Karlsruhe. Baden

1819

[302] Der Anfang dieses Jahres traf mich krank, auf ein katarrhalisches Fieber folgte eine große Mattigkeit, die mich nicht ganz am Schreiben hinderte, wohl aber jedes Ausgehen mir[302] verbot. Durch Tettenborn, der mich fleißig besuchte, bekam ich stets die frühesten und besten Nachrichten von allem, was vorging oder beabsichtigt wurde. Sein eignes Verhältnis mußte dabei hauptsächlich mit in Betracht kommen. Er täuschte sich nicht über die Gesinnungen, die man für ihn hegte; daß der Großherzog ihm für die außerordentlichen Dienste, die er dem badischen Haus und Lande geleistet hatte, dankbar und persönlich gewogen war, verkannte er nicht; allein er fühlte auch recht gut, daß die Überlegenheit, in welcher er dadurch sich gezeigt, jetzt nach erlangtem Erfolge dem Fürsten schon unbequem zu werden begann und bald entschieden lästig fallen mußte; auch sah er sehr wohl, daß sein Freund Berstett sichtbar von einer Gegenwart litt, die ihn immerfort in den Schatten stellte. Die Beeiferung, alle Hindernisse zu beseitigen, welche Tettenborns Abreise nach Wien noch verzögern konnten, war auffallend und wäre unter andern Umständen beschämend erschienen; allein Tettenborn, indem er die Triebfedern, welche hiebei walteten, unwillig rügte, war mit dem Ergebnisse selbst doch vollkommen zufrieden und lachte nur über die Bemühungen, die ihn seinem Ziele schneller, als er gehofft, entgegenführten. Er sehnte sich aus dem kleinen, engen Hofkreise voll untergeordneter Ränke nach dem großen freien Leben in Wien, wo er einen seiner glänzenden Eigenschaften würdigeren Schauplatz fand, und konnte den Tag der Abreise kaum erwarten.

Den Großherzog kümmerten die großen politischen Verhältnisse wenig, seine Aufmerksamkeit war auf solche gerichtet, die ihn unmittelbar angingen, und besonders erfüllte ihn die neue Stellung, die er in seiner eignen Familie jetzt einnahm. An seinen Regierungsvorfahr und Neffen mußte er immer zurückdenken und benutzte jeden Anlaß, sich in dem Gegensatze zu spiegeln, der zwischen Sonst und Jetzt ihm sich aufdringen mußte. Mit Eifer suchte er über manches, was ihm früher Zweifel oder Unruhe verursacht hatte, jetzt näheren Aufschluß, und es kam allerlei an den Tag,[303] was ihm Verdruß oder Beschämung erregte. Von anderer Seite wurde ihm bei solcher Untersuchung eine heitere Befriedigung.

Im Karlsruher Schlosse war eine ganze Reihe von Zimmern, die der vorige Großherzog nach und nach hatte schließen lassen und in welche seitdem kein menschlicher Fuß noch Blick hatte dringen dürfen. Er pflegte von frühster Zeit her alles, was er empfing, welcher Art und zu welchem Zweck es auch sein mochte, ruhig beiseite zu legen; niemand durfte die Sachen anrühren, auch er selbst nahm sie nicht wieder in die Hand; alle Versuche, ihn zu einer Verfügung darüber zu bewegen, alle oft bekümmerten Bitten um Rückgabe scheiterten an seiner eigensinnigen Trägheit; war ein Zimmer auf diese Weise genugsam gefüllt, so nahm er den Schlüssel zu sich, und in einem andern begann dasselbe Verfahren aufs neue. Diese Zimmer waren nun eröffnet worden, und es fand sich eine Welt von Sachen hier aufgehäuft, ein Durcheinander von Kostbarkeiten und Trödelkram der mannigfachsten Art. Aus seinen Kinderjahren sah man wertvolles Spielwerk, das er nie angerührt hatte; ebenso eine Menge von Geldpäckchen, welche die Aufschrift führten: »Kapitänsgage für Seine Durchlaucht, den Prinzen Karl«, der wiederholte Monatssold der Hauptmannsstelle, die ihm als Knaben war verliehen worden; dann wieder Zwanzigkreuzerstücke, sorgfältig eingewickelt, aber auch wieder ganze Schubladen voll Goldrollen, kostbaren Dosen, Ringen und andern Schmucksachen im Betrage von mehr als dreimalhunderttausend Talern, alles seit vielen Jahren ungenützt daliegend, während er bis zuletzt oft um kleine Summen in Verlegenheit war und sie nicht anders als zu 16 Prozent Zinsen anzuschaffen wußte! An Büchern, Landkarten, Bittschriften, Akten, Bildern, versiegelten Briefschaften und andern Papieren fand sich ein ungeheurer Wust, bedeckt von Staub, Depeschen, die man seit Jahren vermißt und auf unbegreifliche Weise verloren geglaubt hatte, Urkunden, die ihm eingereicht worden waren und wegen deren Mangels[304] große Geschäfte gestockt, die Geschicke manches einzelnen schweren Nachteil erlitten hatten. Kunstsachen, kostbare Waffen und andere wertvolle Seltenheiten, die ihm bloß zur Ansicht eingesandt oder zum Kauf waren angeboten worden, wurden zwischen gestickten Hofkleidern, Maskenanzügen, Federhüten aufgefunden; von manchen Gegenständen waren die Eigentümer nicht mehr zu ermitteln, von andern erinnerte man sich, daß Klage deshalb erhoben und die Hofkasse für Dinge, die nie gebraucht und nie mehr gesehen worden, große Summen hatte zahlen müssen.

Ganz in derselben Weise wie mit den erwähnten Sachen war der Großherzog auch mit Personen verfahren, und wäre es nur allein auf ihn angekommen, so hätte mancher seiner Lieblinge ganz in seiner Nähe in engem Verschluß verhungern können. Seine Zögerungen und Verneinungen, in denen kein abschlägiger Entscheid, sondern stets nur ein Hinhalten lag, brachten seine Geschäftsleute und vertrauten Diener oft zur Verzweiflung. Wie der General Stockhorner von Starein ein halbes Jahr lang jeden Tag und jede Stunde bereit sein mußte, als Gesandter nach St. Petersburg abzureisen, und doch statt seiner plötzlich der General von Schäffer wirklich dorthin abging, ist schon erwähnt worden. Offiziere, die nach Karlsruhe gekommen waren, um die Muster von neuen Uniformstücken in Empfang zu nehmen, mußten, weil er die Genehmigung noch nicht erteilt hatte, jahrelang verweilen. Den Bauer Vogt aus Baden, der ein Anliegen bei dem Großherzog hatte und ihm gut empfohlen war, ließ er nach Karlsruhe bescheiden und im Wirtshause gut verpflegen, mit dem Befehl, nicht von der Stelle zu gehen; das dauerte fast ein Jahr; der Bauer brachte die Zeit zwar in ungewohntem Wohlleben, aber auch in einem auferlegten Müßiggange hin, der ihn fast zur Verzweiflung brachte; die Kosten seines Unterhalts betrugen mehr, als sein ganzes Anliegen wert war, und als er endlich ohne dessen Gewährung trostlos heimkehrte, fand er seine vernachlässigte Wirtschaft zu bejammern.[305]

Der Großherzog Ludwig entnahm aus der Betrachtung dieser Charakterzüge seines Neffen den beruhigenden Trost, daß es für das Land kein Glück gewesen wäre, wenn die frühere Regierung fortgedauert hätte, und daß Baden jedenfalls in ihm einen bessern Landesfürsten gewonnen habe, von dessen Pflichten er die strengsten Begriffe gern aufstellte. Wirklich waren seine nächsten Handlungen ganz in diesem Sinne. Zuvörderst ließ er bekanntmachen, daß er jeden Mittwoch persönliches Gehör gebe, wo ohne Unterschied jedermann, wer etwas zu klagen, zu bitten oder sonst anzubringen habe, ungehindert bei ihm eintreten, seine Sache vortragen und freundlichen Bescheid gewärtigen könne. Sodann erklärte er, daß er beschlossen habe, in Erwägung der Familienverhältnisse und des Landeswohls, sich nicht zu vermählen, indem die kaum festgesetzte Erbfolge der neuen Markgrafen dadurch zurückgeschoben und künftig neuer Anfechtung würde bloßgestellt werden. Sowohl jener Einrichtung als diesem Vorhaben wurde von allen Seiten der einstimmigste Beifall zuteil. Der Großherzog gewann die Liebe des Volks in höchstem Grade, und er bekannte, daß nichts ihm so wohltue, als die Leute sagen zu hören, sein ruhmvoller Vater sei in ihm wieder aufgelebt. Daß er Sparsamkeit in den Hof- und Staatsausgaben einzuführen beabsichtige, daß er mit Hülfe der Stände sogleich den Ausfall im Staatshaushalte decken und beseitigen wolle, war schon bekannt, und niemand konnte den Ernst dieser Vorsätze bezweifeln. Bedenklicher, und für rechtliche Gesinnung verletzend, erschien die im stillen angeregte Frage, ob die verwitwete Großherzogin Stephanie den Betrag einer ansehnlichen Rente, die ihr vertragsmäßig durch den Kaiser Napoleon, als er Nellenburg an Baden gab, auf diese Landschaft zugesichert war, ferner beziehen solle; das Recht war unzweifelhaft und mußte anerkannt werden; der Versuch aber, dasselbe anzugreifen, kam von einer Seite her, wo der edlen Frau von jeher gehässige Widerwärtigkeiten bereitet wurden, und niedrige Höflinge, an ihrer Spitze der Baron[306] von Ende, hofften durch solches Bemühen, das man als Eifer für Ersparungen darstellte, sich beliebt zu machen. Die Verhandlungen, welche Berstett mit dem standesherrlichen und grundherrlichen Adel anknüpfte, um demselben die Verfassung annehmlicher zu machen und gegen deren Geist besondere Vorteile zu sichern, waren noch zu wenig reif und bekannt, um Argwohn oder Mißfallen zu erwecken. Die gute Meinung und Zuversicht, die dem Großherzog von allen Seiten entgegenkamen, erlitten keine Trübung und strömten in voller Stärke.

Seine Freundlichkeit und trauliche Neigung für mich zeigte sich mit jedem Tag entschiedener und wie mit Absicht. Wäre das preußische Verhältnis allein hier bestimmend gewesen, so hätte ihm Küster höher stehen müssen; er bekannte aber ausdrücklich, daß er meinen näheren Umgang liebe, mein Urteil, meinen Rat wünsche. Seit ich, ziemlich genesen, wieder ausging, ließ er mich oft rufen, um sich mit mir über alles mögliche zu besprechen; er verlangte, daß ich ihn nach eignem Belieben besuchen sollte, jeden Tag, jede Stunde in der mir bequemsten Weise. Da mir nichts weniger im Sinne lag als eine angehende Günstlingschaft, die zu benutzen und auszubeuten ich mich ganz unfähig fühlte, so hatte diese außerordentliche, schon deshalb gefährliche Bevorzugung etwas Ängstliches, und ich war gleich entschlossen, nur den sparsamsten Gebrauch von ihr zu machen. Allein das half mir wenig; kam ich nicht so, wie er es gewollt, zu ihm, so kam er zu mir und machte die Sache nur noch auffallender. Er traf mich nicht zu Hause, trat aber dafür bei Rahel ein, unterhielt sich mit ihr aufs angelegenste, sprach wiederholt seine redlichen Grundsätze aus, daß das Regieren nicht als selbstischer Genuß, vielmehr als eine schwere Pflichterfüllung zu betrachten, der Fürst kein Eigentümer, der Staat kein Landgut sei, und ließ sie entzückt von seinem vortrefflichen Willen und aufrichtigen Benehmen. Ich war unterdessen bei Berstett, mit dem ich in Geschäften zu sprechen hatte, die bald abgetan[307] waren; er aber spann die Unterhaltung behaglich weiter, und erst nach dem Verlauf einer halben Stunde rief er, als wenn es ihm eben erst einfiele, plötzlich aus: »Aber mein Gott! Ich halte Sie hier unnötig auf, und unterdessen ist der Großherzog bei Ihnen! Ehe Sie zu mir kamen, war ich zum Vortrag bei ihm, und er sagte beim Schlusse, jetzt wolle er zu Ihnen gehen!« Ich zog die Uhr und bemerkte, daß es nun wohl zu spät sein werde. In der Tat war die Gelegenheit versäumt. Daß Berstett dies beabsichtigt hatte, verriet deutlich der Ausdruck, mit dem er sein spätes Besinnen spielte; seinen Zweck aber, dergleichen Verkehr zu vereiteln, erreichte er durch das plumpe Kunststück nicht, denn der Großherzog wiederholte seinen Besuch und wurde nur immer vertraulicher.

Im Anfange des Februars trafen aus Berlin für Küster und mich die neuen Beglaubigungsschreiben ein. Küster, der schon nach Stuttgart zurückgekehrt war, kam deshalb wieder nach Karlsruhe. Bevor wir aber unsere Audienz hatten, ließ mich der Großherzog insbesondere zu sich rufen und sprach mir seine Freude darüber aus, daß ich ihm verbliebe, als auch darüber, daß unserem geheimen Anliegen in Berlin, wie mir von dort vorläufig berichtet war, die glücklichste Erledigung schon zuteil geworden. Von Berstett empfing ich ein beglückwünschendes Schreiben, dessen schmeichelhafter Inhalt mich insofern überraschte, als ich von seiner Hand einen solchen Ausdruck nicht erwartet hatte. Er sagte darin: »Mit innigstem Vergnügen vernahm ich gestern, daß Euer Hochwohlgeboren bereits ein neues Beglaubigungsschreiben erhalten haben. Seine Königliche Hoheit der Großherzog zählen es gewiß zu den schätzenswertesten Beweisen des Wohlwollens, welche Höchstdieselben dem König von Preußen verdanken, daß es Seiner Majestät gefallen hat, zur Erhaltung der so glücklich bestehenden freundschaftlichen Verhältnisse, einen Mittelsmann zu wählen, welcher sich in einem so hohen Grade das Zutrauen des Souveräns sowohl als die allgemeine Achtung aller derjenigen erworben hat,[308] welche Dienst- oder gesellschaftliche Verhältnisse Ihnen näherbrachten. Meine persönlichen Gesinnungen sind, wie ich mir schmeichle, Euer Hochwohlgeboren so bekannt, daß es überflüssig wäre, Ihnen noch ein Wort über den hohen Wert zu sagen, den ich auf die Erhaltung der unter uns bestehenden vertraulichen und freundschaftlichen Verhältnisse lege. Das edle und energisch-biedre Benehmen Euer Hochwohlgeboren während einer der schwierigsten Epochen in der neu-badischen Geschichte – Ihre Teilnahme an unserer gerechten Sache – sind unauslöschliche Verdienste, die Sie sich, nicht um Baden allein, sondern um alle minder mächtigen Bundesstaaten erworben haben und die meinem Gedächtnis gewiß nie entfallen werden!« Küster, dem ich dies Schreiben mitteilte, war über die Fassung erstaunt und drückte sein Befremden aus, daß der günstige Anteil, welchen Preußen für Baden in dessen letzter Krisis bezeigt, ausschließlich mir angerechnet werde, und war nicht wenig erstaunt, als ich ihm vertraulich eröffnete, was alles ich in dieser Sache und meist auf eigne Verantwortung getan hatte. »Sie haben viel gewagt«, sagte er, »ohne Auftrag und Weisung so weit vorzugehen, und ich hätte es an Ihrer Stelle nicht getan.« Als wir am 6. Februar unsere Audienz hatten, war Küster sehr zufrieden, daß vorzugsweise ihm als dem Höhergestellten vom Großherzog Ehren und Aufmerksamkeit erwiesen wurden, ich aber bescheiden mich zurückhielt. Doch dies Vergnügen wurde ihm gleich wieder vergällt, als er erfuhr, daß nach unserer Entlassung ich wieder zurückgerufen worden und bei dem Großherzog noch eine gute Stunde in vertraulichem Gespräch geblieben war. Ich bedaure, dergleichen kleinliche Züge mitberichten zu müssen, aber sie gehören zur Eigenheit des ganzen Lebensbildes und sind auch ihres Zusammenhangs und ihrer Folgen wegen nicht unwichtig.

Küster, der wohl fühlte, daß er in Karlsruhe nicht beliebt war, wo man auch wohl Äußerungen, die er in München getan, übel vermerkt hatte, reiste am 11. Februar mißvergnügt[309] nach Stuttgart zurück. Kaum war er fort, so erschien Berstett bei mir und brachte mir im Namen des Großherzogs das Großkreuz des Ordens vom Zähringer Löwen, begleitet von den schmeichelhaftesten Versicherungen, wobei ausdrücklich gesagt wurde, daß schon der vorige Großherzog diese Auszeichnung mir zugedacht habe und der jetzige mit Freuden eine Pflicht erfülle, die mit so vielen andern ihm vererbt worden. Was von Titeln und Orden zu halten und was sie für den Inhaber beweisen, darüber ist die Welt längst im klaren; man weiß, daß sie bisweilen auch dem Verdienst, hauptsächlich aber aus Gunst vergeben werden. Aber gerade dieser letztere Umstand bedingt ihren Wert; denn der Begünstigte steht überall im Vorteil, und das Maß der Gunst in solchen Zeichen zu erkennen, ist den Leuten, welche darauf ihren Sinn gerichtet haben, von größter Wichtigkeit. Daß ich, der nicht einmal Gesandter war, der nur Legationsrat hieß, ein Großkreuz mit Stern und Band erhielt, war ein unerhörter Fall, in Baden unerhört und in Preußen; das Aufsehen und Staunen über diese Verleihung waren daher ungeheuer; man konnte nicht begreifen, daß das Überschreiten gewohnter Stufen, das Nichtbeachten herkömmlicher Maßbestimmung so weit gehen könne. Der hannöversche Gesandte von Reden beglückwünschte mich aufrichtig und herzlich, in der Meinung, ich habe das Kommandeurkreuz erhalten, als er aber vom Großkreuz hörte, geriet er in Verwirrung, verfärbte sich und sagte dann seufzend: »Nun dann – dann – kann man Ihnen gar nicht gratulieren, dann sind Sie über alle Gratulation hinaus!« Auch in Berlin setzte man anfangs einen Irrtum voraus und wußte nicht, wie man die Sache nehmen sollte, doch die übliche Erlaubnis zur Annahme konnte nicht ausbleiben. Was aber für die andern nur ein Gegenstand lauten Verwunderns und etwa stillen Neides war, empfand Küster als einen ihm zugefügten furchtbaren Schlag, als einen Raub dessen, was seiner Meinung nach, schon wegen seines Ranges, ihm und nur ihm gebührt hätte. In seinem nächsten[310] Brief an mich verhehlte er seine gereizte Empfindlichkeit nicht, und ich erfuhr, daß er mündlich in Stuttgart und schriftlich in Berlin seinen erbitterten Äußerungen den freisten Lauf gelassen habe. Doch war ich an seiner Kränkung ganz unschuldig; mich hatte früher Tettenborn mit der Nachricht überrascht, daß der Großherzog Karl mir dergleichen zugedacht, ich hatte mich nicht darum beworben noch darauf gerechnet; nach seinem Tode schien die Sache verfallen, sie kam dann unerwartet aus der Hand seines Nachfolgers, der am wenigsten geneigt schien, das Geleise pedantischer Stufenfolge zu verlassen; man hatte mich nicht gefragt oder zu Rate gezogen, von Küster war nie die Rede gewesen, ich hatte mich gegen ihn stets ehrerbietig verhalten und nie das Geringste – er selbst freilich nur zuviel – getan, um ihn in den Schatten zu stellen. Nichtsdestoweniger war ich ihm von nun an eine verhaßte Person, und sein Mißwollen trug in der Folge sehr dazu bei, andere Verstimmung gegen mich zu wecken oder zu schärfen, ja zuletzt die Wendung herbeizuführen, die mich von Karlsruhe wegführte und nach Nordamerika verschlagen sollte. Das Geschenk, welches mir eine Belohnung sein sollte, war demnach eher ein unheilbringendes, auch in diesem Bezuge, daß nun der Großherzog, indem er sich wohl bewußt war, das Außerordentlichste, für mich getan zu haben, nun auch bestimmt darauf rechnete, ich solle persönlich unbedingt ihm anhängen. Ähnliches mochte Berstett sich einbilden.

Gleich in diesen Tagen mußten solche Voraussetzungen hart anstoßen. Ich war beim Großherzog zugleich mit Berstett, und im behaglichen Plaudern kam die Rede auch auf Tettenborn, zu dessen Nachteil Berstett dem Großherzog schon vorher manches beigebracht haben mochte, und jetzt galt es den Versuch, jenen auch durch mich preisgeben und verleugnen zu lassen. Mit der Geschicklichkeit, welche ränkevollen Übelsprechern nie fehlt, machte Berstett eine Bemerkung, in welcher eine Schmeichelei für den Großherzog, für Tettenborn aber eine Geringschätzung lag, und richtete dann[311] geradezu an mich die Aufforderung, ich solle nur eingestehen, daß unser alter Freund in Karlsruhe wenig nütz und sehr unbequem gewesen sei! Das Herz schlug mir aus Empörung über solche Falschheit, und da ausdrücklich mir die Antwort zugemutet war und der Großherzog mich neugierig ansah, so fühlt ich, daß ich nicht schweigen durfte, und mit dem Feuer des Unwillens schlug ich den hämischen Angriff zurück, setzte Tettenborns ehrlichen Mut und Sinn sowie sein großes Verdienst in volles Licht und bekannte mich als einen seiner Getreuen, der nie von ihm abfallen werde. Berstett verstummte zuerst, lenkte dann ein und wollte die Sache verwischen, wußte jedoch nun für immer entschieden, was er von mir zu halten habe, daß ich nicht für ihn zu gewinnen, sondern ein Freund des Freundes, den er verriet, also ein Feind sei, und er hatte die Genugtuung, daß auch der Großherzog über meinen Eifer verwundert und mich lächelnd ob meiner Unklugheit zu bedauern schien.

Wenn ich mit Rahel diese Vorgänge und Verhältnisse besprach, so gelangten wir einstimmig immer aufs neue zu dem Ergebnis, daß in diesem Widerstreite keine Ausgleichung zu hoffen sei und meine Stellung in der Fortdauer unhaltbar werden müsse. Die außerordentliche Gunst des Großherzogs gründete sich auf Umstände, die ich mir als zufällige eingestehen mußte, deren Wechsel unausbleiblich war und deren Fortbestehen ich selbst nur höchst bedingterweise wünschen konnte. Um den Ansprüchen zu genügen, die an mich gemacht wurden, hätte ich badischer Minister werden müssen, und dies wäre denn doch keineswegs leicht zu erlangen, noch weniger aber von meiner Seite zu wünschen gewesen; auch alsdann hätte meine Denkart auf tausend Hindernisse stoßen und sich mehr oder minder verleugnen müssen; der Fürst, der mir jetzt so sehr gewogen war und dem meine Tätigkeit genutzt hatte und deshalb gefallen konnte, gehörte doch im ganzen einer weit zurückliegenden Zeit und solchen Gewohnheiten an, die mit meiner Richtung nicht zusammengingen, und wäre es mir[312] gelungen, den alten, geistig schwachen, aber zugleich störrischen und sich klug dünkenden Mann einzeln völlig zu gewinnen, so hätte doch das nie mit der ganzen Familie und dem ganzen Hofe geschehen können, und die Macht dieser Einflüsse wäre zuletzt die herrschende geblieben. Schon jetzt besaß Berstett, durch sein Halten auf Stand und Rang, auf Hergebrachtes und doch dem äußern Vorteil Fügsames, ein entschiedenes Übergewicht, das, gleichviel ob in seinen oder in andern Händen, sich in der Folge nur mehren konnte. Was in meinem preußischen Verhältnis lange Zeit schlummern oder schweigen durfte, der Zwiespalt persönlich gehegter Ansichten und amtlich gebotener, mußte hier geschwind hervorbrechen. Wir täuschten uns nicht und sahen mißtrauisch auf den guten Anschein, der uns so sehr beneidet wurde. Jedoch hatten wir deshalb nicht eben große Sorge. Die badischen Sachen waren mir ohnehin zu enge, als daß ich den Blick auf sie ausschließlich hätte beschränken mögen. Ein größerer Gesichtskreis lag vor mir offen, der des preußischen Staates, des deutschen Vaterlandes, der allgemeinen politischen Entwickelung, des Fortschreitens der Völker zur Selbständigkeit, zur Freiheit. Allerdings war ich vorzugsweise mit Baden beschäftigt, aber meine Teilnahme richtete sich mit gleichem Eifer auf alles Verfassungswesen, auf die Tätigkeit des Bundestages, die katholisch-kirchlichen Angelegenheiten, die der Mediatisierten und des Adels überhaupt, vor allem auf den Kampf der Liberalen in Frankreich, von dem alles andere abhängig erschien. Durch Briefwechsel und Zeitungsaufsätze suchte ich nach besten Kräften auf alle diese Gegenstände mitzuwirken und hatte die Genugtuung, öfters der guten Sache meine Dienste wahrhaft ersprießlich zu sehen. Dabei vergaß ich meine Freunde nicht, für Tettenborn und Lindner, für Bentheim und Oelsner und auch für Wessenberg, wo sie selbst oder ihre Sache angefochten wurde, wie für die verfolgten Franzosen brach ich manche Lanze. Die »Minerve française« half ich verbreiten und in ihrem Ansehen stärken, die kräftige[313] Schrift von Bailleul gegen die einseitigen wahrheitswidrigen Betrachtungen der Frau von Staël über die Französische Revolution erschien deutsch in der Übersetzung von Lindner, die ich nachdrücklich empfahl, den König von Württemberg versorgt ich ferner mit mancherlei politischen Anregungen, die ihm gewiß von keinem seiner Gesandten zukamen.

Inzwischen hatte der Großherzog in Gemäßheit der Verfassung ein Statut ausarbeiten und veröffentlichen lassen, welches die Verhältnisse und Rechte seiner Staatsdiener näher bestimmte und deren Stellung sowohl während ihrer Amtsführung als nach derselben angemessen sicherte; man ging vielleicht zu weit und machte sie von der Regierung unabhängiger als nötig; denn bei der Wirksamkeit ständischer Kammern durfte, ja mußte sogar der Regierung in der Wahl und dem Gebrauch ihrer Werkzeuge und Wortführer freiere Hand gelassen werden. Man konnte sich erinnern, daß jedes Amt sich möglichst unabhängig zu machen strebt, ja daß die jetzigen regierenden Fürsten nichts anderes als einstige Beamten gewesen, die ihr Amt zur Selbstmacht erhoben haben. Allein in den kleinen Ländern des ehemaligen Deutschen Reiches hatten die Grundsätze Mosers über die Berechtigung der Staatsdiener, die eine Art von Landesvertretern sein sollten, sich dergestalt eingenistet, daß jenes Statut allgemeinen Beifall und auch bei den verstockten Junkern, denen die Verfassung ein Greuel war, kaum Widerspruch fand.

