5. Die Sammlung des Nârâyaṇa.

[538] Wenn uns die Colebrooke'sche Upanishadsammlung durch die absonderliche Art ihrer Zusammensetzung einen, allerdings nur unsichern, Blick in ihre Entstehungsgeschichte tun liess, so wird eine andre Sammlung, wenn es erst gelungen sein wird, sie sicher festzustellen, vielleicht dazu dienen, über die weiter folgende Geschichte der Upanishadtradition einiges Licht zu verbreiten. Es ist dies die Sammlung, auf welche sich der bekannte Upanishaderklärer Nârâyaṇa im Eingange seiner Kommentare (dîpikâ's) zu den einzelnen Upanishad's fortlaufend beruft, und welche von Haus aus mit der Colebrooke'schen offenbar dieselbe war, jedoch gegen das Ende hin eine bemerkenswerte Abweichung von ihr zeigt. Über die Person des Nârâyaṇa wissen wir nur, dass er sich den Sohn des Ratnâkara nennt (ed. Bibl. Ind. p. 393,14) und später, nicht nur als Ça karâcârya (um 800 p. C)., sondern auch als Ça karânanda lebte, da er diesen (ed. Pun. p. 100,3; – die Bibl. Ind. freilich hat an der entsprechenden Stelle p. 196,10 eine andre Lesung) erwähnt. In seinen (nicht publizierten) Kommentaren zu Muṇḍaka, Mâṇḍûkya, Kaṭha, Praçna, Kena und Taittirîya ist Nârâyaṇa (nach Jacob, Eleven Ath. Up. p. 2) sehr von Ça karâcârya abhängig, welches er am Schlusse jedes Kommentars dadurch anerkennt, dass er sich Ça kara-ukti-upajîvin nennt. Im Gegensatze dazu gibt er sich am Schlusse seiner Dîpikâ's zu den übrigen Atharva-Upanishad's fast immer den Beinamen çruti-mâtra-upajîvin, womit er, wie es scheint, die Selbständigkeit seiner Arbeit hervorheben will. Wir wollen versuchen, die Liste Nârâyaṇa's aus seinen gelegentlichen Äusserungen, soweit dies mit dem uns zugänglichen Materiale möglich ist, zu rekonstruieren. Die Zahlen bedeuten, wo nicht anders angegeben, Seite und Zeile der Ausgabe in der Bibliotheca Indica.

1. Muṇḍaka; von ihr aus pflegt Nârâyaṇa die Upanishad's zu zählen.

2. Praçna, wegen der Rückbeziehung auf dieselbe p. 197,7.

3. Brahmavidyâ, aus diesem Grunde und wegen der wahrscheinlichen Rückbeziehung auf dieselbe p. 203,9.

4. Kshurikâ, aus diesem Grunde, sowie wegen der möglichen Rückbeziehung auf dieselbe p. 219,6 und wegen der Erwähnung p. 229,7.

5. Cûlikâ, weil p. 219,5 als pañcamî bezeichnet.

6. Atharvaçiras, wegen p. 229,4: çira' ûrddhvam çikhâ ucitâ.

[538] 7. Atharvaçikhâ, p. 229,5: saptamî Muṇḍât.

8. Garbha, p. 60,6: ashṭamî Muṇḍât.

9. Mahâ, ed. Jacob p. 91,6: navamî.

10. Brahma, p. 239,5: daçamî.

11. Prâṇâgnihotra: p. 260,5: ekâdaçî Çaunakîye.

12.-15. Mâṇḍûkya mit Gauḍapâda's Kârikâ. Obgleich uns der Kommentar Nârâyaṇa's über dieselbe nicht vorliegt, muss doch auch er (wie Colebrooke) dieselbe als No. 12-15 angesehen haben, wie sich mit Sicherheit ergibt aus den Worten p. 272,6: asparçayogam uktvâ, die sich nur auf Gauḍapâda 4,2 beziehen können.

16. Nîlarudra, p. 272,4: shoḍaçî.

17. Nâdabindu? Die Stellung können wir nur aus der Analogie mit Colebrooke's Liste folgern.

18. Brahmabindu, p. 78,10: ashṭâdaçî Çaunaka-grantha-vistare.

19. Amritabindu? aus der Analogie.

20. Dhyânabindu, p. 102,2: viṅçî.

21. Tejobindu, p. 114,9: ekaviṅçam.

22. Yogaçikhâ, p. 118,6: dvâviṅçatitamâ (so mit der Punaer Ausgabe zu lesen).

23. Yogatattva, p. 122,6: trayoviṅçî.

24. Sannyâsa, wegen der wahrscheinlichen Rückbeziehung von p. 128,4 auf Yogatattva, Vers 11, und der noch wahrscheinlichern von p. 185,1 auf Sannyâsa § 4.

