2. Wahrheit der Gedanken

[47] Mit Wahrmachen der Gedanken ist gemeint, daß man sich nicht selbst betrügt. Es muß alles so (unzweideutig) sein wie der Abscheu vor einem abscheulichen Geruch, wie die Liebe zu einer lieblichen Erscheinung. Das ist die Geborgenheit im eignen Innern. Darum achtet der Edle stets auf das, was er für sich allein hat.

Wenn der Gemeine sich selbst überlassen ist, so tut er Übles und scheut vor nichts zurück. Wenn er einen Edlen sieht, so sucht er ängstlich sein Übles zu verbergen und sein Gutes zu zeigen. Aber er wird von dem andern durchschaut bis auf Herz und Nieren. Was nützt ihm da (alle Verstellung)? Das ist der Sinn des Wortes: »Was im Innern wahr ist, das gestaltet sich im Äußern. Darum achtet der Edle stets auf das, was er für sich allein hat.«

Dsong sprach: »Es ist, als ob zehn Augen auf dich blickten, zehn Hände auf dich wiesen; wie ernst und furchtbar ist das doch.«

Reichtum verschönt das Haus, Tugend verschönt den Menschen;[47] das Herz wird weit, der Leib wird blühend. Darum macht der Edle unter allen Umständen seine Gedanken wahr.


a) Klärung der Geisteskraft


In den Liedern4 steht (I, V, 1, 1):


»Schau an des Flusses Schlängelufer,

wie da der Bambus üppig grünet!

O unser Fürst ist fein gebildet,

wie Elfenbein geschnitten und poliert,

wie Edelstein gemeißelt und geglättet.

O wie so groß und wie so ruhig,

ehrfurchtgebietend und erhaben!

O unser Fürst ist fein gebildet,

und nie wird seiner man vergessen!«


Die Worte »wie Elfenbein geschnitten und poliert« beziehen sich auf die Richtung des Wissens; die Worte »wie Edelstein gemeißelt und geglättet« beziehen sich auf die Selbstbildung; die Worte »O wie so groß und wie so ruhig« beziehen sich auf den Ernst der Gesinnung; die Worte »ehrfurchtgebietend und erhaben« beziehen sich auf die (dadurch bewirkte) Würde (des Auftretens); die Worte »O unser Fürst ist fein gebildet, und nie wird seiner man vergessen« beziehen sich darauf, daß wer auf dem Weg fortschreitet mit reicher Geisteskraft und höchster Güte, vom Volke nicht vergessen werden kann.

In den Liedern steht (IV, I, 4, 3):


»O unsre verewigten Könige bleiben unvergessen!«


Die Edlen ehren, was sie ehrten, und lieben, was sie liebten; die geringen Leute freuen sich der Freuden (die jene geschaffen) und genießen den Vorteil (den sie ihnen verdanken). Darum werden sie bis ans Ende aller Tage nicht vergessen werden.

Im Rat an Kang5 heißt es (Schu Ging IV, 9, 3):


»Er verstand es, seine Geisteskräfte zu klären.«


Im Abschnitt Tai Gia heißt es (Schu Ging III, V, A, 2):


»Er hatte stets die klare Bestimmung des Himmels vor Augen.«


Im Kanon des Herrn6 heißt es (Schu Ging I, 1, 2):


»Er verstand es, seine klaren Geisteskräfte zu klären.«


Alle diese Stellen handeln von der Klärung des eignen Ichs.


[48] b) Liebe zu den Menschen (Erneuerung des Volks)


Auf der Badewanne des Tang7 stand als Inschrift:


»Wenn wirklich neu, dann täglich neu, tagtäglich neu.«


Im Rat an Kang heißt es (Schu Ging IV, 9, 7):


»Schaffe die Menschen neu!«


In den Liedern steht (III, I, 1, 1):


»Obwohl das Reich von Dschou schon alt,

ist seine Weltbestimmung dennoch neu.«


So kennt der Edle nichts, wobei er nicht sein Äußerstes hergibt.


c) Das Ziel


In den Liedern8 steht (IV, V, 3, 4):


