I, 123. An die Morgenröthe.[126] 116

1. Geschirrt ist schon der reichen Uschas Wagen,

die ew'gen Götter haben ihn bestiegen;

Erhoben hat sich aus der Nacht die holde,

die grosse, sich der Menschenwelt zu zeigen.[126]

2. Vor aller Welt ist sie erwacht als erste,

die hohe, Gut erkämpfend und erlangend,

Sie blickt empor die Jungfrau wiederkehrend,

zuerst beim Frühruf kam die Morgenröthe.

3. Wenn heute du den Männern Gaben austheilst,

o edle Uschas, Göttin bei den Menschen,

Dann mög' uns hier Gott Savitar, der Hausfreund,

als frei von Schuld dem Sonnengott verkünden.

4. Die tageshelle kommt zu jedem Hause

und jedem Tage gibt sie ihren Namen;

Zu spenden willig, strahlend naht sie immer

und theilet aus der Güter allerbestes.

5.117 Als Bhaga's Schwester, Varuna's Verwandte,

komm her zuerst, o schöne Morgenröthe;

Wer Frevel übt, der soll dahinten bleiben,

von uns besiegt sein mit der Uschas Wagen.

6. Es möge sich erheben Lied und Opfer,

schon stiegen auf die Feuer hell erstrahlend;

Die schönen Güter sonst verhüllt von Dunkel,

lässt schauen jetzt die lichte Morgenröthe.

7. Die Nacht vergeht, es kommt die Tageshelle,

ungleich gefärbt begegnen sich die beiden,

Das Dunkel hüllet ein der Schwestern eine,

die Morgenröthe strahlt im Flammenwagen.

8. An Aussehn heute gleich und gleich auch morgen,

folgen sie Varuna's ew'ge Satzung,

An dreissig Meilen ohne Fehl durchwandernd

vollendet täglich ihre Arbeit jede.

9. Der ersten Tageshelle Zeichen kennend,

entsprang die lichte, weisse aus der schwarzen;

Nicht löst die Jungfrau auf des Rechtes Satzung,

die Tag für Tag am rechten Ort sich einstellt.

10. Wie eine Braut am Leibe prangend gehst du

zum Gott, o Göttin, der nach dir sich sehnet,

Vor ihm enthüllst du lächelnd deine Brüste,

die du erstrahlst in frischer Jugendfülle.

11. Wie eine Maid geschmückt von ihrer Mutter,

lässt, liebliche, du deinen Leib erschauen;

O leuchte weithin, schöne Morgenröthe,

nicht kommen andre Morgen deiner Pracht gleich.

12. Die Morgenröthen, reich an Rossen, Rindern

und allen Gütern, mit der Sonne Strahlen

Wetteifernd, gehn hinweg und kommen wieder,

glückbringende Erscheinung mit sich führend.[127]

13. Des Rechtes Zügel lenkend, Morgenröthe,

verleihe Weisheit, Segen uns auf Segen;

Leicht zu erflehen strahle du uns heute,

uns und den Fürsten seien reiche Schätze.

Quelle:
Rig-Veda. 2 Teile, Leipzig 1877, [Nachdruck 1990], Teil 2, S. 126-128.
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