Wenn sie dieses Feld preisgaben, so waren sie desto tätiger auf dem ihrer eigenen Vorrechte, die sie nicht nur innerhalb der Verfassung möglichst befestigen, sondern auch, trotz derselben, möglichst erweitern wollten. Mit den mediatisierten Fürsten und Grafen wurde vereinzelt unterhandelt, und man gewann dadurch, daß sie ihre Gemeinsamkeit aufgaben, über sie den größten Vorteil. Sie verdarben ihre Sache besonders auch dadurch, daß sie das Volk außer acht ließen und ihre Vorrechte nicht, wie es sich gebührt[314] hätte, dem Oberherrn als dessen Beschränkung abzugewinnen strebten, sondern zur Belastung der nun zwiefachen Untertanen werden ließen. Ehrenrechte mancher Art, zum Beispiel Trauergeläute in ihren Gebieten, wurden ihnen bereitwillig zugestanden, dagegen solche, welche die regierende Familie zu nah berührten, wie der begehrte Eintritt in die Hofloge des Theaters, rund abgeschlagen. Der erste Mediatisierte, der seine Verhandlungen mit der Regierung zum Abschluß brachte, war der Fürst von Fürstenberg; ihm wurde die Sache sehr erleichtert, indem er durch seine Verbindung mit der früheren Gräfin von Hochberg, nachherigen Prinzessin von Baden, als Mitglied der großherzoglichen Familie angesehen wurde. Beide Seiten glaubten bei dieser Heirat einige Opfer zu bringen, aber sie wurden weit überwogen durch die beiderseitigen Vorteile. Der Stolz des alten, angesehenen und reichen Hauses Fürstenberg ergab sich in den der Prinzessin von mütterlicher Herkunft und noch ganz neuer Standeserhöhung anhaftenden Makel, hinwieder stieg die jetzt einem regierenden Hause doch wirklich angehörende Prinzessin aus diesem in ein mediatisiertes hinab; dafür aber bekam diese einen jungen, liebenswürdigen, reichen und allen regierenden Herren doch ebenbürtigen Gemahl, und dieser wurde durch die an Schönheit und Gemüt ausgezeichnete Gattin Schwager des künftigen Großherzogs. Die andern Mediatisierten waren über diesen Schritt Fürstenbergs nicht wenig betroffen, sie mißbilligten ihn sehr und nannten ihn wohl gar einen Verrat an ihrer gemeinsamen Angelegenheit, an deren Betreibung er nun keinen Teil mehr nahm. Wir sahen ihn oft in dieser Zeit gesellschaftlich bei uns, wo er dann diese Verhältnisse nach seiner unbefangenen heitern Weise lebhaft besprach und über seine verstockten Standesgenossen scherzte, die trostlos am Vergangenen hingen und darüber die Gegenwart versäumten.

Unterdessen rückten die Verhandlungen in Frankfurt, welche in der badischen Gebietssache noch immer einen Rest von Schwierigkeiten zu beseitigen hatten, langsam fort.[315] Es schien, als ob Österreich einen Zipfel dieses Flickwerks noch immer festhalten wollte, Bayern wieder einige Hoffnung hegte, das Ganze nochmals in Frage zu stellen, und die wenige Beeiferung Englands und Frankreichs, den festgesetzten Ausgleichungen beizustimmen, erregte in Karlsruhe stille Besorgnis. Die kleinen Diplomaten machten sich wichtig, unendliches Geträtsch ging hin und her, man hatte Mühe, sich dessen zu erwehren und in keine der Fallen zu geraten, welche von kleinlicher Arglist gestellt wurden. Weil Frankreich seine Erklärung noch zurückhielt, was keinen andern Grund hatte als die geringe Wichtigkeit, welche man in Paris einem untergeordneten deutschen Handel beilegte, meinte eine kleine Partei, die während der Rheinbundszeit obenauf gewesen war und dies nicht vergessen konnte, Baden müsse vor allem wieder an Frankreich sich anschließen als an den mächtigsten und nächsten Nachbar. Dergleichen fand nun freilich beim Großherzog kein Gehör, und Berstett hatte sich ganz und gar der Leitung des russischen Gesandten von Anstett in Frankfurt hingegeben, der sein Gönner und Meister war. Durch diese Hülfe kam auch bald wieder Klarheit in die verdüsterte Angelegenheit, und sie erschien auf so gutem und sichern Wege, daß man sich in betreff ihres Ausgangs aller weitern Sorgen entschlug.

Dem Großherzog war alles, was Preußen betraf, empfindlich, als wenn es ihn mitbeträfe, und wirklich trat er schon förmlich als preußischer General auf und freute sich herzlich des Tages, an welchem er zum erstenmal in der preußischen Uniform erscheinen konnte, die ihm der von Berlin zurückgekehrte Kurier Hennenhofer nach sorgfältigen mitgenommenen Maßen dort hatte machen lassen. Allein während der Großherzog in seinem neuen Schmucke vergnügt prunkte und seinem eignen Militär gewaltig zu imponieren meinte, mißfiel einem großen und dem regsamsten Teile der badischen Offiziere dieses fremde Verhältnis; sie glaubten die Uniform, welche sie selber trugen, dadurch herabgesetzt und stellten dem erneuten preußischen Kriegsruhm trotzig[316] den entgegen, welchen sie aus den Siegeszügen Napoleons davongetragen. Sie hörten mit Verdruß, daß demnächst alle badischen Truppen nach dem Muster der preußischen gekleidet werden sollten, und es wurden Stimmen laut, welche bei solcher Zumutung mit Verweigerung des Gehorsams drohten. Doch wie gewöhnlich in solchen Fällen mäßigte sich der große Zorn wieder; der Großherzog, gewarnt, zeigte sich abwechselnd in preußischer und badischer Uniform, zeigte hin und wieder ein ungnädiges Gesicht, und in kurzer Zeit waren die kecksten Widersprecher so mürbe geworden, daß bei der später wirklich erfolgten Umbildung niemand sich mehr erinnern wollte, der Sache entgegen gewesen zu sein.

Ich komme jetzt der Zeitfolge gemäß zu einem Ereignis, das, an sich grauenhaft und entsetzlich, noch besonders durch seine Folgen unheilvoll und beklagenswert wurde, es ist die Ermordung Kotzebues.

Der erste Schrecken, den die grause Mordtat verbreitete, war sinnverwirrend, eine Bestürzung, wie ich eine ähnliche nur im Jahr 1848 zu Berlin erlebt, als der König von dem Volksaufstande besiegt schien, die Truppen entfernte und die Farben der Barrikadenfahnen zu den seinigen machte. Doch als das Besinnen allmählich zurückkehrte, war es begleitet von den Gefühlen des Hasses, der Rache, von dem Eifer, alles niederzutreten, was mit solcher Tat im entferntesten zusammenhing; und wie Sand, um der Freiheit zu dienen, nicht gescheut hatte, Blut zu vergießen, so wollte man auch kein Blut schonen, um in den alten Vorrechten fortan sicher festzusitzen und sie möglichst zu mehren. Jetzt war von keinem Fortschreiten mehr die Rede, von keiner Nachgiebigkeit gegen den Zeitgeist, von keinen Gewährungen der Volkswünsche, im Gegenteil verhärtete man sich im rohen Streben, die Willkürgewalt zu behaupten, die Freiheitsregungen zu unterdrücken, das Heraufbilden des Volkes zur Selbständigkeit auf alle Weise zu verhindern. Die Tat Sands wurde für Deutschland ein Wendepunkt in der Entwickelung[317] seiner innern Verhältnisse zwischen Regierung und Volk oder sollte es wenigstens werden, gemäß dem Wollen und Trachten derjenigen hochgestellten sowohl Fürsten als Minister, die mit überwiegendem Ansehen die Staatssachen leiteten.

Mit welch andern Augen sah man jetzt am Hofe die Verfassung an! Wie beklagte man, sich solch unbequeme und gefahrvolle Last aufgebürdet zu sehen, wie beschuldigte man die unnötige Freisinnigkeit, welche von Nebenius unter Reizensteins und Tettenborns Aufsicht und Billigung hineingearbeitet wor den; man klagte diese Männer der strafbaren Übereilung an. Die Öffentlichkeit der Verhandlungen, selbst für die Erste Kammer durch die Verfassung bestimmt, die Preßfreiheit, das Recht der Steuerbewilligung, die Ausdehnung des Stimm- und Wahlrechts, das doch noch lange nicht das erforderte allgemeine war, alles dies erschien wie frevelhaftes Übermaß, das man trachten müsse, möglichst auf ein geringeres zurückzubringen. Vor kurzem noch hatte man damit geprahlt und sich vom Auslande dafür recht loben lassen, daß die badische Verfassung unter allen deutschen die freisinnigste sei, daß sie namentlich der bayerischen weit voranginge; jetzt rühmte man die hemmenden Beschränkungen, welche auf der letztern lasteten, pries den segensvollen Zustand einer ungehinderten Obergewalt, die zuletzt doch notwendig als eine landesväterliche gerechte und milde zu denken sei; wie noch kurz vorher in Bayern, in Württemberg und in Baden selbst gewirtschaftet worden, schien man vergessen zu haben, wie noch jetzt Willkür und Unordnung im benachbarten Hessen-Darmstadt waltete, wollte man nicht sehen. Der Ausdruck »konstitutionell« war diesen Leuten ein Greuel und gleichbedeutend mit jakobinisch und revolutionär. Genug, das große Streben, das seit 1789 über alle Länder sich entzündet hat, bald in dem einen, bald in dem andern zu hellen Flammen ausbrach, immer wieder gedämpft, aber niemals vollständig überwunden worden, hingegen auch bis heute noch nicht vollständig gesiegt[318] hat: das Streben zur Freiheit und Selbständigkeit gegen rohe Gewalt und frechen Stolz wurde jetzt offen zu heißen Kämpfen herausgefordert, durch die Angriffe der durch Sands Tat aufgeschreckten Machthaber, Staatspfründner und Dunkelmänner, und Baden wurde eines der Schlachtfelder, auf denen die Kämpfer einander begegneten.

Zwar so weit ging das Selbstvertrauen und der Mut der Hof- und Adelspartei keineswegs, daß sie für möglich gehalten hätte, alles, was ihr entgegenstand, ohne weiteres abzuschaffen; die Verfassung abzuschaffen und nichts oder auch ein schwächeres Gebild an deren Stelle zu setzen, eine solche Verwegenheit hatte sich in keinen dieser Köpfe verirrt; die ungeduldigsten und störrigsten derselben sahen ein, daß alle Fürsten- und Adelsmacht hiezu für jetzt nicht ausreiche, daß man nicht schlechthin umkehren könne, sondern in der Bahn, in die man unglücklicherweise eingegangen, sich fortbewegen müsse, jedoch durch Klugheit und Einverständnis manchen Vorteil gewinnen und in Zukunft völlig siegen könne. Die größte Hoffnung setzte man hiebei auf die Einwirkung der großen Mächte, die ihr Versprechen volksvertretender Verfassungen noch nicht erfüllt hatten und jetzt weniger als je geneigt schienen, solches zu erfüllen. Die Ermordung Kotzebues gab den dringenden Anlaß, daß alle deutschen Regierungen sich untereinander und besonders mit Österreich und Preußen in tätige Verbindung setzten und lebhaft über die Tagesfragen berieten, über die schon vielfach angegriffenen Universitäten, die Presse, die Vereine, die Grenzen ständischer Berechtigung. Hieraus entstand namentlich für Baden die treulose Zweizüngigkeit, daß man auf der einen Seite die Verfassung öffentlich beschwor, ihre Freiheiten verbürgte und die zugestandenen Volksrechte walten ließ, auf der andern Seite dagegen heimlich über deren Unterdrückung oder Beschränkung mit den gleichgesinnten Regierungen sich verständigte. Der Großherzog wurde hiezu fortgerissen, indem er sich auf Berstett, dessen auswärtiges Ansehen er mit Verwunderung steigen sah, in[319] diesen Sachen ganz verließ, mir aber aus den Verhandlungen, die später zum Kongreß von Karlsbad führten, ein Geheimnis machte, wie denn auch das preußische Kabinett, vielleicht schon damals gegen mich durch hämische Einflüsterungen gewarnt, mir nichts hierüber mitteilte. In andern Beziehungen fuhr er fort, mir das größte Wohlwollen zu bezeigen und als Erwiderung seines Vertrauens das meinige heftig zu verlangen, er wollte, daß ich über alle Sachen und Personen ganz rückhaltlos mit ihm spräche. Auch fragte er mit gütiger Teilnahme stets nach Tettenborn, was er für Wünsche habe, ob er nicht zur Eröffnung der Stände kommen werde, und es schien, als ob es ihm nicht unlieb sei, in ihm einen Ersatzmann für Berstett immer bereit zu haben, falls dieser sich für allzuwichtig oder gar unentbehrlich halten möchte.


Das Geschrei gegen die Universitäten, schon durch Stourdzas anmaßliche Unbesonnenheit erweckt, hatte sich durch den Schrecken über Kotzebues Ermordung bis zur Wut gesteigert. Weil ein Student diese Tat verübt, weil er der Burschenschaft angehört und sein letzter Aufenthalt Jena gewesen, so sollte das Universitätswesen die Wurzel jenes Verbrechens und alles verwandten Unheils sein. An allen Höfen, in allen vornehmen Kreisen, in allen höchsten Staatsbehörden hallte durch ganz Deutschland diese Anschuldigung nach, wurde mit Heftigkeit die Ausrottung des Übels gefordert. Österreich, das längst keine Lehrfreiheit mehr geduldet, das mit Neid und Sorge die im übrigen Deutschland noch waltende Freiheit der Wissenschaft und ihrer Jünger gesehen, wies auf seine geknechteten Hohen Schulen als auf die Muster hin, die jetzt überall nachgeahmt werden sollten. In Preußen rief eine dunkle am Hof und in der Regierung gefährlich wachsende Partei heftig nach Maßregeln der Gewalt gegen alle Geistesfreiheit und hoffte ihre verhaßten Gegner, denen sie sonst nicht beikommen konnte, in der Erniedrigung der Universitäten mitzuerniedrigen.[320] Die größte Unvernunft, ja, der bare Unsinn wurde laut; alles wurde aufgeboten, die Mächtigen zu schrecken und zu den strengsten Maßnahmen zu bewegen. Die Universitätslehrer, die Gelehrten überhaupt, die Bekenner freier Wissenschaft erhoben vergebens ihre mutigen Stimmen, sie verhallten in dem tollen Lärm der begünstigten Fanatiker. Wie gewöhnlich in solchen Fällen, wo blinde Leidenschaft sich der Gunst von oben zu erfreuen hat, fehlte es auch diesmal unter den Gelehrten selbst nicht an niedrigen Seelen, welche dem Feinde sich mit ihrer Kenntnis und ihrem Ansehen dienstbar zur Verfügung stellten. Schon war die Frage über die Universitäten mit ungewöhnlicher Raschheit dem Bundestage überwiesen, und man sah dessen feindlichster Entscheidung entgegen. Da erschien Hemmung, Hülfe gegen dieses drohende Vorschreiten von einer Seite, woher man sie nicht mehr erwartete, aus der Mitte der Fürsten selbst! Der treffliche Großherzog von Weimar, dem freilich vor allen andern der Schutz freier Wissenschaft und Bildung ziemte und der zunächst seine Landesuniversität zu verteidigen hatte, widersprach kühn den Verleumdungen und gehässigen Anklagen, an deren Wahrheit zu zweifeln schon ein Verbrechen schien. Der sachsen-weimarische Gesandte reichte der Bundesversammlung einen Vortrag ein, der mutig und geistvoll die Sache der Universitäten und der studierenden Jugend wider die vornehmen rohen Gegner verteidigte. »Eingedenk dessen« – hieß es darin –, »was von deutschen Universitäten geleistet und in seinen Erfolgen und Gründen längst anerkannt von Deutschen (Schleiermacher, Steffens, Wachler) wie von Nichtdeutschen (Cuvier, Villers) gepriesen worden, werden Seine Königliche Hoheit nie stimmen für Einrichtungen, welche das innere Wesen derselben notwendig zerstören, sie durch Aufhebung der akademischen Freiheit zu bloßen gelehrten Schulen, Gymnasien usw. umformen! Auch Freiheit der Meinungen und der Lehre muß der Universität verbleiben; im Kampfe der Meinungen soll hier das Wahre gefunden, gegen das Einseitige,[321] gegen das Vertrauen auf Autoritäten soll hier der Schüler bewahrt, zur Selbständigkeit soll er erhoben werden.« Gegen die Verdächtigung, daß die Studenten im allgemeinen und insbesondere die Burschenschaft staatsgefährliche Absichten hegten, wurde gesagt: »Beklagen muß man den bösen Willen oder die Unvorsichtigkeit derer, welche ebensolche Absichten den Studenten zuerst angedichtet, welche deshalb mit großer Wichtigkeit gegen sie gesprochen und vielleicht dadurch den Keim des Übels unter sie gebracht haben.« Den größten Beifall erhielt die bedeutende Stelle, welche den bittern Vorwurf aussprach: »Als die studierende Jugend im Jahr 1813 auf Deutschlands Hochschulen aufstand, als sie eilte, teilzunehmen an dem Kampfe für die Freiheit, die Ehre, die Sitte, die Sprache des Vaterlandes, da wurde sie mit offenen Armen empfangen, da wurde sie in Scharen geordnet, da sah man in ihr keine Kinder, sondern werdende Männer. Als sie zurückkehrte aus dem Kampfe, als sie auf Zeichen männlicher Handlungen sich berufen durfte, da konnte ihr nicht sofort das laute, sonst nur dem Manne geziemende Sprechen und Schreiben über die Güter untersagt werden, für welche sie geblutet hatte, für welche in ihrer Mitte Freunde und Brüder gefallen waren, da konnte man nicht sofort diejenigen als Unmündige behandeln, welche man in ihrer edeln Begeisterung als Emanzipierte, als Wehrhafte gebraucht hatte.« Durch solches Wort, im Namen eines deutschen Fürsten in der Bundesversammlung ausgesprochen, waren die Gegner einen Augenblick aufs Maul geschlagen; aber ihre tückischen Bemühungen setzten sie darum nicht weniger fort und sollten in den größeren Regierungen bald eine Übermacht gewinnen, der auch die Fürsten sich beugen mußten.

Die Wahlen für die Ständeversammlung waren inzwischen im ganzen Lande vollzogen worden. Bei der Neuheit und Eile der Sache hatten weder die Regierung noch irgendeine Gegnerschaft derselben die Zeit oder die Geschicklichkeit gehabt, einen berechneten Einfluß auf das Wahlgeschäft[322] auszuüben; seinem natürlichen Verlauf überlassen, war dieses überall ohne Störung, ohne gereizte Leidenschaft oder ränkesüchtiges Treiben ruhig vorgegangen; eigentliche Parteien bestanden noch nicht, aber freilich war die Stimmung des ganzen Landes, wie sie im Zwiespalt bisheriger Regierungsweise und gereifter Volkseinsicht so still als fest sich gebildet hatte, eine hochfreisinnige. Die Wähler, durch fremde Einmischung nicht gestört, zu keinen falschen Richtungen verleitet, hatten mit sichrem Takt so gewählt, daß nur in wenigen Fällen später bemerkt werden konnte, man habe sich über Gesinnung oder Fähigkeit der Gewählten geirrt: für die Zweite Kammer, welche im Gegensatze der Ersten die demokratische sein mußte, waren ohne Vorurteil auch Adelige und besonders viele Staatsbeamte gewählt worden, deren Denkart und Charakter man durch ihren Stand und ihr Amtsverhältnis nicht gefährdet wußte. Dabei waren die freien Eigentümer und Gewerbsleute doch an Zahl überwiegend, insonderheit hatten die Bauern ihre angesehensten Vögte gewählt, so daß im ganzen jede Klasse sich in angemessener Weise vertreten fand. Neben einigen bekannten Namen, unter denen der Liebensteins, für die Zweite Kammer gewählt, und der Rottecks, für die Erste, glänzend vorstrahlten, hörten wir die meisten zum erstenmal, und auch die Regierung schien wenig von den Männern zu wissen, die ihr jetzt wichtig werden sollten. Das Volk aber kannte die Seinen sehr gut und hing an ihnen mit größter Liebe. Vielen Abgeordneten, besonders denen aus Lahr, wurden auf ihrer Durchreise nach Karlsruhe unterwegs die größten Ehren zuteil; man empfing sie mit Geschützdonner, Triumphbogen, Blumenstreuen; Bürgerwehr rückte in Waffen zu ihrer Begleitung aus. Die Höflinge und Aristokraten schüttelten die Köpfe; das sei doch zuviel, meinten sie; dergleichen komme nur dem Landesherrn zu! Auch den Ministern war bei solchen Dingen nicht wohl zumut; der Übergang aus der unbeschränkten Regierung in die durch Verfassung und Gesetz bedingte, der Volksvertretung verantwortliche,[323] war in den Sachen oft schwierig, für die persönliche Gewöhnung die unbequemste Neuerung. Einer sah mit Mißtrauen auf den andern, wie Schauspieler, die sich in neuen Rollen zeigen sollen und den eignen Erfolg durch das Mißlingen der andern gern erhöht sehen. Berstett hoffte mit einigen vorbereiteten Reden sich leicht abzufinden und im übrigen das den Auswärtigen Angelegenheiten überall zugestandene Geheimnis zur Abwehr aller Zudringlichkeit vorzuschützen. Wie es den andern Ministern und Vertretern der Regierung ergehen werde, war ihm ganz gleichgültig. Mit höhnischem Lachen äußerte er gegen mich, als von den künftigen Debatten die Rede war: »Wie der Finanzminister Fischer mit seinem Budget durchkommt, das ist seine Sorge, mich geht's nichts an, wenn er steckenbleibt!« Er gönnte dem bürgerlichen Manne eine Niederlage, die er für sich selber unmöglich glaubte. Fischer wurde jedoch vom Großherzog noch vor Eröffnung der Kammern in den Freiherrnstand erhoben, was den Bürgerlichen teilweise gefiel, unter den Adeligen dagegen einige Verstimmung anregte.

Berstett, der von der Welt nichts kannte und schätzte als die vornehmen Kreise, die Wege zur Gunst und Macht, verband sich aufs engste mit den Edelleuten des Landes, deren Ansehen und Vorrechte er herzustellen versprach, und beklagte nur, daß die mediatisierten Standesherren sich zu hoch dünkten, um mit jenen und ihm in völlige Gemeinschaft zu treten; wenn es ihnen infolgedessen schlecht ginge, so hätten sie niemandem als sich selber die Schuld beizumessen. An einem Adelsedikt, das der Verfassung erläuternd zur Seite stehen und sie bedingen sollte, wurde fleißig und heimlich gearbeitet; eine kleine Junkerpartei nahm das Geschäft ganz in ihre Hände; kein Staatsbeamter, der nicht durch Stand und Gesinnung ihr angehörte, durfte zugezogen werden. Die Freisinnigen achteten des Geredes wenig, das darüber umlief, und meinten, die Junker würden nichts Taugliches aufstellen.[324]

In außerordentlicher Sendung erschien der sachsen-weimarische Geheime Rat von Conta, nachdem er schon in Frankfurt und Stuttgart sich besonderer Aufträge entledigt hatte, auch in Karlsruhe. Die weimarischen Erklärungen am Bundestage hatten großes Aufsehen und manche Erbitterung erregt, man fragte in gewissen Kreisen, ob denn der Großherzog Karl August, nachdem er die deutschen Schöngeister beschützt, nun der Beschützer der Aufrührer und Meuchelmörder werden wolle. Die Mitschuldigen Sands wären in Jena, man kenne sie, die Staatsbehörde müsse sie greifen und ausliefern, das deutsche Gemeinwohl fordere das, aber es geschehe nichts, und Sand werde hinsterben, bevor ihm jene vor Augen gestellt worden. Aber die weimarische Regierung hatte gewissenhaft ihre Pflicht getan, die strengsten Untersuchungen geführt und lieferte nun die bündigsten Beweise, daß Mitschuldige nicht zu ermitteln seien und daß auch die Universität Jena nicht verantwortlich sein könne für die Tat eines einzelnen, der zufällig dort, aber auch nicht dort allein, sondern auch in Erlangen studiert habe. Die Mitteilungen, welche Conta hierüber vorlegte, waren überzeugend, aber den Furchtsamen und Fanatikern keineswegs erwünscht. Der Großherzog, der mich in diesen Tagen besuchte, war äußerst verwundert, mich der weimarischen Beurteilung beistimmen zu hören; man hatte ihn versichert, ich sei ganz entgegengesetzter Meinung und habe Contan deshalb auch schlecht empfangen. Letzteres war nur insofern wahr, als derselbe sich kalt und fremd bei mir benommen hatte, vielleicht weil auch ihm schon jene falsche Angabe über mich gemacht worden war, vielleicht war ich ihm auch bloß als Preuße schon verdächtig!

Die Ständemitglieder waren schon seit einiger Zeit in Karlsruhe versammelt und harrten der Eröffnung ihrer Beratungen. Der Großherzog hatte sein Staatsministerium neu geordnet, zum Präsidenten der Ersten Kammer seinen Halbbruder, den Markgrafen Wilhelm, und als zweiten den Fürsten von Fürstenberg, den Freiherrn von Wessenberg als[325] katholischen und den Kirchenrat Hebel als protestantischen Prälaten, dann einige seiner angesehensten Hof- und Staatsdiener, wie er verfassungsmäßig befugt war, zu Mitgliedern ernannt; gegen die letztern wäre manches einzuwenden gewesen, allein da sie der hier ersten Erfordernis entsprachen, das Vertrauen des Großherzogs zu haben, so wurde kein Tadel laut. Bekannt war auch, daß unter großen Schwierigkeiten und Mühen endlich ein weitläufiges Edikt über die standes- und grundherrlichen Rechtsverhältnisse ausgearbeitet worden, dessen näherer Inhalt aber noch ein Geheimnis blieb. Die stillen Vorberatungen der Mitglieder der Zweiten Kammer hatten die beste Stimmung, die freundlichste Einigkeit und Mäßigung an den Tag gelegt; unter den Mitgliedern der Ersten Kammer war einige Spaltung merkbar, doch weil hier nicht das Übergewicht lag, so schien sie unerheblich.

