[147] Anfangs eine Neun bedeutet:
Die Reue schwindet.
Wenn du dein Pferd verlierst, so lauf ihm nicht nach.
Es kommt von selber wieder.
Wenn du böse Menschen siehst, so hüte dich vor Fehlern.
Auch in Zeiten des Gegensatzes kann man so handeln, daß man frei von Fehlern bleibt, so daß die Reue schwindet. Man darf bei beginnendem Gegensatz die Einheit nicht erzwingen wollen; dadurch würde man nur das Gegenteil erreichen, wie ein Pferd sich immer weiter entfernt, wenn man ihm nachläuft. Ist es unser Pferd, so kann man es ruhig laufen lassen: es kommt von selber wieder. So kommt auch ein Mensch, der zu uns gehört und infolge eines Mißverständnisses sich augenblicklich von uns entfernt,[147] von selber wieder, wenn man ihn machen läßt. Auf der anderen Seite gilt es vorsichtig sein, wenn böse Menschen, die nicht zu uns gehören, sich herbeidrängen – auch infolge eines Mißverständnisses. Hier gilt es, Fehler zu vermeiden: sie nicht gewaltsam entfernen wollen, wodurch erst recht Feindschaft entstünde, sondern sie einfach dulden. Sie ziehen sich schon von selbst zurück.
Û Neun auf zweitem Platz bedeutet:
Man begegnet seinem Herrn in enger Gasse.
Kein Makel.
Infolge der Mißverständnisse ist es nicht möglich, daß Menschen, die ihrer Art nach zusammengehören, auf ganz korrekte Weise zusammenkommen. Da mag denn ein zufälliges Zusammentreffen unter unformellen Umständen auch hingehen, wenn nur die innere Zusammengehörigkeit vorhanden ist.
Sechs auf drittem Platz bedeutet:
Man sieht den Wagen nach hinten gezerrt,
die Rinder festgehalten,
dem Menschen Haare und Nase abgeschnitten.
Kein guter Anfang, aber ein gutes Ende.
Manchmal sieht es so aus, als ob sich alles gegen einen verschworen habe; man sieht sich im Fortschritt gehemmt und zurückgehalten, man sieht sich beschimpft und verletzt (Abschneiden von Haaren und Nase war eine schwere, entehrende Strafe). Aber man darf sich dann nicht irremachen lassen, sondern muß trotz dieser Gegensätze festhalten an dem Menschen, mit dem man sich zusammengehörig weiß. So wird trotz des schlechten Anfangs das Ende schließlich gut werden.
Neun auf viertem Platz bedeutet:
Durch Gegensatz vereinsamt,
trifft man auf einen Gleichgesinnten,
mit dem man in Treuen verkehren kann.
Trotz der Gefahr kein Makel.
Wenn man in einer Gesellschaft ist, von der man durch einen inneren Gegensatz getrennt ist, so kommt man in Vereinsamung. Aber wenn man in solcher Lage einen Menschen trifft, der ursprünglich seinem ganzen Wesen nach zu einem gehört, dem man sein volles Vertrauen schenken kann, dann überwindet man alle Gefahren der Vereinsamung. Unser Wille hat Erfolg, und man wird frei von Fehlern.
[148]
Û Sechs auf fünftem Platz bedeutet:
Die Reue schwindet.
Der Gefährte beißt sich durch die Hülle.
Wenn man hingeht zu ihm, wie wäre das ein Fehler?
Man findet einen treuen Menschen, den man in der allgemeinen Entfremdung zuerst verkennt. Aber er beißt sich durch die trennenden Hüllen durch. Da ist es nun für den, dem dieser Gefährte sich in seinem wahren Wesen zeigt, Pflicht, ihm entgegenzugehen und mit ihm zusammenzuarbeiten.
Oben eine Neun bedeutet:
Durch Gegensatz vereinsamt, sieht man seinen Gefährten
wie ein schmutzbeladenes Schwein,
wie einen Wagen voll Teufel.
Erst spannt man den Bogen nach ihm,
dann legt man den Bogen weg.
Nicht Räuber er ist, will freien zur Frist.
Beim Hingehen fällt Regen, dann kommt Heil.
Hier ist die Vereinsamung durch Mißverständnisse, nicht durch die äußeren Verhältnisse, sondern durch innere Zustände bedingt. Man verkennt seine besten Freunde, hält sie für unrein wie ein schmutziges Schwein und für gefährlich wie einen Wagen voll Teufel. Man setzt sich in Verteidigungsstellung. Aber schließlich erkennt man seinen Irrtum, legt den Bogen weg und merkt, daß der andere in bester Absicht zu enger Verbindung kommt. So löst sich die Spannung. Die Vereinigung löst den Gegensatz, wie der fallende Regen die Schwüle vor dem Gewitter ablöst. Alles geht gut, denn der Gegensatz schlägt gerade auf seiner Höhe in sein Gegenteil um.
Buchempfehlung
Stifters späte Erzählung ist stark autobiografisch geprägt. Anhand der Geschichte des jungen Malers Roderer, der in seiner fanatischen Arbeitswut sich vom Leben abwendet und erst durch die Liebe zu Susanna zu einem befriedigenden Dasein findet, parodiert Stifter seinen eigenen Umgang mit dem problematischen Verhältnis von Kunst und bürgerlicher Existenz. Ein heiterer, gelassener Text eines altersweisen Erzählers.
52 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro