Kapitel XLVII.
De cabala
oder
Von der jüdischen Auslegung der Wörter durch gewisse Zahlen, oder durch Versetzung der Buchstaben

[169] Aber hier fallen mir die Worte des Plinii ein, welcher spricht: Est et alia Magices factio, a Moyse etiamnum et Latopea Judaeis pendens; das ist: Es ist noch eine andere magische Faktion, welche allbereits von Moyse und Latopea dem Juden herkommt; und dieses erinnert mich an die Cabala der Jüden, die auf dem Berge Sina von Gott selbsten dem Moysi ist gegeben worden, wie das bei den Hebräern eine beständige Meinung ist, und hernach, trotzdem die Buchstaben aufkommen, ist sie bis auf die Zeiten Ezrae denen Nachkommenden, jedoch nur mit lebendiger Stimme übergeben worden, gleichwie die Pythagorische Lehre vor Zeiten von dem Archippo und Lysiade ist vorgetragen worden; die haben in Griechenland Schulen gehabt, in welchen die Discipuli die Praecepta ihrer Lehrer auswendig gelernet und anstatt der Bücher gebraucht haben. Also haben gewisse[169] Juden die Buchstaben verachtet und haben alles auf das Gedächtnis und die mündliche Tradition gesetzet, daher ist die Cabala von den Hebräern gleichsam ein Behältnis genennet worden desjenigen, was einer von denn andern gehöret hat, eine, wie man sagt, von der ältesten Kunst; dem Namen aber nach ist sie erst bei neuern Zeiten unter den Christen bekannt worden. Deren Wissenschaft ist doppelt oder zweierlei; eine von dem Bresith, welche auch Cosmologia genennet wird, nämlich welche die Kraft und Wirkung der erschaffenen, der natürlichen und himmlischen Dinge explizieret, uns die Geheimnisse des Gesetzes und der Bibel durch philosophische Rationes und Satzungen weiset, welche aber solchergestalt fast nichts von der Magia Naturali unterschieden ist, in welcher, dass der König Salomo der vortrefflichste gewesen, man dafür gehalten hat. Denn es wird in den heiligen hebräischen Historien gelesen, dass er habe pflegen zu disputieren von den Cedern Libani bis auf den Hyssopum, wie auch vom Vieh, von Vögeln, von kriechenden Tieren und von Fischen, welche alle gewisse magische Wirkungen in sich haben, und diesem haben hernach unter den Nachkömmlingen, als der Moyses Ägyptius, in seinen Expositionibus über den Pentateuchum und andere Talmudisten mehr gefolget. Die andere Speciem aber dieser Wissenschaft nennen sie die Wissenschaft de Mercana, welche ist von hohen göttlichen Sachen, englischen Tugenden und Wirkungen, göttlichen Namen und Betrachtungen gewisser Zeichen, welche gleichsam ist eine Theologia Symbolica, durch welche die Buchstaben, die Zahlen, die Figuren, die Namen und die Sachen an sich selbsten, die Linien und Spitzen der Elemente, und ihre Puncta und Akzente, als tiefsinniger Sachen Vorbedeutungen und grosser Dinge Heimlichkeiten können verstanden werden.

Diese teilen sie wieder in zwei Teile, nämlich in[170] Arithmantiam, welche sie Notaricon nennen, als welche von Engeln, von Tugenden, auch von Namen und Wahrzeichen der bösen Geister und der Seelen Zustand handelt; und auch hernach in Theomantiam, welche die Geheimnisse der göttlichen Majestät, deren Emanationen, heilige Namen und Fürtrefflichkeit nachgrübelt; wer diese kann und weiss, von dem muss man sagen, dass er mit Wunderkünsten und Tugenden begabt ist. Also wenn er will, so weiss er alle zukünftige Sachen zuvor, er herrschet über die ganze Natur und hat der bösen und guten Geister Macht in seinen Händen, und tut Wunder. Durch diese, meinet man, habe Moses soviel Zeichen und Wunder getan, durch diese habe er die Rute in eine Schlange und das Wasser in Blut verwandelt, durch diese habe er Frösche, Fliegen, Läuse, Heuschrecken, Käfer, Feuer mit Hagel und allerhand Plagen und Krankheiten denen Ägyptern zugeschicket, alle erste Geburt von Menschen an bis aufs Viehe getötet, seinem Heer das Meer aufgetan, Wasser aus den Felsen und Wachteln vom Himmel hergebracht, das bittere Wasser süsse gemacht, den Blitz und die Wolken des Tages, die Feuersäule des Nachts den seinigen vorleuchten lassen, die Stimme des lebendigen Gottes vom Himmel auf das Volk herunter rufen lassen, die Stolzen mit Feuer und die Murrenden mit dem Aussatz geschlagen, die Bösen mit einer geschwinden Niederlage, andere mit Verschlingung der Erde gestrafet das Volk mit himmlischer Speise geweidet, die giftigen Schlangen versöhnet, unzählig Volk von ihrer Erkrankung kurieret, ihre Kleider von der Verwesung erhalten, und aller seiner Feinde Überwinder worden.