Die Eröffnung der Ständeversammlung erfolgte nach allerlei Aufschub endlich am 22. April mit ernster Feierlichkeit. Beide Kammern waren in dem für die Sitzungen der Zweiten eingerichteten Saal auf dem Schloß vereinigt. Der Großherzog fuhr unter Geschützesdonner und Glockengeläute vor, wurde im Saale mit begeistertem Hoch empfangen, bestieg den Thron und hielt seine Rede, die er gut auswendig wußte und mit warmer Innigkeit und edler Würde vortrug. Sie machte den besten Eindruck, sowohl auf die Abgeordneten als auf das gemischte Publikum der dichtbesetzten Zuhörerbühnen. Man durfte von dem Fürsten, der so zu seinen Ständen in dem Tone der ehrlichsten Aufrichtigkeit sprach, die schönsten Hoffnungen fassen. Die Ständemitglieder leisteten hierauf den Verfassungseid, in welchem das Versprechen, nur des ganzen Landes allgemeines Wohl und Bestes, ohne Rücksicht auf besondere Stände oder Klassen, nach innerer Überzeugung zu beraten, dem Ganzen gleich im Beginn die volkstümliche Richtung vorschrieb, der doch nicht alle Gesinnungen entsprachen; doch auch die entschiedensten Aristokraten konnten den so gestellten Eid nicht[326] verweigern. Nachdem noch Berstett eine Rede vorgetragen, deren Inhalt wenig Aufmerksamkeit erregte, doch in der guten Stimmung freundlich hingenommen wurde, trennte sich die Versammlung. Alle Ständemitglieder speisten mittags beim Großherzog, und abends war freies Schauspiel, wo ihnen Ehrenplätze vorbehalten waren. Die Abgeordneten und dann auch der Großherzog wurden von der gedrängten harrenden Menge mit dem feurigsten Zuruf begrüßt.

Soweit war alles vortrefflich. Aber schon am nächsten Morgen trat eine merkliche Verstimmung ein. Gleichzeitig mit der Eröffnung der Kammern, an demselben Tage, fast in derselben Stunde, war das längst erwartete Adelsedikt erschienen und ausgeteilt worden, dessen weitläufigen Inhalt aber sogleich durchzulesen kaum jemand Muße fand. Der nächste Morgen gab diese, und man fand mit Erstaunen, daß durch ein solches Edikt, welches der Verfassung in wesentlichen Punkten widersprach, ohne den Beirat der Stände gegeben war, gleichsam als ob ihnen hierüber kein Recht zustände. Allerdings hatte Berstett gemeint, ihre Befugnis in diesem Fall zu umgehen, und tat sich nicht wenig auf den Kunstgriff zugut, das vom 16. April, also vor der Zusammenkunft der Stände, datierte Edikt an diesem Tage einzuschwärzen, der die Regierung im höchsten Glanze der Volksbeglückung erscheinen ließ und mit jubelndem Dank erfüllt war. Allein die List war zu jämmerlich, um jemanden zu täuschen, und wurde im Gegenteil als Beleidigung empfunden. Zudem war der Inhalt des Ediktes so mißfällig, so voll arger Verstöße gegen die bis dahin geltenden Bestimmungen und die Abfassung so plump und abgeschmackt, daß die schonendste Kritik dem Machwerke den Stab brechen mußte. Die Abgeordneten waren empört, daß man ihnen solche Stumpfheit zugetraut, sie würden dergleichen ruhig gelten lassen. Man hörte die entschlossensten, die schärfsten Äußerungen; die ganze Stadt teilte den Unwillen, am Hofe selbst machte der Tadel solchen Eindruck, daß manche Stimmen ihn zu wiederholen wagten. Der Großherzog,[327] betroffen und beunruhigt über ein so rasches Umschlagen, wollte seinen guten Namen nicht einbüßen und hatte nichts eiliger zu tun als zu erklären, das Adelsedikt sei nicht von ihm ausgegangen, er habe vielen Punkten widersprochen, aber zuletzt in gutem Glauben dem Rate seiner Minister nachgegeben. Er sagte hierin die Wahrheit; denn die Vorrechte, welche er, zum Teil doch auf seine Kosten, den Adeligen zugestehen oder erweitern sollte, waren keineswegs nach seinem Sinn; er hatte nur dem schroffen Andringen Berstetts, der die Sache als staatsklug und notwendig vorstellte, sich gefügt. Auch der Minister von Fischer verleugnete jeden Anteil und beteuerte, widersprochen zu haben. Die Redlichkeit des Großherzogs wurde nicht bezweifelt, allein das Vertrauen in seine Selbständigkeit begann zu wanken, und man fürchtete, der ersten sichtbaren Schwäche würden bald andere folgen.

Berstett war gleich am ersten Tage zu der Erkenntnis gelangt, daß er bei den Ständeverhandlungen nicht die Hauptperson sein und der Landtag sich von ihm nicht werde nach Belieben leiten lassen. Am zweiten Tage, durch die Wirkung seines Adelsedikts, war er den Ständen schon als entschiedener Feind gegenübergestellt. Das Fehlschlagen seiner Erwartungen war ihm ganz unbegreiflich, er sah nicht nur seinen Ehrgeiz und Stolz aufs tiefste gekränkt, sondern auch besondre Hoffnungen, die er schmeichlerisch genährt, so gut wie vernichtet; er hatte sich nämlich in den Kopf gesetzt, diese erste Ständeversammlung müsse die unter seiner Ministerschaft für Baden erlangten großen Ergebnisse, die Sicherung des Landbestandes und der Erbfolge, das Verleihen der Verfassung und endlich die wirkliche Eröffnung der Stände, durch eine ihm zu gewährende Dotation belohnen. Zu diesem Zwecke war alles vorbereitet, der Großherzog nicht ungünstig gestimmt, die Kollegen zur Mitwirkung bereit; der Antrag sollte durch einen Abgeordneten geschehen, die Bewilligung durch einstimmigen Zuruf erfolgen, es galt nur den richtigen Zeitpunkt auszuersehen und die beste Gelegenheit.[328] Das alles war nun dahin, verscherzt durch ein falsches, verunglücktes Unternehmen. Von diesem Tage an war Berstett der entschiedenste Feind der Ständeversammlung, die er im Ganzen und Einzelnen auf alle Weise herabzusetzen, lächerlich und verächtlich zu machen, in jeder Beziehung zu verunglimpfen und zu verdächtigen strebte. Dies übte er besonders auch im diplomatischen Kreise, daheim und an fremden Höfen, und war dabei stets eines verstärkten Widerhalles sicher, der ihm zurückkehrte und den er dann aufs neue für seinen Zweck gebrauchte. Die Stimmung der Höfe, der Diplomaten, der vornehmen Adeligen war überall bereitwillig genug, es bedurfte keiner großen Mühe, ihre gemeinsame Feindseligkeit vorzugsweise hieher zu leiten, wo ihr freilich der aufreizendste Stoff reichlich geboten wurde. Unter solchem gleich anfänglich erweckten Haß, Unglimpf, Bitterkeit und Verleumdung mußten die badischen Stände heranwachsen, sich in ihren Beruf einarbeiten und ihr junges Leben durchbringen!

Die Abgeordneten ließen sich diese Feindseligkeit, die fürerst auch nicht offen hervortrat, sondern nur im dunkeln tätig war, wenig anfechten und gingen frisch an ihr Werk. Gleich der Entwurf einer Geschäftsordnung, den die Regierung den Kammern vorlegen ließ und der in seinen meisten Bestimmungen zweckmäßig erschien, gab einen sichern Leitfaden für den Gang der Verhandlungen, die durch Liebenstein durch eine Rede mit Kraft und Sachkenntnis eröffnet wurden; das feste Auftreten ohne Schwanken und Herumtappen gleich in die Mitte der Sachen ließ erkennen, mit wem man es zu tun habe. Liebenstein galt für den Mirabeau der Versammlung, und in der Tat fehlte ihm nur ein größerer Schauplatz, um die Vergleichung zu rechtfertigen. Was er im Großen hätte leisten können, hat das Geschick ihm nur im Kleinen zu zeigen erlaubt, wie so manchem unserer besten Deutschen.

Einer der ersten Beschlüsse der Zweiten Kammer betraf das Adelsedikt, welches als ein Versuch, den Rechten der[329] Stände vorzugreifen, angesehen und demnach eine Kommission zu dessen Prüfung ernannt wurde. Die Gegner schrien sogleich, die Kammer überschreite ihre Befugnisse, das Edikt beruhe auf völkerrechtlichen Verpflichtungen, auf einem Artikel der deutschen Bundesakte, dessen Erfüllung weder die Regierung noch die Stände verweigern könnten. Allein diese scheinsamen Behauptungen wurden siegreich zurückgewiesen, nicht die Erfüllung jenes Artikels wollten die Stände hindern, wohl aber die Art seiner Erfüllung untersuchen. Sie ging weit über die Forderungen der Bundesakte hinaus, und dasselbe Ministerium, welches ein Jahr vorher in Frankfurt erklären ließ, Baden habe durch ein damaliges Edikt jener Pflicht genügt, konnte unmöglich jetzt auftreten und sagen, es erfülle sie erst durch das jetzige. Die Kammer faßte ihren Beruf und ihre Aufgabe gleich von Anfang mit Sicherheit und verfolgte ihren Weg mit ruhiger Kraft. Außer den Entwürfen, welche die Regierung an die Kammer brachte, über Gemeindeverfassung, Zollordnung und andere Gegenstände, ging eine Reihe der wichtigsten und notwendigsten Anträge von den Abgeordneten selbst aus, über Handelsfreiheit, Öffentlichkeit der Rechtspflege, Geschwornengerichte, Trennung der Rechtspflege von der Verwaltung, Beschränkung des Wildstandes, Preßfreiheit, Abschaffung der Fronden und Zehnten, der Leibeigenschaft, Verbesserung des Wahlgesetzes und andere mehr, in deren rascher Folge und scharfer Fassung die Kundigen den frischen Geist und richtigen Sinn, die in der Kammer herrschten, die reife Einsicht und den offnen Mut der Abgeordneten erkannten, während die Gegner in ihrer Urteilslosigkeit und Zagnis über diese Fülle von Anträgen vollends den Kopf verloren. Die Art, wie diese Gegenstände bearbeitet, vorgetragen und erledigt wurden, mit Maß und Ordnung, in den vorgeschriebenen Formen, gab das beste Zeugnis für den ausgezeichneten Charakter der ganzen Kammer; sie entwickelte in ihren Debatten ebensoviel Einsicht und Kenntnis als Talent und Geist, machte nie den leisesten Versuch,[330] über ihre Schranken hinauszugehen, und behauptete stets die kräftigste und würdevollste Haltung. Obgleich sehr entgegengesetzte Ansichten und Meinungen an den Tag kamen, so bildete sich doch kein Parteigeist, sondern sehr oft faßte die nach geführtem Streite leicht wieder einig gewordene Gesamtheit und in den andern Fällen meist die überwiegendste Mehrheit der Stimmen die endgültigen Beschlüsse. Von den Mitgliedern, die sich durch Anträge und Teilnahme an den Debatten besonders auszeichneten, sind nach Liebenstein hauptsächlich zu nennen die Herren Deimling, von Lotzbeck, Völcker – sämtlich von Lahr –, Buhl, von Gleichenstein, von Städel, Knapp, Winter von Karlsruhe, Winter von Heidelberg, Duttlinger, Kern, Föhrenbach, Hüber, Ziegler, von Clavel und andere, deren Namen mir nicht sogleich einfallen. Die ganze Kammer, aus 63 Mitgliedern bestehend, bekannte sich mit geringen Ausnahmen zu den Grundsätzen des Freisinns, der Ordnung und Mäßigung, des gesetzlichen Fortschritts, entfernt von wilder Neuerungssucht wie von den Vorurteilen und Neigungen dunkler Vergangenheit. Was die Gabe der Rede, insbesondere des freien Vortrags betrifft, welche in unsrer Zeit wieder, wie bei den Alten, als das eigentliche Talent des Staatsmannes erscheint, das alle andere Talente desselben hält und bewegt, so mußten mehrere Abgeordnete als wahrhafte Redner anerkannt werden, andere versprachen eine baldige Entwickelung und Gewöhnung zu diesem Beruf. Die feste, sichere Kraft und ruhige Klarheit, mit denen oft von unstudierten, aber praktischen Männern gerade auf die Sache gegangen und deren Wesen schlicht und derb ausgesprochen wurde, machten einen Eindruck, den man mit dem einer zierlichen Wohlredenheit nicht hätte vertauschen mögen.

In der Ersten Kammer waren freilich andere Bestandteile, der Geist im ganzen schwach, die Gesinnung lau, die meisten Mitglieder gehörten zu den bevorrechteten Klassen, konnten sich der alten Vorurteile nicht entschlagen, in das neue Verhältnis nicht finden. An Talenten hatte diese Richtung[331] wenig aufzuweisen, und wo sich ein Schimmer davon zeigte, in den Freiherren von Falkenstein, von Baden und von Türckheim, dem Fürsten von Fürstenberg, war auch ein Anflug von Freisinn merkbar, es schien, als wenn dieser das Maß auch des Verstandes und sonstiger Begabung sei! Wahrhaft bedeutend, hohen Geistes und großer Begabung war einzig der Professor von Rotteck, der Abgeordnete der Universität Freiburg, der als solcher, einer Bestimmung der Verfassung gemäß, in der Ersten Kammer seinen Sitz hatte. Hier war er eigentlich nicht an seinem Platz, er hätte der Zweiten angehören müssen, unter seinen Freunden und Genossen; in der Ersten stand er ganz allein, völlig vereinsamt unter Gegnern, die seiner nicht würdig waren, ein verlorener Sendbote unter störrigen Heiden.

Der Abgeordnete der Universität Heidelberg, Professor Thibaut, berühmt als geistvoller und beredter Rechtslehrer und gepriesen wegen seiner im Jahre 1814 erschienenen Schrift über die Notwendigkeit eines allgemeinen deutschen Gesetzbuches, gegen welche Savigny mit unpraktischer Gelehrsamkeit aufgetreten war, zeigte weder das Talent noch den Willen, die man ihm zugetraut hatte. Seine Aufgabe schien ihm fremd und verdrießlich, er sehnte sich nach seiner Lehrkanzel zurück, und als er später doch zu wichtigen Arbeiten und Vorträgen veranlaßt wurde, sah man den klugen Weltmann, der sich hin und her wandte, es mit keiner Partei verderben, schließlich aber vor allem mit der Regierung gutstehen wollte. Der Witz und Humor, die er gelegentlich spielen ließ, machten seine üble Rolle nicht besser; weder in noch außer der Kammer gewann er Achtung und Vertrauen.

Der edle Wessenberg, hochachtbar im Gebiete seiner kirchlichen Wirksamkeit, durch seine Kämpfe gegen Rom allen Freisinnigen teuer, besaß alle Eigenschaften, die man in unsrer Zeit einem höhern Geistlichen der katholischen Kirche wünschen kann: milden versöhnlichen Sinn, warmen Religionseifer, aufgeklärte Denkart, gelehrte Kenntnisse,[332] Bildung und Erfahrung der großen Welt. Allein er war kein politischer Charakter, und die standhafte Entschiedenheit, die er gegen die römische Kurie bewiesen hatte, verließ ihn auf dem Felde seiner neuen Tätigkeit; die Freisinnigen hatten an ihm keine Stütze, die Gegner ebensowenig, und als er in irrgehendem Eifer seinen frommen Antrag machte, Sittengerichte für das Volk einzuführen, erlitt er in der Kammer und in der öffentlichen Meinung eine völlige Niederlage. Auch sein protestantischer Kollege, der zum Prälaten erhobene Kirchenrat Hebel, entsprach den Erwartungen, die man von ihm gehegt, in keiner Weise. Der liebenswürdige alemannische Dichter, der volkstümliche rheinländische Erzähler verschwanden in dem unbeholfenen, zaghaften Kammermitgliede völlig, und nur die tiefe Demut blieb sichtbar, die noch immer, wie einst in seiner Knabenzeit, in jedem Nebensitzenden einen vornehmen Herrn verehrte, bei dem seine Mutter ihm zurief: »Zieh's Käpple!« – Aus diesen Beispielen Wessenbergs und Hebels glaubte man den Beweis entnehmen zu dürfen, daß Geistliche im allgemeinen wenig geeignet seien, an politischen Körperschaften teilzunehmen. – Obschon die Sitzungen auch dieser Ersten Kammer, zum großen Bedauern der meisten Mitglieder, auch öffentlich waren, so fanden sich doch selten viele Zuhörer ein, und es gab hier wenig Trieb und Leben.

Zu den für die Verhandlungen ernannten Regierungskommissären gehörten sämtliche Minister und einige andere Staatsbeamte, unter diesen die Geheimen Referendäre Nebenius, Winter und Böckh. Nur die drei letztern waren von Bedeutung, sie trugen allein die Last der Debatten, aus denen die Exzellenzen, als sie sahen, wieviel Arbeit und wenig Ehre für sie hier zu holen sei, sich bald zurückzogen.

Nebenius war seit längerer Zeit in höheren Staatsarbeiten beschäftigt, und ausgezeichnet durch Kenntnisse und praktisches Talent sowie durch die fleckenloseste Rechtschaffenheit, hatte er, besonders in der Finanzverwaltung, die in den letzten Jahren an der traurigsten Zerrüttung litt, sich[333] sehr verdient gemacht. Im stillen war dies auch anerkannt, aber keineswegs öffentlich, und seine Amtsverhältnisse blieben untergeordnete. Ja, man hatte es dem trefflichen Reizenstein sehr verdacht und Berstett es ihm zur Schuld angerechnet, daß er seinen letzten Einfluß beim verstorbenen Großherzog dazu verwendet hatte, Nebenius und Winter außer der Reihe zu Geheimen Referendären zu erheben. Beide erhielten jetzt durch die Kammern Gelegenheit, öffentlich darzutun, was sie waren, und da sie später sogar Minister wurden, so haben sie die von Reizenstein ihnen angediehene Bevorzugung glänzend gerechtfertigt.

Nebenius befand sich als Regierungskommissär in einer der schwierigsten Stellungen. Als verpflichteter Sachwalter und Verteidiger der Regierung mußte er fast überall, wo nicht er und seine Freunde die Vorlagen selbst bereitet hatten und nicht nach eigner Einsicht verfahren konnten, sehr im Nachteil sein und mit der Kammer in Widerstreit geraten. Hiebei wußte er mit großer Festigkeit so viel Mäßigung und Bescheidenheit zu verbinden, daß er in der Achtung der Abgeordneten nur stieg und ihr Vertrauen nicht verlor. Wie oft es auch vorkam, daß er sich zurechtweisend gegen einzelne Abgeordnete und selbst gegen die ganze Kammer erheben mußte, so geschah es doch immer in den Formen des Anstands und der Schicklichkeit, die nur einer edlen Bildung eigen sind. Seine Vorträge waren licht und klar, offen und freimütig, ohne rednerischen Prunk; dem Sinne der Vorgesetzten würde er durch rechthaberische Wortfülle und leidenschaftliches Gezänk besser entsprochen haben; allein er ging nicht auf Beifall aus, sondern das wahre Staatswohl und das Wesen der Sache fest im Auge haltend, blieb er streng in der Bahn, die ihm dadurch vorgeschrieben war.

Berstett und sein Anhang, die Höflinge und Junker, sahen mit Schrecken und Grimm die feste Haltung und das mutige, gemessene Vorschreiten der Volksvertretung. Die gehäuften Anträge, die öffentlichen Zustände im Geiste der[334] Verfassung zu bessern, erregten sie zu dem heftigsten Geschrei, es drohe die gewaltsamste Überstürzung; als ihnen bewiesen wurde, dies alles liege in der Verfassung begründet, werde von ihr gefordert, klagten sie dieses Werk selber an; sie hatten nie geahndet, daß so viele treibende Keime darin steckten, so mächtige Folgerungen daraus gezogen werden könnten! Nebenius wurde beschuldigt, dies alles mit absichtlicher Klugheit hineingearbeitet und zugleich verhüllt zu haben, jetzt aber mit Winter und Böckh diesem Unwesen gegen die Regierung, deren Kommissäre sie doch seien, offenbar Vorschub zu tun!

Ich muß dem Großherzog die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er in dieser ersten Zeit noch keine solche Feindseligkeit gegen die Stände zeigte. Etwas Opposition war ihm schon recht, er würde sie ja selbst ausgeübt haben, wäre ihm früher dazu solche Gelegenheit gegeben worden. Sie traf auch nur die Minister und nur wenig den ihm vertrauten Fischer, der sich mit den Ständen gut verhalten wollte; daß Berstett leidenschaftlich, übereilt und maßlos verfahre, hatte er selbst schon gerügt. Die meisten der gemachten Anträge berührten ihn gar nicht, die Gegenstände derselben waren ihm zum Teil unbekannt und daher gleichgültig. Hingegen schmeichelte es ihm, daß seine Stände bewundert und gepriesen wurden; er sah seine eigne Popularität, die ihm der größte Schutz war, mit der der Stände ganz verschmolzen. In diesem Sinne sprach er zu mir, und was ich ihm erwiderte, wollte gewiß nicht seine gute Meinung schwächen. Seine Auffassungen aber waren oft seltsam und die Art, wie er sie äußerte, bisweilen so naiv, daß man sie nicht ohne Verlegenheit anhören konnte. Mit Erörterungen und Schlußfolgen war nichts bei ihm auszurichten; er lachte nur dazu mit pfiffiger Miene, als wolle man ihm etwas weismachen, was aber nicht gelingen werde! Desto leichter war durch mittelbare Einflüsterungen auf ihn zu wirken; arglistige Ränke und ehrgeizige Absichten konnten hier gutes Spiel haben! Von verschiedenen Seiten wurde sichtlich daran gearbeitet,[335] dem Großherzog selbst und den Mitgliedern des Hauses das Ständewesen überhaupt und insbesondere die jetzigen Stände aufs schlimmste zu verdächtigen und zu verleiden. Dem Markgrafen Wilhelm, der in Familienangelegenheiten eine Reise nach St. Petersburg antrat, wurden sowohl für diesen Ort als für Berlin dergleichen mitzuteilende Eindrücke reichlich mitgegeben!

Während diese Sachen ihren Verlauf hatten, ergab sich in unserm Karlsruher Leben manches Zwischenereignis, dessen ich gedenken muß. Wir empfingen den Besuch eines Mannes, von dem ich in früherer Zeit oft mit der Spannung, die Jugendeindrücken eigen ist, hatte reden hören. Es war d'Alton, der einst in weimarischen und berlinischen Lebenskreisen eine bedeutende Erscheinung gewesen, dann lange Zeit seinen Freunden verschwunden war und jetzt aus Spanien zurückkam, wohin er gereist war, um urweltliche Versteinerungen in Augenschein zu nehmen; denn er war ein sinniger Naturforscher, außerdem aber auch ein geschickter Maler und gelehrter Kunstkenner, und mit beiden Eigenschaften die dritte eines trefflichen Reiters und Pferdekenners verbindend, hatte er ein Prachtwerk über die Naturgeschichte des Pferdes herausgegeben. Jetzt war er von der preußischen Regierung als Professor der Kunstgeschichte an die Universität Bonn berufen, welches uns herzlich freute.

Eine andere flüchtige Erscheinung war Oken. Er war von Jena gekommen und wollte sich die politische Bewegung in Württemberg und Baden ansehen, doch als jenaischer Professor und Herausgeber der »Isis« war er den jetzt besonders aufmerksamen Behörden übel empfohlen, er sah seine Schritte beobachtet, glaubte sich schlimmen Verwicklungen ausgesetzt und war wie auf der Flucht. Da ich ihm ein paar Beiträge für die »Isis« geliefert hatte, so dachte er mich, als eine Ausnahme unter den Diplomaten, ohne Gefahr besuchen zu können. Er trat bei mir ein wie ein Flüchtling, eilig und schüchtern, nannte seinen Namen und sah mich forschend an, ob ich etwa durch ihn verlegen würde; da er[336] den Boden fest und gut fand, so begann er mit dunkler Glut seine politischen Meinungen auszuströmen, und es folgten zwischen uns lebhafte Erörterungen. Rahel war dazugekommen, und ihre Aussprüche, wiewohl den seinigen oft ganz entgegengesetzt, gefielen ihm sehr. Über Ständewesen und Volksvertretung hatte er die absonderlichsten Ansichten, er steigerte seine Forderungen aufs höchste, verwarf die badische wie die bevorstehende württembergische Verfassung, spottete unsrer Hoffnungen auf diese traurigen Behelfe. Der deutsche Radikale konnte nicht schärfer ausgeprägt sein; in dem Freiheitsfreunde zugleich die entschiedenste Gewaltslust, die Menschen müßten zur Freiheit gezwungen werden, behauptete er, die Widerspenstigen wenigstens aus dem Lande gejagt, sonst könne nichts Gescheites zustande kommen. Die Erfahrungen späterer Zeit würden seine Meinung mächtig bestärkt haben, die uns damals höchst übertrieben dünken mußte. Seine Leidenschaft hatte etwas Schmerzliches, Wehmütiges, das zu den strengen Worten nicht recht stimmte. Indem ich mehr mit seinen Gedanken beschäftigt war, hatte Rahel den ganzen Menschen mehr ins Auge gefaßt, und plötzlich, als ginge ihr ein Licht auf, unterbrach sie das Gespräch und ließ Erfrischungen hereinbringen. Jetzt erst sah ich, daß Oken ganz erschöpft war; begierig griff er nach dem dargebotenen Trunk, und kaum hatte er ihn genossen, so dankte er mit Inbrunst für die scharfblickende Teilnahme, die ihm, wie er sagte, das Leben gerettet habe! Denn er gestand, einer Ohnmacht nahe gewesen zu sein und gefühlt zu haben, daß er hinsinken werde. Er war Tag und Nacht gereist, hatte starke Fußwanderungen ausgeführt und wenig Nahrung genossen. Nachdem er sich etwas erquickt und erheitert und wiederholt gedankt, sprach er in munterem Tone weiter, lachte über seine vorigen Reden und suchte mit guter Laune zu beweisen, daß sein Verfahren in der »Isis«, über welches ein so furchtbares Geschrei erhoben worden, eigentlich ganz harmlos gewesen. »Sehen Sie«, sagte er, »wenn ich noch so gründlich bewiesen hätte, daß gewisse[337] Professoren oder Minister dummes Zeug gemacht, darnach hätte kein Hahn gekräht; da ich aber zu ihren Namen kleine Eselsköpfe habe beidrucken lassen, das hat gewirkt, das hat jeder gleich verstanden, und die Kerls sind unschädlich geworden!« Wir sprachen von Sand und Kotzebue und wie betört jener gewesen, diesen zum Opfer auszuersehen, der doch gar keine politische Bedeutung gehabt; da besann sich Oken einen Augenblick und sagte dann entschieden: »Ich bin doch der Meinung, er ist gerade der rechte gewesen, kein anderer war dazu so geeignet; ich wüßte wirklich nicht, wen ich ihm substituieren sollte!« Seltsam war es, daß derselbe Mann, der fremde Persönlichkeiten so scharf und schonungslos behandelte, in die größte Empfindlichkeit und ängstlichste Verlegenheit geriet, wenn die seinige berührt wurde. Über seinen Namen, seine Religion, seine Verhältnisse befragt zu werden, sah er wie eine Beleidigung an und verbat es sich ernstlich. Wir hörten später, daß er um seines Namens und seiner Religion willen unsägliche Leiden ausgestanden, daher beide gewechselt, den erstern aus Ockenfuß in Oken verwandelt habe und hierüber durchaus nicht Rede stehen wolle. Der seltsame Kauz, der im Grunde mehr zu bedauern als zu schelten war, verließ uns bald wieder, denn er wollte keine Nacht länger in Karlsruhe zubringen.

