Wiederkehr nach Berlin / Eintritt in die administrative Laufbahn

[106] Vor Weihnachten 1800 kehrte der König und der ganze Hof nach Berlin zurück. Mit dem höchsten Enthusiasmus wurden wir empfangen. Aber mit welchen Empfindungen betrat ich mein Haus wieder! Drei Jahre lang war es eine Herberge der Franzosen gewesen (mit Ausnahme der einzigen Stube Eduards),[106] und nun leer, ohne Gattin, ohne Kinder, außer denen, welche ich mitbrachte. – Ein neues Leben mußte abermals begonnen werden. Es wurde dem Königlichen Hause, dem Lehramt, der Wissenschaft und der klinischen und konsultatorischen Praxis geweiht. Die gewöhnliche und Hauspraxis schloß ich aus, vor allem, weil eine durch den dreijährigen Aufenthalt in den Schneeländern bedeutend vermehrte Augenschwäche, besonders Lichtscheu (Photophobie), es mir unmöglich machte, – also ein von Gott verhängtes Hindernis, – dann, weil es nicht an guten Ärzten fehlte, und ich dadurch vielmehr manchen Kollegen weh getan hätte, und endlich, weil es mit dem Lehramte nicht wohl vereinbar war, dem ich mich nun wieder ganz zugewiesen fühlte, und in welchem ich durch Bildung junger Ärzte noch mehr Nutzen stiften konnte. Der neu zu errichtenden Universität richtete ich also meine ganze Kraft zu und fühlte meine natürliche Neigung dafür erwachen, ja, mich ganz wieder Professor. – Schon im März eröffnete ich das Poliklinikum, das erste Institut der Art in Berlin für arme Kranke, wozu der König, als Gedächtnisstiftung seiner Rückkehr, jährlich 1000 Taler bewilligte. Es war das erste Kollegium, womit die Universität eröffnet wurde. Ich[107] hatte die Freude, der erste Dekan der medizinischen Fakultät auf dieser neuen Universität zu sein, mein Sohn Eduard war der erste inskribierte Student, und eine Menge anderer Studenten fand sich ein. Ich resignierte auf den Gehalt von 1500 Talern, der mir als Professor gebührte, um nicht den Schein eigennütziger Absicht bei der Errichtung der Universität auf mich zu werfen. Gott segnete das neue Lehrinstitut sichtbarlich, es blühte auf durch Frequenz und Fleiß der Studierenden, und mein verwaistes Herz fand darin die höchste Befriedigung und Freude. Die wissenschaftlichen Studien wurden lebhaft getrieben. Ich gab zum Druck: Über die Heilquellen Deutschlands, über die Kriegspest, den Conspectus morborum und Materia medica, die Armenpharmakopöe, die jährlichen klinischen Berichte. Im Hause widmete ich mich, so viel als mir irgend möglich, mit Minna der Erziehung der beiden Töchter Laura und Rosalie. Im Jahre 1812 beglückte mich sehr der Besuch der lieben Schwester Amalie. – Eduard machte seine medizinischen Studien, Emil war mein treuer Gehilfe im Klinikum, so ging das Leben ruhig, tätig, segensvoll, wenn gleich mit gebrochenem Herzen, bis 1813.[108]

Es fehlte freilich nicht an mancherlei Reaktionen. Zuerst die Mitglieder des alten Oberkollegium med. und Kollegium med., welche durch die neue Organisation zum Teil auf Pension gesetzt waren, und mir die Schuld davon beimaßen. Alsdann, bei Errichtung der Universität, die Reilschen Schüler, welche sich als höher und philosophischer gebildet, und sich als die Sonnen-, meine Schüler als die Erdkinder betrachteten. Aber in beiden Fällen übte ich ein altes und mir immer nützlich gewesenes Liebesgesetz aus: die Augen und den Geist davon weg zu wenden, keine Zuträgereien und Klatschereien anzunehmen, die Sache ganz als nicht existierend zu betrachten. So blieb meine Seele ruhig, mein Betragen gegen die Leute dasselbe, und weder Haß noch Bitterkeit, ja nicht einmal Unfreundlichkeit, konnte Platz finden. Und dies wirkte selbst auf der andern Seite versöhnend ein.

Auch suchte ich zur Vereinigung, und um einen mehr wissenschaftlichen Geist in Berlin zu wecken durch Errichtung der medizinisch-chirurgischen Gesellschaft (den 1. Februar 1810 eröffnet), mitzuwirken, welche den besten Erfolg und ein dauerhaftes Gedeihen hatte.[109]

Quelle:
Hufeland. Leibarzt und Volkserzieher. Selbstbiographie von Christoph Wilhelm Hufeland. Stuttgart 1937, S. 106-110.
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