25. Âruṇeya, p. 184,9: pañcaviṅçî.

26. Kaṇṭhaçruti, wegen der wahrscheinlichen Rückbeziehung auf dieselbe p. 295,6.

27. Piṇḍa, p. 295,4: saptaviṅçati-pûraṇî.

28. Âtma, p. 299,5: ashṭâviṅçî.

29.-30. Nṛisiṅha; der Kommentar des Nârâyaṇa liegt uns nicht vor, aber aus p. 305,3 nârasiṅhe nirṇîtam folgt, dass dieses Werk vorhergegangen sein muss, und an andrer Stelle ist kein Platz für die sechs Upanishad's, aus denen es besteht. Wahrscheinlich zählte sie Nârâyaṇa nach den Hauptteilen nur als zwei, wie wir aus seinem analogen Verfahren bei der Varadatâpinî (unten 51.-52). schliessen dürfen.


31. Kâṭhaka?

32. Kena?

die Stellung können wir nur aus der Analogie mit der Colebrooke'schen Sammlung mutmassen.


33. Nârâyaṇa ed. Jacob p. 49,15: trayastriṅçattamî.

34. Mahânârâyaṇa (= Bṛihannârâyaṇa, oben S. 241 fg)., ed. Jacob p. 1,3: catustriṅçe.

In den bisherigen Nummern 1-34 ist die Übereinstimmung mit Colebrooke 1-40 so überwiegend, dass wir sie für die wenigen Fälle, in denen sie nicht nachweisbar ist, ebenfalls als sehr wahrscheinlich annehmen dürfen. Bei den folgenden Nummern 35-45 (Colebrooke 41-52) sind die aufgeführten Upanishad's (bis auf zwei nicht erweisliche Fälle) beiderseits die nämlichen, aber ihre Reihenfolge ist verschieden.

[539] 35.-36. Râmatâpanîya p. 304,6: pañcatriṅçattame; p. 359,9: shaṭtriṅçam. (Bei Colebrooke 48.-49).

37. Sarvopanishatsâra, p. 394,13: saptatriṅçe caturdale (Colebrooke 41).

38. Haṅsa, p. 405,9: ashṭatriṅcattamîm (Colebrooke 42).

39.-42. Hier herrscht in den Nummern Verwirrung. No. 39 ist nicht zu ermitteln, und auch Col. Jacob, den ich darum befragt, weiss keinen Rat. – Paramahaṅsa wird p. 417,6 als catvâriṅçattamî bezeichnet knüpft aber in der folgenden Zeile allem Anscheine nach unmittelbar an Haṅsa an. – Jâbâla soll nach p. 437,9 ekacatvâriṅçattamî sein und bezieht sich in der nächsten Zeile auf Paramahaṅsa zurück. – Kaivalya wird gleichfalls p. 456,5 als ekacatvârîṅçattamî bezeichnet und knüpft in den nächstfolgenden Worten an Jâbâla an. – Auch Taittirîya ist von Nârâyaṇa kommentiert worden und zwar (Jacob, Eleven Ath. Up. p. 2) als Çikshâ-Brahmavallî-Bhṛiguvallî, mithin wohl als Einheit gerechnet. Ihre Stelle bei Nârâyaṇa ist nicht bekannt; da sie aber (nach Jacob's freundlicher Mitteilung) in der Punaer Governmentcollection auf Kaivalya als No. 42 folgt, so ist dies vermutlich auch ihre Stelle bei Nârâyaṇa. Hiernach sind in den mitgeteilten Daten mehrere Fehler anzunehmen, und Nârâyaṇa's Reihenfolge ist wahrscheinlich: 38. Haṅsa (Colebrooke 42); 39. Paramahaṅsa (Colebrooke 43); 40. Jâbâla (Colebrooke 51); 41. Kaivalya (Colebrooke 50); 42, Taittirîya (Colebrooke 44-45).

43. Unbestimmt; vermutlich Âçrama, weil dieser Platz allein für sie übrig bleibt; ein Kommentar ist in Jacob's Ausgabe nicht beigefügt am Schlusse wird ihr, wie bei Colebrooke, die 52. Stelle zuerkannt).

