III. Kreislauf des Lichts und Wahrung der Mitte

[85] Meister Lü Dsu sprach: Seit wann ist die Bezeichnung »Kreislauf des Lichts« geoffenbart? Sie ist geoffenbart von dem »Wahren Menschen des Anfangs der Form« (Guan Yin Hi)7. Wenn man das Licht im Kreis laufen läßt, so kristallisieren sich alle Kräfte des Himmels und der Erde, des Lichten und des Dunkeln. Das ist es, was mit samenhaftem Denken bezeichnet wird oder mit Läuterung der Kraft oder mit Läuterung der Vorstellung. Wenn man diesen Zauber anzuwenden beginnt, so ist es, als ob inmitten des Seins etwas Nichtseiendes wäre; wenn dann mit der Zeit die Arbeit fertig ist und jenseits des Körpers ein Körper da ist, so ist es, als ob inmitten des Nichtseins ein Seiendes wäre. Nach einer gesammelten Arbeit von hundert Tagen erst wird das Licht echt, dann erst wird es zum Geistesfeuer. Nach hundert Tagen entsteht inmitten des Lichts von selbst ein Punkt des echten Lichtpols (Yang). Plötzlich entsteht dann die Samenperle. Es ist, wie wenn Mann und Frau sich vereinigen und eine Empfängnis stattgefunden hat. Dann muß man ganz stille sein, um sie zu erwarten. Der Kreislauf des Lichts ist die Epoche des Feuers.

Inmitten des Urwerdens ist der Schein des Lichten (Yang Guang) das Ausschlaggebende. In der Körperwelt ist es die Sonne, im Menschen ist es das Auge. Die Ausstrahlung und Zerstreuung des geistigen Bewußtseins wird hauptsächlich durch diese Kraft, wenn sie nach außen gerichtet ist (nach abwärts fließt), in Gang gebracht. Darum beruht der Sinn der Goldblume vollkommen auf der rückläufigen Methode.


Das Herz des Menschen steht unter dem Zeichen des Feuers8. Die Flamme des Feuers dringt nach oben. Wenn die beiden Augen die Dinge der Welt betrachten, so ist das nach außen gerichtetes Sehen. Wenn man nun[85] die Augen schließt und den Blick umkehrt, nach innen richtet und den Raum des Ahns betrachtet, so ist das die rückläufige Methode. Die Kraft der Nieren steht unter dem Zeichen des Wassers. Wenn die Triebe sich regen, so fließt es nach unten, auswärts gerichtet und erzeugt Kinder. Wenn man im Moment der Auslösung es nicht nach außen fließen läßt, sondern es durch die Kraft des Gedankens zurückleitet, daß es nach oben dringt in den Tiegel des Schöpferischen und Herz und Leib erfrischt und nährt, so ist das ebenfalls die rückläufige Methode. Darum heißt es: Der Sinn des Lebenselixiers beruht vollkommen auf der rückläufigen Methode.


Der Kreislauf des Lichts ist nicht nur ein Kreislauf der Samenblüte des einzelnen Leibes, sondern es ist direkt ein Kreislauf der wahren schöpferischen Gestaltungskräfte. Es handelt sich nicht um eine augenblickliche Phantasievorstellung, sondern geradezu um die Erschöpfung des Kreislaufs (der Seelenwanderung) aller Äonen. Darum bedeutet eine Atempause ein Jahr – nach der Menschenzeit – und bedeutet eine Atempause hundert Jahre – gemessen an der langen Nacht der neun Pfade (der Wiederverkörperungen).

Nachdem der Mensch den einen Ton der Individuation9 hinter sich hat, wird er den Umständen entsprechend nach außen geboren, und bis ins Alter blickt er nicht ein einzigesmal rückläufig. Die Kraft des Lichten erschöpft sich und entrinnt, das führt in die Welt der neunfachen Finsternis (der Wiederverkörperungen). Im Buche Long Yen10 heißt es: »Durch Sammlung der Gedanken kann man fliegen, durch Sammlung der Begierden stürzt man«. Wenn ein Lernender wenig der Gedanken und viel der Begierden pflegt, so kommt er auf den Pfad des[86] Versinkens. Nur durch Kontemplation und Ruhe entsteht die wahre Intuition: dazu bedarf es der rückläufigen Methode.

