Kapitel LIII.
De metaphysica
oder
Von der Wissenschaft hoher und übernatürlicher Dinge

[197] Aber, wir wollen nun weitergehen und ansehen, wie die Philosophi nicht allein wegen derjenigen Sachen, welche uns in rerum Natura erscheinen und vorkommen, sondern worüber sie nur ihre erdichteten Gedanken führen, sich untereinander katzbalgen; und zwar streiten sie von solchen Sachen, die ganz und gar mit keinen Principiis übereinkommen, von denen man nicht weiss, ob sie sind oder nicht sind, die ohne Materie und Körper bestehen (wie sie dafür halten); und die nennen sie Formas separatas oder ganz abgesonderte Formen. Denn weil sie in rerum Natura nicht gefunden werden, sondern über die Natur zu sein scheinen, so werden sie übernatürliche oder Metaphysica genennet. Dahero sind unzählige und ganz untereineinander streitige, ja recht gottlose Meinungen von den Göttern entstanden. Denn Diagoras Milesius und Theodorus Cyrenaicus, die haben gemeinet, es wäre kein Gott; der Epicurus, es wäre zwar ein Gott, aber er bekümmerte sich nicht darum, was unten auf Erden geschehe; Protagoras hat gesagt, ob einer wäre[197] oder nicht, das könne man nicht wissen; Anaximander hat dafür gehalten, die Götter würden ebensowohl gezeuget, stürben und kämen wieder auf, in langen Zeitintervallen; Xenocrates hat vermeinet, es wären acht Götter; Antisthenes, es wären viele Völkergötter, aber nur ein natürlicher und höchster Weltbaumeister.

Aber sie sind in eine solche Raserei und Unsinnigkeit geraten, dass sie diejenigen Götter, welche sie angebetet, mit ihren eigenen Händen gemachet haben. Also war die Bildsäule Beli bei den Assyrern, welche gemachte Götter auch Hermes Trismegistus in seinem Aesculapio noch erhoben hat. Wenn Thales Milesius von den göttlichen Wesen geredet hat, hat er gesaget: Gott wäre ein Geist, welcher alles aus dem Wasser gemachet hätte; Cleanthes und Anaximenes, Gott wäre ein ganz lüftiges Wesen; Chrysippus, er wäre eine natürliche Kraft mit Vernunft begabet, oder eine göttliche Notwendigkeit; Zeno, er wäre das göttliche und das natürliche Gesetze; Anaxagoras, ein unendlicher Geist, der sich von sich selbst bewegete; Pythagoras, ein Gemüte, welches durch alles, was in der Natur ist, durchginge, und von welchem alle Sachen das Leben empfangen; Crotoniates Alcmäon, der hat die Sonne, den Mond und die Sterne Götter genennet; Xenophanes, alles, was da wäre, das wäre Gott; Parmenides, der hat den Umkreis des Lichts, welchen er Stephanen, das ist eine Krone, nennet, für Gott gehalten; Aristoteles hat gemeinet, dass man aus der Bewegung des Himmels die Erkenntnis der Götter genugsam haben könnte, und hat aus deren Eigenschaften die Götter fingieret, und hat bald der Vernunft die Gottheit zugeschrieben, bald dem Feuer des Himmels, bald die Welt selbsten Gott genennet, bald ihr einen andern vorgesetzet; eben mit dieser Unbeständigkeit hat ihm Theophrastus nachgefolget. Ich mag jetzo nicht sagen, was Strato, Persaeus, Aristo, des Zenonis Discipul, Plato, Xenophon, Speusippus,[198] Democritus, Heraclides, Diogenes Babylonius, Hermes Trismegistus, Cicero, Seneca, Plinius und andere für Gedanken gehabt haben, derer Meinungen von denen, die ich allbereit oben erzählet habe, nicht weit weggehen.

