4. Verschiedene Erfolge der verschiedenen Methoden

[207] Die Herren der Welt stimmen alle darin überein, daß sie wünschen, daß ihr Volk gut wird. Worin sie sich aber unterscheiden,[207] das sind die Mittel, um das Volk zum Guten zu bringen. Die einen leiten ihr Volk durch die Macht ihres Wesens und die Erziehung, die andern treiben ihr Volk an durch Gesetze und Befehle. Wenn man das Volk leitet durch die Macht persönlicher Erziehung, so wird die Macht der persönlichen Erziehung sich auswirken, und das Volk wird stark und fröhlich; wenn man es antreibt durch Gesetze und Befehle, so werden Gesetze und Befehle sich anhäufen, und das Volk wird traurig und klagend. Trauer und Freude sind die Reize, die Glück und Unglück auslösen.

Ich bin überzeugt, daß der König von Tsin in dem Wunsche, seinen Ahnentempel zu ehren und seine Nachkommen zu sichern, mit den Königen Tang und Wu übereinstimmte. Aber ein König Tang und ein König Wu vermochten ihrem persönlichen Einfluß eine solch breite Wirkung zu geben, daß er auch in der Zukunft noch sich ausdehnte und fünfhundert Jahre sich auswirkte, ohne zu erlöschen. Der König von Tsin wollte auch dazu gelangen, aber er konnte es nicht. Nachdem er das Weltreich kaum ein Dutzend Jahre innehatte, erfolgte der große Zusammenbruch. Das hat keinen andern Grund als den, daß Tang und Wu die Festsetzung ihres Tuns und Lassens richtig beurteilt hatten, während der König von Tsin die Festsetzung seines Tuns und Lassens nicht richtig beurteilt hatte. Im Buch der Wandlungen heißt es: »Der Edle ist vorsichtig. Wenn der Anfang auch nur um Haaresbreite abweicht, so führt der Weg tausend Meilen irre.« Das bezieht sich auf das Tun und Lassen.

Darum müssen also die Berater und Lehrer von Menschenherrschern Tag und Nacht diese Frage erklären: Warum sagt man in Beziehung auf die Handhabung der Welt, die Welt sei ein Gerät? Wenn man ein Gerät an einen sicheren Platz stellt, so ist es in Sicherheit, wenn man es an einen gefährlichen Platz stellt, so ist es in Gefahr. Mit den Verhältnissen der Welt ist es nicht anders als mit einem Gerät. Es kommt alles darauf an, wohin der Himmelssohn sie stellt. Die Könige Tang und Wu stellten die Welt in Güte und Gerechtigkeit, Sitte und Musik, und ihrer Persönlichkeit Gnade wirkte selbst auf Vögel und Tiere, Kräuter und Bäume, und ihr belebender Einfluß erstreckte sich auf die Man und Mo und alle vier Barbarengegenden.[208] Sie vererbten ihr Reich auf Söhne und Enkel über zehn Generationen lang in einem Zeitraum von fünf- bis sechshundert Jahren. Das ist etwas, das alle Welt gehört hat. Der König von Tsin stellte die Welt auf Gesetze, Befehle, Bußen und Strafen, und seiner Persönlichkeit Gnade war für niemand zu fühlen, so daß das Gift des Grolles die Menschen seiner Zeit erfüllte. Sie haßten ihn wie ihren Feind; das Unheil hätte beinahe ihn selbst erreicht. Seine Söhne und Enkel wurden ausgerottet. Das ist etwas, das alle Welt gesehen hat.

Wenn man also Güte und Gerechtigkeit, Sitte und Musik als Grundlage der Weltregierung nimmt, so wird ein Haus nach fünf- bis sechshundert Jahren noch bestehen. Wenn man dagegen Gesetze und Befehle als Grundlage für die Weltregierung nimmt, so geht ein Haus in wenig über zehn Jahren zugrunde. Ist das nicht eine klare Erfahrung und ein großer Beweis?

Die Menschen sagen: Beim Hören von Worten kommt es vor allem darauf an, daß man die entsprechenden Taten sieht; dann werden die Redenden nicht wagen, leere Worte zu sprechen. Wenn nun ein Gelehrter sagen wollte, daß Sitte und Gerechtigkeit nicht so gut seien wie Gesetze und Befehle, daß der Einfluß der Erziehung nicht so wirksam sei wie Bußen und Strafen, so braucht ein Herrscher nur die Beispiele der Dynastien Yin, Dschou und Tsin zum Zeugnis zu nehmen, um die Wahrheit zu schauen.

Quelle:
Li Gi. Düsseldorf/Köln 1981, S. 207-209.
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