Solange die Familie von Reden noch in Karlsruhe war, besuchten wir sie fast jeden Abend; der heitre, schnellfassende und tätige Geist der ältern Tochter Henriette und die kenntnisvolle Gesprächigkeit des Vaters ließen es niemals, der Kreis mochte klein oder groß sein, an Unterhaltung fehlen. Die andern Diplomaten fanden sich häufig ein, teils um den Damen den Hof zu machen, teils um Neuigkeiten zu erfahren; denn Reden erfuhr alles und verschwieg nichts.

Ein Jagdjunker von Drais trug in anderer Weise zur Unterhaltung der Gesellschaft bei; sein Vater war ein hoher Beamter in Mannheim, der eine Geschichte der Regierung des alten Markgrafen Karl Friedrich geschrieben hatte; der Sohn aber galt für ein Genie an Wissen und Erfindungsgeist.[338] Schon im Wiener Kongreß war er in einem Wagen gefahren, der ohne Pferde durch die Füße der Darinsitzenden in Bewegung gesetzt wurde, später hatte er die nach ihm benannte Draisine erfunden, ein Rädergestell, auf dem man zugleich saß und lief; ein zweckloses lächerliches Ding, das viel Gespötte veranlaßte. Dann war er in Brasilien gewesen und kramte kleine Vögel und andere Naturmerkwürdigkeiten aus; jetzt aber legte er sich aufs Deklamieren und leistete darin Unglaubliches; daß der Beifall, den er erntete, nur eine Verhöhnung war, merkte er niemals. Er war bei allen seinen Kenntnissen und Erfindungen was man in Berlin einen Dämel nennt, ein Halbnarr, der immer etwas vorhatte und betrieb. Die Gesellschaft ergötzte sich an solchem törichten Wesen, das mir aber unausstehlich war, wie alles Hänseln und Foppen untergeordneter und schwacher Personen.

Der durch die Stände herbeigezogene Adel aus der Pfalz und dem Breisgau besuchte gleichfalls diesen Kreis, wo man sich unter Gleichen und Gleichgesinnten am rechten Platze fühlte; jedoch merkte ich bald, daß einige der Klügern mir mißtrauten, und ich weiß nicht, war es Zufall oder stille Verabredung, aber so frei auch sonst politische Dinge besprochen wurden, von ständischen Sachen war, in meiner Gegenwart wenigstens, nur selten und karg die Rede.

Mit der Abreise von Redens nach Rom erlosch in Karlsruhe alle Geselligkeit, nämlich die angenehme, nach unserm norddeutschen Zuschnitt. Mit den Einheimischen hatten wir es auf alle Weise versucht, aber sie waren aus ihrer Gewöhnung nicht herauszubringen. Uneingeladen zu kommen, aus eignem Antrieb, auf gutes Glück, das dünkte den Damen unmöglich, wenn auch einige Herren sich allmählich dazu verstanden hatten. Zwar Frau von Berstett wünschte wohl Gesellschaftsabende zu haben, aber es fehlte ihr an allem Geschick dazu, auch zu ihr kamen die Leute nur spärlich und eilten so schnell als möglich, der Langenweile zu entfliehen, die dort ihren Sitz aufgeschlagen hatte. Für uns[339] blieb daher nichts übrig, als zu Hause zu bleiben. Ich war den Tag hindurch vollauf beschäftigt, versäumte die Kammersitzungen selten, hatte meine Berichte darüber zu schreiben und nebst andern Geschäftssachen eine große Menge von Briefen. Ich war hochbefriedigt, wenn ich den Abend vergnügt mit Rahel zubringen konnte, für sie aber wünschte ich einige gesellschaftliche Mannigfaltigkeit, die freilich dadurch nicht gewonnen war, wenn etwa Friederich oder ein Lieutenant von Hinckeldey oder von Vincenti ganz allein sich zu uns hinsetzte und Unterhaltung nicht brachte, sondern erwartete; sehr oft blieben wir ganz einsam. Es traten schöne Tage ein, die Abende waren lau, von hellem Mondschein beleuchtet, die Luft still und von Feld- und Gartendüften erfüllt. Da wir in einer wenig besuchten Straße wohnten, so ließen wir uns Tisch und Stühle vor das Haus setzen, tranken im Freien unsern späten Tee und saßen nicht selten bis tief in die Nacht hinein. Vorbeigehende grüßten uns und wunderten sich allenfalls über unser Tun, doch gefiel es ihnen, daß wir nicht zu stolz waren, eine so kleinbürgerliche Sitte mitzumachen. Ich dachte nicht, daß eine so unbedeutende und harmlose Sache bald würde zu meiner Verteidigung anzuführen sein.

Eine Spazierfahrt mit Rahel nach dem nahen Ettlingen, das besonders durch seine gute Luft anlockte, brachte mir unvermutet die Bekanntschaft Liebensteins, der mit einigen Freunden hinausgeritten war, um die großen Fabrikanstalten des Abgeordneten Buhl zu besichtigen. Ich hätte ihn auf dem Museum sehen können, wo er fast jeden Abend mit vielen Kollegen sich einfand; allein ich besuchte diesen Ort nicht gern und jetzt gar nicht, weil ich diese Zurückhaltung für schicklich hielt. Da wir in demselben Wirtshause Kaffee tranken und er hörte, wer ich sei, so kam er freundlich heran, stellte sich und seine Freunde – ebenfalls Abgeordnete – mir vor, und es entstand ein lebhaftes, von Witz und Scherz und auch wieder von scharfem Ernst gewürztes Gespräch, das uns allen große Freude machte. Beim Nachhausefahren[340] ritten die Herren in fortgesetztem Sprechen eine Weile neben unserm Wagen, gaben aber bald ihren Pferden die Sporen und eilten uns weit voraus. Aus diesem Begegnen folgte nichts, als daß Liebenstein am nächsten Tag eine Karte bei mir abgab oder abgeben ließ und daß ich dies auf gleiche Art erwiderte. Indes war unser Zusammensein gesehen und davon in verschiedenem Sinn gesprochen worden. Es hieß sogar, es hätte eine Beratung zwischen uns stattgefunden, worüber Rahel und ich, als man es uns wiedersagte, nur herzlich lachten.

Die Ständeverhandlungen gingen ungehemmt weiter und stiegen in der Zweiten Kammer unter so glänzenden als gründlichen Erörterungen zu einer außerordentlichen Spannung empor. Die Minister hatten schon ganz darauf verzichtet, diese Abgeordneten, deren Kraft und Einigkeit nur entzweite Schwäche gegenüberstand, zu leiten oder niederzukämpfen, sie suchten ihre Hülfsmittel nur noch außerhalb der Kammern, in Einflüssen, die ihnen besser zur Hand waren und bei deren Anwendung sie persönlich keine Gefahr oder Blöße zu fürchten hatten. Eine Beifallsadresse an die Zweite Kammer wegen deren mutigen Verhaltens, überreicht abseiten der Stadt Heidelberg von deren Vertreter Winter, wurde als strafbare Übertretung der Verfassung ausgeschrien; die Bürger hießen schlechtgesinnt, weil sie solchen Beifall erteilt, die Abgeordneten pflichtvergessen, weil sie ihn angenommen. Daß die ganze Zweite Kammer ein Nest von Jakobinern sei, war der gelindeste Ausdruck, mit dem man sie bezeichnete. Am Hof, im Kreise der Diplomaten, des Adels, an den benachbarten Höfen, in Frankfurt am Bundestage und bei der dortigen vornehmen Gesellschaft, überall kamen die lästerlichsten Reden in Umlauf, beglaubigt und bekräftigt von den höchsten Autoritäten, Meine Kollegen berichteten alle in diesem Sinn an ihre Höfe, und man glaubte ihnen bereitwillig und dankbar; denn gegen die Stände zu sein, galt für pflichttreue, loyale Denkart. Dabei hatten sie jedoch die größte Mühe, die verhandelten[341] Sachen nur zu verstehen; die Formen waren ihnen so fremd wie der Gehalt und diesen aus jenen herauszuschälen meist unmöglich, sie unterschieden nicht Anträge von Beschlüssen und oft nicht, was gegen oder für die Regierung war. Sie wußten, daß ich nicht mit ihnen übereinstimmte, aber sie trauten mir vollkommen zu, die Sachen zu verstehen, und es ist buchstäbliche Wahrheit, wenn ich sage, daß ich selten eine inhaltvolle und lebhafte Sitzung verließ, ohne daß sogleich Palffy und Reigersberg sich links und rechts mir an die Arme hingen, mich in den Schloßgarten zogen und nun von mir wissen wollten, was das Gehörte eigentlich meine, wie für ihre Depeschen, die noch am nämlichen Tag abgehen mußten, aufzufassen sei. Montlezun war in solchen Fällen einigermaßen durch Sprachunkenntnis entschuldigt; Struve, der seine Berichte für das ferne St. Petersburg nicht so zu beeilen brauchte, konnte sich alles zu Hause sorglich überlegen; nur Wächter bedurfte keiner Nachhülfe und konnte ohne Verzug das Nötige berichten, doch lasse ich dahingestellt, ob er nicht etwas zu dunkle Färbung dabei gebraucht, denn er wußte zu gut, daß man in Stuttgart, wo die Verfassung noch in den Geburtswehen lag, einige Eifersucht auf Karlsruhe hegte und sowohl den Glanz beneidete als die Gefahr fürchtete, welche dieses nachbarliche Ständewesen blicken ließ.

Unterdessen hatten sich die Gewitterwolken immer düstrer zusammengezogen, und am 8. Juni brach der stärkste und kühnste Schlag hervor. An diesem Tag erfolgte in der Zweiten Kammer der Bericht über das Adelsedikt, den man vergebens gehofft hatte verhindern zu können; die Sache war in ihrem verfassungsmäßigen Gange nicht aufzuhalten, außer durch Vertagung oder Auflösung der Stände, woran nicht gedacht werden konnte, da das Budget noch nicht bewilligt war. Zum Berichterstatter war Winter von Karlsruhe gewählt, und da dieser mit der Eigenschaft eines Abgeordneten auch die eines Staatsbeamten und sogar Regierungskommissärs verband, so mußte man aufs höchste[342] gespannt sein, von welchem Standpunkt er seine schwierige Aufgabe lösen werde. Für ihn war darüber kein Zweifel, hier hatte jetzt nur der Abgeordnete zu sprechen.

Ernst und ruhig betrat er die Rednerbühne und begann mit herber, doch klarer Stimme seinen gediegenen Vortrag, der über eine Stunde dauerte und dem die gedrängte Versammlung in größter Stille mit höchster Aufmerksamkeit lauschte. Mit unwiderleglichen Gründen bewies er, daß das Adelsedikt nicht die Erfüllung der Bundesvorschrift, wohl aber eine Verletzung der Verfassung sei, daß der Inhalt nicht von Gerechtigkeit, sondern von willkürlicher Begünstigung ausgehe, daß die ausgesprochenen Vorrechte in den früheren Zuständen, auf die man sich doch berufe, nicht begründet, in den gegenwärtigen Verhältnissen durchaus unstatthaft, ein schreiendes Unrecht gegen die Untertanen, eine Beeinträchtigung sogar der Rechte des Thrones sein würden. Mit gerüsteter Kraft und hellem Geiste zerstörte der Redner Schlag auf Schlag die Blendwerke und Täuschungen, in welche man die Wahrheit zu hüllen gesucht, und leitete aus dieser mit strengen unwiderstehlichen Folgerungen als Ergebnis die Sätze her, die er der Kammer zur Beschlußnahme glaubte empfehlen zu müssen. Die Meisterschaft dieses Berichts, seine geistvolle Tiefe und reife Sachkunde sowie seine wissenschaftliche Ruhe und geschichtliche Helle erregten allgemeines Erstaunen. Niemand, am wenigsten die Minister und Hofleute, hatten solche Fähigkeiten und solchen Mut von einem Mann er wartet, auf den man bisher die vornehmen Blicke zu werfen kaum gewürdigt. Als er am Schlusse noch in schmerzlich-unwilligem Tone die persönliche Bemerkung beifügte: »Ich habe hier als Abgeordneter, aber auch als Staatsdiener meine Pflicht erfüllt, wenn es auch für einen solchen eine bedauerliche Aufgabe bleibt, die Rechte des Fürsten gegen dessen eignes Ministerium zu verteidigen«, erscholl von allen Seiten stürmischer Beifall und begeisterter Zuruf; die Sitzung wurde aufgehoben, und alles eilte hinaus, um Winter noch zu sehen, zu[343] begrüßen. Wir Diplomaten gerieten im Weggehen in das Gedränge, plötzlich sahen wir uns dem Gefeierten gegenüber, und ohne mich oder ihn erst zu fragen, stellte mir ein Bekannter ihn vor. Ich mußte ihm einige Worte sagen, auf die er weniges erwiderte. Das war der ganze Auftritt, vor hundert Zeugen, unter den Augen meiner Kollegen. Was man daraus gemacht hat, sollt ich nur zu bald erfahren!

Die Schlußanträge Winters hatten weder Gefährde noch Trotz, sie liefen auf das bescheidene Gesuch hinaus, die Erste Kammer möchte mit der Zweiten sich zu der gemeinsamen Bitte an den Großherzog vereinigen, das Adelsedikt nicht zur Ausführung zu bringen. Nach lebhaften Debatten, in denen der Mut und das Talent der beiden Winter, Duttlingers und vor allen Liebensteins in siegreicher Stärke glänzten, ging auch die Mehrheit der Kammer nicht über jenes Gesuch hinaus.

Aber die Minister und Junker waren in furchtbarer Aufregung. Verwirrt, bestürzt, hatten sie erkannt, welch überlegener Geistesmacht sie hier weichen mußten; sie verließen den Saal geschlagen, beschämt, doch mit kochendem Groll im Herzen. Zuerst ging es über Winter her; es gab nicht Schimpfworte genug für ihn, er war ein Verbrecher, der zur Untersuchung gezogen werden mußte, die sofortige Dienstentlassung war das wenigste, was zu verfügen war, daß er keinen Augenblick Regierungskommissär bleiben könne, verstand sich von selbst. Dann fragte man, woher der Mann das habe, wer seine Gehülfen seien; denn man werde sich nicht einreden lassen, daß ein so untergeordneter Beamter aus eigner Kraft so emporsteigen könne; daß seine Rede etwas Außerordentliches, in seiner Art Meisterhaftes sei, konnte und wollte man nicht geradezu leugnen. Nicht weniger heftig ging es über die ganze Kammer her; die Revolution, hieß es, sei in vollem Ausbruch, Thron und Staat und die ganze bürgerliche Ordnung in äußerster Gefahr; die Zweite Kammer, vielleicht ein paar Vögte ausgenommen, sei eine Rotte von Bösewichtern, die man unschädlich[344] machen müsse; eine Rotte, die nicht einmal Häupter oder Anführer habe, an die man sich halten könnte, die daher in Masse ohne Schonung zu vernichten sei. Dies hatten sie richtig wahrgenommen, kein einzelner stand an der Spitze, niemand, selbst Liebenstein nicht, wollte sich zum Leiter aufwerfen, und es war auch nicht nötig, die ganze Kammer erschien nur um so stärker überall in Form einer gleichgesinnten Gesamtheit.

Anfangs hoffte man, die Kammer durch trotzige Drohungen zu erschrecken. Berstett hielt am nächsten Tag eine Rede, die er sich eiligst hatte ausarbeiten lassen, mit heftigen Ausfällen gegen die Jakobiner, die, wie sonst in Frankreich, jetzt in Deutschland tätig wären; sprach von Revolution und deren Ausschweifungen, die alles ins Unglück stürzten. Seine Rede, leerer Dunst und Schwall, verhallte wirkungslos, und erbittert über die stumme Niederlage, zog er sich zurück, indem er sich verschwor, in dieser Kammer je wieder aufzutreten, was er meines Wissens auch gehalten hat.

Darauf entstand der Gedanke, man müsse sich auf die Erste Kammer stützen und durch sie ein Gegengewicht der Zweiten schaffen; allein der Augenschein zeigte, daß die Erste Kammer der Zweiten gegenüber gar nichts bedeute, keinen Rückhalt im Volk und kein Ansehen in der öffentlichen Meinung und an Kraft und Talenten nur das habe, was in ihr als Opposition dastand und mit der Zweiten Kammer übereinstimmte. Und wär es nur der einzige Rotteck gewesen, er wog die sämtlichen andern Mitglieder auf und konnte zwar nicht über deren Stimmen gebieten, aber seine scharfen, gediegenen, unerbittlichen Erörterungen, seine mit der Kraft der Wahrheit ausgerüsteten, mit dialektischer Kunst entwickelten Anträge trafen immer den Kern der Sachen und schlugen die Anmaßungen der Gegner siegreich nieder; sie verstummten, und erst, wenn sie aus der Kammer heraus und unter sich waren, fanden sie Worte, ihren Unmut auszulassen. Aber ganz allein stand Rotteck in[345] der Kammer doch nicht; es gab Anlässe, bei denen Wessenberg, Thibaut, der Fürst von Fürstenberg und sogar der schwache, schüchterne Hebel ihm beistimmen mußten, wenn sie nicht mit sich selbst in auffallenden Widerspruch geraten wollten. Als das Adelsedikt an diese Kammer gelangt war, hatte der Berichterstatter Freiherr von Türckheim sich zwar als Streiter gegen die Zweite Kammer hervorgewagt, aber anstatt mit guten Gründen sie mit schlechten persönlichen Ausfällen zu bekämpfen gesucht; doch als für die Debatte außer Rotteck auch Thibaut sich als Gegenredner gemeldet hatte, so fürchtete man das Auftreten dieser beiden so sehr, daß man lieber die ganze Sache fallenließ und unter dem Vorwande, die Meinung des Bundestages anhören zu wollen, das tat, was die Zweite Kammer beantragt hatte, man erklärte, das unglückliche Machwerk fürerst nicht in Ausführung bringen zu wollen. So blieb denn diese Kammer so gut wie gelähmt und für die Regierung wie für die Aristokratie selbst, zu deren Gunsten sie doch eingerichtet war, wenig brauchbar. Berstett und seine Genossen hofften auf andern Wegen ihr Heil zu finden. Das verderbliche Treiben sollte den großen Mächten vorgestellt, deren Hülfe angerufen werden, vor allem der Bundestag einschreiten. Etwas von diesem wurde in der Tat versucht, allein nur als geheime unamtliche Anregungen, die von keiner Behörde vertreten wurden noch öffentlich hervorzutreten wagten. Es blieb genug von den giftigen Angebereien hängen und wirkte im stillen fort, aber zu amtlichen Schritten konnte es noch nicht kommen: die großen Höfe waren unter sich noch nicht einig, der Bundestag hatte mit sich selber die größte Not, und die beiden Grafen, die an seiner Spitze standen, Buol-Schauenstein und Goltz, gaben ihre Schwäche täglich zur Schau.

Die Abgeordneten ließen sich durch die gehässigen Verleumdungen und Angriffe nicht irren, sondern schritten fest in ihrer verfassungsmäßigen Bahn weiter; gestützt auf die gute Meinung ihrer Mitbürger, die besser wußten, wie redlich[346] und gemäßigt ihre Vertreter waren, achteten sie des schnöden Unglimpfs nicht, der täglich auf sie gehäuft wurde, und das Gespenst von revolutionärem Geist, das man aufstellte, schreckte nur die schwachen Köpfe der Einsichtslosen oder Furchtsamen. Streng hielt sich die Zweite Kammer an die Verfassung; kein Versuch, über sie hinauszugehen, fand statt, sorgfältig wurde die Geschäftsordnung beachtet; keine Unschicklichkeit kam vor, kein Ruf zur Ordnung war jemals nötig; den aufreizendsten Beleidigungen gelang es nicht, die ruhige Standhaftigkeit, den Ernst und die Würde zu stören, welche unausgesetzt in allen Verhandlungen sich behaupteten. Vornehme Russen, die von Paris kamen und als Reisende zufällig einer Sitzung der Zweiten Kammer beiwohnten, konnten sich nicht erwehren, mit vergleichendem Urteil als unparteiische Zeugen in die größten Lobeserhebungen dieses ruhigen gesetzlichen Ganges und dieser maßvollen Haltung auszubrechen, und beteuerten, diese Deutschen seien vor allen Völkern zum Verfassungswesen und zum öffentlichen Verhandeln berufen! Einer dieser Russen, erinnere ich mich sehr wohl, war des berühmten Namens Potemkin und später Gesandter in Rom. Das Gegenstück hiezu will ich nicht verschweigen! Die Oberhofmeisterin Gräfin Walsh sagte beim Schluß einer Sitzung im Hinausgehen zu Rahel: »Haben Sie den Unsinn gehört? Die gemeinen Leute wollen ordentlich mitsprechen! Gott, warum hat der vorige Großherzog sich zu solcher Verfassung bereden lassen! Ihr König wird doch so was nicht auch tun?« Rahel erwiderte bloß: »Versprochen hat er's.«

Ein paar Vorgänge waren von ergreifender Wirkung und verdienen, aufbewahrt zu werden. Bei einem Anlasse warf ein Regierungskommissär dem Abgeordneten Winter von Heidelberg vor, daß er zu streng und eigensinnig sei, dadurch die Sachen erschwere und die Verantwortung auf sich lade, selbst manches von ihm und seinen Freunden doch Gewünschte zu vereiteln; da stand Winter auf und rief mit bewegter Stimme: »Nicht was ich und meine Freunde wünschen,[347] kommt hier in Betracht, sondern unsere Pflicht, das Beste des ganzen Landes im Auge zu behalten. Dafür hab ich beim Schwur meine Hand aufgehoben, und ich erhebe sie wieder!« Ein anderes Mal, nachdem gezeigt worden, daß verfassungsmäßig keine der Kammern eine besondere Klasse vertrete, bekräftigte Duttlinger dies mit dem Ausspruch: »Der Grundherr in der Ersten Kammer, obgleich er adelig ist, vertritt nicht den Adel, sowenig als ich in der Zweiten die Leibeigenen vertrete, obwohl ich leibeigen bin.« Zuerst erfolgte Staunen und ungläubiges Lachen, und man rief ihm von der Regierungsseite zu, es gebe in Baden keine Leibeigenschaft mehr! Duttlinger jedoch wiederholte mit feierlicher Gelassenheit: »Meine Herren, ich bin ein Leibeigener, was ich sage, ist wahr, und außer mir sind noch andere Mitglieder dieser Kammer in gleichem Falle.« Da folgte beschämtes Schweigen. Der gelehrte Professor des Rechts, der hochgeschätzte feingebildete Mann, der erwählte Volksvertreter ein Leibeigner! Der Eindruck dieses schneidenden Bekenntnisses war gewaltig, und gegenüber solcher Tatsache, dem Unrecht und der Rechtslosigkeit, mußte der Anspruch auf Vorrechte ganz verstummen.

Ich muß wieder eine Strecke zurückgehen, um einiges nachzuholen, was sich unterdessen in anderer Richtung ereignete. Nachrichten aus Berlin stellten uns die öffentliche Meinung dort in größter Gärung vor; die verschiedenen Ansichten und Denkarten, welche sich lange im Dunkel feindlich angeblickt, waren seit der Mordtat Sands offner hervorgetreten und gruppierten sich in Parteien, deren eine zwar nur klein, aber durch Hof- und Adelsverhältnisse mächtig war, die andere, freisinnige, die im ganzen Volke vorherrschte und die Mehrzahl der bessern Staatsbeamten und gebildeten Offiziere für sich hatte. Hardenberg stand unzweifelhaft auf dieser Seite und gewissermaßen auch der König, der im Grunde bürgerlich gesinnt war. Aber von Adeligen umgeben, den Einflüssen derselben offen sowie der allgemeinen Stimmung der Höfe und erschreckt durch mancherlei[348] Warnungen, zu denen die Regungen des Volksgeistes in Frankreich und Deutschland leicht benutzt werden konnten, neigte er stark zu den Ultras, die sich als die Kämpfer für Thron und Staat ankündigten und beide zu retten versprachen. Die Hauptfrage war jetzt, wiefern die verheißene Verfassung wirklich zu erteilen sei und wie sie beschaffen sein müsse. Hardenberg, der seine politische Laufbahn mit diesem Werke schließen wollte, würde dasselbe möglichst freisinnig eingerichtet haben. Es wurde daher alles aufgeboten, ihm diese Sache zu entwinden. Da er nicht ohne Schwächen war und manche Fehler beging, so wurden diese mit Eifer benutzt, ihm zu schaden, sowohl beim König als in der öffentlichen Meinung. Außer den Feinden alles Fortschritts, die schon gegen seine Vorgänger, besonders auch gegen Stein, ihre Ränke gesponnen hatten, bekam er nun auch diesen und einen großen Teil der freisinnigen Männer zu Gegnern, denen er nicht mehr freisinnig oder, wie man es auch nannte, nicht sittlich genug dünkte. Man hielt Wilhelm von Humboldt für den geeigneten Mann, nicht ihn zu ersetzen – das wollte man nicht –, wohl aber ihn zu stützen, und es war daher die große Angelegenheit, diesen in das Ministerium zu bringen. Dies war nicht so leicht, indem auch seinerseits Humboldt sich ungemein schwierig zeigte, doch gab er zuletzt nach, und es war schon ziemlich entschieden, daß er ein Stück des Ministeriums des Innern – einstweilen sollte er sich damit begnügen – erhalten werde. Der Staatskanzler, geschwächt und beengt und wegen seines Alters und seiner Fahrlässigkeit hart beschuldigt, war nun nicht mehr imstande, sich in seinem hohen Amte freisinnig zu behaupten, er mußte, wie schon früher oftmals geschehen, den entgegengesetzten Strömungen nachgeben. Wir sahen eine Krisis voraus, die unter solchen Umständen nur unglücklich ausfallen konnte.

Ich fühlte wohl, daß Hardenberg für mich keine Stütze mehr war, und doch war er der einzige Hochgestellte, zu dessen Denkart ich noch volles Vertrauen hatte und dem ich[349] auch aus persönlicher Dankbarkeit mich verpflichtet hielt. Ich machte hieraus kein Geheimnis und widerstritt Hardenbergs Tadlern, soweit ich es mit Grund konnte. Übrigens hatte ich zu ihm kein näheres Verhältnis mehr, und er wußte kaum, daß ich zu seinen Verteidigern gehörte. Die Ultras in Berlin aber, und auch Stein und Humboldt, wußten es recht gut und verdachten es mir sehr. Den letztern stimmte ein besonderer Umstand noch kälter gegen mich. Ein ausführliches Sendschreiben von ihm über Verfassung war veröffentlicht worden – ohne Zweifel in solcher Absicht schon geschrieben –, worin er über diesen Gegenstand sehr trübe Ansichten aufstellte und dem Gemeinplatz von geschichtlichen Grundlagen, mit dem in Deutschland so viel Unwesen getrieben worden, eifrig das Wort redete. Dieses schwache, seines Geistes unwürdige Schreiben fand in der »Speyerer Zeitung« einen kritischen Gegner, der mit höhnischer Dialektik dasselbe zerhieb und zermalmte. Humboldt hatte dergleichen nicht erwartet und erfuhr auf sein Nachforschen, der Artikel sei aus Karlsruhe gekommen, wo sich denn die Vermutung von selbst ergab, ich müsse ihn geschrieben haben. Nun war allerdings in der »Speyerer Zeitung«, welche Butenschön herausgab, schon mancher kleine Aufsatz von mir erschienen, aber gerade diesen hatte nicht ich, sondern Ludwig Robert ihm ohne mein Wissen und sehr zu meinem Verdruß eingeschickt; denn ich fand es nicht schön, mit einem Freunde, der Humboldt uns doch immer war, hinterrücks so schnöde zu verfahren. Indessen blieb er in dem festen Glauben, ich sei der Urheber, was ich erst mehrere Jahre nachher von ihm selbst erfuhr und nun ohne Bedenken berichtigen konnte, da Ludwig Robert nicht mehr am Leben war. Meinen Vorwurf gegen Humboldt, wie er mich habe in Verdacht haben können, beseitigte er lachend mit den Worten: »O ich weiß wohl! Aber man neckt sich und liebt sich dabei doch!« Indessen schien er doch sehr zufrieden, diesen Aufschluß erhalten zu haben.[350]

Abwesend hatte ich demnach in Berlin ziemlich denselben Stand wie in Karlsruhe, und ich verhehlte mir nicht, daß ich an beiden Orten sehr gefährdet sei. Doch was sollte ich tun? Meine Überzeugung konnt ich nicht verleugnen, die tatsächliche Wahrheit durft ich nicht entstellen; so wenig es sein mochte, ich wollte in dem großen Kampfe, der schon damals ein allgemeiner war, mein Teil redlich mitkämpfen. Meine Berichte stellten gewissenhaft die Sache der Stände in das rechte Licht und rügten Fehler und Mißgriffe der Minister. Sie waren die einzigen, die man von dieser Art in Berlin empfing, und erregten unruhige Verwunderung; man rühmte die Abfassung, aber war desto unzufriedener mit dem Inhalt. Die Winke, welche mir von Freunden darüber zukamen, mußt ich unbeachtet lassen.

Unter meinen kurzen Ausflügen nach Baden war einer durch einen Vorgang merkwürdig, den ich nicht unerwähnt lassen kann. Ein Komet war seit einiger Zeit am Himmel erschienen und strahlte abends im Norden mit herrlicher Pracht. Das Wunderzeichen übte seine zauberische Macht auf die Gemüter, und selbst unabergläubische fühlten ahndungsvolle Schauer und suchten irgendeine Bedeutung mit dem drohenden seltnen Schein zu verknüpfen. Ich erinnere mich noch sehr gut, daß wir eines späten Abends, eine Gruppe von Herren und Damen, zusammenstanden und im Anblick des schönen Sterns allerlei Betrachtungen machten, als ein Ankömmling aus Frankfurt sich zu uns gesellte und nach einer Weile plötzlich ausrief: »Aber wissen Sie denn die neueste Neuigkeit schon?« Niemand wußte, was er meinte. »Sand hat einen Nachfolger gehabt«, fuhr er fort, »ein Staatsbeamter von Ibell ist in Schwalbach von einem jungen Menschen ermordet worden.« Der Eindruck war furchtbar; es schien, als ob der Meuchelmord in Deutschland eingeführt werden sollte, und solches Unheil durfte wohl durch einen Kometen verkündet werden! Indes am nächsten Morgen kamen genauere Nachrichten, die Tat war mißlungen, der Apothekerlehrling Löning, der den Anfall[351] versucht hatte, war ergriffen; die leere Nachahmung ohne tiefen Grund und bedeutenden Gegenstand zeigte keinen weitern Zusammenhang, und nachdem der erste Schrecken überwunden war, legte man der Sache keine besondere Wichtigkeit bei und ließ sich wenig von ihr stören. Man durfte sogar glauben, daß mit diesem elenden Beispiel die gräßliche Verirrung ihr Ende genommen habe.

Die Freiheitsunterdrücker und Demagogenverfolger suchten auch aus dieser traurigen Geschichte den möglichsten Vorteil zu ziehen und erneuerten ihr Geschrei von Verschwörungen, deutschen Assassinen; der Kampf in Schriften und Zeitungen wurde mit Erbitterung fortgesetzt; hier wurden die Ultras fast immer geschlagen und schmählich zu Paaren getrieben; allein der Trieb, man kann sagen, die Wut, nach dem erhobenen Lärm nun auch wirklich Verschwörungen nachzuweisen oder herauszudeuten, führte hartnäckig neue Truppen ins Gefecht, und wenn ihre unhaltbaren Angaben am Lichte der Wahrheit zerfallen waren, hatten sie sogleich wieder neue ebenso unerweisbare hingestellt. In jedem Fall waren sie gewiß, allen Nachteil, den sie in der öffentlichen Verhandlung erlitten, durch ihre geheimen politischen Anschläge, die für Karlsbad eingeleitet wurden, hundertfach wieder einzubringen.


Durch die Vorlegung des Finanzgesetzes oder Budgets, des eigentlichen Hauptstoffs aller Wirksamkeit, waren die Ständeverhandlungen in ein ganz neues Stadium getreten. Alle Geldbewilligung war durch die Verfassung vorzugsweise der Zweiten Kammer zugewiesen. Es war daher nicht bloß Folge der öftern Erinnerungen des Ministeriums, es war auch Folge der bedrängenden Anfeindungen, daß die Kammer sich nun hauptsächlich diesem Gegenstande zuwandte und die sonstigen Angelegenheiten teils ruhen ließ, teils nur mit nachlassendem Eifer fortsetzte; denn allerdings war für diese, selbst bei den edelsten Anstrengungen und reichsten Arbeiten, wenig zu hoffen, da sie noch an eine Erste Kammer[352] gelangen mußten, auf deren Sinn und Willen nicht zu rechnen war, und an ein Ministerium, das sich schon vollkommen feindlich erwies. Das Budget aber war der Grund und Boden, auf dem die Abgeordneten am unbestreitbarsten feststehen und endgültige Beschlüsse fassen durften. Die Beschaffenheit der Finanzvorlagen war auffallend durch die Höhe der Summen, durch die Anordnung des Ganzen; ein schlecht verhülltes Defizit war bald entdeckt und mußte eingestanden werden; es schien, als habe man absichtlich den Unwillen und die Verstimmung der Abgeordneten hervorrufen, sie zu strengen Entschließungen drängen wollen, um darauf nachher um so treffendere Vorwürfe zu begründen. Über manche Gegenstände, die ihnen zur Entscheidung hingegeben wurden, hätten sie lieber nicht abgesprochen, sondern gern ein Zartgefühl geehrt, durch das ihnen diese Gegenstände wären entzogen worden; sie selbst aber, wider Willen zur Entscheidung aufgerufen, glaubten auf ihrem Standpunkte nicht bloßem Zartgefühl folgen zu dürfen. So bei der allerdings harten und gewiß nicht klugen Verkürzung der Jahrgelder der Großherzogin Stephanie und der Markgräfin Amalia. Beides war dem Großherzog insgeheim lieb, und als auch die Summe für den Unterhalt der drei Töchter der Großherzogin kärglich bestimmt wurde, sagte der Großherzog zu mir: »Das ist schon ganz recht! Was braucht die Großherzogin eine so kostbare Erziehung für ihre Kinder? Die Frau von Graimberg bekommt jetzt als Erzieherin mehr, als sonst alle badischen Prinzessinnen gekostet haben! Wegen der Markgräfin«, fügte er hinzu, »ist mir doch die Sache unangenehm, weil die nun in St. Petersburg sehr schreien wird.«

Nebenius war der Hauptverteidiger des Budgets, das er aber nicht entworfen hatte. Mit dem redlichsten Willen und der größten Gewandtheit erfüllte er seine Aufgabe bis zu den äußersten Grenzen; aber offenbaren Tatsachen konnte er nicht widersprechen, zu Lügen und Verdrehungen sich nicht erniedrigen. Der Kampf war auf manchen Punkten[353] lebhaft, überschritt indes nie die Schranken des Anstandes und der Ordnung. Der Kriegsminister Generallieutenant von Schäffer, mit dem ich kurz vorher einen Kartellvertrag unterhandelt und abgeschlossen und dabei seiner franken Redlichkeit mich erfreut hatte, gewann in der Erörterung des Militärbudgets, an der er seinerseits mit Offenheit und Nachdruck teilnahm, und durch die stolze Freimütigkeit, mit der er bekannte, gemeiner Soldat gewesen zu sein, die größte Hochachtung, selbst derer, die ihn bestreiten mußten. Man sah deutlich an diesen Beispielen, daß es den Ministern bei etwas mehr Geschick und weniger Hoffart sehr leicht gewesen wäre, von der Kammer die rücksichtsvollste Nachgiebigkeit zu erlangen. Allein sie legten es wie geflissentlich nur immer auf größeren Zwiespalt an und stimmten auch den Großherzog immer feindlicher. Als ich nach einer Sitzung ihn besuchte, fand ich ihn von dem Verlaufe derselben schon unterrichtet und sehr aufgereizt gegen die Abgeordneten sowohl als gegen die Regierungskommissäre, besonders gegen Nebenius. »Der Nebenius«, sagte er, »das können Sie mir glauben, lieber Varnhagen, der hätte eigentlich das Zuchthaus verdient, der hat ja den Ständen über die Finanzen solche Aufschlüsse gegeben, die ein Verrat seiner Amtspflicht sind!« Ich wollte versuchen, den braven und in meinen Augen vorwurfsfreien Mann zu verteidigen, allein bevor ich noch Worte fand, fuhr der Großherzog zu meinem Erstaunen in gleichem Zorn heraus: »Zwar ich kann nichts dagegen sagen, mein Wille war's, ich hatte ihm befohlen, den Ständen alles offen hinzulegen!« Nachdem der Großherzog dies gesprochen, was konnte ich noch sagen? Ich sah traurig und hoffnungslos in diesen Abgrund von Verwirrung und Widerspruch. In gleicher Weise machte der Großherzog nun den Abgeordneten zum Vorwurf, daß sie das Wittum der Großherzogin und der Markgräfin geschmälert und die Erziehung der Prinzessinnen in unanständiger Weise gleichsam an den Mindestfordernden zur Versteigerung gebracht hätten! Ich konnte mir nicht verhehlen, daß in seinem Innern[354] nur ein kleiner Raum bessern Bewußtseins noch frei war, auf welchem sein Vertrauen zu mir wurzeln konnte, aller übrige gehörte schon den giftigsten Einflüsterungen.

Die Verhandlungen nahmen nun mehr und mehr die Gestalt eines bittern Kampfes. Der Regierungskommissär Staatsrat von Sensburg, der ohne Geist und Fähigkeit sich anmaßte, den Abgeordneten vorzuhalten, die Beamten verstünden die Sache besser als sie hier Versammelte, unter denen gerade die höchsten und kundigsten Beamten saßen, wurde mit solchen starken Gründen zurechtgewiesen, daß er wohl erkennen mußte, diese ständischen Sachen verstehe er ganz und gar nicht, und daß er sich kaum noch wieder wollte sehen lassen. Weil man mit dem Bundestage gedroht hatte, schleuderte Liebenstein gegen diesen eine geistvolle Rede, die jede Einmischung dieser Behörde, die auf ihrem eigenen Felde genug zu tun habe und so wenig leiste, nachdrücklich verwarf, und worauf in Frankfurt kein Wort erwidert wurde.

Jetzt kamen auch die Verdächtigungen dreister hervor, die mich bisher dunkel umschlichen hatten. Ich erfuhr, daß der Polizeidirektor von Sensburg, Sohn des Staatsrats, von Berstett heftig war ausgescholten worden, er sei nachlässig in seinem Amt oder lasse sich berücken: wieso habe er nicht gemeldet oder ihm entgehen können, daß die Häupter der Zweiten Kammer alle Abend bei dem preußischen Ministerresidenten zusammenkämen und dort bis tief in die Nacht berieten? Vergebens wandte Sensburg ein, er müsse diese Angabe durchaus bestreiten; denn er selber sei jeden Abend mit diesen Abgeordneten auf dem Museum zusammen, das sie selten vor Mitternacht verließen, und von mir könne er bestimmt versichern, daß ich die Abende fast immer ohne alle Gesellschaft sei, ja ganz einsam mit meiner Frau beim Tee gewöhnlich vor der Haustüre sitze; ihm wurde gesagt, diese Nachrichten seien falsch, er solle sich bessere Kundschafter halten. Sensburg selbst, den ich übrigens nicht kannte, ließ mir durch Friederich von diesem Vorfall Nachricht geben und mich zur Vorsicht ermahnen;[355] denn er sah mit Ärger, daß außer seiner Polizei in dem kleinen Karlsruhe noch eine zweite bestehe, der man mehr glaubte, weil sie ihre Nachrichten gefälliger nach den Wünschen einrichte.

Sodann hieß es, ich habe gegen alle Ordnung und Schicklichkeit der Berichterstattung Winters öffentlich Beifall geklatscht, ihn selbst beim Ausgang aus der Kammer umarmt und geküßt. Dergleichen war ich nie gewohnt zu tun, und was vor allen Augen geschehen war, konnte von allen diesen auch als etwas ganz anderes bezeugt werden; ebensowenig ließ mein Benehmen auf der Zuhörerbühne, wo ich mit Fleiß eine stille gleichmäßige Haltung beobachtete, nie erraten, was in mir vorging; mein Tadel oder Beifall blieb stets verschlossen. Meine freisinnigen Ansichten waren bekannt, mein Wohlgefallen an den Ständen gleichfalls, und dem Großherzog und seinen Ministern glaubt ich mein Urteil nicht verhehlen zu dürfen, sowenig wie dem Ministerium in Berlin. Aber politische Streitigkeiten mied ich sorgfältig, ließ jedem seine Ansicht und stand mit allen Fürstlichkeiten, Hof- und Staatsbeamten, Berstett nicht ausgenommen, sowie mit meinen diplomatischen Kollegen auf ungestört freundlichem Fuß, kaum daß einmal scherzend auf unsere verschiedenen politischen Meinungen angespielt wurde. Die Ständemitglieder kannt ich meist nur von dem Sitzungssaale her, hatte keinen näheren Verkehr mit ihnen, namentlich waren Winter und Nebenius mir so fremd, daß ich nicht einmal wußte, wo sie wohnten. Doch sollt ich dem erstern auch sogar seinen Bericht geschrieben haben; denn wie wäre jener, den man so lange Jahre als einen mittelmäßigen Unterbeamten gekannt, plötzlich zu solchem Talent gekommen? Aber wie ich dazu kommen sollte, der ich mich in dieser Art Schriften noch nie versucht hatte, fragte man nicht! Man hätte mit gleichem Rechte sagen können, ich schriebe Schleiermachers Predigten! Genug, ich sollte der geheime Ratgeber und Führer dieser Männer sein, der eifrige Zubläser des Feuers, das überall so gefährlich aufloderte.[356]

Der Ursprung dieser bösen Gerüchte war nicht schwer zu erraten, ihre Verbreitung auf diplomatischem Wege leicht zu verfolgen. Wie in Karlsruhe, so waren sie auch in Stuttgart und Darmstadt, in München und Frankfurt verbreitet. Daß sie auch nach Berlin gedrungen waren, durfte mich nicht befremden; hier allerdings mußten die falschen Angaben, welche von allen Seiten übereinstimmend einliefen und wo man, sie zu prüfen, weder Mittel noch Willen hatte, die stärkste Wirkung tun. Hämisch fragte man unterderhand, was für Weisungen ich denn wohl von meiner Regierung habe, ob ich vielleicht von Hardenberg deren empfange, die denen von Bernstorff widersprächen. Daß ich deren seit einem halben Jahr gar keine erhalten, dachte niemand.

Ich erhielt die amtliche Anzeige, daß der Kronprinz von Preußen auf seiner Reise nach der Schweiz durch Karlsruhe kommen und daselbst am 13. Juli anlangen werde. Infolge gleicher Anzeige hatte schon Küster einige Tage früher sich in Karlsruhe eingefunden. Ich fand ihn äußerst höflich, aber minder vertraulich als sonst, und dagegen mit Berstett, dem er wie auch dem Großherzog bisher wegen meines Zähringer Großkreuzes gegrollt hatte, im besten Einvernehmen. Es mußte mir auffallen, daß ihr eifriges Gespräch, wenn ich hinzutrat, plötzlich abbrach und eine gleichgültige Wendung nahm. Wir fuhren zusammen nach Bruchsal, wo der Kronprinz zuerst eintreffen und bei der verwitweten Frau Markgräfin ansprechen wollte. Wir waren bei ihr zum Frühstück und fanden sie sehr aufgeräumt und gesprächig; sie ließ sich besonders mit mir ein, sprach von ihrer Tochter Amélie, von deren Freundschaft für Rahel. Bald verkündeten ausgeschickte Boten die Ankunft des hohen Gastes, und in Sturmeseile rollten die Wagen in den Schloßhof, stürzte der Kronprinz heraus und flog in die Zimmer der Frau Markgräfin. Der General von dem Knesebeck, der den Kronprinzen begleitete, sagte uns, derselbe würde sogleich nach Karlsruhe weitereilen, und Küster und ich fuhren schleunigst zurück, um uns in Uniform zu werfen und ihn[357] auch dort zu empfangen. Mit schnellen Pferden, deren Lauf er gelegentlich selber mit Peitschenhieben beschleunigte, folgte er uns auf dem Fuße, und kaum gelang es uns, vor ihm an der Türe des Gasthofs zu sein, wo er abtreten wollte. Seine Lebhaftigkeit war außerordentlich, er stürzte mehr aus dem Wagen, als daß er herausstieg, fiel überrascht dem Großherzog in die Arme, stürmte dann die Treppe hinauf, war schnell umgekleidet und besuchte den Großherzog, indem wir alle folgten. Wieder im Gasthof angelangt, sagte er Küstern und mir ein paar Worte und entließ uns, weil er sogleich schreiben wolle. Zu einer Abendtafel in Gala fand er sich nicht ein, besuchte aber den Großherzog und begab sich dann zur Ruhe. Am folgenden Tage war Sitzung der Kammern, der Kronprinz besuchte die der Zweiten Kammer, und als ob es verabredet gewesen wäre, kam nichts vor, was irgendeinen guten Eindruck hätte machen können; keine kühne Rede, keine lichtvolle Erörterung, nur die kleinlichsten Budgethäkeleien, die auch mir Widerwillen erregten und die ihm noch kleinlicher vorkommen mußten; dem Großherzog wurde ein überflüssiger Adjutant abgesprochen, das war die Haupttat der Sitzung, und was sonst Unwillen und Ärger hervorgerufen hätte, schien bei dieser Gelegenheit willkommen zu sein; denn der Kronprinz äußerte sich mißfällig über dies Verfahren der Stände. Knesebeck sprach nachher mit mir über diese ärgerlichen Kammerverhandlungen und hörte nur kopfschüttelnd an, was ich ihm über den wahren Hergang der Dinge sagte, daß nur die Unfähigkeit und der böse Willen der Minister diesen schlechten Stand bewirkt habe. Allein er ließ sich nicht weiter ein und mochte, wie auch der Kronprinz, schon mehr über mich wissen als ich selber. Außerdem war nicht viel Zeit zum Reden, alles war beständig in atemlosem Fluge, nicht nur Knesebeck, sondern auch die jüngern Begleiter konnten kaum mitkommen. Küster und ich konnten von dem Kronprinzen wenig sagen, alle Personen aber, mit denen er sich unterhalten, sprachen mit Entzücken von seiner Liebenswürdigkeit,[358] seinem zwar ungestümen, aber frischen und anmutigen Wesen, seiner jugendlich unbefangenen Freiheit. Am Tage darauf eilte er nach Baden.

Unmittelbar nach diesem Besuch erhielten wir Nachrichten aus Berlin, welche das größte Aufsehen und mannigfache Bestürzung erregten. Es waren daselbst plötzliche Verhaftungen vorgenommen und viele Papiere unter Siegel gelegt worden. Ein Artikel in der »Staatszeitung«, welche zwar der Geheime Staatsrat von Stägemann redigierte, aber dabei gar nicht freie Hand hatte und diesmal ganz den polizeilichen Eingebungen folgen mußte, schlug gleichzeitig Lärm und verkündete die Entdeckung hochverräterischer Verschwörungen und demagogischer Umtriebe, die sich über ganz Deutschland erstreckten, hauptsächlich aber von den Universitäten und vom Turnwesen ausgingen. Über letzteres war schon eine heftige literarische Fehde geführt worden, Steffens in Breslau hatte dasselbe als ein Verderben der Jugend geschildert, auf das staatsgefährliche Treiben aufmerksam gemacht, wodurch er mit seinen früheren Freunden zerfallen war. Man erfuhr, daß der Turnlehrer Jahn verhaftet und nach Spandau gebracht sei, daß Schleiermacher, Reimer, in Bonn Arndt und beide Welcker ihrer Papiere beraubt worden; über vierzig Polizeibeamte waren gleichzeitig von Berlin ausgesandt, um an den verschiedensten Orten Verhaftungen und Beschlagnahmen auszuführen. Außer jenen bekannten Namen wurden eine Menge uns unbekannter angeführt, dann auch wieder solche, die man ganz unglaublich fand. Das Ganze glich einem Staatsstreich, dem Sieg einer Partei, bei dessen Ausführung sie selbst nicht ohne Unruhe war und große Gefahr und möglichen Widerstand erblickte. Der König war des halb auch von Berlin abgereist, um von der Sache nicht unmittelbar berührt zu werden. Die polizeilichen Gewaltmaßregeln gingen zunächst vom Geheimen Rat von Kamptz aus, einem diensteifrigen, sonst nicht bösartigen, aber sehr beschränkten Manne, der sich als blindes Werkzeug gebrauchen ließ. Über ihm stand der Minister des Innern[359] und der Polizei, dieser aber folgte ohne Widerrede den Befehlen oder Winken des Fürsten von Wittgenstein, der als das Haupt der Hofpartei galt, eigentlich aber selbst nur ein Diener dieses Mitteldings von Gespenst und Wirklichkeit war. Der Staatskanzler mußte die Sachen geschehen lassen, überzeugt, daß ihr Ungrund sich erweisen werde; diesen schon jetzt zu behaupten, hätte nur ihn selbst verdächtigt; der Schlag war gegen ihn und seine Freunde mitgeführt, mußte aber an dieser scheinbaren Nachgiebigkeit noch abgleiten; schwerer fühlten sich die höheren sogenannten Liberalen, Stein, Humboldt, Gneisenau, Savigny, Niebuhr, Eichhorn und viele andere, getroffen, die zwar mit jenen Demagogen nicht gleichen Sinnes waren, aber doch durch einige Fäden mit ihnen zusammenhingen, auf Verfassung drangen und daher der Hofpartei noch verhaßter waren als jene, die wenigstens nicht als Nebenbuhler zu hohen Staatsämtern auftreten konnten. Überall widerhallte das Geschrei von Hochverrat, von Anschlägen gegen das Leben der Fürsten und ihrer getreusten Diener, von blutdürstigen Jakobinern, revolutionären Lehren, staatsgefährlichen Vereinen. Die Universitäten, die Zeitungsschreiber, die Landstände, alles Verschiedenartigste, unter sich Feindlichste, wurde in dieselbe Verdammnis geworfen, jeder Zweifel an dem ausgebreiteten Verderben, jedes Schutzwort für die Angeklagten, für die Universitäten, die Presse, jedes Wohlgefallen an ständischen Dingen wurde zum Verbrechen gemacht. Die Höfe, das ganze Junkertum, die Diplomaten stimmten in das Geschrei nach Kräften ein und stürzten sich geschäftig in die eröffnete Bahn der Verdächtigungen und Verfolgungen. Bald wurden auch aus Freiburg und Erlangen, aus Gießen und Jena Verhaftungen kund, in Jena traf auch Okens Papiere das Schicksal roher Durchsuchung, viele Professoren sollten abgesetzt, ganze Universitäten aufgehoben werden. Das Geschrei war maßlos und betäubend.

