14. Der Edle

[43] Wer nicht selber wirklich feinhörig, klarsichtig, heilig, weise und der Lebenskräfte des Himmels kundig ist, wie könnte ihn ein solcher erkennen! In den Liedern heißt es (I Guo Fong V, 3, 1):


Ȇber dem reich gestickten Kleid

trägt sie ein schlichtes Obergewand.«
[43]

Damit ist ausgedrückt die Abneigung gegen das Scheinen der Zierde. So ist des Edlen Weg verborgen und strahlt von Tag zu Tag mehr. Des Gemeinen Weg ist sichtbar wie eine Zielscheibe, und wenn sein Tag gekommen ist, so ist er verschwunden.

Des Edlen Weg ist schmucklos, aber man wird seiner nie müde; er ist einfach, aber geordnet; er ist milde, aber hat Folge. Nur wer weiß, wie man vom Nahen aus zum Fernen kommen kann, wer weiß, woher der Einfluß kommt, wer weiß, was das offenbare Geheimnis ist, der mag mit ihm zusammen eindringen in die Tiefen der Lebenskraft. In den Liedern heißt es (II Siau Ya IV, 8, 11):


»Ob er sich auch in allen Tiefen birgt,

er leuchtet deutlich doch hervor.«


Darum achtet der Edle auf sein Inneres, ob er keinen Makel hat, ob er nichts Schlechtes hat in seinem Willen. Worin der Edle unerreichbar bleibt, sind lauter Dinge, die die Menschen gar nicht sehen. In den Liedern heißt es (III Da Ya III, 2, 7):


»Wenn du in deinem Hause bist,

tu nichts, daß du dich vor den Wänden schämen mußt.«


Darum braucht der Edle sich nicht zu bewegen, und man ehrt ihn doch; er braucht nicht zu reden, und man glaubt ihm doch. In den Liedern heißt es (IV Sung V, 2, 2):


»Ich rufe schweigend ihn durch heilige Musik,

so gibt es keinen Widerspruch17


So braucht der Edle nicht zu belohnen, und das Volk wird dennoch angefeuert; er braucht nicht zu zürnen, und das Volk fürchtet ihn doch mehr als Beil und Axt. In den Liedern heißt es (IV Sung I, 4, 3):


»Nichts ist so offenbar wie Geisteskraft,

die Fürsten alle bilden sie dir nach.«


Darum ist der Edle ernst und ehrfürchtig, und die Welt kommt in Frieden. In den Liedern heißt es (III Da Ya I, 7, 7):


»Ich liebe die klare Geisteskraft,

die sich nicht laut und sichtbar kündet.«

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eine Opferszene. Beim Opfer wird der Geist herbeigerufen, nicht durch Worte, sondern durch das von der Musik erregte Gefühl. Das ist ein Zeichen, daß Friede auf Erden herrscht.

Quelle:
Li Gi. Düsseldorf/Köln 1981, S. 43-44.
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