6. Auswahl und Anordnung.

[541] Alle Upanishad's in einer Ausgabe oder Übersetzung zusammenzufassen, ist zur Zeit nicht möglich, da man noch nicht einmal weiss, wie viele es ihrer gibt. Jede Bearbeitung wird sich also auf eine Auswahl beschränken müssen. Eine solche sollte aber nicht auf subjektivem Ermessen, sondern auf objektiven Gründen beruhen, indem sie als Kriterium der Aufnahmewürdigkeit die mehr oder weniger allgemeine Anerkennung wählt. Diesem Gesichtspunkte glauben wir am besten gerecht zu werden, wenn wir uns auf die »solenne Reihe« der 52 Upanishad's beschränken, wie sie die Colebrooke'sche Liste bietet, mit der, bis auf eine Anzahl zweifelhafter Produkte, die Sammlung des Nârâyaṇa, wie auch die des Oupnekhat, im wesentlichen zusammenstimmt.

Was hingegen die Anordnung betrifft, so sind alle die von uns besprochenen Sammlungen so sehr ohne erkennbares Prinzip machen so sehr den Eindruck, vom blossen Zufalle zusammengewürfelt zu sein, dass die[541] neueste Punaer Ausgabe sogar dazu übergegangen ist, die Upanishad's nach dem Alphabet zu ordnen. Ein solches Verfahren wäre vielleicht zu billigen, wenn nicht der Inhalt der Upanishad's selbst auf das deutlichste eine Einreihung derselben in verschiedene Kategorien forderte. Diese Kategorien sind im wesentlichen schon richtig von Weber erkannt worden, wenn er unter den Atharva-Upanishad's drei Klassen unterscheidet. (Literaturgeschichte, 2. Aufl., S. 173): »Die einen fahren fort, das Wesen des Âtman, des Allgeistes, direkt zu untersuchen; die andern beschäftigen sich mit der Versenkung (yoga) in die Meditation darüber und geben die Mittel und Stufen an, mit und in welchen man schon hier das völlige Aufgehen im Âtman erreicht; die dritte Art endlich substituiert dem Âtman irgendeine von den vielen Formen, unter welchen die beiden Hauptgötter, Çiva und Vishṇu, im Laufe der Zeit verehrt worden sind.«

Bei dieser Einteilung vermissen wir nur eine von den drei genannten Arten verschiedene Klasse, welche nicht in der mystischen Kontemplation des Yoga, sondern auf mehr praktischem Wege das von der Vedântalehre gestellte Ziel zu erreichen sucht, indem sie das Leben des Sannyâsin, des religiösen Bettlers, als den am meisten erstrebenswerten Zustand hinstellt.

Übrigens sind diese drei oder vier Richtungen, wie schon Weber mit Recht hervorhebt, nicht als zeitlich aufeinanderfolgend, sondern, im allgemeinen, als parallel nebeneinander laufend anzusehen; es liegt in ihnen nur eine Entwicklung des Vedântastandpunktes nach verschiedenen Richtungen vor, die sich jedoch so wenig ausschliessen, dass in vielen, ja, mit wenigen Ausnahmen, in allen Upanishad's jede dieser Richtungen wenigstens andeutungsweise vorhanden ist: zunächst stehen sie alle auf dem gemeinsamen Boden der Vedântalehre; sehr allgemein zeigt sich ferner das Bestreben, den auf intellektuellem Wege nicht erfassbaren Urgrund durch eine mystische, überintellektuelle Einswerdung zu erreichen, wozu, schon von Kâṭhaka an, der Laut Om das Vehikel bietet; ferner gibt es wenige Upanishad's, die nicht für den schon von Yâjñavalkya so kräftig hervorgehobenen Gedanken eintreten, dass das wahre Verhalten des Weisen, der Welt gegenüber, Entsagung (sannyâsa) ist; was aber die Neigung zum Sektenwesen betrifft, so entspringt sie wesentlich aus dem Wunsche, auch die weitern Volkskreise, wie sie teils dem Çiva, teils dem Vishṇu in irgend einer Form huldigten, für die Vedântalehre zu gewinnen, indem der von ihnen verehrte Hauptgott zu einer symbolischen Erscheinungsform des Âtman umgedeutet wird, – ein Bestreben, dessen ersten Anfängen wir schon in Upanishad's der drei ältern Veden begegnet sind.

Mit diesem Vorbehalte also, dass es sich dabei nur um Entfaltungen, oder, wenn man will, um Auswüchse der einen und allgemeinen Vedântalehre handelt, werden wir allerdings zweckmässig verfahren, wenn wir die Upanishad's, je nach den vorwiegend von ihnen vertretenen Gesichtspunkten, in den folgenden fünf Kategorien unterbringen; in jeder dieser Kategorien gibt es relativ ältere und wiederum auch sehr späte Produkte, da, wie bereits bemerkt, diese Richtungen im allgemeinen nicht nacheinander, sondern nebeneinander verlaufen; womit nicht ausgeschlossen ist, dass, je nach dem wechselnden[542] Geschmack der Zeiten, bald das eine, bald das andre Bestreben mehr in den Vordergrund trat und in entsprechenden Upanishad's seinen Ausdruck fand.

Wir unterscheiden demnach unter den Atharva-Upanishad's:

1) solche, welche wesentlich der alten Vedântalehre treu bleiben, ohne deren Fortentwicklung zum Yoga, Sannyâsa und vishṇuitischen oder çivaitischen Symbolismus erheblich mehr, als schon in den ältern Upanishad's geschieht, zu betonen;

2) solche, welche, den Vedântastandpunkt voraussetzend, überwiegend oder ausschliesslich die Erfassung des Âtman durch den Yoga mittels der Morae des Omlautes behandeln;

3) solche, welche, in der Regel ebenso einseitig, das Leben des Sannyâsin als die praktische Konsequenz der Upanishadlehre empfehlen und beschreiben;

4) solche, welche den vom Volke verehrten Çiva (Îçâna, Maheçvara, Mahâdeva usw). zu einer Personifikation des Âtman umdeuten;

5) solche, welche ebenso den Vishṇu (Nârâyaṇa, Nṛisiṅha usw). im Sinne der Vedântalehre umformen, indem sie seine verschiedenen Avatâra's als Menschwerdungen des Âtman betrachten.

Hiernach würden sich die allgemeiner anerkannten Upanishad's des Atharvaveda, nach der in ihnen vorherrschenden Tendenz, etwa wie folgt gruppieren:


1. Reine Vedânta-Upanishad's:

Muṇḍaka, Praçna, Mâṇḍûkya (mit der Kârikâ);

Garbha, Prâṇâgnihotra, Piṇḍa;

Âtma, Sarvopanishatsâra, Gâruḍa.


2. Yoga-Upanishad's:

Brahmavidyâ, Kshurikâ, Cûlikâ;

Nâdabindu, Brahmabindu, Amṛitabindu, Dhyânabindu, Tejobindu;

Yogaçikhâ, Yogatattva; – Haṅsa.


3. Sannyâsa-Upanishad's:

Brahma, Sannyâsa, Âruṇeya, Kaṇṭhaçruti;

Paramahaṅsa, Jâbâla, Âçrama.


4. Çiva-Upanishad's:

Atharvaçiras, Atharvaçikhâ, Nîlarudra;

Kâlâgnirudra; – Kaivalya.


5. Vishṇu-Upanishad's:

Mahâ, Nârâyaṇa, Âtmabodha;

Nṛisiṅapûrvatâpanîya, Nṛisiṅhottaratâpanîya;

Râmapûrvatâpanîya, Râmottaratâpanîya.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 541-543.
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