Der Weg ins Jenseits.

[138] Kaushîtaki-Upanishad 1.


1. Es geschah einmal, dass Citra, der Spross des Gâ gya, opfern wollte und den Âruṇi zum Priester wählte. Der aber sandte seinen Sohn Çvetaketu hin, für ihn Priester zu sein. Ihn, da er ankam, fragte Citra: »Also du bist Gautama's Sohn! Gibt es einen Abschluss [der Seelenwanderung] in der Welt, zu dem du mich befördern kannst? Oder ist sonstwie ein Weg, und du willst mich in die Welt, zu der er führt, befördern?« – Er antwortete: »Das weiss ich nicht. Ich will doch meinen Lehrer darum befragen!« Damit ging er zu seinem Vater und befragte ihn: »So und so hat er[138] mich gefragt; was soll ich antworten?« – Der Vater sprach: »Das weiss ich auch nicht. Lass uns in seiner Opferhalle die Vedalektion abhalten und dafür empfangen, was Bessere als wir geben! Komm, wir wollen beide gehen!« – So kam er mit dem Brennholz in der Hand zu Citra, dem Spross des Gâ gya, und sprach: »Lass mich dein Schüler sein!« – Der sprach zu ihm: »Du bist der Priester Anführer, o Gautama, und hast doch keinen Stolz gezeigt; komm, ich will es dir lehren!«

2. Und er sprach: »Alle, die aus dieser Welt abscheiden, gehen [zunächst] sämtlich zum Monde; durch ihre Leben wird seine zunehmende Hälfte angeschwellt, und vermöge seiner abnehmenden Hälfte befördert er sie [auf dem Pitṛiyâna] zu einer [abermaligen] Geburt. – Aber der Mond ist auch die Pforte zur Himmelswelt [auch der Devayâna führt über den Mond]; und wer ihm auf seine Fragen antworten kann, den lässt er über sich hinaus gelangen. – Hingegen wer ihm nicht antworten kann, den lässt er [in dem schwindenden, aus zurückkehrenden Seelen bestehenden Teil], zu Regen geworden, herabregnen. Der wird hienieden, sei es als Wurm, oder als Fliege, oder als Fisch, oder als Vogel, oder als Löwe, oder als Eber, oder als Beisstier, oder als Tiger, oder als Mensch, oder als sonst etwas, an diesem oder jenem Orte wiederum geboren, je nach seinem Werke, je nach seinem[139] Wissen.« – Nämlich, wenn einer zum Monde kommt, so fragt dieser ihn: »Wer bist du?« Dann soll er antworten: »Du bin ich!« –

Wenn er so [zum Monde] spricht, dann lässt er ihn über sich hinaus [zum Devayâna] gelangen.

3. Wenn er nun diesen Devayâna genannten Weg antritt, so gelangt er zur Feuerwelt, dann zur Windwelt, dann zur Varuṇawelt, dann zur Indrawelt, dann zur Prajâpatiwelt, dann zur Brahmanwelt. In dieser Welt fürwahr ist

der See Âra (etwa: Sturmflut),

die Stunden Teshṭiha (angeblich: Opfersäumig),

der Strom Vijarâ (Alterlos),

der Baum Ilya (etwa: Labungsreich),

die Stadt Sâlajya (etwa: durch Bogensehnen, so dick wie Sâlabäume, beschützt),

der Palast Aparâjita (Unüberwindlich),

als Türhüter Indra und Prajâpati,

die Halle Vibhu (die weite),

der Thron Vicakshaṇâ (weit sichtbar),

das Ruhebett Amitaujas (unermesslich kraftvoll),

und die Geliebte Mânasî (die Verstandgenie)

und ihr Gegenbild Câkshushî (die Augengenie),

die halten Blumen in Händen, und sie sind es, die [als Nâma und Rûpam] die Welten weben;

und die Apsaras' Ambâ's und Ambâyavî's (Mütter und Ammen),

und die Ströme Ambayâḥ (etwa: Mutterheiten).[140]

