I. Vorbereitender Teil, v. 1-57.

[805] v. 1-6: Etymologien des Namens Râma.


1. Der grosse Vishṇu, geiststoffhaft,

Wuchs auf in Daçaratha's Haus,

In Raghu's Stamm, der Allspender (râ-ti),

Der herrscht (râ-jate) über der Erde (ma-hî) Reich.


2. Darum ward er benannt Râ-ma

Von den Weisen in dieser Welt, –

Oder weil seine Machtfülle

Den Dämonen (râ-kshasa) den Tod (ma-raṇam) gebracht.


3. Oder auch von dem Liebreichsein (abhi-râma)

Weltberühmt Râma's Name ist; –

Oder weil er die Unholde (râ-kshasa),

Selbst sterblich (ma-rtya), wie Râ-hu den Mond (ma-nasija),


4. Glanzlos machte, auch weil zeigend

Den herrschaftwürd'gen (râ-) Erdeherrn (ma-)

Durch sein Vorbild der Pflicht Wege

Und des Wissens, dem der ihn nennt,


5. Der Entsagung, wer ihm nachsinnt,

Der Göttlichkeit, wer ihn verehrt, –

Auch darum ward er, auf Erden

Weilend, Râma mit Recht benannt.


6. Auch weil die Yogin's sich freuen (ra-mante)

Des, der stets Wonne ist und Geist,

Darum wird durch das Wort Râma

Das Brahman selbst als er benannt.


v. 7-10: Râma ist eine Inkarnation des Brahman.


7. Das Brahman, geiststoffhaft, zweitlos,

Ohne Teile und körperlos,[805]

Wird doch in mancherlei Formen

Zum Zweck des Kultus angeschaut.


8. Den Göttern als gestalthaften

Schreibt Geschlecht, Glieder, Waffen man,

Zwei, vier, sechs, acht, zehn, zwölf, sechzehn,

Achtzehn, ja tausend Hände zu,


9. Die mit mancherlei Abzeichen,

Muscheln und anderm sind versehn,

Auch legt man ihnen bei Farbe,

Wagen, Kräfte und Heeresmacht; –


10. So misst man auch dem als Brahman

Angenommenen Râma-Leib

Ein Heer, sowie die vier andern1

Attribute des Herrschers zu.


v. 11-13: Vorläufige Ankündigung des Spruchkönigs.


11. Brahman und alles einschliessend,

Nach Râma sinngemäss benannt,

Muss gemurmelt der Spruch werden,

Soll die Gottheit euch gnädig sein.


12. Unser Spruch hier befasst alles,

Für das man Opfer bringt und Werk;

Weil er den, der ihn denkt (man), rettet (trâ),

Wird er Man-tra, der Spruch, benannt.


13. Das Diagramm, das hier folgt, ist

Beider Götter (des Brahman und Râma) Verkörperung

Nicht ohne Diagramm ehrt sie,

Soll die Gottheit euch gnädig sein.


v. 14-23: Der Spruchkönig »Râm Râmâya namaḥ!«


14. Selbstseiend, lichtstoffhaft, ewig

Gestaltet, glänzt er durch sich selbst,

Durch dess' Jîva-sein dies Weltall, –

Dem er Schöpfung, Bestand, Vergang, –
[806]

15. Durch dess' Ursachesein, Geistkraft

Und Rajas-Sattvam-Tamas-sein.

Wie der Feigenbaumkern2 einschliesst

Schon den grossen, erwachs'nen Baum,


16. So schliesst der Keim des Worts Râma

In sich die ganze Lebewelt.

Auf R bau'n sich die drei Formen3,

Auf ihm auch die drei Kräfte auf.4


17. Sîtâ und Râma ehrt als aus ihm stammend;

Aus beiden ist der zweimal sieben Welten

Schöpfung, Bestand, Vergang, und in den Welten

Lässt Râma Mensch sich werden durch die Mâyâ.


18. Ihm als Weltodem, Âtman, sei Verehrung!

Sein Einssein preist mit dem Ur-Guṇa-haften!


19. Das Wort namas heisst hier5 Jîva,

Das Wort Râma den Âtman meint;

Der Dativ aber auf -âya

Der Wesenseinheit beider gilt.


20. Der Spruch lobend, gelobt Râma, –

So beide in Verbindung stehn,

Die für alle, die ihn brauchen,

Fruchtbringend ohne Zweifel ist.


