangen. Ausgewachsene lebend zu transportieren, hielt damals zu schwer. Die jungen Exemplare gingen leider auf dem Transport zugrunde. Im Weißen Nil und in den großen afrikanischen Seen gibt es auch Krokodile bis zu zwanzig Fuß Länge. Ich glaube jedoch, daß das Gangeskrokodil das größte unter ihnen ist. Wird man solche Riesen je in der Gefangenschaft sehen?

Quelle:
Hagenbeck, Carl: Von Tieren und Menschen. Leipzig 1967, S. 170-192.
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