Im Buch von den geheimen Entsprechungen11 heißt es: »Die Auslösung ist im Auge«. In den einfachen Fragen12 des Gelben Herrschers heißt es: »Die Samenblüte des Menschenleibs muß sich konzentrieren nach oben im leeren Raum«. Das bezieht sich darauf. In diesem Satz ist die Unsterblichkeit beschlossen und auch die Überwindung der Welt beschlossen. Das ist das gemeinsame Ziel aller Religionen.

Das Licht ist nicht nur im Leib, es ist aber auch nicht (nur) außerhalb des Leibs. Berge und Flüsse und die große Erde werden von Sonne und Mond beschienen: das alles ist dieses Licht. Darum ist es nicht nur im Leib. Verständnis und Klarheit, Erkennen und Erleuchtung und alle Bewegungen (des Geistes) sind ebenfalls alle dieses Licht, darum ist es auch nicht Etwas außerhalb des Leibes. Die Lichtblüte von Himmel und Erde erfüllt alle tausend Räume. Aber auch die Lichtblüte des einzelnen Leibes durchzieht ebenfalls den Himmel und deckt die Erde. Darum, sowie das Licht im Kreislauf ist, sind damit gleichzeitig auch Himmel und Erde, Berge und Flüsse alle im Kreislauf. Die Samenblüte im menschlichen Leib oben im Auge zu konzentrieren, das ist der große Schlüssel des menschlichen Leibes. Kinder, bedenkt es! Wenn ihr einen Tag nicht der Meditation pflegt, so strömt dieses Licht aus, wer weiß wohin. Wenn ihr auch nur eine Viertelstunde der Meditation pflegt, so könnt ihr dadurch die zehntausend Äonen und tausend Geburten erledigen. Alle Methoden münden in der Ruhe. Man kann es nicht ausdenken dieses wunderbare Zaubermittel.

Aber wenn man sich an die Arbeit macht, muß man vom Offenbaren ins Tiefe, vom Groben ins Feine vor dringen. Alles kommt darauf an, daß es keine Unterbrechung gibt. Anfang und Ende der Arbeit muß eins sein. Dazwischen gibt es kühlere und wärmere Momente, das ist selbstverständlich. Aber das Ziel muß sein, des Himmels Weite und des Meeres Tiefe zu erreichen, daß alle Methoden ganz leicht und selbstverständlich erscheinen, dann erst hat man es in der Hand.

Alle Heiligen haben es einander hinterlassen, daß ohne Kontemplation (Fan Dschau, Widerspiegelung) nichts möglich ist. Wenn[87] Kungtse sagt: »Das Erkennen ans Ziel bringen«, oder Sakya es nennt: »Die Schau des Herzens« oder Laotse sagt: »Inneres Schauen« so ist das alles dasselbe.

Aber von der Widerspiegelung kann jedermann reden, aber sie nicht in die Hand bekommen, wenn er nicht weiß, was das Wort bedeutet. Was durch die Widerspiegelung umgekehrt werden muß, ist das selbstbewußte Herz, das sich richten muß auf den Punkt, wo der Geist der Formung noch nicht in die Erscheinung getreten ist. Innerhalb unseres sechs Fuß hohen Leibes müssen wir streben nach der Gestalt, die vor Grundlegung von Himmel und Erde ist. Wenn heute die Leute nur eine bis zwei Stunden in Meditation sitzen und nur ihr eigenes Ich betrachten und das Widerspiegelung (Kontemplation) nennen: wie soll dabei etwas herauskommen?