Durch diese Wunderkunst hätte Josua die Sonne stille stehen heissen, Elias Feuer auf seine Feinde fallen lassen, einen toten Knaben lebendig gemachet, Daniel des Löwen Rachen eingehalten, und dass die drei Knaben in dem Feuerofen Lieder gesungen, zuwege bracht. Durch diese Kunst, sagen die perfiden Juden, habe auch Christus soviel Wunder getan, durch diese[171] Kunst habe Salomo gelernet, wie er sich vor des Teufels bösen Tücken habe hüten können, wie Josephus dafür hält.

Aber gleichwie ich nicht zweifele, dass Gott dem Moysi und andern Propheten viel von denen in Heilig. Schrift enthaltenen Wunderwerken dem Volke zu offenbaren verboten hat, also halte ich diese kabalische Kunst, welche die Hebräer so hoch herausstreichen, und welcher ich mit vieler Arbeit lange Zeit nachgegrübelt habe, für nichts anderes, als vor eine Rapsodia oder für ein zusammengetragenes Werk voller Aberglauben und erkenne sie für eine theurgische Magie und Weissagung; und wenn sie gleich die Juden rühmen, sie käme von Gott her und täte viel zur Vollkommenheit des menschlichen Lebens, zu dessen Heil und Wohlfahrt, zur Ehre und Dienst Gottes, und zu Erleuchtung der Wahrheit, so kam fürwahr der Geist der Wahrheit nach Verstossung der Synagoge, uns die Wahrheit zu lehren, und es hätte derselbe uns solches auch nicht bis auf die letztere Zeit der Kirchen verborgen gehalten, die wahrlich alles weiss was Gottes ist, deren Segen, Taufe und andere Sacramenta unsers Heils uns offenbaret und in allen Sprachen verkündet hat. Denn es ist in allen Sprachen die gleiche Kraft, wenn nur einerlei Gottesfurcht da ist, und ist kein anderer Name weder im Himmel noch auf Erden, dadurch wir sollen selig werden, denn alleine der Name Jesu Christi, und in welchem alles verborgen und enthalten ist. Daher können die Juden, so sonsten in göttlichen Namen wollen erfahren sein, wenig oder nichts nach Christum Gutes wirken, wie ihre Vorfahren.

Wir erfahren und sehens aber, dass durch dieser Kunst Offenbarung oft grosser Geheimnisse Meinungen aus der Bibel herausgezogen werden, alleine es ist nichts anders als ein Spiel etlicher heimlicher Deutungen, welche Müssiggänger, so sich um die Buchstaben, Punkte und Zahlen bekümmern (was nach dem Wesen der hebräischen Schrift leicht ist) nach[172] Gutdünken erdichten und fürbringen. Denn ob es gleich scheinet, als ob darunter grosse Geheimnisse stecken, so werden sie doch nichts beweisen und keinen Nachdruck haben, und können, nach den Worten Gregorii, ebenso leicht und eben mit der Mühe, da sie angenommen, wieder verworfen werden.