»Die tausend Meilen Königsland

sind für das Volk der Wohnung Ziel.«


In den Liedern9 steht (II, VIII, 6, 2):


»Zwitschernd findet der Pirol

an des Hügels Hang sein Ziel.«


Der Meister sprach: »Wenn er an seinem Ziel ist, dann weiß er, daß er am Ziel ist. Sollte es Menschen geben, die nicht einmal diesem Vogel gleichkommen?« – In den Liedern10 heißt es (III, I, 1, 4):


»Wie tief und still war König Wen,

in steter Klarheit ernst und zielbewußt!«


Als Fürst hatte er Menschlichkeit als Ziel; als Untertan hatte er Sorgfalt als Ziel; als Sohn hatte er Ehrfurcht als Ziel; als Vater hatte er väterliche Liebe als Ziel; im Verkehr mit den Leuten seines Reiches hatte er Zuverlässigkeit als Ziel.


d) Erkenntnis der Wurzel


Der Meister sprach: »Rechtshändel entscheiden kann ich auch nicht anders als andere; worauf es mir aber vor allem ankommt, ist, die Leute von Rechtshändeln abzuhalten, so daß die, die Unrecht haben, ihre Reden gar nicht fertig halten können, weil des Volkes Gesinnung durch großes, ehrfurchtgebietendes Wesen (im Zaum gehalten wird).«

Das heißt die Wurzel erkennen.

4

Das hier zitierte Lied bezieht sich auf den Fürsten Wu von We, der von 811-775 v. Chr. lebte. Das Lied ist allegorisch ausgedeutet auf den Fortschritt und Erfolg der Bildung.

5

Kang Gau, der Rat, genauer die Belehnungsansprache an den Prinzen Fong von Kang, den Sohn des Königs Wen von Dschou, bei seiner Einsetzung als Fürst von We, steht im Buch der Urkunden (Schu Ging IV, 9, 3). Die Worte sind wahrscheinlich vom Herzog von Dschou im Namen des jungen Königs Tschong gesprochen und enthalten einen Hinweis auf die Tugenden des Königs Wen, der es verstanden habe, seine ursprünglich gute Naturanlage zu läutern und so zum weitestgehenden Einfluß zu bringen.

6

Die Stelle ist aus dem Kanon des Yau im Urkundenbuch. Sie ist der Schilderung des Charakters des Herrschers Yau entnommen, der in der konfuzianischen Philosophie das Urbild aller Herrschertugenden ist.

7

Die Inschrift auf der Badewanne des Vollenders Tang von Yin hatte den Zweck, unter dem Bild einer täglichen Waschung ihn zu einer täglichen innerlichen Reinigung zu mahnen.

8

Das erste Zitat steht im Buch der Lieder IV, V, 3, 4, das zweite steht im Buch der Lieder II, VIII, 6, 2, das dritte ebenda III, I, 1, 4. Der Grund, weshalb sie zusammengestellt sind, ist, weil sie alle das Wort Ziel (wörtlich: stehenbleiben, beharren) enthalten. Sie sind allegorisch ausgedeutet.

Das erste Zitat aus den Feiergesängen von Schang, das von dem Krongut der zweiten Dynastie handelt, dessen Zweck und Ziel es war, daß das Volk es bewohne, hat im Zusammenhang den Sinn, daß alles einen Zweck und ein Ziel hat. Das Krongut nämlich soll der König nicht als sein Privateigentum betrachten, sondern sein Zweck ist es, daß es dem Volk unter seinem Zepter zur Wohnung diene.

