3–6. Verkörperung des Âtman und Rückkehr aus ihr.

[159] 3,3.

Ein Wagenfahrer ist, wisse,

Der Âtman, Wagen ist der Leib,[159]

Den Wagen lenkend ist Buddhi,

Manas, wisse, der Zügel ist.


4.

Die Sinne, heisst es, sind Rosse,

Die Sinnendinge ihre Bahn;

Aus Âtman, Sinnen und Manas

Das Gefügte ›Geniesser‹ heisst.


5.

Wer nun besinnungslos hinlebt,

Den Manaszügel ungespannt,

Des Sinne sind unbotmässig,

Wie schlechte Rosse ihrem Herrn.


6.

Doch wer besonnen stets hinlebt,

Den Manaszügel wohlgespannt,

Des Sinne bleiben botmässig,

Wie gute Rosse ihrem Herrn.


7.

Wer nun besinnungslos hinlebt,

Unverständig, unlautern Sinns,

Der kommt nicht zu dem Ort jenseits,

Im Samsâra verstrickt er bleibt.


8.

Doch wer besonnen stets hinlebt,

Verständig und mit lauterm Sinn,

Der gelangt zu dem Ort jenseits,

Von wo keine Geburt mehr ist.


9.

Wer mit Besonnenheit lenkte,

Mit Manas zügelnd, sein Gespann,

Der Mann erreicht des Wegs Endziel,

Dort, wo des Vishṇu höchster Schritt.


14.

Steht auf! wacht auf! erlangt habend

Treffliche Lehrer, merkt auf sie.

Wie schwer zu gehn auf scharfer Messerschneide ist,

Schwer ist der Weg! Den lehren euch die Weisen.
[160]

15.

Was unhörbar, unfühlbar, unsichtbar beharrt,

Unschmeckbar und unriechbar, unvergänglich ist,

Anfanglos, endlos, grösser als Grosses, ewig bleibt,

Wer das erkennt, wird aus des Todes Rachen frei.«


4,1.

Auswärts die Höhlungen der Schöpfer bohrte:

Darum sieht man nach aussen, nicht im Innern.

Ein Weiser wohl inwendig sah den Âtman (die Seele),

In sich gesenkt den Blick, das Ew'ge suchend.


2.

Den Lüsten draussen laufen nach die Toren

Und gehn ins Netz des ausgespannten Todes;

Doch Weise, wissend, was unsterblich, werden

Im Wechsel hier das Bleibende nicht suchen.


3.

Durch den man sieht, schmeckt, riecht, hört und

Berührung gegenseitig fühlt,

Durch ihn allein erkennt einer, –

Was fragt ihr nach dem übrigen!


Wahrlich, dieses ist das!


4.

Durch den man überschaut beide,

Des Traumes und des Wachens Stand,

Den Âtman, gross, alldurchdringend,

Kennt der Weise und grämt sich nicht.


5.

Wer ihn, dem alles ist Honig,

Als Selbst, als Seele nah sich weiss,

Herrn des Vergangnen und Künft'gen,

Der ängstigt sich vor keinem mehr.


Wahrlich, dieses ist das!


9.

Aus dem der Sonne Aufgang ist,

In dem sie wieder untergeht,[161]

Die Götter all in ihm fussen,

Ihn überschreitet keiner je. –


Wahrlich, dieses ist das!


10.

Was hier ist, das ist auch dorten,

Was dorten ist, das ist auch hier;

Von Tod in neuen Tod stürzt sich,

Wer hier Verschied'nes meint zu sehn.


11.

Im Geiste soll man dies merken:

Nicht ist hier Vielheit irgendwie,

Von Tod zu neuem Tode schreitet,

Wer hier Verschied'nes meint zu sehn.


12.

Zollhoch an Grösse weilt mitten

Im Leibe hier der Purusha,

Herr des Vergangnen und Künft'gen,

Wer ihn kennt, ängstigt sich nicht mehr. –


Wahrlich, dieses ist das!


13.

Wie Flamme ohne Rauch, zollhoch

An Grösse ist der Purusha,

Herr des Vergangnen und Künft'gen,

Er ist es heut und morgen auch.


Wahrlich, dieses ist das!


14.

Wie Wasser, im Gebirg' regnend,

An den Abhängen sich verläuft,

So verläuft, wer den Eindrücken

Einzeln folgt, hinter ihnen sich.


15.

Wie reines Wasser, zu reinem

Gegossen, ebensolches bleibt,

So bleibt dem weisen Schweigsamen

Rein die Seele, o Gautama.
[162]

5,1.

Wer die Stadt mit den elf Toren (den Leib)

Des unwankbaren Geistigen,

Des Ew'gen ehrt, der grämt sich nicht

Und wird, des Leibes los, erlöst.


Wahrlich, dieses ist das!


3.

Er, der nach oben hin aushaucht

Und den Einhauch nach innen treibt,

In der Mitte als Zwerg sitzend,

Den beten alle Götter an.


4.

Wenn nach des Leibes Hinfalle

Der im Leibe Verkörperte

Aus dem Leibe erlöst worden,

Was fragt ihr nach dem übrigen?


Wahrlich, dieses ist das!