Der Großherzog, den ich nur noch sehr selten aus eignem Antrieb aufsuchte, wünschte mich zu sprechen und fragte mit[360] großer Besorgnis, was ich von den Dingen hielte. Daß ich die Angaben für übertrieben erklärte, war ihm als Beruhigung lieb, daß aber gar nichts daran sei, wollte er nicht glauben. Schon der Markgraf Wilhelm, der aus Rußland über Berlin zurückgekehrt war, hatte bei seiner Durchreise daselbst im Vertrauen gehört, daß man argen Dingen auf der Spur sei, daß die Anzeigen sich täglich häuften und daß nächstens die Regierung zu entscheidenden Maßregeln schreiten müsse; zu den Anzeigen hatte er auch wohl selber beigetragen und nach empfangenen Weisungen aus Karlsruhe sich über den Geist der badischen Stände wie meinen vermeintlichen Einfluß auf sie höchst nachteilig geäußert, worauf ihm die Zusicherung erteilt worden war, daß dem Unwesen bald Abhülfe bevorstehe. Der Großherzog wollte wissen, ob Freunde von mir unter den Verhafteten seien, was ich mit entschiedenem Nein beantwortete. Dann fragte er, warum der König vor dem Ausbruch der Sache nach Breslau gereist sei. Da ich keine Ursache anzugeben wußte, so platzte er heraus: »Das kann ich Ihnen sagen! Er hat sich gefürcht't! Er hat sich gefürcht't!« Auf meinen lebhaften Einspruch versetzte er dann begütigend: »Nehmen Sie das nicht so schlimm, ich dien ihm so gut wie Sie, und was wir hier unter uns reden, das schadet nichts.« Dabei wiederholte er den Vorwurf, den er mir schon bei andern Gelegenheiten gemacht, ich sei zu preußisch! Ich entgegnete, wenn Preußen nur selber preußisch sei, könne ich nie zu preußisch sein!

Welchen Eindruck die Sachen in Berlin gemacht, wie besorgt und eingeschüchtert die Liberalen geworden, zu welcher Sprache sie einlenken zu müssen glaubten, gibt am besten ein Brief von Stägemann zu erkennen, den ich deshalb hier einschalte. Er schrieb mir unter dem 16. Juli 1819:


Unser Briefwechsel, teuerster Freund, scheint seit meiner Reise nach Schlesien, von der ich unlängst zurückgekommen bin, ganz unterbrochen worden zu sein. Ich habe sogar vergessen,[361] ob Sie mir einen Brief schuldig sind oder ich Ihnen. Sollte ich Ihnen nicht durch Madame Milder einen Brief geschickt haben? Doch ist es mir in der Tat entfallen.

Was sich inzwischen hier begeben, werden Sie längst wissen. Man ist durch aufgefangene Korrespondenzen, wie es heißt, einer geheimen Verbindung auf die Spur gekommen, die nichts weniger will, als die Throne des Jakobinismus auf den Thronen der Fürsten errichten, die nur Mord und Hochverrat atmet. Ich glaube nicht, daß der Fürst Staatskanzler die bestimmte Sprache dieserhalb öffentlich würde führen lassen, wenn nicht die Existenz einer geheimen Verbindung daraus hervorginge. Dieses also setze ich als fundatiert voraus, und dann versteht es sich von selbst, daß die Regierungen auf ihrer Hut sein müssen. Aber ob die Maßregeln, wie sie genommen werden, die angemessenen sind, ist mir sehr zweifelhaft. Ich fange in der Tat an, großes Unheil zu besorgen. Der Mann gefällt mir nicht und das Weib noch weniger. Die Sprache unserer sogenannten Liberalen ist mir höchst unangenehm; und aufrichtig gesagt, will mir Ihre dortige Zweite Kammer nicht einleuchten. Mir kommt vor, als ob der in den Zeitungen so gerühmte Winter nur ein schwaches Haus sei und Liebenstein auch mehr nach einem Namen in den Zeitungen als in der Geschichte strebe. Es scheint mir ganz unmöglich, daß es zum Ziele führe, wenn sich die Volksrepräsentanten gegen die Fürsten in Opposition stellen; es muß die Souveräne erbittern und zu Gewaltschritten leiten, die, welchen Erfolg sie auch haben, doch immer ein großes Übel sind und uns in blutige, böse Verwirrung führen müssen.

Dagegen scheinen mir die Regierungen auch auf einer unrichtigen Bahn, wenn sie voraussetzen, daß sie es nur mit einer Anzahl von Demagogen zu tun haben, durch deren Unterdrückung sie das Übel in der Wurzel zu vertilgen meinen. Die Sache ist viel gefährlicher für sie, als sie glauben. Die Gesinnungen sind überall angesteckt, und die Köpfe werden wachsen wie die der Hyder. Es wäre möglich,[362] daß in Deutschland die Gewalt jetzt noch wirksam sein und eine absolute Souveränität der Fürsten aufrechterhalten werden könnte – aber wir müssen unsere Augen dabei nach Frankreich wenden. Frankreichs konstitutionelle Monarchie steht meines Bedünkens fest und reißt die Nachbarn mit. Wie wollen unsere Fürsten mit Frankreich Krieg führen, wozu es doch über kurz oder lang kommt? Indes ist es allerdings schlimm, in so verworrener Zeit in so verworrenen schweren Händeln zu raten.

Noch immer hoffe ich, daß Preußen vor den Gefahren, die sich besorgen lassen, werde bewahrt bleiben. Auch die jetzige Untersuchung zeigt, daß unsere Gemüter noch die ruhigsten sind, und ich denke, daß wir noch lange unsern Toast werden trinken können: das Land, worin wir leben!

Suchen Sie an Ihrem Teil auf die dortigen Repräsentanten zu wirken, daß sie nicht ihren Leidenschaften und den Eingebungen einer trostlosen Ehrsucht folgen und daß sie nicht Zwiespalt zwischen der Regierung und dem Volk befördern. Der Großherzog gibt gewiß keinen Anlaß und würde die Adelsgeschichte anständig ausgeglichen haben, wenn man anständig verfahren wäre. Sie sind noch jung und werden noch an den Begebenheiten der Welt teilnehmen. Ich habe mich längst entschieden, mich in die Bezirke der Kunst zu flüchten, und nur das Schicksal meiner Kinder macht mich für die Zukunft besorgt. August, der jetzt in Bonn ist, hat nur für die Wissenschaften Sinn, und diese werden ihn auch in harten Tagen aufrechthalten. Nächstens mehr. Kiesewetter haben wir vor einigen Tagen begraben. Die herzlichsten Grüße an Ihre liebe Frau.

Totus tuus Stägemann.


Nicht des Schreibers eigne Gesinnung drückte dieser Brief aus, sondern die er für die jetzt geltende und nützliche hielt, mit verschämten Zusätzen eines noch übrigen Freisinns, damit die bisherige Denkart mit einigen Ehren sich zurückzöge. Seine Ratschläge jedoch, welche die tatsächliche Wahrheit[363] und eigne Überzeugung fremdem willkürlichen Dünken unterordnen wollten, die zu befolgen mir jederzeit unmöglich gewesen wäre und die ich nicht einmal für klug halten konnte, kamen überdies noch viel zu spät; als ich sie las, war über mich, ohne daß ich es wußte, schon entschieden.

Ein anderer Freund, der Gesandte von Gruner in der Schweiz, war nicht weniger durch die Berliner Maßregeln aufgeregt. Er schrieb mir sogleich, daß er zwar keineswegs an die Verschwörung und Verbrechen glaube, daß er aber dem fanatischen Wahn gegenüber jede Vorsicht nützlich halte. »Vernichten wir daher unsere Papiere, mein teuerster Freund!« schrieb er, »wie leicht könnte nicht auch an uns die Reihe kommen. Und bei aller Reinheit der Gesinnungen, wie leicht ist der Bosheit oder Dummheit, einzelne Sätze auszureißen und im bösen Sinne zu verdrehen!« Ich konnte hieraus genugsam ersehen, wie gefahrvoll ihm die Lage der Dinge schien.


Der durch Bayern und Österreich lange verzögerte Abschluß des Vertrags, durch welchen infolge der Aachener Festsetzungen die badischen Angelegenheiten völlig sichergestellt wurden, kam erst jetzt in Frankfurt zustande; Humboldt, der mit Ungeduld die Erledigung dieses Geschäfts abgewartet hatte, bereitete nun sich zur Abreise nach Berlin, wo er zwischen feindlichen Parteien hauptsächlich in der Verfassungssache tätig und den widersprechendsten Anforderungen genügen sollte. Man wußte nicht, ob er dabei ältern Übereinstimmungen gemäß mehr mit dem Staatskanzler oder infolge seiner persönlichen Verbindungen mit dessen Gegnern stehen würde; die Hofpartei hatte über ihn zwei Meinungen, deren eine ihn verwarf, die andere ihn zu gewinnen hoffte. Die letztere hielt ich zwar für unmöglich, aber ich wußte, daß er bei durchaus guten Absichten den Umständen einen großen Spielraum gewährte, wozu selbst seine Dialektik ihn vermochte, welche sich zur Aufgabe stellte, von jedem Punkt aus zum Wahren und Guten zu[364] gelangen. Diese weiten Umwege waren nicht nach meinem Sinn; ich konnte sie als notwendige annehmen, wie ich lange Zeit auch getan, nicht aber sie wählen, solange andere offenstanden. Den Rat, mich an Humboldt anzuschließen, unter ihm in Berlin eine mir angemessene Stellung zu erlangen, mußt ich, wie dringend er mir wiederholt erteilt wurde, unbefolgt lassen. Ob die Sache geglückt wäre? Ich zweifle. Mein Stern war in solchen Dingen ebensowenig günstig wie der seinige. Jedenfalls aber war schon längst alles zu spät.


Von politischen Neuigkeiten war die bedeutendste das Gerücht, daß zu Karlsbad im August ein Kongreß von Ministern zusammentreten werde, um die gefahrvollen Zustände Deutschlands in Erwägung zu ziehen und Maßregeln gegen die revolutionären Bestrebungen zu treffen, die überall in Wort und Tat so erschreckend ans Licht traten. Von allen Seiten bestätigte sich dies Vorhaben. Metternich und Gentz wurden als die Häupter bezeichnet, um welche sich die andern scharen würden. Von seiten Preußens sollte Bernstorff an den Beratungen teilnehmen; Berstett, der Badens Vertretung übernahm, hoffte in der glänzenden Versammlung von Diplomaten die Scharten auszuwetzen und zu rächen, die er im ungleichen Kampfe gegen die Stände davongetragen hatte. Ein zu dem genannten Zweck veranstalteter und aus solchen Mitgliedern bestehender Kongreß verhieß den deutschen Freiheits- und Verfassungsbestrebungen nicht viel Gutes, doch war man weit entfernt, von ihm ein solches Übermaß des Schlechten zu erwarten, als er in der Tat geliefert hat. Die bayerische Ständeversammlung war vor kurzem mit leidlichen Ergebnissen zum Schlusse gelangt, eine württembergische, zur Mitberatung einer Verfassung berufene, sollte nächstens zusammentreten; in Berlin war immerfort noch ernstlich die Rede von Provinzial- und Reichsständen, eine Kommission zu deren Entwerfung neuerdings ernannt, die Presse zu diesem Zweck im freisinnigsten Geiste tätig, das mündliche Wort kühn und trotzig. Unter solchen[365] Umständen schien von der Versammlung zum Teil doch einsichtiger Minister nicht allzuviel zu fürchten.

In Karlsruhe hatten die Ständeverhandlungen leider eine widrige Wendung genommen; das kleinliche bittre Gezänk über das Budget war langweilig, unter den Abgeordneten selbst traten Spaltungen ein; die geistig begabteren nahmen lässiger teil an den Sitzungen, die mich ebenfalls wenig mehr anzogen und die ich nur noch aus Pflicht besuchte. Der Schluß des Landtages unmittelbar nach bewilligtem Budget wurde nächstens erwartet, mit nicht geringerer Ungeduld von den Abgeordneten als von dem Hof und den Ministern. Berstett bereitete sich schon auf Karlsbad vor und war ganz reisefertig.

Doch sollte vorher noch eine große Festlichkeit stattfinden. Die Vermählung des Markgrafen Leopold mit der Prinzessin Sophie von Schweden war beschlossen und auf den 25. Juli festgesetzt. Man dachte kaum noch an die Stände, alles war mit den bevorstehenden glänzenden Hoftagen beschäftigt. Der neue russische Gesandte, Fürst Koslowski, hatte deshalb seine Ankunft von Stuttgart beschleunigt und eilte, seine Beglaubigungsschreiben zu übergeben. Er war eine auffallende Erscheinung, von mittlerer Größe und unverhältnismäßigem Umfang, dabei jugendlich dreist und rasch, aufgeweckt, den Frauen huldigend, von Geist sprühend in freier und kühner Wohlredenheit. Er besuchte mich gleich und hielt seine Gesinnungen und Gedanken nicht zurück; er hatte von mir gehört und glaubte mir ganz vertrauen zu dürfen. Ich lernte einen Russen kennen, wie ich noch keinen gesehen hatte. Er war in seiner Jugend nach Rom gekommen und hatte hier gelegentlich den griechisch-orthodoxen Glauben mit dem römisch-katholischen vertauscht, dann den Kaiser Alexander auf Feldzügen und zu Kongressen begleitet, nach seiner ersten Gesandtschaft in Turin die von Stuttgart und Karlsruhe erhalten. Meisterhaft sprach er französisch, fast ebenso englisch und italienisch, das Deutsche war ihm geläufig; er las die besten Schriftsteller,[366] faßte deren tiefste Gedanken. Dabei hatte er die größte Menschenfreundlichkeit, das gutmütigste Herz. Alles dies aber war bedeckt von dem leichtfertigsten Weltsinn, der nur auf den Genuß des Tages und auf Erwerbung von Frauengunst auszugehen schien; er machte großen Aufwand, hielt schöne Pferde, sprach von Festen und Gastereien, die er geben werde, und gab sich damit bei den Karlsruhern ein großes Ansehen. Doch sein völlig ungezwungenes rasches Wesen gab manchen Anstoß; man erzählte gleich die ersten Tage wunderliche Geschichten von ihm, und er war gar nicht unzufrieden, wenn darüber gelacht wurde. Man sah in ihm nur einen vornehmen dreisten Wüstling, und auch mir entschwand sein höherer Geist in dem oberflächlichen Gebraus der jetzt sich drängenden Hoffeste. Mehrere waren schon glücklich abgetan, ich wünschte sie alle vorüber; denn hinter dem Schein der Freude sah ich nur Neid, Ärger oder Gleichgültigkeit. Dieser leere Prunk, das Ständegezänk daneben, im Hintergrunde die Berliner Sachen – wie sehnt ich mich aus all dem Wirrwarr hinaus in die freie Luft nach Baden, wo Rahel mich schon längere Zeit erwartete! Das größte und letzte Fest, am Vermählungstage, stand noch bevor; dieses aber sollte mir erspart werden.

Am 22. Juli frühmorgens, als ich noch im Bette lag, erschien Herr von Küster, bedauerte, mich so früh stören zu müssen, obenein durch etwas Unangenehmes, und übergab mir eine Depesche aus Berlin. Ich las:

Da des Königs Majestät sich veranlaßt finden, den Posten, welchen Euer Hochwohlgeboren bisher an dem großherzoglich badenschen Hofe bekleidet haben, eingehen zu lassen, so verfehle ich nicht, Ihnen davon Anzeige zu geben und Sie hiemit anzuweisen, dem großherzoglichen Ministerium sofort von Ihrer Abberufung Kenntnis zu geben, das Gesandtschaftsarchiv aber mit allen dazugehörigen Papieren, Briefschaften und Chiffern an den Herrn Gesandten von Küster abzuliefern.

Berlin, den 13. Juli 1819

Bernstorff
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Eine Abberufung in trockenster Form, mit sichtbarer Ungnade, jedoch ohne ausgesprochenen Vorwurf und mit der Schonung, daß man den Posten, der allerdings nur für mich geschaffen worden, nicht wieder besetzte, sondern eingehen ließ. Der Sinn war klar und, was zu tun sei, nicht zweifelhaft. Küster aber schien zweifelhaft und verlegen und wünschte, ich sollte mich gleich erklären. »Erlauben Sie mir nur, daß ich mich anziehe«, versetzte ich, »und in kürzester Frist wird alles Befohlene geschehen sein.« Als wär ihm die Brust erleichtert, sagte er: »O das ist schön! In einer Stunde komm ich wieder, dann übergeben Sie mir alles!«, worauf er sich empfahl. In seinem Wesen war etwas Unheimliches, und das brachte mich auf den Gedanken, es möchten noch andere Maßregeln bevorstehen, und die kleine Frist sei mir gelassen, um die meinigen zu nehmen. Ich hatte Papiere, die sehr wohl von Hardenberg oder auch von Bernstorff gesehen werden, aber um keinen Preis in rohe Polizeihände fallen durften; ich selbst, aber weit mehr noch Freunde in Berlin, Stuttgart, Frankfurt, in der Schweiz und in Baden konnten dadurch in die größten Verdrießlichkeiten geraten. Mit schnellem Überblick und Griff raffte ich alles Gefährlichste zusammen, schickte nach Friederich, und als dieser kam, übergab ich ihm ein versiegeltes Päckchen, mit dem er sich eiligst entfernte. Gleich darauf erschien Küster wieder, etwas erstaunt, mich so guter Dinge zu finden. Er glaubte vor allem den Verdacht entfernen zu müssen, als habe er irgend zu dem Ereignisse mitgewirkt; doch war die Art, wie er dies versuchte, nicht die geschickteste; er leugnete, mich verleumdet zu haben; er versicherte, nicht über seine Pflichterfüllung hinausgegangen zu sein; meine Ansicht über die badischen Stände habe er nicht teilen können. Ich dachte daran, wie er in seinen Briefen an mich den Geist und die Tätigkeit der Zweiten Kammer gepriesen, die Minister getadelt hatte; waren seine Berichte nach Berlin in anderem Sinne, so mußte er die Behörde oder mich getäuscht haben. Doch ließ ich das gut sein. Ich schrieb[368] gleich in seiner Gegenwart an den Minister der Auswärtigen Angelegenheiten, ihm meine Abberufung anzumelden; da mir ein Rückbeglaubigungsschreiben an den Großherzog nicht mitgesandt worden, so mußt ich, meinem persönlichen Verhältnisse gemäß, ihm wenigstens mündlich meine Abberufung anzeigen. Ich fand ihn schon unterrichtet; er bezeigte mir sein herzliches Bedauern und versicherte mich, wenn er jetzt oder in der Folge mir etwas zu Gefallen tun könnte, würde ich ihn stets bereit finden. »Die Zweit' Kammer, ja die Zweit' Kammer!« wiederholte er mehrmals, um anzudeuten, die sei an allem schuld. Er schien recht gut zu wissen, wie alles zusammenhing! Zuletzt fragte er noch, ob ich schon eine neue Bestimmung erhalten habe. Auf meine Verneinung erwiderte er: »Nun, darauf bin ich doch sehr neugierig!«

Im Laufe des Tages erfuhr ich noch von Küster, daß man in Berlin den tollen Wahn gehegt, ich könnte Schwierigkeiten machen und die Depesche nicht befolgen wollen! Für diesen Fall sei er zu strengen Maßregeln ermächtigt gewesen! Sein Bericht über meine augenblickliche Folgsamkeit werde nun aber für mich den günstigsten Eindruck machen. Was für ein unsinniges albernes und ganz und gar nutzloses Benehmen diese Leute mir zutrauten! Ferner vernahm ich, daß die Depesche durch einen Kurier an den Grafen von der Goltz in Frankfurt gelangt, sein Legationssekretär Küpfer habe sie nach Stuttgart an Küster überbringen sollen und, da er diesen nicht gefunden, sie ihm hier abgegeben. Daß Küpfer in Karlsruhe gewesen in einer mich betreffenden Angelegenheit und sich bei mir gar nicht gezeigt hatte, auch nicht nach Erledigung seines Auftrags, mußte mich in Erstaunen setzen. Ich traute seinen beflissenen Freundschaftsversicherungen zwar schon lange nicht, und unser Briefwechsel war in Stocken geraten, aber aus dieser Zurückhaltung konnte nur auf seine niedrigste Feigheit oder auf die unglaublichste Höhe des Verrufs, der gegen mich stattfand, geschlossen werden! Unsere Behörden und[369] Beamten waren durch diese Beispiele in ihrer ganzen Erbärmlichkeit hingestellt.

Die erste freie Viertelstunde benutzt ich, um eine Stafette nach Baden an Rahel zu schicken, damit sie die Neuigkeit zuerst durch mich erführe, nicht durch entstellte fremde Nachrichten erschreckt würde. Gleich beim Empfang der Depesche war mein erster Gedanke Rahel gewesen, was ihr die Sache sein, wie sie den plötzlichen Wechsel nehmen und empfinden werde. Die beeilte aufmerksame Tätigkeit, welche ich sogleich auszuüben hatte, drängte diesen Gedanken eine Weile zurück, dann aber könnt ich ihm ungestört nachhängen. Wir hatten oft von einer möglichen, sogar unsererseits zu bewirkenden Veränderung gesprochen, die Verhältnisse in Karlsruhe waren nie sehr befriedigend gewesen, durch das Weggehen Tettenborns, der Familie Reden und nun auch der Großherzogin Stephanie war aller gesellige Reiz verschwunden, für die verzweiflungsvolle Öde des Winters entschädigte selbst der Sommeraufenthalt in Baden nicht. Wir hingen beide nicht an dem Ort und seinen unsichern Darbietungen. Aber jetzt, bei der ausgesprochenen Trennung, empfand ich doch, daß er uns liebgeworden, daß wir seine guten Seiten zu schätzen wußten; dazu kam die eingerichtete Häuslichkeit, die gewohnte Tagesweise. Eine schnelle Antwort ließ mich erkennen, daß auch Rahel dies alles fühlte, doch mit hoher und reiner Fassung überwand. Ein zweiter Brief teilte mir schon wieder heitre Neuigkeiten mit. Ich machte nur noch die nötigen Abschiedsbesuche bei meinen Kollegen und sonstigen Bekannten, ordnete noch einiges in meinen Papieren und eilte nach Baden, in der frischen Natur und treuen Gesellschaft Rahels mich von allen Mühen und Widrigkeiten zu erholen.

Mich empfing in dem wohlgelegenen Töpferhause, das wir nun im dritten Sommer bewohnten, das froheste Behagen, das glückliche Gefühl des Erledigtseins von allem Zwang und außer dem vertrauten, langentbehrten Gespräch Rahels die anmutigste Geselligkeit, die sich um sie versammelt[370] hatte. Den Großherzog von Sachsen-Weimar, der sie besuchte, sah ich nur einen Augenblick, denn er reiste gleich weiter in die Schweiz; doch seinen Unmut über die Sachen, welche jetzt vorgingen, seine Verachtung der elenden Einbläser und Hetzer auszusprechen, war der Augenblick nicht zu kurz. Die meisten Personen, welche Rahels Gesellschaftskreis angehörten, schienen gar nicht zu bemerken, daß sich mit uns eine Veränderung zugetragen habe. Auch wir unsererseits waren wie sonst und ließen uns nichts anfechten, lebten in gewohnter Weise munter fort, in der sichern Haltung, die ein vorwurfsfreies Bewußtsein gibt, ohne Trotz und ohne Scheu. Nur einige Bekannte, deren Standpunkt weltlich oder geistig geringer war, zeigten im Anfang einige Schüchternheit und wollten erst sehen, welche weitere Wendung folgen werde; als sie äußerlich keinen Wechsel und das Beispiel der andern sahen, fanden auch sie sich mit schmeichelndem Eifer wieder ein. Genug, schon in den nächsten Tagen nach meiner Katastrophe fühlt ich mich durch dieselbe wie aus trüben Wogen in eine glückliche Insel versetzt!

Eine Katastrophe war es in der Tat, was mich betroffen hatte; wir selbst und auch die andern mußten es dafür ansehen, und nur unser Betragen machte, daß sie es weniger war. Das Verfahren, ungewöhnlich, schroff und doch schonend, hatte etwas Rätselhaftes; eine schwere Anschuldigung und feindliche Gesinnung lag unzweifelhaft zum Grunde, doch welcher Art und welches Grades diese seien, das war ein undurchdringliches Geheimnis. Schlimm genug mußte meine Sache geschwebt haben; denn ich erfuhr aus Berlin, daß anfangs nicht meine Abberufung, sondern meine Entlassung aus königlichen Diensten in Aussicht gestanden habe. Nachträgliche Gerüchte verrieten, daß von noch Schlimmerem die Rede gewesen sei. Dabei war über meine künftigen Verhältnisse, selbst über die zu beziehenden Geldmittel – die Frage war glücklicherweise keine dringende, konnte es aber sein – nicht das geringste angedeutet. Ein[371] letztes Dienstschreiben, in welchem ich die Ausführung der erhaltenen Befehle angezeigt, ließ Bernstorff unbeantwortet, ebenso einen vertraulichen Brief, durch den seine vorgefaßte Meinung berichtigt werden sollte. Ich hörte bald, er sei zum Kongreß nach Karlsbad abgereist, wohin auch Berstett in den nächsten Tagen eilte, nachdem er vorher noch in höflicher Weise mir geschrieben, wie sehr es ihm während des Bestehens unserer Geschäftsverhältnisse jederzeit angenehm gewesen, mir Beweise seiner besondern Hochachtung geben zu können, und daß ihm auch fernerhin jeder Anlaß willkommen sein werde, dieselben Gesinnungen zu betätigen. Auch Küster, nachdem er wieder in Stuttgart eingetroffen, gab mir in schönen Worten wiederholte Versicherungen. Ein übles Zeichen war, daß meine Freunde mich ohne Nachricht ließen. Ein spätes und karges Wort von Stägemann und spärliche Mitteilungen meines Schwagers waren alles, was ich von Berlin empfing; Gruner, der freilich schon leidend war, Oelsner in Paris, anfangs auch Lindner und Cotta in Stuttgart und Friederich in Karlsruhe, Tettenborn sogar und Bentheim, alle schwiegen.

Im Genusse der Freiheit, der schönen Natur und der heitern Geselligkeit ließ ich mir dies alles nicht zu große Sorge machen; obwohl ich die Umstände wohl erwog und nach Erfordernis auch auf sie einwirkte. Ich war vierunddreißig Jahr alt, hatte Rahel zur Seite, fühlte Kraft und Mut, machte wenig Ansprüche und sah meine Fähigkeiten über Gebühr anerkannt; die ganze Welt stand mir offen, und ich durfte nicht bange sein, in der Nähe wie in der Ferne die Wege zu finden, die ich zu gehen wünschte. Für den Augenblick war nichts zu tun, als ruhig zu warten, und für dieses Warten konnte sich keine schönere Lage denken lassen als die, in der ich mich befand; hätte dies so fortdauern können, es würde als das größte Glück zu preisen gewesen sein.

Doch entzog ich mich den politischen Angelegenheiten keineswegs. Ich hätte es auch nicht gekonnt, denn von allen[372] Seiten drängten sie sich an mich heran und forderten meine tätige Beteiligung. Meine preußische Mission war vorderhand beendigt; allein meine eigne ganz und gar nicht, sie war jedenfalls die größere und jene nur ein Bestandteil von ihr; schied dieser dem Ganzen hinderlich werdende für einige Zeit aus, so nahm letzteres nur um so freier und kräftiger seinen Aufschwung.