44. Gâruḍa, p. 480,8: catuçcatvâriṅçattamî (Colebrooke 46).

45. Kâlâgnirudra, ed. Jacob p. 17,9: pañcacatvâriṅçattamî (Colebrooke 47).

Während No. 1-34 mit Colebrooke 1-40 in den Namen und in der Reihenfolge, No. 35-45 mit Colebrooke 41-52 in den Namen, nicht mehr aber in der Reihenfolge, soweit ersichtlich, übereinstimmen, so folgen in den weitern Nummern Nârâyaṇa's eine Reihe auf Kṛishṇa und Ganeça bezüglicher Texte, welche in der Colebrooke'schen Sammlung keine Aufnahme gefunden haben.

46.-47. Gopâlatâpanîya, ed. Pun. p. 183,5: shaḍbhiç catvâriṅçtâm pûraṇî Âtharva-Paippale; p. 205,15: saptacatvâriṅçattamî Gopâlottaratâpinî.

48. Kṛishṇa, ed. Jacob p. 3,7: ashṭacatvâriṅçattamî.

49. Vâsudeva, ed. Jacob p. 25,11:kshudragranthagaṇe ca ekonapañcâçattamî matâ.

50. Gopîcandana. weil ed. Jacob p. 37,14: Vâsudeva-upanishacchesha-bhûtâ Gopîcandana-upanishad ârabhyate.

61.-52. Varadapûrvatâpinî, ed. Jacob p. 111,6: ekapañcâçattamî, und mithin Varadottaratâpinî, zu welcher ein Kommentar nicht vorliegt.

Ob auch Nârâyaṇa's Liste mit der Zahl 52 abschloss, können wir nicht feststellen; eine höhere Zahl ist uns nicht begegnet, wiewohl aus seiner[540] Bemerkung zu No. 49 folgt, dass ihm eine grössere Upanishadsammlung bekannt war, auch unter anderm ein Kommentar von ihm zu Çvetâçvatara (nach Jacob, Eleven Ath. Up. p. 2) vorhanden ist. Einzelne kleine Upanishad's hat er vielleicht nicht mitgezählt, indem er z.B. Râma-Upanishad als einen Anhang zu Râmatâpanîya, Âtmabodha als einen solchen zu Nârâyaṇa und Shaṭcakra als Anhang zu Nṛisiṅha behandelte.

Vorausgesetzt, dass die Liste Nârâyaṇa's, ebenso wie die Colebrooke's, nicht mehr als die nachweisbaren 52 Nummern befasste, vorausgesetzt ferner, dass die von uns ermittelte Reihenfolge auch an den wenigen zweifelhaften Stellen sich bestätigen sollte, so würde sich als Resultat ergeben, dass die 52 Upanishad's der Cole brooke'schen Liste bei Nârâyaṇa in 45 Nummern (bei den letzten elf mit einigen unerheblichen Abweichungen in der Reihenfolge) zusammengefasst sind, worauf dann von No. 46 bis 52 sieben bei Colebrooke nicht vorhandene, auf Kṛishṇa und Ganeça bezügliche Upanishad's folgen.

Dieser Tatbestand, wenn erst völlig sichergestellt, würde sich am einfachsten durch die Annahme erklären, dass die Colebrooke'sche Liste der 52 Upanishad's schon zu einem gewissen kanonischen Ansehen gelangt war, so dass nur die jüngsten elf Ansätze, und auch diese nur in der Reihenfolge noch ein gewisses Schwanken zeigten, als der Wunsch sich geltend machte, die besten der neuerdings zur Anerkennung gelangten oder auch erst entstandenen Upanishad's diesem Kanon anzugliedern. Zu diesem Zwecke schloss man die in der Colebrooke'schen Liste in mehrere Nummern zerlegten Upanishad's wieder zu ihrer natürlichen Einheit zusammen und gewann dadurch die Möglichkeit, ohne Überschreitung der bereits sanktionierten 52-Zahl, sieben durch zunehmende Verehrung des Kṛishṇa und Ganeça zur Beliebtheit gelangte Upanishad's dem anerkannten Kanon einzuverleiben, oder, wenn man will, in denselben einzuschmuggeln. – Jedenfalls verdient die Sache, bei dem Interesse, welches sie für die Geschichte der Upanishadüberlieferung hat, eine nähere Untersuchung, als wir sie zur Zeit anstellen können.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 538-541.
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