8. Das Unvergängliche (3,8).

[46] 1. Da sprach die Tochter des Vacaknu: »Ehrwürdige Brahmanen! jetzt will ich ihm zwei Fragen vorlegen; wenn er mir die beantworten kann, so wird ihn gewiss keiner von euch je im Redestreite über die heiligen Dinge überwinden!« – »Frage, o Gârgî.« –

2. Und sie sprach: »Jetzt werde ich dir, o Yâjñavalkya, – gleichwie ein Mann aus dem Lande der Kâçi's oder der Videha's, ein Heldensohn, den abgespannten Bogen anspannt und mit zwei Rohrpfeilen, den Gegner zu durchbohren, in der Hand herankommt, – so werde ich mit zwei Fragen gegen dich ankommen, die sollst du mir beantworten!« – »Frage, o Gârgî.« –[46]

3. Und sie sprach: »Was oberhalb des Himmels ist, o Yâjñavalkya, und was unterhalb der Erde ist und was zwischen beiden, dem Himmel und der Erde, ist, was sie das Vergangene, Gegenwärtige und Zukünftige nennen, worin ist das eingewoben und verwoben?« –

4. Und er sprach: »Was oberhalb des Himmels ist, o Gârgî, und, was unterhalb der Erde ist und was zwischen beiden, dem Himmel und der Erde, ist, was sie das Vergangene, Gegenwärtige und Zukünftige nennen, das ist eingewoben und verwoben in dem Raume (Äther).« –

5. Und sie sprach: »Verehrung sei dir, o Yâjñavalkya, weil du mir diese Frage gelöst hast. Mache dich gefasst auf die zweite!« – »Frage, o Gârgî.« –

6. Und sie sprach: »Was oberhalb des Himmels ist, o Yâjñavalkya, und was unterhalb der Erde ist und was zwischen beiden, dem Himmel und der Erde, ist, was sie das Vergangene, Gegenwärtige und Zukünftige nennen, worin ist das also eingewoben und verwoben?« –

7. Und er sprach: »Was oberhalb des Himmels ist, o Gârgî, und was unterhalb der Erde ist und was zwischen beiden, dem Himmel und der Erde, ist, was sie das Vergangene, Gegenwärtige und Zukünftige nennen, das ist eingewoben und verwoben in dem Raume.« –[47] »Aber worin ist denn der Raum eingewoben und verwoben?« –

8. Und er sprach: »Es ist das, o Gârgî, was die Weisen das Unvergängliche (aksharam) nennen; es ist nicht grob und nicht fein, nicht kurz und nicht lang; nicht rot [wie Feuer] und nicht anhaftend [wie Wasser]; nicht schattig und nicht finster; nicht Wind und nicht Äther [Raum]; nicht anklebend [wie Lack]; ohne Geschmack, ohne Geruch, ohne Auge und ohne Ohr, ohne Rede, ohne Verstand, ohne Lebenskraft und ohne Odem; ohne Mündung und ohne Mass, ohne Inneres und ohne Äusseres; nicht verzehrt es irgendwas, nicht wird es verzehrt von irgendwem.

9. Auf dieses Unvergänglichen Geheiss, o Gârgî, stehen auseinandergehalten Sonne und Mond; auf dieses Unvergänglichen Geheiss, o Gârgî, stehen auseinandergehalten Himmel und Erde; auf dieses Unvergänglichen Geheiss, o Gârgî, stehen auseinandergehalten die Minuten und die Stunden, die Tag' und Nächte, die Halbmonate; Monate, Jahreszeiten und Jahre; auf dieses Unvergänglichen Geheiss, o Gârgî, rinnen von den Schneebergen die Ströme, die einen nach Osten, die andern nach Westen, und wohin ein jeder gehet; auf dieses Unvergänglichen Geheiss, o Gârgî, preisen die Menschen den Freigebigen, streben die Götter nach dem Opfergeber, die Väter nach der Totenspende.[48]

10. Wahrlich, o Gârgî, wer dieses Unvergängliche nicht kennt und in dieser Welt opfert und spendet und Busse büsst viel tausend Jahre lang, dem bringet es nur endlichen [Lohn]; wahrlich, o Gârgî, wer dieses Unvergängliche nicht kennt und aus dieser Welt abscheidet, der ist der Notweilige (kṛipaṇa); wer aber, o Gârgî, dieses Unvergängliche kennt und aus dieser Welt abscheidet, der ist der Gottheilige (brâhmaṇa).

11. Wahrlich, o Gârgî, dieses Unvergängliche ist sehend nicht gesehen, hörend nicht gehört, verstehend nicht verstanden, erkennend nicht erkannt. Nicht gibt es ausser ihm ein Sehendes, nicht gibt es ausser ihm ein Hörendes, nicht gibt es ausser ihm ein Verstehen des, nicht gibt es ausser ihm ein Erkennendes. – Fürwahr, in diesem Unvergänglichen ist der Raum eingewoben und verwoben, o Gârgî.« –

12. Und sie sprach: »Ehrwürdige Brahmanen! ihr mögt es schon hoch aufnehmen, wenn ihr von diesem damit, dass ihr ihm huldigt [ohne weitere Strafe], loskommt, gewiss aber wird keiner von euch je ihn im Redestreite über die heiligen Dinge überwinden!« –

Da schwieg die Tochter des Vacaknu.

Quelle:
Die Geheimlehre des Veda. Leipzig 1919, S. 46-49.
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