Die badischen Stände waren am 26. Juli auf sechs Monate vertagt worden, nachdem zuletzt sowohl von Seite der Kammern als der Regierung die Bitterkeit etwas nachgelassen oder wenigstens sich in glimpflichere Formen gekleidet hatte, so daß die Stände sogar eine Dankadresse an den Großherzog beschlossen wegen der glücklich beendigten Verhandlungen in Frankfurt. Auch entließ die Regierung die Stände ohne ausgesprochenen Vorwurf. Die Gesinnungen waren indes nicht verändert, im Gegenteil verstärkt; die Abgeordneten hatten ihre Überlegenheit kennengelernt, ihre Kräfte geübt, ihre Talente dargelegt; die Regierung von allem das Gegenteil, daher sie auf anderem Gebiet ihre Hülfe suchte, um die Gegner wo nicht zu schlagen, doch einzuschränken, zu hemmen.

Nach der Vertagung erschienen viele der Abgeordneten in Baden, einige, um sich von den Mühen der Sitzungen zu erfrischen, die meisten, um auf der Durchreise wenigstens den Anblick dieses reizenden Ortes mitzunehmen. Außer denen, die ich schon kannte, besuchten mich viele, die mich wollten kennenlernen. Ich legte mir keinen Zwang auf und verkehrte mit ihnen ohne Scheu, was, da es so offen geschah, nicht einmal sehr auffiel. Sie wußten recht gut, daß ich ihren Angelegenheiten stets die eifrigste Teilnahme gewidmet, daß ich das Opfer meiner Freimütigkeit geworden; sie fühlten sich mir zu Dank verpflichtet und bezeigten mir diesen herzlich und eindringlichst. Nicht mit leeren Worten! Sie machten mir die lockendsten Eröffnungen; wenn die Sachen in Preußen, meinten sie, schlechter und schlechter würden, wie es leider den Anschein habe, so möcht ich die[373] dortigen Verhältnisse fahrenlassen und mich im Lande Baden einbürgern; man werde meinem Namen einen ansehnlichen Grundbesitz verknüpfen, ich würde dann zum Abgeordneten für den nächsten Landtag gewählt werden und die Zweite Kammer statt eines Liebensteins zwei haben! Unter den Anbietenden waren die reichsten Männer des Landes, denen die Ausführung, was die Geldmittel betraf, keine Schwierigkeit machen konnte. Fürerst aber konnt ich solche Vorschläge, wie ehrenvoll und dankenswert sie sein mochten, nur ablehnen. Ich hielt die sehr getrübten Zustände in Preußen doch nicht für hoffnungslose, und wenn eine allgemeine Verdunkelung in Deutschland erfolgen sollte – fand sie aber in Preußen dauernd statt, so konnten ihr auch die anderen Länder nicht entgehen –, so dünkte es mich besser, sie in dem großen Staat als in einem kleinen zu erleben. Merkwürdig aber war es, daß mir binnen kurzer Frist zweimal die Aussicht eröffnet worden, in dieses gute Land überzusiedeln, früher im Berufe des Staatsdienstes, jetzt im Berufe der Volksvertretung; der Tat nach hatte ich freilich in beiden Richtungen schon einiges geleistet.

Die Abgeordneten, welche mit treuer Ausdauer für die Sache des Volks und der Freiheit gekämpft hatten – und dies waren fast alle –, wurden in der Heimat mit unendlichem Jubel, mit den herrlichsten und rührendsten Ehren aufgenommen. Im ganzen Lande war die höchste Begeisterung für diese tapfern Streiter; siegreich aus dem Felde zurückkehrende Krieger konnten nicht mit größerer Liebe, mit schönerem Beifall empfangen werden. Diese durch das ganze Land, besonders aber in Lahr und Freiburg, sich kräftigst aussprechende Zustimmung traf die Gegner als ein ihnen zugefügter Schimpf, und ihre Erbitterung ging zum Teil auch auf den Großherzog über, der solche Huldigungen als nur ihm gebührende ansehen wollte.

Die badische Ständesache war gewissermaßen die meinige geworden, und ich durfte sie auch jetzt nicht fallenlassen.[374] Meine zahlreichen Aufsätze, des mannigfachsten Tons und Umfangs, flogen nach allen Richtungen in die Öffentlichkeit aus, und die Stimme der Anerkennung, der Verteidigung, des Lobes, die von nah und fern widerhallte, war nicht ohne Wirkung. Lindners neue Zeitung, die in Stuttgart erscheinende »Tribüne«, die Augsburger Allgemeine, die Aarauer und Speyerer Zeitung, der »Hamburgische Korrespondent« und selbst Brüsseler und Pariser Blätter ließen das Geschütz fleißig spielen, mit dem ich sie versorgte; das gegnerische, wo es sich hervorwagte, wurde schnell zum Schweigen gebracht.

Überhaupt erschienen die Freisinnigen mutig auf dem Kampfplatz und begegneten den falschen Anschuldigungen und niedrigen Verleumdungen mit scharfen Waffen. In Büchern und Flugschriften, in den meisten Zeitungen wurde die Sache der Freiheit, des Fortschritts, der Verfassung mit siegreicher Überlegenheit verfochten, die dunkeln Angreifer und Verfolger gegeißelt und verhöhnt, dem Spott und Gelächter preisgegeben. Nicht so öffentlich, aber nicht weniger stark und wirksam, nahmen sich Stimmen von größter Geltung der Verfolgten an; Äußerungen Steins, Humboldts, Gagerns, Wangenheims und anderer wurden mitgeteilt, welche die große Verschwörung für eine Fabel, die Zugriffe der Polizei für rohe Gewalttat erklärten und den Regierungen, namentlich der preußischen, das Verzögern der verheißenen Verfassung, die schlechte Wirtschaft, den Mangel an Gesetzlichkeit zum bittern Vorwurf machten; hier, sagten sie, liege der Grund des Übels, über das geklagt werde, die Klagenden selber trügen die Schuld. Daß der Großherzog von Sachsen-Weimar so dachte und sprach, ist schon erwähnt worden; ich kann es auch von dem Könige von Württemberg sagen, dem ich in dieser Zeit ebendeshalb häufiger schrieb, ihn in seinem Sinne zu bestärken und seine guten Absichten zu unterstützen. Er nahm alles freundlich und dankbar auf, wollte jedoch in das Lob der badischen Stände nicht ganz einstimmen; sie hatten seine Eifersucht er regt, er[375] konnte nicht hoffen, ebenso glänzende, und kaum wünschen, so vorschreitende zu haben; überdies war er vertieft in die Entwürfe der Verfassung, die mit seinen neuerdings berufenen Ständen zu vereinbaren und noch vor Ende des Karlsbader Kongresses in Wirksamkeit zu sehen ihm sehr am Herzen lag.

Als ein beachtungswertes Zeugnis für das gute Bewußtsein der Angeschuldigten sprach der Umstand, daß kein einziger versucht hatte, sich der Haft durch die Flucht zu entziehen oder seine Papiere zu verheimlichen. Mein Freund Reimer, den die Nachricht von den Berliner Vorgängen in der Schweiz traf, verließ diesen sichern Aufenthalt und reiste sogleich nach Berlin, um zu sehen, was denn die tolle Wirtschaft bedeute; er sprach bei mir ein auf seiner Heimreise, wir tauschten herzlich unsere Gesinnungen, und meine besten Wünsche begleiteten den mutigen biedern Mann zu den Kämpfen, die ihm reichlich bevorstanden.

Unterdessen hatten sich in betreff meiner der bedenklichsten Gerüchte verbreitet. Man sah mich in Baden überall auf Spaziergängen und anderen öffentlichen Orten im lebhaften Verkehr mit zahlreicher und bester Gesellschaft, ruhig und vergnügt; der König von Bayern, die Großherzogin Stephanie vermieden mich keineswegs, auch der Großherzog von Baden, der auf einen Tag von Karlsruhe kam, sprach mich freundlich vor dem Kurhause an und wollte noch mein alter Freund und Gönner sein; aber vier Meilen davon, in Karlsruhe, wußte man trotz des täglichen Verkehrs von allem diesen nichts, sondern im Gegenteil, daß ich mich versteckt halte, sogar daß ich verhaftet sei. Meine Freunde widersprachen umsonst, und als das alberne Gerede fortdauerte, mahnten sie mich, ihm durch meine Anwesenheit ein Ende zu machen. Ich fuhr auf einen Tag hinüber, besorgte kleine Geschäfte, zeigte mich im Museum, besuchte meine Freunde, einige Hofleute und Gesandte und kehrte am nächsten Tage nach Baden zurück. In der Nähe mußten nun freilich die falschen Gerüchte verstummen; allein sie[376] waren schon weiter geeilt und brachen bald an wichtigern Orten vergrößert aus.

Schon hatten einige deutsche Tagesblätter meine Verhaftung gemeldet und mich sowie Gneisenau und Gruner, die gleichfalls in Untersuchung sein sollten, mit den staatsverbrecherischen Vereinen und Umtrieben in nahe Beziehung gesetzt. Ich begnügte mich, durch ein paar mir befreundete Zeitungen dies für unwahr erklären zu lassen. Gleich darauf aber wiederholten belgische, englische und französische Tagesblätter, unter ihnen der gewichtige »Moniteur«, jene Angaben und berichteten ganz zuverlässig, daß ich durch Polizeibeamte und Gendarmen in Haft genommen und gefesselt nach Berlin gebracht worden sei! Ähnliches wurde in anderen Blättern auch in betreff Gruners gesagt sowie von Gneisenau und anderen. Das war denn doch zu grob; ich konnte nicht dulden, daß ich so verunglimpft und meine Verwandten und Freunde so in Schrecken gesetzt würden. Aber persönlich mit meinem Namen dagegen aufzutreten schien mir nicht das Rechte; ich hielt dafür, der Staat selbst müsse mit seinem Ansehen mich gegen solche Unwahrheit schützen, und schrieb deshalb an Stägemann die Aufforderung, durch die »Staatszeitung« diese Lügen niederzuschlagen. Er konnte sich dem nicht entziehen, das Ministerium, bei dem er sich Rats erholte, mußte die Billigkeit meines Gesuchs eingestehen, und so erfolgte denn die Berichtigung, die zwar nicht nach meinem Wunsche, sondern trocken und matt ausgedrückt war, aber im ganzen ihre Wirkung doch nicht verfehlte.

Nun begriff ich, daß meine besten Freunde verschüchtert waren und mir nicht schrieben; sie hatten keine Sicherheit, daß ich ihre Briefe nur bekommen würde, und konnten nicht berechnen, welches harmlose Wort mir oder auch ihnen unter diesen Umständen schädlich werden dürfte. Oelsner gebrauchte die List, um zu sehen, ob ein Verkehr möglich sei, durch seine Frau an Rahel schreiben zu lassen, englisch, und als ob von Pariser Bestellungen die Rede sei.[377] Meine Antwort zeigte, daß der Weg völlig offen und unsere Briefe ungefährdet seien, worauf unsere Mitteilungen gleich in gewohnter Weise wieder in Gang kamen.

Nachdem die erste Badezeit und Gesellschaft allmählich vorübergegangen war, erlebten wir deren Erneuerung durch ein zweites Geschlecht, das weniger heiter und vergnüglich, aber in eigner Weise bedeutend und anziehend war. Der reiche russische Bergwerksbesitzer Demidow aus Paris fand sich ein, der Staatsrat Dr. von Rehmann, die noch schöne Frau von Narischkin, Maria Antonowna, ehmalige Geliebte des Kaisers Alexander, ein Fürst Lapuchin, Herr von Tepper, ein einstiges Haupt des größten Wechslergeschäfts in Warschau, und dann, als leidenschaftlicher Musikfreund allbekannt, ein Fürst Lobanow, endlich auch Fürst Koslowski, der den Rest des Sommers hier genießen wollte. Dieser hauptsächlich russische Kreis, uns durch schon bestehende Bekanntschaft offen und bald vertraut, hatte ganz und gar das Gepräge der großen Welt und des vornehmen Lebens, des Überdrusses und der Langenweile, die aus dem reichsten Genuß aller Herrlichkeit mit Erschöpfung und Krankheit zuletzt übrigbleiben, aber auch den mächtigen Reiz bedeutender Erinnerungen und das lebhafte Verlangen nach erfrischenden neuen Gegenständen und Eindrücken; Frau von Narischkin fand diese mit Erstaunen in den nächsten Erlebnissen des täglichen Lebens, in den stillen Erweckungen des Geistes und Gemütes, die sie auf ihrer glänzenden Höhe nie hatte wahrnehmen können. Mit einer Art Unschuld, mit Rührung und Erstaunen sah sie eine Fülle neuer, bisher unbeachteter Verhältnisse; eine Wohltätigkeit, die nicht mehr in bloßem Geldgeben bestand, sondern auf innerer Teilnahme beruhte, ein menschliches Entgegenkommen, das nicht auf Gunst und Vorteil ausging, ja selbst wahre Herzensneigung schien sie erst jetzt zu erkennen und zu fühlen. Ein Spaziergang, ein harmloses Gespräch erfreuten sie mehr als sonst die größten Feste: dabei war ihre Unterhaltung, wie anspruchslos und ungesucht, doch als Abglanz[378] früherer Zeiten immer bedeutend und lehrreich; ihr stand ein Stoff von Denkwürdigkeiten zu Gebote, der die ihrigen, wenn sie deren hätte schreiben wollen, zu den alleranziehendsten gemacht haben müßte. Der kranke Demidow sonnte sich in dem Schimmer ihrer Schönheit und einstigen Größe, denen er früher nicht hatte nahen können; die vornehmen Russen gingen mit ihr auf dem Fuße der achtungsvollsten Freundschaft um. Besonders war Koslowski ihr Liebling, dessen munterer und scharfer Geist alles um sich her in Atem erhielt und seine Gespräche durch Wagnisse der kühnsten Art oft so stark würzte, daß die andern scheu umherblickten, ob nicht ein unvertrauter Hörer in der Nähe sei.

Bisher war mir kein Anlaß gegeben, in Koslowski eine besondere persönliche Teilnahme für mich vorauszusetzen. Einst aber, als ich nach Lichtental spazierenging, begegnete er, von dorther kommend, mir in seinem mit vier schnaubenden Pferden bespannten Wagen, ließ halten, schickte ihn nach Hause und gesellte sich zu mir. Er kam bald auf meine Angelegenheiten zu sprechen, bedauerte die Spannung – einen Unfall wollte er es nicht nennen –, in die ich geraten sei, und beurteilte den Stand der Dinge, wie ich es nur wünschen, aber von einem russischen Diplomaten nie erwarten konnte. Die badischen Stände, nach allem, was er gehört, und dem wenigen, was er gesehen, fand er nicht nur in ihrem vollen Recht und die Regierung im wahnvollsten Irrtum, sondern er pries auch mit größter Bewunderung den Geist und die Talente der einzelnen Abgeordneten, während er den beschränkten, übelwollenden Sinn der Minister tief verurteilte. So sei es, sagte er, in Deutschland überall, wenigstens in Süddeutschland, wohin immer sein Blick sich gewendet, nirgends habe er aufrührerischen, treulosen Geist im Volke gespürt, nur die größte Redlichkeit, das aufrichtigste Streben zum Guten, zu den Verbesserungen, die längst verheißen, dringend notwendig und stets vorenthalten seien; die Regierungen müßten mit Blindheit geschlagen sein, um[379] dies zu verkennen, und von bösem Willen erfüllt, um Erscheinungen, die von ihnen allein verschuldet würden, dem Volk und dessen Vertretern zum Vorwurf zu machen. Er kannte das englische Parlament, die französischen Kammern, aber der deutschen Art gab er von beiden weit den Vorzug; diese Redlichkeit, diesen Anstand, dieses Absehen von den Personen und Hinsehen auf die Sachen finde man nirgends wieder, und auch an den größten Talenten sei ein wahrer Überfluß. »Ihr habt«, rief er aus, »den stärksten Beruf, das in Eurer Geschichte alt- und bestbegründete Recht, die allerschönsten Eigenschaften, um ein großes nationales Parlament zu haben, wie ist es möglich, daß Ihr keines habt und statt eines solchen den elenden Bundestag?« Ich antwortete hierauf das Nötige, auch mit Hinweisung auf die Geschichte, daß die Macht, welche die großen Beamten des Reiches, die Fürsten, nach und nach an sich gebracht, sowohl den Kaiser als das Volk beeinträchtigt und besonders das letztere völlig unterdrückt habe, daß aber gerade in unserer Zeit ein Anfang gemacht sei, die Freiheit wiederzugewinnen, und daß dazu sogar der Bundestag als Werkzeug diene, den ich um deswillen nicht verwerfen könne; es komme nur darauf an, ihn anders zu füllen, anstatt des faulen Wassers in das gereinigte Faß edlen Wein zu gießen; wenn die Höfe von Berlin und Wien dies einmal vereinigt ausführten oder auch nur einer von ihnen dies ernstlich wollte, so würde man wunder sehen, welche Entwickelung unsere deutschen Sachen nehmen würden. »Geht mir mit Euren Höfen von Berlin und Wien!« versetzte er unwillig. »Da liegt eben das Übel, daß sie, die ganz und gar nicht deutsch sind, doch allein die Geschicke Deutschlands leiten; sie werden das nie tun, was Ihr wünscht, am wenigsten unter dem Einfluß der jetzt geltenden Persönlichkeiten!« Und nun begann er diese näher zu bezeichnen, mit Ausdrücken wie von Mirabeau, so neu, so schlagend, so jeden Einspruch abschneidend; über den Fürsten von Metternich insbesondere hatte ich bisher nie so reden gehört und kaum später[380] von seinen erklärtesten Widersachern; aller Nimbus war zerstört, der innerste Kern hervorgeholt und als hohl und verderbt nachgewiesen. Für Metternich hatte ich, wie für den Bundestag, doch manches Günstige zu sagen, das auch nicht geleugnet, aber für unerheblich erklärt wurde; ob ein Minister, hieß es, die schönsten blauen Augen habe, dabei könne er die schwärzesten Handlungen ausüben. Das merkwürdige Gespräch nahm noch mancherlei Wendungen und schoß nach allen Seiten sprühende Funken; es war in der Tat eine Art Feuerwerk, wozu er, wie es schien, lange Zeit den nötigen Stoff gesammelt und gestaltet hatte und das er nun endlich abbrennen wollte! Ich blieb in fortwährender Überraschung und aufmerksamer Spannung, ob irgendein bestimmter Zweck sich zeigen werde, zu welchem dieser außerordentliche Aufwand kühner Beredsamkeit gemacht werde: doch ein solcher Zweck zeigte sich nicht, es war bloß eine Herzensergießung, durch die der Sprecher sich selbst ein Genüge getan. Als wir schon zurückgekehrt waren und unsere Wege sich schieden, enthielt ich mich nicht der scherzenden Bemerkung, daß auch er das Los der Deutschen zu teilen scheine, für den entschiedensten Beruf keine Laufbahn offen zu sehen, für die mächtigsten Rednergaben kein Parlament zu haben. »O mein Lieber!« versetzte er wehmütig, »ein russisches Parlament! Das wäre eine neue Epoche in der Weltgeschichte! Sie wird kommen, aber wann? Der Kaiser in seiner Rede zu Warschau hat es uns versprochen; doch die Weissagungen der Propheten erfüllen sich schon spät, die Versprechungen der Kaiser und Könige – laßt uns nicht weiter davon reden!«

Ich tat aber Koslowskin großes Unrecht, diese freisinnigen Bekenntnisse nur für rednerische Aufwallungen und Übungen zu halten, die weiter keine Folge hätten; sie gingen aus seiner tiefsten Überzeugung, aus seiner wärmsten Gesinnung hervor, und er sprach sie nicht nur gegen mich und andere aus, wo er den Boden sicher wußte, sondern gegen solche, wo dieser zweifelhaft oder gar gefährlich[381] schien. Im Kreise seiner Landsleute, der wirklichen Russen, fand er meist williges Gehör und durfte von dieser Seite keine gehässige Angeberei fürchten; dagegen waren die deutschen oder sonst ausländischen Russen ihm verdächtig, nicht nur Faber und seinesgleichen Untergeordnete, die sich an einen wirklichen Gesandten und noch aus früherer Zeit vom Kaiser Begünstigten so leicht nicht wagen durften, sondern auch die ihm gleich oder über ihm Stehenden, wie Anstett, Alopäus, Pozzo di Borgo und selbst Nesselrode, und deren Wohldienerei er weder für den Kaiser noch für Rußland ersprießlich glaubte; auch diesen, wie mir später bekannt wurde, hatte seine Denkart sich nicht verhüllt, sondern oft mit Trotz gezeigt. Wie tief und ernst er fühlte, wie sehr das Wohl des Landes und dessen Entwickelung zur Freiheit ihm am Herzen lag, mußten wir bei Gelegenheit eines Gerüchts erkennen, das damals in den Tagesblättern umlief. Es hieß, der Kaiser Alexander sei auf einer Reise in Finnland plötzlich gestorben. Alle Russen wurden von der Nachricht erschüttert, bejammerten den großen Verlust; aber keiner mehr als Koslowski, der wie ein Verzweifelter umherging, die guten Eigenschaften des Kaisers wehklagend pries, seinen Freisinn, seine Menschlichkeit, und das Schicksal des Vaterlandes, ja ganz Europas beweinte. »Alle Hoffnung, die uns noch übriggeblieben«, sagte er, »war auf Alexander gestützt, jetzt geht in Rußland eine eiserne Zeit an, in die wir nur mit Entsetzen blicken können; dieser zu frühe Tod bringt uns, bringt Euch alle, das könnt Ihr glauben, um fünfzig Jahre zurück!« Andere Nachrichten, durch die jenes Gerücht als ein grundloses, man wußte nicht wie entstandenes, sogleich zerfiel, beruhigten glücklicherweise bald wieder diese leidenschaftlichen Befürchtungen.

Koslowski, durch diesen Vorgang erinnert, wie alles dem Zufall unterworfen und daß vielleicht in kurzem die Gelegenheit fehlen könne zu solchen Anknüpfungen, wie er sie beabsichtigte, beschloß, einen kühnen Schlag zu tun. Er setzte sich hin und arbeitete mit einem Fleiß und einer[382] Ausdauer, wie ich sie ihm nie zugetraut hätte, eine große französische Denkschrift über Süddeutschland aus, durch welche er die innern Verhältnisse von Württemberg und Baden erörterte und namentlich in betreff der Verfassungen und ständischen Verhandlungen dem Kaiser die Augen zu öffnen suchte und ihm darlegte, daß die gewöhnlichen, freilich durch die Regierungen selbst verbreiteten, aber keineswegs erhärteten Angaben von einem schlechten, im Volke und seinen Vertretern herrschenden Geist, von Verschwörungen und anderen staatsverderblichen Unternehmungen, in den meisten Fällen unwahr und falsch, in andern wenigstens übertrieben seien; daß das Übel, über welches geklagt werde, meist in den Regierungen selbst liege, welche ihren Beruf nicht erfüllten, den Geist der Zeit nicht würdigten, und daß nur das Fortschreiten in freisinniger Richtung, nicht aber das Zurückschreiten eine Bürgschaft des Besserwerdens gebe. Diese Denkschrift, von der ich ganze Abschnitte, nach Maßgabe daß sie fertig wurden, zu hören bekam, war in jedem Betracht ein Meisterstück, sowohl durch den geistigen Gehalt als durch die lichtvolle Darstellung und die edle Schreibart. Sie war darauf berechnet, bei dem Kaiser Eingang zu finden, der für solche Vorzüge Sinn hatte, und zwar in letzter Zeit von der Bahn des Freisinns merklich abgewichen war, aber doch gern hörte, wenn Franzosen und Deutsche ihn noch als dessen Beschützer rühmten. Daß er auch meiner namentlich erwähnte, meine Ansichten und mein Verhalten verteidigte, wollte er mir anfangs aus Zartgefühl verhehlen, allein im Verfolg mußte er es doch gestehen und die Stellen mitteilen.

Während man Koslowski nur mit leichtfertigen Abenteuern und Vergnügungen beschäftigt glaubte, saß er angestrengt in frühen Morgenstunden und später Nachtzeit bei dieser Arbeit und säumte nicht, sie dem Kaiser einzusenden. Allein er tat noch mehr! Zwei seiner Kollegen, die er, wenn auch nicht als durchaus freisinnig, doch entschieden als unknechtisch kannte, wurden von ihm aufgefordert und bewogen,[383] gleichzeitig in ähnlichem Sinn an den Kaiser zu berichten und so vielleicht, wenn auch keine Umkehr, doch ein billiges Einsehen in diese Angelegenheit zu erwirken; es war schon viel gewonnen, wenn der Kaiser veranlaßt wurde, diese Gegenstände nochmals in Erwägung zu ziehen und der gemeinsamen Tätigkeit der verbündeten Ultras aller Länder nicht durch das Gewicht seiner Zustimmung förderlich zu sein. – Ich war nicht mehr in Baden, als die Folgen dieser Denkschrift sich ergaben; ich will aber das Weitere gleich hier anschließen. Der Graf Nesselrode eröffnete den drei Gesandten, daß die von ihnen aufgestellten Ansichten durchaus nicht die des Kaisers seien, daß er ihnen dessen Mißfallen auszudrücken habe und von ihnen erwarte, sie würden, von ihren Irrtümern zurückgekommen und eines Bessern belehrt, in ihren nächsten Antworten dies bestimmt zu erkennen geben. Koslowski antwortete sogleich, er glaube nicht im Irrtum zu sein, und eine Belehrung, die nicht durch tatsächliche Gründe seine Überzeugung ändere, könne er nicht annehmen. In etwas milderer, doch dem Sinne nach wenig verschiedener Weise schrieb der eine seiner Kollegen, der andere ließ sich belehren und bekannte seine Reue. Der letztere blieb in seiner Anstellung, Koslowski und sein Freund aber wurden nach längerem, über ein Jahr sich hinzögerndem Schriftwechsel endlich dahin gebracht, daß sie ihre Dienstverhältnisse aufgaben.