Der Mönch Rabanus hat durch dieses Kunststückchen meistenteils seinen Sachen eine Gestalt geben wollen, aber wer siehet nicht, dass er durch die lateinischen Charakteres und Verse, indem er viel Bilder und andere Sachen aus der Schrift mit untergemenget, Geheimnisse machen wollen, welche auch aus den Profan-Historien könnten erzwungen werden, sonderlich wenn einer der Valeriae Probae zusammengeflickete Bettlermäntel von Christo aus des Virgilii Versen ansiehet und lieget, welches alles nur Spekulationes müssiger Leute sind. Was aber die Hervorrufungen von Wundern betrifft, so halte ich nicht dafür, dass einer unter euch wird so närrisch sein, der dieser Kunst und Wissenschaft Glauben beimessen sollte.

Denn es ist ja diese Cabala der Jüden nichts anders als eine schändliche und schädliche Superstition und Aberglauben, womit sie die Worte, die Namen und Buchstaben der H. Schrift hin und wieder kolligieren, teilen und umsetzen; sie zerreissen die Reden, die Schlüsse, die Gleichnisse, vertauschen miteinander die Glieder der Wahrheit, erfinden dazu eigene Meinungen, wollen dieselben Gottes Aussprüchen gleich machen, schreien die Schrift aus und sagen, ihr Vorbringen wäre alles aus derselben genommen und hergeholet; sie schänden und schmähen das Gesetz Gottes durch ihre falsche, ausgepresste und erzwungene Dictiones, Syllaben, Buchstaben und Zahlen, und bringen[173] gotteslästerliche Probationes ihrer Treulosigkeit für den Tag, und sind mit ihren nichtswürdigen Geschwätzen so stolz und aufgeblasen, dass sie meinen, sie wüssten und hätten nunmehro unaussprechliche Geheimnisse Gottes erfunden, mehr als in der heiligen Bibel stehen, dadurch sie prophezeien und Miracul tun könnten. Es ist keine Schande noch Scham bei ihnen, und werden nicht rot, wenn sie solche greuliche Lügen an Tag bringen; aber es widerfähret ihnen das, was dem Hunde bei dem Äsopo widerfahren ist, welcher das Brot hat fahren lassen und nach dem Schatten geschnappet, und dadurch seine Speise verloren hat.

Also ist dieses hartnäckichte Volk beschaffen, dass sie sich nur um den Schatten der Heiligen Schrift bekümmern, und indem sie sich mit ihrer Eitelkeit durch diese abergläubische Kunst und Cabala wollen herfürtun und damit Tote auferwecken, so verlieren sie das Brot und die Speise des ewigen Lebens und die Weide des Worts der ewigen Wahrheit. Aus diesem jüdischen Sauerteig des kabalistischen Aberglaubens sind gebacken worden die Ophitae, die Gnostici und Valentiniani, alles grausame Ketzer, welche selber mit ihren Schülern eine griechische Cabalam erdacht haben; sie verkehren die Geheimnisse des christlichen Glaubens und drehen mit einer argen Ketzerei die griechischen Buchstaben und Zahlen herum, und gebären daraus ein Corpus, welches sie das Corpus Veritatis nennen, dadurch sie lehren wollen, dass niemand ohne das Geheimnis dieser Buchstaben und Zeichen die evangelische Wahrheiten finden könnte, denn diese streiten untereinander selbsten; die gewöhnlichen Ausleger, sehend sind sie blind, und durch ihren Verstand verstehen sie nichts, durch ihr Hörenhören sie nichts; sondern sind blind und irren immer in Tag hinein; aber die reine Wahrheit sei den Vollkommenen durch Tradition überliefert worden durch die alphabetische und arithmantische Theologie, welche Christus seinen Aposteln heimlich offenbaret habe, und welche Paulus,[174] wie er spricht, nur unter den Vollkommensten redete.

Denn weil dieses hohe Geheimnisse sind, so werden sie nicht geschrieben, können auch nicht geschrieben werden, sondern müssen bei den Weisen in Verschwiegenheit bleiben und von ihnen teuer verwahret werden. Bei ihnen ist niemand klug, als der, welcher grosse Monstra dieser Ketzerei auszubrüten weiss.[175]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 1, S. 169-176.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Lotti, die Uhrmacherin

Lotti, die Uhrmacherin

1880 erzielt Marie von Ebner-Eschenbach mit »Lotti, die Uhrmacherin« ihren literarischen Durchbruch. Die Erzählung entsteht während die Autorin sich in Wien selbst zur Uhrmacherin ausbilden lässt.

84 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon