Die Muṇḍaka-Upanishad des Atharvaveda.

[543] Die Muṇḍaka-Upanishad (gelegentlich auch kurzweg Muṇḍa genannt, Muktikop. v. 29; Nârâyaṇa zu Atharvaçikhâ 1 p. 229,5, zu Garbha p. 60,6) gehört nicht einer bestimmten Vedaschule an, sondern ist, wie der Name besagt, »die Upanishad der Kahlgeschorenen (muṇḍa)«, d.h. einer Genossenschaft von Asketen, welche, wie später die Buddhistenmönche, als Observanz die Kopfhaare abrasierten. Dem entsprechend wird am Schlusse der Upanishad eingeschärft, dieselbe keinem mitzuteilen, der nicht vorschriftsmässig das Kopfgelübde (çirovratam) erfüllt hat. Dass unter diesem »Kopfgelübde« das Tragen von Feuer (etwa einem Becken mit Kohlen) auf dem Haupte zu verstehen sei, wie Ça kara erklärt mit der Bemerkung, dass »dieses Gelübde im Atharvaveda vorkomme«, scheint uns sehr zweifelhaft; denn zunächst wäre es dort nachzuweisen, was unsers Wissens noch nicht geschehen (ich will hoffen, dass man nicht dafür Atharvav. 10,2,26 anführen wird; vgl. über diese Stelle Gesch. d. Phil. I, 269), und dann bliebe noch die Frage, ob Ça kara auf Grund einer Tradition oder (wie so oft) aus blosser Mutmassung redet, und ob wir nicht seiner abenteuerlichen Auffassung der Stelle die einfache Interpretation für çirovratam vorziehen, welche in dem Worte muṇḍaka liegt.1

Die Muṇḍaka-Upanishad ist eine der beliebtesten; in keiner Upanishadsammlung[544] pflegt sie zu fehlen; unter den zehn Upanishad's, welche Muktikâ und ähnliche Sammlungen als die wichtigsten voranstellen, nimmt sie nach Îçâ, Kena, Kaṭha, Praçna die fünfte Stelle ein; Nârâ yaṇa zählt die Atharva-Upanishad's von ihr aus als erster; schon Bâdârâyaṇa widmet ihr drei von den achtundzwanzig Adhikaraṇa's, in denen er die Brahmanlehre abhandelt (System des Vedânta S. 130), und Ça kara zitiert sie allein in dem Brahmasûtra-Kommentar 129 mal (l.c.S. 32).

Diese Bevorzugung verdankt unsre Upanishad nicht sowohl der Originalität des Inhalts, denn die meisten Gedanken sind nachweislich älteren Texten entlehnt, als vielmehr der Reinheit, mit welcher sie die alte Vedântalehre vorträgt, und der Schönheit der Verse, in denen sie dieselbe zum Ausdrucke bringt. Sie setzt voraus zunächst und vor allem Chândogya, sehr wahrscheinlich auch Bṛihadâraṇyaka und Taittirîya, und so wohl auch Kâṭhaka, mit der sie mehrere Stellen gemein hat, welche dort im Zusammenhang vorkommen, während sie in Muṇḍaka mehr abgerissen stehen. Der Sprache und sonstigen Haltung nach dürfte sie am nächsten zu Bṛihannârâyaṇa und Çvetâçvatara zu stellen sein; mit letzterer Upanishad teilt sie den poetischen Schwung, den Mangel einer geordneten Gedankenfolge und die Zügellosigkeit des Metrums, ist aber weniger reich an originellen Gedanken und dafür hinwiederum freier von theistischen und häretischen Neigungen als dieselbe. Mehrere wichtige Stellen hat Muṇḍaka mit Çvetâçvatara und anderseits mit Bṛihannârâyaṇa gemein; ein Vergleich derselben (siehe die Anmerkungen) macht es wahrscheinlich, dass Çvetâçvatara von Muṇḍaka, und Muṇḍaka wiederum von Bṛihannârâyaṇa benutzt worden ist. Im grossen und ganzen aber gehören sie sicher alle drei demselben Zeitalter an.

Eine Disposition der Muṇḍaka-Upanishad lässt sich, ohne Gewalttätigkeiten, nicht wohl geben, und nur ganz im allgemeinen kann man sagen; dass von den drei Tei len, aus denen sie besteht (und deren jeder wieder in zwei Hälften zerfällt), der erste die Vorbereitungen der Brahmanerkenntnis, der zweite die Lehre von Brahman und der dritte den Weg zu Brahman behandelt. Wiederholt aber kommt das Thema des dritten Teiles schon im zweiten, das des zweiten wieder im dritten, und das aller beider schon im ersten zum Durchbruche.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 543-545.
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