In diese Welt gelangt, wer solches weiss. Und Brahmán spricht: »Lauft ihm entgegen! denn durch meine Herrlichkeit' ist er zum Strome Vijarâ (Alterlos) gelangt, und nimmer, wahrlich, wird er altern!«

4. Dann gehen ihm fünfhundert Apsaras' entgegen, hundert mit Früchten in den Händen, hundert mit Salben, hundert mit Kränzen, hundert mit Gewändern, hundert mit wohlriechendem Pulver; die schmücken ihn aus mit dem Schmucke des Brahman; und nachdem er mit dem Schmucke des Brahman ausgeschmückt ist, geht er, der Brahmanwisser, hin zu Brahman;

zuerst kommt er zu dem See Âra, den überschreitet er mit dem Manas; die aber nur die Gegenwart kennend sich in ihn begeben, die gehen unter;

dann kommt er zu den Stunden Yeshṭiha die laufen vor ihm davon;

dann kommt er zu dem Strome Vijarâ, auch den überschreitet er mit dem Manas;

daselbst schüttelt er ab gute Werke und böse Werke; dann übernehmen seine Bekannten, die ihm freund sind, sein gutes Werk, und die ihm nicht freund sind, sein böses Werk;

gleichwie einer, auf einem Wagen schnell fahrend, auf die Wagenräder hinabblickt [deren Speichen ihm verschwimmen], so blickt er hinab auf Tag und Nacht, so auf gute und böse Werke und auf alle Gegensätze; er aber,[141] frei von guten und bösen Werken, als Brahmanwisser, geht zu dem Brahman ein.

5. Dann kommt er zu dem Baume Ilya, da erfüllt ihn der Brahmanduft;

dann kommt er zu der Stadt Sâlajya, da erfüllt ihn der Brahmangeschmack;

dann kommt er zum Palaste Aparâjita, da erfüllt ihn der Brahmanglanz;

dann kommt er zu den Türhütern Indra und Prajâpati, die laufen vor ihm davon;

dann kommt er zur Halle Vibhu, da erfüllt ihn die Brahmanherrlichkeit;

dann kommt er zum Throne Vicakshaṇâ; der hat als Vorderfüsse die Sâman's Bṛihad und Rathantaram, und als Hinterfüsse [die Sâman's] Çyaitam und Naudhasam, und als Längeleisten Vairûpam und Vairâjam, und als Querleisten Çâkvaram und Raivatam, und ist [seinem Wesen nach] Erkenntnis; denn durch die Erkenntnis wird man [zu dem Throne gelangend] weitsehend;

dann kommt er zu dem Ruhebette Amitaujas, das ist der Prâṇa (das Leben); Vergangenheit und Zukunft sind seine Vorderfüsse, Glück und Labung seine Hinterfüsse, [die Sâman's] Bhadram und Yajñâyajñîyam seine Kopfleisten, Bṛihad und Rathantaram seine Längeleisten, Ṛic's und Sâman's seine Längsborten, Yajus' seine Querborten, Somafasern seine Polsterung, Udgîtha sein Überzug, Schönheit sein Kopfkissen;[142]

darauf sitzt Brahmán; zu ihm steigt, wer solches weiss, den Fuss vorsetzend [nicht kriechend] hinan. Dann fragt ihn Brahmán: »Wer bist du?« –

Dann soll er antworten:

6. »Jahreszeit bin ich, jahreszeitentsprossen bin ich, aus dem Äther als Wiege geboren, als Same des Weibes, als Kraft des Jahres, als eines jeglichen Wesens Selbst. Eines jeglichen Wesens Selbst bist du; und was du bist, das bin ich.«

Und er fragt ihn: »Wer bin denn ich?«

– Dann soll er sagen: »Die Wahrheit!«

Dann wird er zu ihm sagen: »Die Urwasser fürwahr sind meine Welt [als Hiraṇyagarbha], und sie ist dein!«

Wahrlich, jede Eroberung des Brahman, jede Entfaltung des Brahman, diese Eroberung erobert, mit dieser Entfaltung entfaltet sich, wer solches weiss, – wer solches weiss.

Quelle:
Die Geheimlehre des Veda. Leipzig 1919, S. 138-143.
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