Das zweite Zitat ist aus den sogenannten Kleinen Festliedern. Das Lied, dem es entnommen ist, handelt von einem erschöpften Soldaten, der mit Neid auf das gelbe Vöglein sieht, das sein Nest kennt, während er selbst nicht weiß, wo aus und ein, und nur wünscht, »daß etwas käme und ihn mitnähme«. Konfuzius hat in seiner Erklärung des Lieds eine Mahnung beigefügt, daß der Mensch sich nicht solle von einem Vogel beschämen lassen, der ganz genau sein Ziel kenne. Das letzte Zitat endlich entstammt dem ersten der sogenannten Großen Festlieder, einem Hymnus auf den Begründer der dritten Dynastie, König Wen. »Tief und still« deutet auf die Ruhe und den Frieden der Seele. »Stete Klarheit« bedeutet einen Geisteszustand, da man nicht erst mühsam nachdenken muß, sondern intuitiv dauernde Klarheit durch Offenbarung besitzt. »Ernst und zielbewußt« deutet an, daß in allen Zielen des täglichen Lebens ihm natürlicher Ernst und Sorgfalt eigen waren, die sich ohne Anstrengung in allen Lebenslagen von selbst auswirkten. Das sind Eigenschaften, die sich beim berufenen Heiligen spontan und naturhaft finden durch seinen Zusammenhang mit Gott; darum braucht er nicht nachzudenken und erreicht das Ziel durch Offenbarung; er braucht sich nicht anzustrengen und trifft das Rechte durch die Sündlosigkeit seiner Natur. Denn höchste Klarheit und höchste Wahrheit sind ihm gleichzeitig eigen.

Dagegen müssen die gewöhnlichen Menschen notwendig nach Ruhe streben, um ihrer Seele Frieden zu finden; sie müssen sich über das Gute klar werden, um den Weg zur Vollkommenheit des Lebens zu finden. Ohne Nachdenken wird nichts erreicht; ohne Handeln wird nichts vollendet. Darum ist der Heilige das Vorbild für die Welt, dem die gewöhnlichen Menschen nachzustreben haben.

Die Erklärung des Liederverses, die ausführt, welche Ziele sich König Wen innerhalb der verschiedenen sozialen Beziehungen setzte, in denen er sich befand, zeigt, worauf sich das Zielbewußtsein zu richten hat, damit man seine Pflicht dem Nächsten gegenüber vollkommen erfüllt.

9

Das erste Zitat steht im Buch der Lieder IV, V, 3, 4, das zweite steht im Buch der Lieder II, VIII, 6, 2, das dritte ebenda III, I, 1, 4. Der Grund, weshalb sie zusammengestellt sind, ist, weil sie alle das Wort Ziel (wörtlich: stehenbleiben, beharren) enthalten. Sie sind allegorisch ausgedeutet.

Das erste Zitat aus den Feiergesängen von Schang, das von dem Krongut der zweiten Dynastie handelt, dessen Zweck und Ziel es war, daß das Volk es bewohne, hat im Zusammenhang den Sinn, daß alles einen Zweck und ein Ziel hat. Das Krongut nämlich soll der König nicht als sein Privateigentum betrachten, sondern sein Zweck ist es, daß es dem Volk unter seinem Zepter zur Wohnung diene.

Das zweite Zitat ist aus den sogenannten Kleinen Festliedern. Das Lied, dem es entnommen ist, handelt von einem erschöpften Soldaten, der mit Neid auf das gelbe Vöglein sieht, das sein Nest kennt, während er selbst nicht weiß, wo aus und ein, und nur wünscht, »daß etwas käme und ihn mitnähme«. Konfuzius hat in seiner Erklärung des Lieds eine Mahnung beigefügt, daß der Mensch sich nicht solle von einem Vogel beschämen lassen, der ganz genau sein Ziel kenne. Das letzte Zitat endlich entstammt dem ersten der sogenannten Großen Festlieder, einem Hymnus auf den Begründer der dritten Dynastie, König Wen. »Tief und still« deutet auf die Ruhe und den Frieden der Seele. »Stete Klarheit« bedeutet einen Geisteszustand, da man nicht erst mühsam nachdenken muß, sondern intuitiv dauernde Klarheit durch Offenbarung besitzt. »Ernst und zielbewußt« deutet an, daß in allen Zielen des täglichen Lebens ihm natürlicher Ernst und Sorgfalt eigen waren, die sich ohne Anstrengung in allen Lebenslagen von selbst auswirkten. Das sind Eigenschaften, die sich beim berufenen Heiligen spontan und naturhaft finden durch seinen Zusammenhang mit Gott; darum braucht er nicht nachzudenken und erreicht das Ziel durch Offenbarung; er braucht sich nicht anzustrengen und trifft das Rechte durch die Sündlosigkeit seiner Natur. Denn höchste Klarheit und höchste Wahrheit sind ihm gleichzeitig eigen.

