Zweite ›Ranke‹

[161] Auf den zielbewußten Aufbau des ersten Abschnitts folgt keine gleich sichere Darlegung der dort angeregten Fragen. Alt und original kann nur das sein, was sich auf Tod und Unsterblichkeit einschließlich der Erkenntnis des Brahman bezieht. Wer das erkennt, sagen die letzten Verse von 3, wird aus dem Rachen des[161] Todes befreit. Der Abschnitt hinterläßt den Eindruck, als sei er eine Sammlung verschiedener Aussprüche über das Brahman, die von Späteren weiter vermehrt und selbst um eine Schilderung des ›Om‹, des heiligen, die ganze Welt bedeutenden Wortes bereichert wurden, obwohl unsere Upanishad damit sonst gar nichts zu tun hat. Ferner schwanken die Ansichten. Das Naciketasfeuer wird als Übergang zur höchsten Stätte und Erkenntnis geschildert, Vers 9 spricht von der Erkenntnis durch den Mund eines Lehrers, Vers 23 von einer Gnadenwahl durch das Selbst selbst, während das Selbst durch Verkündigung von seiten eines Lehrers nicht zu erreichen sei. Trotz dieser Unsicherheit hinsichtlich der Bestandteile der alten Kâthaka-Upanishad behält auch dieser Abschnitt sein Interesse, weil er die wichtigsten Fragen, welche man erörterte: ›Was ist das Selbst? Wie gelangt man dazu? Wie verhält sich der Einzelne dazu?‹ usw. hier aufwirft und wir von den alten Denkern schließlich auch nicht die Konsequenz der späteren Systeme erwarten dürfen.

Der Verfasser beginnt mit der Auseinandersetzung, daß es zwei Wege gebe, den des Guten einer- und den des Angenehmen andererseits, zwischen denen der Mensch sich zu entscheiden habe; der Kluge wähle den ersten, der Tor den zweiten Weg. Oder in anderer Auffassung, es gibt zwei Arten des Wissens, das ›Wissen‹ an sich vom höchsten Brahman und das Nichtwissen von dieser höchsten Welt. Naciketas habe jenen ersten Weg gewählt; er habe nach dem Wissen Verlangen gezeigt. Im Nichtwissen verweilen die selbstgefälligen Toren, die an kein Jenseits, sondern nur an das Diesseits denken.

Zur Erlangung des Wissens, von dem nur wenige hören und noch weniger Verständnis gewinnen, sei ein geschickter Lehrer und ein geschickter Schüler notwendig. Ein gewöhnlicher Mann könne es nicht lehren; auch sei es auf logischem Wege nicht zu fassen. Es folgen einige Verse, die ich für eingeschoben halte, die schon Gesagtes nochmals variieren; ferner eine Schilderung, wie erwähnt, von der Bedeutung der Silbe Om, und ein Vers, den ich als aus der Bhagavadgîtâ 2, 19 entlehnt ansehe, weil er dort an die Lehre vom Kampf anschließt, während er hierher nicht paßt. Wieweit sonst Verse nachträglich in unseren Text geraten sind, ist nicht festzustellen. Aber durch Streichung einzelner Verse läßt sich diese Vallî wie die nächste auf den Umfang von je 15 Versen bringen.

Quelle:
Upanishaden. Altindische Weisheit aus Brâhmanas und Upanishaden. Düsseldorf/Köln 1958, S. 161-162.
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