Zur Systematik der Coleopteren.

[63] Man hat Mitte des vorigen Jahrhunderts die Käfer nach dem Latreilleschen Tarsalsysteme eingeordnet. Dieses System, das zahlreiche Ausnahmen von der Regel aufwies, hat man sukzessive durch eingeschobene Charaktere, welche hauptsächlich der sehr wichtigen u. vielgestaltigen Bildung der Mundwerkzeuge entnommen wurden, ausgebaut. Später hat Prof. Thomson in Lund in seinen »Scandinaviens Coleoptera« bei seiner Systematik den ganzen Bau des äusseren Hautskelettes verwendet, wodurch das System in eine leichter fassliche Form gebracht wurde, an die sich die nachfolgenden Systematiker zum grössten Teile angelehnt haben. Er war es auch, welcher die Gestalt des männlichen genitalen Haftapparates zur Unterscheidung vieler kritischer Arten zuerst benützte u. dadurch das Studium der Käfer in neue Bahnen lenkte.

Die nordamerikanischen Coleopterologen John L. Leconte u. George H. Hörn haben schon im Jahre 1883 in ihrer »Classification of the Coleoptera of North America« eine von der auf europäischem Boden gangbaren abweichende Systematik der nordamerikanischen Käfer in schöner Prägnanz u. Kürze gegeben. Sie haben dadurch, dass sie die Käfer in Coleoptera genuina u. in Coleoptera Rhynchophora (Rüssler), also in 2 grosse Teile zerlegten u. diese wieder in verschiedene Familienreihen spalteten, ferner die Adephagen unter ihren Coleoptera genuina sehr richtig präzisierten, zur Klärung des neuen Systems beigetragen, an dessen Begründung sich anfangs dieses Dezenniums hauptsächlich die Herren Sharp, Lameere, Kolbe, Ganglbauer u. Peyerimhoff beteiligt haben u. das besonders auf das Flügelgeäder, die innere Organisation des Körpers, sowie auf die Jugendstadien der Insekten (besonders deren Larven) Rücksicht nimmt. Direktor L. Ganglbauer hat in einer grossen, gediegenen Studie die Forschungen obiger Gelehrten resümiert u. nachgeprüft u. das zur Zeit bestehende neue System fixiert, soweit sich dies mit einiger Sicherheit tun liess; nur einige kleine Gattungsgruppen mussten dabei vorläufig provisorisch zugeteilt werden.

Ein kleines Bild des ursprünglichen Latreilleschen Tarsalsystems wäre etwa, so weit unsere Fauna in Betracht kommt, folgendes:


Alle Tr. mit 5 Gld. I. Pentameren.

Die Tr. 5gliederig, nur die

hintersten allein 4gliederig II. Heteromeren.

Alle Tr. mit 4 Gld. III. Tetrameren.

Alle Tr. nur mit 3 Gld. IV. Trimeren.


Zu den Pentameren wurden gezählt die Cicindelidae, Carabidae, Dytiscidae, Gyrinidae, Hydrophilidae, Staphylinidae, Silphidae, Histeridae, Lamellicorniae, Dermestidae, Buprestidae, Elateridae, Telephoridae u. Cleridae, sowie verschiedene andere kleinere Familien.

Zu den Heteromeren, welche als eine Gruppe zahlreicher, eng verwandter Familien auch heute noch gut charakterisiert zu Recht bestehen, die Tenebrionidae, Alleculidae, Melandryidae, Mordellidae, Rhipiphoridae, Meloidae, Pyrochroidae, Anthicidae, Oedemeridae u. Pythidae.

Zu den Tetrameren die Cerambycidae, Chrysomelidae, Curculionidae, Bruchidae (Lariidae) u. Scolytidae.

Zu den Trimeren die Coccineliidae, Lathridiidae u. Pselaphidae, durchaus heterogene Formen, welche die Unhaltbarkeit dieser Abteilung illustrieren u. die im neuen Systeme völlig aufgelöst erscheinen.

Dabei mag aber anerkannt werden, dass Latreilles Tarsalsystem einen wesentlichen Fortschritt in der natürlichen Systematik angebahnt hatte; es war sozusagen das erste System, welches einen natürlichen Boden unter sich fand u. einige Gattungsgruppen, wie z.B. die Heteromeren, stehen noch heute in den von Latreille gegebenen systematischen Grenzen.

Quelle:
Edmund Reitter: Fauna Germanica. Die Käfer des deutschen Reiches. Stuttgart: K.G. Lutz, 1908, S. 63-64.
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