Ich könnte hier den unnützen Streit und die grosssprecherischen Worte anführen, welche sie untereinander haben, von den Ideen oder Fürbildern, von incorporischen Sachen; von Atomis oder Sonnenstäublein; von der Hyle, von der Materia, von der Forma, vom Leeren, vom Infinito, vom Fato, von der Ewigkeit, vom Transzendenten, von Einführung der Formen, von der Materia des Himmels, ob die Gestirne aus den Elementen bestehen oder ex quinta Essentia, welche Aristoteles eingeführet hat; und von dergleichen mehr, was närrischen Leuten eines und das andere zu denken, zu zweifeln und zu streiten Gelegenheit an die Hand gegeben hat. Aber ich halte dafür, dass ich schon genugsam erwiesen und dargetan habe, wie bei den Philosophis nichts mit der Wahrheit übereinkomme, und je näher einer zu ihnen komme, desto weiter gehe er ab und irre ab von der katholischen Religion.

Also wissen wir, dass der Papst Johannes der XXII. geirrt habe, wann er gewollt und dafür gehalten hat, dass die Seelen der Seligen Gottes Angesicht nicht schauen würden vor dem Tage des Gerichts; wir wissen, dass Julianus Apostata Christum aus keiner anderen Ursache verleugnet habe, als weil er sich in der Philosophie[199] so hoch verstiegen und daher die Einfalt des christlichen Glaubens auszulachen und zu verachten angefangen hat. Eben aus dieser Ursachen haben Celsus, Porphyrius, Lucianus, Pelagius, Arius, Manichäus, Averroës und viel andere wie rasende Hunde Christo und der Kirchen widergebollen. Dahero ist bei dem gemeinen Mann das Sprichwort entstanden: Maximos quosque Philosophos maximos esse haereticos solere. Das ist: der grösste Philosophus, der grösste Ketzer.

Hieronymus nennet sie Patriarchen der Ketzer, die erste Geburt Aegypti, und die Türriegel Damasci, und ganz richtig; denn was jemals vor Ketzerei auf Erden gewesen ist, das ist aus der Baumschule und aus dem Brunnen der Philosophie hergekommen; diese hat fast die ganze Theologie geschändet, und aus den evangelischen Lehrern sind Pseudo-Phropheten, Ketzer und Philosophi worden, welche der Menschen Erfindungen den göttlichen Oraculis gleich geachtet haben, und mit närrischen und veränderlichen Menschensatzungen beflecket, und haben die reine und schlechte Theologie (wie Gerson spricht) zu weitläuftigem sophistischem Geschwätze und zu einer chimärischen Mathematica gebracht. Welches der Apostel Paulus wohl zuvor gesehen, und daher oft ermahnet hat, dass wir uns hüten sollen: ne quis nos per philosophiam depraedetur vel seducat. Das ist: Damit wir nicht durch die Philosophie beraubet und verführet werden. Augustinus beschützet dafür die Stadt Gottes. Rechtschaffene Theologi und heilige Väter haben gemeinet, man soll sie, nämlich die Philosophie, mit Stumpf und Stiel aus den christlichen Schulen ausrotten. Ja wir haben auch heidnische Exempel, dass solches gleichfalls bei ihnen geschehen sei; denn die Athenienser haben den Sokratem, den Vater der Philosophie, abgeschaffet, die Römer, die Messenier und Lacones haben die Philosophos aus der Stadt getrieben, und niemals wieder hinein gelassen; auch unter dem Domitiano sind sie aus der Stadt vertrieben, und ihnen überdieses noch ganz Italien verboten worden. Es ginge auch Antiochi[200] des Königs Befehl an die Jünglinge, dass sie sich nicht unterstehen sollten zu philosophieren, und an ihre Eltern, damit sie solches nicht zugeben sollten; und sind die Philosophi nicht allein von Kaisern und Königen verdammet und ausgetrieben, sondern auch von den gelehrtesten Leuten in ihren Büchern gescholten und verdammet worden. Unter andern ist Timon von Phlius, welcher ein Buch, so er Syllos genennet, zu Verachtung der Philosophen geschrieben hat, und Aristophanes hat eine Komödie von ihnen geschrieben, welche er die Wolken genennet hat, und Dion von Prusa hat eine sehr gelehrte Oration wider die Philosophos gehalten. Der Aristides hat auch für die vier Ältesten zu Athen wider den Platonem eine Oration gehalten, und Hortensius, ein edler und gelehrter Römer, hat mit starken Beweisgründen die Philosophie verfolget.

Aber von diesem bis hierher so viel.[201]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 1, S. 197-202.
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