Dagegen müssen die gewöhnlichen Menschen notwendig nach Ruhe streben, um ihrer Seele Frieden zu finden; sie müssen sich über das Gute klar werden, um den Weg zur Vollkommenheit des Lebens zu finden. Ohne Nachdenken wird nichts erreicht; ohne Handeln wird nichts vollendet. Darum ist der Heilige das Vorbild für die Welt, dem die gewöhnlichen Menschen nachzustreben haben.

Die Erklärung des Liederverses, die ausführt, welche Ziele sich König Wen innerhalb der verschiedenen sozialen Beziehungen setzte, in denen er sich befand, zeigt, worauf sich das Zielbewußtsein zu richten hat, damit man seine Pflicht dem Nächsten gegenüber vollkommen erfüllt.

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Das erste Zitat steht im Buch der Lieder IV, V, 3, 4, das zweite steht im Buch der Lieder II, VIII, 6, 2, das dritte ebenda III, I, 1, 4. Der Grund, weshalb sie zusammengestellt sind, ist, weil sie alle das Wort Ziel (wörtlich: stehenbleiben, beharren) enthalten. Sie sind allegorisch ausgedeutet.

Das erste Zitat aus den Feiergesängen von Schang, das von dem Krongut der zweiten Dynastie handelt, dessen Zweck und Ziel es war, daß das Volk es bewohne, hat im Zusammenhang den Sinn, daß alles einen Zweck und ein Ziel hat. Das Krongut nämlich soll der König nicht als sein Privateigentum betrachten, sondern sein Zweck ist es, daß es dem Volk unter seinem Zepter zur Wohnung diene.

Das zweite Zitat ist aus den sogenannten Kleinen Festliedern. Das Lied, dem es entnommen ist, handelt von einem erschöpften Soldaten, der mit Neid auf das gelbe Vöglein sieht, das sein Nest kennt, während er selbst nicht weiß, wo aus und ein, und nur wünscht, »daß etwas käme und ihn mitnähme«. Konfuzius hat in seiner Erklärung des Lieds eine Mahnung beigefügt, daß der Mensch sich nicht solle von einem Vogel beschämen lassen, der ganz genau sein Ziel kenne. Das letzte Zitat endlich entstammt dem ersten der sogenannten Großen Festlieder, einem Hymnus auf den Begründer der dritten Dynastie, König Wen. »Tief und still« deutet auf die Ruhe und den Frieden der Seele. »Stete Klarheit« bedeutet einen Geisteszustand, da man nicht erst mühsam nachdenken muß, sondern intuitiv dauernde Klarheit durch Offenbarung besitzt. »Ernst und zielbewußt« deutet an, daß in allen Zielen des täglichen Lebens ihm natürlicher Ernst und Sorgfalt eigen waren, die sich ohne Anstrengung in allen Lebenslagen von selbst auswirkten. Das sind Eigenschaften, die sich beim berufenen Heiligen spontan und naturhaft finden durch seinen Zusammenhang mit Gott; darum braucht er nicht nachzudenken und erreicht das Ziel durch Offenbarung; er braucht sich nicht anzustrengen und trifft das Rechte durch die Sündlosigkeit seiner Natur. Denn höchste Klarheit und höchste Wahrheit sind ihm gleichzeitig eigen.

Dagegen müssen die gewöhnlichen Menschen notwendig nach Ruhe streben, um ihrer Seele Frieden zu finden; sie müssen sich über das Gute klar werden, um den Weg zur Vollkommenheit des Lebens zu finden. Ohne Nachdenken wird nichts erreicht; ohne Handeln wird nichts vollendet. Darum ist der Heilige das Vorbild für die Welt, dem die gewöhnlichen Menschen nachzustreben haben.

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Quelle:
Li Gi. Düsseldorf/Köln 1981, S. 47-49.
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