21. Wie, wer den Namen trägt, dem sich

Zuwendet, der den Namen ruft,

So wendet, aus dem Keim spriessend,

Der Spruch sich dem zu, der ihn braucht.
[807]

22. Keim und Kraft soll man auftragen

Auf der rechten und linken Brust;

Nicht ohne sie der Stamm6 stehe

Dazwischen, wunscherfüllunghaft, –


23. Wie dies ja das gemeinsame

Verfahren ist bei jedem Spruch. –


v. 23-29: Schilderung des mit Sîtâ und Lakshmaṇa dasitzenden Râma


Als Ew'ger ist auch hienieden

Râma an Glut dem Feuer gleich7; –


24. Doch kühlen Strahles, als Viçva

Zur Agni-Soma-haften Welt

Geworden, glänzt er mit Sîtâ

Wie der Mond mit dem Mondesglanz;


25. Gedämpft durch sie als Prakṛiti,

Haarbusch tragend und gelbes Kleid;

So, zweiarmig, mit Ohrringen,

Perlschnur und Bogen sitzt er da;


26. Geschmückt mit den acht Kühnheiten,

Heitern Antlitzes, siegbewusst,

Auf seinem Schoss die Weltmutter,

Die gottheitliche Prakṛiti.


27. Von ihr, der lotosumkränzten,

Goldnen, geschmückten, achtsamen

Mit beiden Armen umschlungen,

Ist beglückt der Kausalyâsohn.


28. Zur Rechten Lakshmaṇa steht ihm,

Den Bogen haltend in der Hand,

Sein jüngrer Bruder, goldglänzend,

Ein Dreieck bilden diese drei.
[808]

29. Ebenso mit dem Spruch steht es:

Der Ausklang, Name und Dativ8

Auch ihn gestalten dreieckig.


v. 29-34: Schilderung des Râma, wie die Götter ihn verehren.


Zu ihm nahten die Götter sich,


30. Ihn, der unter dem Wunschbaume

Sass, zu ehren als Herrn der Welt:

»Dem wunschgestaltigen Râma,

Dem zaubermächt'gen Ehre sei!


31. Ehre sei ihm als Om-Laute,

Der die Urform des Veda ist,

Ihm, als der Lieblichkeit Träger,

Als des Âtman Verkörperung!


32. Der sich mit Sîtâ's Leib schmückte,

Rakshas-tötend, schöngliederig,

Dem holden Raghustamm-Helden,

Der erschlug den Zehnmauligen.


33. O Raghuheros, Heilbringer,

Mit grossem Bogen, höchster Fürst!

Garausmacher des Zehnmaulmanns,

Gewähr' uns beides, Schutz und Heil!


34. Gewähr' uns Gottherrschaft jetzo,

Schlag' sie alle, den Khara auch!« –

Die Götter, also ihn preisend,

Verweilten bei ihm freudevoll.


v. 35-47: Schilderung des Râma, wie die Ṛishi's ihn preisen.


35. Denn so besingen ihn Weise:

»Der dämonische Râvaṇa,[809]

Der Râma's (Râ-) Weib, im Wald (-vana) weilend,

Zum Verderben sich selbst geraubt,


36. Ward Râ-vaṇa genannt danach,

Oder auch von des Brüllens (râva) Kraft.

Aus diesem Anlass dann Râma,

Sîtâ suchend, mit Lakshmaṇa


37. Durchwanderte die Erdweiten,

Umschauend nach der Königin;

Erschlug den Dämon Kabandha,

Ging, wie er riet (Râm. 3,73,26), zur Çabarî,


38. Von der, und von dem Windsohne (Hanumân)

Geehrt beide, den Affenherrn (Sugrîva)

Anriefen und ihm mitteilten

Alles von Anfang bis zum Schluss.


39. Doch der, an Râma's Kraft zweifelnd,

Verwies ihn auf des Dundubhi

Gewalt'gen Körper zur Probe;

Doch Râma, weit ihn schleudernd weg,


40. Durchschoss flugs sieben Palmbäume. –

Da jubelte der Raghuspross!

Der Affenfürst, erfreut, ging dann

Mit Râma zu des Bâlin Stadt.


41. Der jüngre Bruder (Sugrîva) rief Bâlin,

Worauf dieser mit Schnelligkeit

Aus der Wohnung hervorstürmte;

Ein Kampf entspann sich; Râghava


42. Erschlug den Bâlin und setzte

In sein Reich den Sugrîva ein.

Da rief die Affen Sugrîva

Und sprach: Ihr Gegendkundigen,


43. Noch heute geht und bringt wieder

Die Maithilî, nur rasch ans Werk!

Da kam, über das Meer springend,

Hanumân zu der La kâstadt,


44. Sah Sîtâ, schlug die Unholde,

Und, verbrannt habend ihre Stadt,[810]

Kam er und machte kund alles

Dem Râma, wie es war geschehn.


45. Da rief Râma, vor Zorn glühend,

Zu sich die ganze Affenschar

Und zog mit ihnen und seinen

Waffen hin zu der La kâstadt.


46. Nachdem er dort erblickt Sîtâ,

Kämpfte er mit dem Herrn der Stadt,

Erschlug im Kampfe ihn, wie auch

Kumbhakarṇa und Indrajit,


47. Und Vibhîshaṇa einsetzend

Zum König, nahm in seinen Schoss

Er dann des Janaka Tochter

Und zog mit jenen allen heim.«


v. 48-57: Schilderung des Râma, wie er, nach vollbrachten Heldentaten, auf seinem Throne sitzt.