Am Ende des August ereignete sich in Deutschland eine Bewegung, die dem Ruhme des deutschen Volks, gutmütig und gesittet und des besten Geistes zu sein, häßliche Flekken anwarf, aber in ihm auch einen innern Zusammenhang, eine gemeinsame Empfänglichkeit für Anreizungen und Gefühle zeigte, die in solchem Grade bisher nicht vermutet worden war. In einer mittlern Stadt, ich weiß nicht mehr in welcher, entstand plötzlich ohne besondere Veranlassung ein wildes Geschrei gegen die Juden. Mit dem wilden Zuruf »Hep, Hep!« wurden die einzelnen auf der Straße angegriffen[384] und verfolgt, ihre Wohnungen bestürmt und teilweise geplündert, Beschimpfungen und Gewalttaten aller Art gegen sie verübt; indes kein Blut vergossen; hier war die Grenze des Mutes oder der Bosheit der Übeltäter.

Schnell wie das Gerücht von diesen Ausschweifungen verbreiteten sie selber sich gleich einem fliegenden Feuer, gleich einem ansteckenden Sankt-Veits-Tanze. In allen Städten Deutschlands, großen und kleinen, in den mit Truppen und Polizeiwesen bestversehenen wie in den wenigstüberwachten, in den königlichen Residenzen und am Sitze des Bundestages wie in den Freien Hansestädten, wiederholten sich dieselben Auftritte in übereinstimmender Weise, wie von einer und derselben unsichtbaren Hand geleitet. »Hep, Hep!« erscholl es durch ganz Deutschland, von einem Ende zum andern, als Hetzruf zum Angriff, als Mahnung zur Flucht oder Verteidigung für die Geächteten. Als wäre sie eine Fahne der Deutschheit, erhob die Judenverfolgung sich auch in solchen Städten, die zu Deutschland nicht gehörten und nicht gehören wollten, aber doch das in ihnen liegende Deutsche hierin – leider im Schlechten – nicht verleugnen konnten; in Straßburg und Amsterdam, in Kopenhagen und Riga wurde »Hep, Hep!« gerufen. Mit den Gewalttätigkeiten mischte sich leichtsinnige Neckerei, Lust an Schalkheit; ein königlicher Prinz rief dem Knaben Felix Mendelssohn auf der Straße lachend »Hep, Hep!« entgegen; es war nicht alles böse gemeint, manche der Schreier hätten nötigenfalls, wäre es weitergegangen, den Juden sogar Beistand geleistet; aber der rohe Übermut bedachte nicht, daß im Frevel kein Maß ist, daß aus Hohn und Schimpf auch Raub und Mord entstehen und daß dieser dann über die Juden hinaus auch sie selber treffen konnte! In der Tat wußte niemand, wohin diese plötzlich entzündete Aufregung führen konnte, und die Verfolgten mußten sich an Gut und Leben bedroht sehen. Der Pächter der öffentlichen Spielbank in Baden, bei welcher angesehene Personen in Karlsruhe beteiligt waren, wurde besorgt für die baren Geldsummen, die zu einem[385] Handstreich locken konnten; bei Tage gewährte die öffentliche Auslegung genug Sicherheit, aber bei Nacht hielt er für rätlich, die Bank an unbekanntem Orte niederzulegen, und sie übernachtete längere Zeit insgeheim bei mir. Die Juden zeigten an vielen Orten die mutigste Entschlossenheit, einzelne boten mit Erfolg allen persönlichen Gefahren Trotz, viele bereiteten sich zur Gegenwehr; wäre es zum Kampfe gekommen, es wäre ein verzweifelter geworden. Nach einer bei den großen Polizeikräften, die überall zu Gebot standen, doch verhältnismäßig langen Dauer des schändlichen Unfugs erlosch er allmählich in sich selbst, und es blieb keine eigentliche Feindschaft, sondern nur auf der einen Seite das tiefe Gefühl der erlittenen Kränkung, auf der andern der leugnenden Scham zurück; denn niemand wollte mehr an der rohen Ausschweifung teilgenommen haben.

Woher dieser Sturm eigentlich gekommen, wie seine plötzliche, Deutschlands äußerste Grenzen schnell erreichende Ausbreitung hat erfolgen können, ist ein unaufgelöstes Rätsel geblieben. Unsere Gelehrten waren zwar gleich zur Hand und leiteten das Wort Hep aus den Zeiten der Kreuzfahrer her, die sich wie mit dem Kreuz auch mit den Buchstaben H.e.p., das heißt: Hierosolyma est perdita, bezeichnet haben sollen. In welchen geheimen Vorratskammern aber diese zum Wort gestalteten Buchstaben aus dem Mittelalter sich frisch erhalten und plötzlich im untersten Volke wieder aufleben konnten, das haben sie unerklärt ge lassen. Die ganze Erscheinung zeigte, wie leicht das weit zerstreute Volk zu gemeinschaftlichem Handeln, selbst auf Irrwegen, zu entzünden sei; die Rat- und Machtlosigkeit der Behörden, sobald ihnen Ungewöhnliches entgegentrat, und die doch vorgeschrittene Bildung des Volkes, das sich zu blindem Zorn wohl hinreißen ließ, aber im tollen Schwindel doch Maß hielt und sich seiner alsbald aus eignem Sinn wieder entledigte.

Wie Rahel dieses Ereignis ansah und zu welchen Empfindungen es sie erregte, wird man nicht ohne Teilnahme in[386] folgendem Briefe lesen, den sie am 29. August an ihren Bruder Ludwig Robert schrieb:


Ich bin grenzenlos traurig: und in einer Art, wie ich es noch gar nicht war. Wegen der Juden. Was soll diese Unzahl Vertriebener tun. Behalten wollen sie sie: aber zum Peinigen und Verachten; zum »Judenmauschel«-Schimpfen; zum kleinen dürftigen Schacher; zum Fußstoß und Treppenrunterwerfen. Die Gesinnung ist's, die verwerfliche, gemeine, vergiftete, durch und durch faule, die mich so tief kränkt, bis zum herzerkaltendsten Schreck. Ich kenne mein Land! Leider. Eine unselige Kassandra! Seit drei Jahren sag ich: die Juden werden gestürmt werden; ich habe Zeugen. Dies ist der Deutschen Empörungsmut. Und wieso? Weil es das gesittetste, gutmütigste, friedliebendste, Obrigkeit ehrendste Volk ist; was es zu fordern hätte, weiß es nicht: nur Unterrichtete unter diesem Volke möchten es ihm lehren: unter diesen sind aber viele Ungebildete, mit rohen Herzen; wo auch Raum für Neid ist, gegen eine große Zahl solcher – Juden –, die man kraft Religionsauswüchsen als untergeordnete Wesen hassen, verachten und verfolgen durfte. Einige weise Fürsten Deutschlands, und lange Zeit, in der immer Irrtümer untergehen, hatten dieser Ausrede ein Ende gemacht. Die gleisnerische Neu-Liebe zur christlichen Religion (Gott verzeihe mir meine Sünde!), zum Mittelalter, mit seiner Kunst, Dichtungen und Greueln hetzen das Volk zu dem einzigen Greuel, zu dem es sich noch, an alte Erlaubnisse erinnert, aufhetzen läßt! Judensturm. Die Insinuationen, die seit Jahren alle Zeitungen durchlaufen; die Professoren Fries und Rühs und wie sie heißen, Arnim, Brentano, »Unser Verkehr« und noch höhere Personen mit Vorurteilen. Es ist nicht Religionshaß: sie lieben ihre nicht, wie wollten sie andere hassen; wozu die Worte, die ich ohne Ende häufen kann; es ist lauter Schlechtes; in Tat und Motiv; und nicht die Tat des Volks; dem man »Hep« schreien lehrte. Richtig. Noch ist's in Berlin ruhig: dort wär's am[387] meisten zu fürchten: dort haben die Juden gedient; die Hälfte ist getauft und mit Christen verehlicht, da hätte es nimmermehr gut getan. Alle Zeitungen sprechen indigne davon: die Allgemeine perfid; die Berliner noch am besten: daß man nicht viel sagt, ist gut. Aber wie »gesagt«, die Prediger, die Pfarrer, die Diener der Religion sollten reden: in dem kleinen bayerischen Ort, wo man die Synagoge stürmte, das Alte Testament zerriß etc., hätte ein Geistlicher vortreten sollen und vorstellen, was das Alte Testament ist und was alle Religion bedeutet: ich weiß, das Volk hätte seine Frevel gefühlt und gleich unterlassen. Was will man tun, wenn die Juden, die auch lesen, ihre Verfolger kennend, die paar aufsuchen, und da es ihnen doch an Gut und Blut geht, ihre Rache an diesen nehmen. Ich bin hoch betrübt und kann weder dies noch meine Gedanken einem Papier ganz mitgeben. Eine herrschende Religion taugt nicht: das ist unreligiös: dies war der faule Fleck im Judentum, dies die Politik in dieser Religion.


Vom Karlsbader Kongreß verlautete wenig, nur daß er so gut wie beendigt sei, wurde versichert, und die Art seiner Ergebnisse wußte jedermann vorher. Nicht also wegen dieser, sondern wegen unserer persönlichen Lage waren wir auf sein Ende gespannt; denn während seiner Dauer ruhten die meisten andern Geschäfte, und auch eine weitere Entscheidung meiner Angelegenheiten durft ich bis dahin nicht erwarten. Unterdessen waren mir von Berlin mancherlei Nachrichten zugekommen; die seit meiner Abberufung vergangene Zwischenzeit von sechs bis acht Wochen hatte für mich eine weniger ungünstige Stimmung bewirkt; ich hörte, daß Personen von Gewicht, und zwar solche, auf die ich nicht glaubte rechnen zu können, unter ihnen Ancillon und Kamptz, sich ungemein vorteilhaft über mich ausgesprochen, daß die drei Minister Beyme, Humboldt und Boyen mein Ausscheiden aus dem Staatsdienst – welches auch als von mir ausgehend möglich erachtet wurde – für einen wahren[388] Verlust erklärt hätten, den man verhindern müßte. Die Hauptsache war wohl, daß bei den nach allen Seiten greifenden Untersuchungen, bei der Durchsicht so vieler tausend in Beschlag genommener Briefe, nicht das geringste war aufgefunden worden, was mich bloßgestellt hätte; keine Teilnahme an Vereinen irgendwelcher Art, kein verfängliches Blatt von meiner Hand, in den bedenklicheren Verwickelungen nicht einmal mein Name, wie dies Herr von Kamptz ausdrücklich zur Steuer der Wahrheit versichert hat. Auch die falschen Angaben über mein Benehmen in Karlsruhe, die diplomatischen Verleumdungen waren teilweise berichtigt oder doch abgeschwächt worden. Es blieben also nur meine Depeschen und meine freisinnige Tätigkeit überhaupt als Punkte der Anklage zurück. Jene konnten der am Hofe überwiegenden, in dem Ministerium, dem ich angehörte, ausschließlich herrschenden Denkart nicht gefallen; ich mußte ihnen als eine Ausnahme der gewöhnlichen Diplomatenart erscheinen, die willenlos jedem Winke von oben sich fügt und, wenn es verlangt wird, die gewünschte Lüge statt der mißfälligen Wahrheit meldet. Allein die Formulierung einer solchen Anklage hätte Erörterungen hervorgerufen, die doch niemand sich getraute durchzuführen, und ein öffentliches Ärgernis, das über alles gefürchtet und vermieden wurde. Zudem widersprachen meine Depeschen keiner erteilten Weisung; denn ich hatte deren keine bekommen, wohl aber öftere Äußerungen der Zufriedenheit und des Lobes. Frühere Erklärungen des Königs, des Staatskanzlers und der Minister hatten mich berechtigt, freisinnigen Fortschritt und Verfassung mit allem Zubehör für die Grundlagen zu halten, auf denen der wiederhergestellte preußische Staat emporstreben wolle; durfte man offen eingestehen, daß man von diesen abgewichen sei, daß man andere gewählt habe, während man doch eben jetzt wieder neue Verfassungshoffnungen im Volke zu wecken für nötig hielt? In der Tat, von dieser Seite konnte man mir schwerlich etwas anhaben! Die Wirksamkeit, die ich im stillen durch[389] Zeitungen auf eigne Hand ausgeübt, hätte vielleicht einige Vorwürfe zu tragen gehabt, sie war aber größtenteils unbekannt geblieben.

Mit diesem Stande der Sachen war indes für den Augenblick nicht viel gewonnen. Ich durfte nicht neue Verfolgungen befürchten, wohl aber, daß man in der Verlegenheit, in die man sich gesetzt hatte, noch lange zu keinem Entschluß kommen und mich in der zweifelhaften unangenehmen Lage noch geraume Zeit würde warten lassen.

Es wurde schon herbstlich, die Gesellschaft verlor sich allmählich, die früheren Sonnenuntergänge mahnten uns, daß auch unseres Bleibens hier nicht lange mehr würde sein können. In Baden zu überwintern fiel damals keinem Menschen ein und wäre ohne besondere Anstalten kaum tunlich gewesen. Da von Berlin keine nähere Bestimmung erfolgte und Bernstorff noch immer in Karlsbad weilte, so mußten wir nach eignem Rat unsere Wahl treffen. In Karlsruhe, wo freilich unsere häusliche Einrichtung uns für den Winter am nächsten anziehen konnte, wäre unser Aufenthalt kaum schicklich und gewiß nicht angenehm gewesen; auch Heidelberg hatte mancherlei Bedenken gegen sich, ebenso Freiburg; im Lande jedoch wünscht ich fürerst noch zu bleiben, und da fand sich denn kein Ort so gelegen und versprechend als Mannheim, wo wir gewiß waren, freundliche gute Gesellschaft, ein gutes Theater, Musik und andere Annehmlichkeiten zu finden; den Ausschlag für diese Wahl gab zuletzt die Großherzogin Stephanie, die dort den Winter zubringen wollte, uns dringend einlud und in zwangloser Weise, besser als in Karlsruhe, uns recht oft bei sich zu sehen hoffte.

Wir kehrten demnach am 18. September von Baden nach Karlsruhe zurück, in der Absicht, dort unsern Haushalt aufzulösen und mit dem Nötigen nach Mannheim zu übersiedeln. Doch ehe hiemit nur ein Anfang gemacht war, gleich an demselben Tage, erhielt ich durch den von Karlsbad eben zurückgekehrten Minister von Berstett folgendes[390] Schreiben des Grafen von Bernstorff, noch aus Karlsbad vom 9. September:


Euer Hochwohlgeboren gefälliges Schreiben vom 24. Juli ist erst spät von Berlin aus hieselbst in meine Hände gekommen. Ich würde selbiges jedoch früher beantwortet haben, wenn die offiziellen Berichte, auf welche es sich beziehet, mir vorgelegen hätten. Solches ist zwar auch jetzt noch nicht der Fall. Allein ich werfe mir vor, zu lange gesäumt zu haben, Euer Hochwohlgeboren einen Irrtum zu benehmen, welcher sich in jenem Schreiben ausspricht. Sie setzen voraus, daß der badische Hof, und namentlich der Minister von Berstett, Beschwerde über Sie geführt hat. Ich bitte Sie, von mir die bestimmte Versicherung anzunehmen, daß diese Voraussetzung völlig grundlos ist. Durch des Herrn Staatskanzlers Durchlaucht bin ich unterrichtet worden, daß des Königs Majestät Sie zu Ihrem Ministerresidenten bei den Vereinigten Staaten von Nordamerika auszuersehen geruhet und zugleich die Absicht ausgesprochen haben, daß Sie sich ohne Verzug über Holland nach England begeben, um dort die fernern Anweisungen in bezug auf Ihre neue Bestimmung zu erwarten. Sollten Euer Hochwohlgeboren mit den zu dieser Reise erforderlichen Geldern nicht versehen oder Ihnen solche von Berlin aus nicht bereits angewiesen sein, so stelle ich Ihnen frei, für die Ihnen nötige Summe, über welche Sie späterhin Rechnung abzulegen haben werden, auf die Königliche Legationskasse zu ziehen, welche ich mit dem deshalb erforderlichen Zahlungsbefehl zu versehen nicht ermangeln werde.

Bernstorff


Also kein Vorwurf, kein Tadel, selbst eine Beschwerde des badischen Hofes oder Ministers entschieden verneint und eine neue, ehrenvolle und in mehr als einem Betreff ertragreiche Sendung! Als Genugtuung mir erfreulich, auch als neue Berufstätigkeit anlockend und vielversprechend,[391] aber unter den waltenden Umständen wieder höchst bedenklich! Über meine Amtsführung in Baden wurde wie bisher geschwiegen, das Ableugnen badischer Beschwerden konnt ich, bei der redlichen Offenheit Bernstorffs, der einer so bestimmten Versicherung einer Unwahrheit nicht fähig war, nur auf dessen Unkunde schieben, weil die Einflüsterungen nicht gerade ihm gemacht worden waren, denn die Tatsache stand mir aus unwiderleglichen Angaben fest, die ich nur nicht vorlegen durfte, um nicht Freunde bloßzustellen, deren Vertrauen ich sie verdankte. Ich sollte demnach in der Täuschung erhalten werden und nicht wissen, wie meine neue Anstellung gemeint sei. Offenbar aber war sie als eine Verbannung gemeint; es war nicht ein wichtiger Dienst, den ich antreten sollte, keine vaterländische Pflicht, die mich rief; im Gegenteil, die Sendung hatte nur den persönlichen Zweck: ich sollte fort, weit fort, augenblicklich nur erst aus Deutschland fort nach England, und damit ja kein Verzug entstünde, wurden die nötigen Geldmittel, falls ich nicht die Auslage machen könnte, mir sorgsamst und eiligst überwiesen! Alles dies erwogen, zweifelte ich keinen Augenblick, was zu tun sei: nämlich sogleich nach Berlin zu reisen, dort den Boden zu prüfen, die mir gewährte Genugtuung zu erhöhen und, falls dies gelungen und mir die Überzeugung geworden wäre, daß mir jederzeit die Rückkehr freistehen würde, dann vielleicht, und höchstens auf ein Jahr, die Sendung anzunehmen; die neuen Anschauungen und Erfahrungen, die mir zuteil werden konnten, waren doch niemals in meinen Augen das Opfer wert, das ich durch eine jahreslange Trennung von Rahel zu bringen hatte; denn daß sie die große Reise mit mir machen könnte, war bei ihren Gesundheitsumständen undenkbar. Das Wahrscheinlichste war, daß auch mir die Seereise erspart werden würde; denn ich durfte nicht hoffen, die Sachen in Berlin so zu finden, wie ich sie mir bedingen wollte, und ganz darauf gefaßt, wenn man mich zur Annahme drängte, sogleich meinen Abschied zu fordern. In dieser Voraussicht kam der mir unerträgliche[392] Gedanke einer Trennung von Rahel schnell wieder, und ich fand in der vorausgesetzten Ungunst eine größere Beruhigung, als die größte Gunst mir sie hätte gewähren können.

Ich schrieb sogleich in diesem Sinne Antwort an Bernstorff und meldete ihm, daß ich nicht als ein Angeschuldigter und Verleumdeter aus Europa fortgehen könne, daß ich vorher persönliche Rücksprache mit ihm nehmen müsse, auch Familienangelegenheiten zu ordnen habe, und er es daher richtig finden werde, daß ich zuerst nach Berlin käme, wohin ich sogleich abreisen und den Weg so schnell zurücklegen würde, als es die Gesundheit meiner Frau gestattete. Bernstorff mußte doch wissen, daß im diplomatischen Dienst einige Rücksicht auf persönliche Verhältnisse und Zuständigkeiten herkömmlich sei, und ich wollte nicht, daß gerade bei mir dies gänzlich vergessen würde. Nachdem ich mir den Weg in solcher Art frei gemacht, durft ich nun aber auch nicht zögern, ihn zu benutzen, damit nicht ein Schlagbaum ihn plötzlich wieder sperrte. Wir übergaben unsere sämtliche Einrichtung der Sorge Ludwig Roberts, der in Karlsruhe zurückblieb, um die Hindernisse wegzuräumen, die seiner Heirat mit der schönen Friederike Primavesi noch entgegenstanden; diese selber versprach ebenfalls, unsere Sachen in beste Hut zu nehmen. Wegen Unwohlseins von Rahel konnten wir doch erst am 1. Oktober unsere Reise antreten und in kleinen Tagefahrten fortsetzen.

Ich kann nicht ausdrücken, wie sehr wir auf dieser Reise gutes Mutes und vergnügt waren. Zwar wußten wir nur allzugut, in welchen düstern Kreis von Armseligkeiten, Vorurteilen, Härten und Ränken wir fallen würden – Rahel hatte ihn zu Anfang des Jahres dem armen Oelsner nur allzu treffend bezeichnet und ihn beglückwünscht, aus ihm heraus zu sein –, aber dies störte uns im Augenblicke wenig; die Gegenwart forderte ihr schönes Recht, es traten angenehme Herbsttage ein, und die Gegenden, welche wir verließen, lachten uns wie zum Wiedersehen an. So Heidelberg, so Mannheim, das am frühen Morgen seitwärts der[393] Bergstraße mit seinen Türmen und Kuppeln bei klarster Luft in glühendem Sonnenglanz als Pracht-und Zauberanblick vor uns lag, den wir mit Staunen lange betrachteten und freudig als ein erstes Reiseglück begrüßten.

In Heppenheim sahen wir beim Wirt ein Zeitungsblatt unter Glas in vergoldetem Rahmen an der Wand hängen; es enthielt das Versprechen des Großherzogs von Hessen-Darmstadt, dem Volk in bestimmter Frist eine ständische Verfassung zu geben. Als ich lesend davorstand, trat der Wirt herzu und sagte: »Der Anschlag hängt nur bis zum Ablaufe der Frist; denn nachher ist das Versprechen entweder erfüllt – und dann ist das Blatt nicht mehr nötig –, oder das Versprechen ist nicht erfüllt, nun, dann ist man doch zu guter Untertan, um öffentlich darauf hinzuweisen, daß der Großherzog gelogen hat.« Ein Ausdruck von Untertanentreue, den sich doch mancher Fürst verbitten möchte!

Reisende, die uns begegneten, teilten uns das neuste Buch von Görres mit: »Deutschland und die Revolution«. Es kam frisch aus der Presse, sie hatten die ersten Abdrücke, nach denen man sich in Frankfurt ordentlich riß. Der scharfe, glühende Redestrom des Buches hatte unsere Reisenden heftig ergriffen, sie waren ganz erfüllt von dem Inhalt, sprachen in gleichem Sinn, verkündeten und wünschten, daß es endlich zum Ausbruch kommen werde. So fanden wir auch in Frankfurt die größte Aufregung; Haß und Verachtung gegen die Höfe, gegen den Bundestag wurden mit rücksichtslosem Hohn ausgesprochen; man glaubte in eine neue Welt gekommen zu sein. Graf von der Goltz war in kühler Verzweiflung, er bekam von Hause die bittersten Verweise, und hier tat man ihm alles Herzeleid an; seine Kollegen Wangenheim, Gagern, Smidt und andere tranken in seiner Gegenwart auf das Wohl des demokratischen, ja des republikanischen Prinzips, gegen das er amtlich hatte seine Erklärung am Bundestage ablegen müssen. Küpfer, der mich schon für verloren gehalten und deshalb verleugnet hatte, war über meine neue Bestimmung ganz bestürzt[394] und suchte sich wieder anzuschmeicheln; ich sah ihn mit Verachtung an und ließ ihn stehen. Die Familie Hertz nahm uns freundlichst auf, desgleichen Dr. Jassoy, Schlossers und andere. Wir machten auch die Bekanntschaft Börnes; eine Handelsjüdin, die ihn gut kannte, versprach ihn zu schaffen; er kam in unsern Gasthof, und wir behielten ihn zum Mittagessen. Der kleine unansehnliche Mann von sehr jüdischem Aussehen war unbeholfen und scheu; eine beginnende Schwerhörigkeit gab ihm etwas Gespanntes und Lauerndes, was den Eindruck nicht verbesserte. Aber was er sagte, war geistvoll, scharf, treffend, witzig. Wir sprachen bald ohne Rückhalt, ich vertraute ihm meine Verhältnisse und daß ich, wenn ich in Berlin die Umstände zu schlecht fände, den Abschied nehmen und in Frankfurt leben würde. Begierig ergriff er den Gedanken, mit mir, Oelsner und Lindner vereint, eine politische Zeitschrift nach Art der »Minerve française« herauszugeben; wir wußten noch nicht, daß die Karlsbader Beschlüsse dies Unternehmen schon unmöglich machten. Rahel war von Börnes Geist und Ausdrucksweise sehr eingenommen, weniger von seiner Person; ihr entging nicht, daß trotz dieser unfreien, beklommenen Erscheinung eine ungeheure Eitelkeit in ihm steckte, eine solche, wie man sie bei Buckligen so häufig bemerkt, die das Gebrechen zum Vorzug machen möchten. Überhaupt flößte er mir wohl politisches, aber kein menschliches Vertrauen ein; sein Urteil war immer selbstisch befangen, von Gründen bestimmt, die mit seiner Eitelkeit zusammenhingen; er hatte keinen Sinn für fremde Persönlichkeit, sprach über solche, die wir gemeinsam kannten, die verkehrtesten Dinge. Die Art, wie er sich über seine Faulheit äußerte – er warnte, bei der beabsichtigten Zeitschrift nicht zuviel von ihm zu hoffen –, mißfiel mir ebenfalls, auch hier sollte wieder das Gebrechen lächelnd in eine Tugend gewandelt werden, und welches Gebrechen! eines, das mir an einem Manne ebenso schlimm wie Feigheit erschien. Genug, der Eindruck im ganzen war mehr nachteilig als vorteilhaft; auch hat sein[395] Scharfsinn es gut gemerkt, und bei aller Nachsicht und Aufmerksamkeit, die ich später dem Verfolgten, dem Bedürftigen widmete, hat er mich und meinen Schwager Ludwig Robert sowie meinen Freund Heine, dessen wachsender Ruf ihn mit bittrem Neid erfüllte, durch Mißreden es entgelten lassen, die jedoch wenig verfingen.

Wir verließen Frankfurt nicht sehr befriedigt von den Neuigkeiten, die wir dort erfahren. Die fernere Reise, schon nördlicher und herbstlicher, hatte für Rahel das Angenehme, daß ihr diese Gegenden neu waren. In Fulda, Eisenach, Gotha sahen wir uns hinlänglich um, in Weimar und Halle blieben wir nur über Nacht, es war zu Besuchen keine Zeit. Nach Weimar fühlte man sich wie in anderes Land und Wetter versetzt, noch stärker war dies nach Wittenberg der Fall; alles wurde flach, einförmig, karg; märkischer Sand und märkische Kiefer, einsame Landstraße, dürftiger Anbau: wir waren in der brandenburgischen Heimat. Am 8. Oktober trafen wir wohlbehalten in Berlin ein.[396]

Quelle:
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens. Berlin 1971, S. 302-397.
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