5.

Nicht durch Aushauch und durch Einhauch

Hat sein Leben ein Sterblicher;

Ein anderer macht ihn leben,

Auf dem beruhen jene zwei.


6.

Wohlan! Ich will dir auslegen

Brahman, ewig, geheimnisvoll,

Und wie es, wenn der Tod eintritt,

Steht mit der Seele, Gautama.


7.

Im Mutterschoss geht ein dieser,

Verkörpernd sich zur Leiblichkeit, –

In eine Pflanze fährt jener, –

Je nach Werk, je nach Wissenschaft.


8.

Der Geist, der wach auch in dem Schläfer,

Aufbauend, je nach Wunsch, dies oder jenes,[163]

Das ist das Reine, ist Brahman,

Das heisset das Unsterbliche.

In ihm die Welten all ruhen,

Ihn überschreitet keiner je.


Wahrlich, dieses ist das!


9.

Das Licht, als eines, eindringt in den Weltraum

Und schmiegt sich dennoch jeglicher Gestalt an;

So wohnt das eine innre Selbst der Wesen

Geschmiegt in jede Form und bleibt doch draussen.


10.

Die Luft, als eine, eindringt in den Weltraum

Und schmiegt sich dennoch jeglicher Gestalt an;

So wohnt das eine innre Selbst der Wesen

Geschmiegt in jede Form, und bleibt doch draussen.


11.

Die Sonne, die des ganzen Weltalls Auge,

Bleibt rein von Fehlern ausser ihr der Augen;

So bleibt das eine innre Selbst der Wesen

Rein von dem Leiden ausser ihm der Welten.


12.

Den einen Herrn und innres Selbst der Wesen,

Der seine eine Form ausbreitet vielfach,

Wer den, als Weiser, in sich selbst sieht wohnen,

Der nur ist ewig selig, und kein andrer.


13.

Der, als der Ew'ge den Nichtew'gen, Freude,

Als Geist den Geistern, schafft, als Einer Vielen,

Wer den, als Weiser, in sich selbst sieht wohnen,

Der nur hat ew'gen Frieden, und kein andrer.


14.

»Dieses ist das!« – Dies Wort fühlt man

Als unaussprechlich höchste Lust;

Doch wie kann man es wahrnehmen?

Glänzt, oder widerglänzt es wohl?
[164]

15.

Dort leuchtet nicht die Sonne, nicht Mond noch Sternenglanz,

Noch jene Blitze, geschweige irdisch Feuer.

Ihm, der allein glänzt, nachglänzt alles andre,

Die ganze Welt erglänzt von seinem Glanze.


6,1.

Die Wurzel hoch, die Zweig' abwärts

Steht jener ew'ge Feigenbaum;

Das ist das Reine, ist Brahman,

Das heisset das Unsterbliche;

In ihm die Welten alle ruhen,

Ihn überschreitet keiner je.


Wahrlich, dieses ist das!


2.

Alles was ist, das Weltganze,

Lebt im Prâṇa, dem es entsprang;

Ein grosser Schreck ist's, ein gezückter Blitzstrahl,

Unsterblich werden solche, die es wissen.


3.

Aus Furcht vor ihm brennt das Feuer,

Aus Furcht vor ihm die Sonne brennt,

Aus Furcht vor ihm eilt hin Indra

Und Vâyu und der Tod zu fünft.


6.

Der Sinne Einzelwahrnehmung,

Ihr Auftauchen und Untergehn

Und ihr gesondert Auftreten

Kennt der Weise und grämt sich nicht.


7.

Höher als Sinne steht Manas,

Höher als Manas Sattvam steht,

Höher als dies das »grosse Selbst«,

Über diesem Avyaktam steht.
[165]

8.

Dies überragt der Purusha,

Alldurchdringend und makellos,

Wer ihn erkannt, erlöst wird er

Und geht ein zur Unsterblichkeit.


9.

Nicht ist zu schauen die Gestalt desselben,

Nicht sieht ihn irgendwer mit seinem Auge;

Nur wer an Herz und Sinn und Geist bereitet, –

Unsterblich werden, die ihn also kennen.


10.

Erst wenn gelangt zum Stillstande

Mit den fünf Sinnen Manas ist,

Und unbeweglich steht Buddhi,

Das nennen sie den höchsten Gang.


11.

Das ist es, was man nennt Yoga,

Der Sinne starke Fesselung,

Doch ist man nicht dabei lässig:

Yoga ist Schöpfung und Vergang.


12.

Nicht durch Reden, nicht durch Denken,

Nicht durch Sehen erfasst man ihn:

»Er ist!« durch dieses Wort wird er

Und nicht auf andre Art erfasst.


14.

Wenn alle Leidenschaft schwindet,

Die nistet in des Menschen Herz,

Dann wird, wer sterblich, unsterblich,

Hier schon erlangt das Brahman er.


15.

Wenn alle Knoten sich spalten,

Die umstricken das Menschenherz,

Dann wird, wer sterblich, unsterblich. –

So weit erstreckt die Lehre sich.

Quelle:
Die Geheimlehre des Veda. Leipzig 1919, S. 159-166.
Lizenz:

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