48. Auf seinem Löwensitz weilt hier

Mit zwei Armen des Raghu Spross,

Den Bogen haltend, frohmütig,

Mit allem Schmucke angetan,


49. Lehrhaft der rechten Hand Haltung,

Kraft bekundend mit linker Hand,

Mit Lust spendend Belehrungen,

Ganz durchgeistigt, ganz höchster Gott;


50. Wie er zur Linken und Rechten

Hat Çatrughna und Bharata,

Zuhörend Hanumân vor sich,

Ein Dreieck bilden diese drei;


51. Auf Bharata folgt Sugrîva,

Auf Çatrughna Vibhîshaṇa;

Wedel und Sonnenschirm haltend

Im Hintergrunde Lakshmaṇa,
[811]

52. Der mit den zwei Palmblattträgern (Sugrîva und Vibhîshaṇa)

Ein Dreieck bildet wiederum:

Ein Sechseck so entsteht.9 – Râma

Erstlich, selbst-Längen-Glieder-haft10; –


53. Mit Vâsudeva südöstlich

Und so folgend zuzweit versehn; –

Zum dritten mit dem Windsohne,

Mit Sugrîva und Bharata,


54. Mit Vibhîshaṇa, Lakshmaṇa,

A gada, Arimardana

Und Jâmbavân versehn ist er; –

Mit Dhṛishṭi und Jayantaka,


55. Mit Vijaya und Surâshṭra,

Akopa, Râshṭravardhana,

Dharmapâla und Sumantra

Ist dann viertens umgeben er; –


56. Zufünft von Indra und Agni,

Dharma, Rakshas und Varuṇa,

Wind, Mond, Herr, Schöpfer, Ananta,

Von diesen zehn ist er umringt.


57. Von aussen schmücken ihn Waffen

Der Götter, Nîla und sein Volk,

Und Weise wie Vâmadeva

Und Vasishṭha umringen ihn.


58. Dies zur Belehrung mag dienen. –


Fußnoten

1 Minister, Reich, Festungen, Schatz und Heer werden öfter als die fünf Grundelemente (prakṛiti) aufgezählt, welche mit dem Fürsten zusammen eine Herrschaft konstituieren.


2 Das Bild aus Nṛisiṅhottarat. 9, oben S. 798.


3 Nach Nârâyaṇa in der Punaer Ausgabe und nach Weber's Scholiast sollen in Râm (= R + a + a + m) auf R sich Brahmán (a), Vishṇu (a) und Çiva (m) aufbauen. – Hingegen ist, nach dem unter Nârâyaṇa's Namen in der Calcuttaer Ausgabe abgedruckten Kommentare, welcher, weniger richtig, an das ganze Wort Râmaḥ denkt, R Kṛishṇa (Vishṇu), â Brahman, maḥ Maheçvara.


4 Schöpfung, Bestand, Vergang (Nârâyaṇa).


5 In dem Spruchkönige: Râm Râmâya namaḥ.


6 Der Keim (vîja) des Spruches ist Râm, der Stamm (kîla) Râmâya na-, die Kraft (çakti) -mâḥ.


7 Der Vers könnte, wie Weber bemerkt, nach dem später, v. 74-80 gelehrten, mystischen Alphabet auch heissen: »Râmaḥ ist ananta (= â) mit tejas (=R), vahni (= R) und -maḥ«.


8 Der Name Râma (svam) nebst der Dativform, in der er steht ( e-tayâ), und dem aṇu, welches hier das leise nachhallende namas bedeuten soll, bildet eine jenem Dreiecke (Râma, Sîtâ und Lakshmaṇa) entsprechende Dreiheit. Ganz anders die Scholien bei Weber; schon die Scholiasten suchten sich bei dieser und vielen folgenden Stellen zu helfen so gut sie konnten, und auch uns bleibt nichts anderes übrig.


9

I. Vorbereitender Teil, v. 1-57

10 Die erste, den Râma schützende, Umgebung (âvaraṇam) besteht in seinen eignen, mächtigen Gliedern (sva-dîrgha-a gaiḥ); vgl. Râmây. 1,1,10: â-jânu-bâhuḥ usw. Die Scholiasten reden von Vokallängen, mit denen Râma zu umgeben sei, scheinen also hier schon an eine Zeichnung (vinyaset, zu v. 53) zu denken, – schwerlich mit Recht, da es sich bis zu v. 58 wohl nur um wechselnde, zum Zweck der Verehrung vergegenwärtigte Vorstellungsbilder von Râma und seiner Umgebung handelt.

Quelle:
Sechzig Upanishads des Veda. Darmstadt 1963 [Nachdruck der 3. Aufl. Leipzig 1921], S. 805-812.
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