Die beiden Stifter des Buddhismus und Taoismus haben gelehrt, daß man die Nasenspitze ansehen soll. Damit haben sie nicht gemeint, daß man die Gedanken an die Nasenspitze heften soll. Auch haben sie nicht gemeint, daß während das Auge auf die Nasenspitze blickt, die Gedanken sich auf die Gelbe Mitte konzentrieren sollen. Wohin das Auge sich richtet, dahin richtet sich das Herz auch. Wie kann es gleichzeitig nach oben (Gelbe Mitte) und nach unten (Nasenspitze) gerichtet sein oder abwechslungsweise bald nach oben und bald nach unten? Das heißt alles den Finger, mit dem man nach dem Mond deutet, mit dem Mond verwechseln.

Was ist dann eigentlich damit gemeint? Das Wort Nasenspitze ist sehr geschickt gewählt. Die Nase soll den Augen als Richtschnur dienen. Wenn man sich nicht nach der Nase richtet, so öffnet man entweder die Augen weit und blickt in die Ferne, so daß man die Nase nicht sieht, oder man senkt die Lider zu sehr, so daß die Augen sich schließen und man auch nicht die Nase sieht. Aber wenn man die Augen zu weit öffnet, so macht man den Fehler, daß sie sich nach außen richten, wodurch man leicht zerstreut wird. Wenn man sie zu sehr schließt, so macht man den Fehler, daß sie nach innen laufen, wodurch man leicht in träumerische Versunkenheit gerät. Nur wenn man die Augenlider im richtigen Mittelmaß senkt, sieht man gerade gut die Nasenspitze. Darum nimmt man sie als Richtlinie. Es kommt nur darauf an, daß man die Augenlider in der richtigen Weise senkt und dann das Licht von selbst einstrahlen läßt, ohne sich anzustrengen, das Licht von sich[88] aus konzentriert hineinstrahlen zu wollen. Das Anschauen der Nasenspitze dient nur zu Beginn der inneren Sammlung dazu, daß man die Augen in die richtige Blickrichtung bringt und dabei sich an die Richtlinie hält, dann läßt man es sein. Das ist, wie ein Maurer eine Richtschnur aufhängt. Sobald er sie aufgehängt hat, richtet er sich mit seiner Arbeit danach, ohne daß er sich dauernd darum kümmert, die Richtschnur anzusehen.

Die fixierende Kontemplation13 ist eine buddhistische Methode, die keineswegs als Geheimnis überliefert ist.

Man betrachte mit beiden Augen die Nasenspitze, setze sich aufrecht und bequem und hefte das Herz auf das Zentrum inmitten der Bedingungen (den ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht). Im Taoismus heißt es die Gelbe Mitte, im Buddhismus das Zentrum inmitten der Bedingungen. Das ist beides dasselbe. Das bedeutet nicht notwendig die Mitte des Kopfs. Es handelt sich nur darum, daß man das Denken an den Punkt heftet, der genau in der Mitte der beiden Augen liegt. Dann ist es gut. Das Licht ist etwas überaus Bewegliches. Wenn man das Denken an die Mitte zwischen beiden Augen heftet, so strahlt das Licht von selbst hinein. Man braucht nicht die Aufmerksamkeit besonders auf das zentrale Schloß zu richten. In diesen paar Worten ist das Wichtigste enthalten.

»Das Zentrum inmitten der Bedingungen« ist ein sehr feiner Ausdruck. Das Zentrum ist allgegenwärtig, alles ist darin beschlossen, es bezieht sich auf die Auslösung des ganzen Schöpfungswerdens. Die Bedingung, das ist die Eingangspforte. Die Bedingung, das heißt, daß die Erfüllung dieser Bedingung den Anfang bildet, nicht aber das Weitere mit unerbittlicher Notwendigkeit herbeiführt; die Bedeutung dieser beiden Worte ist sehr fließend und fein.

Die fixierende Kontemplation ist unentbehrlich, sie bewirkt die Festigung der Erleuchtung. Nur darf man nicht starr sitzen bleiben, wenn dann die Weltgedanken aufleuchten, sondern man muß untersuchen,[89] wo dieser Gedanke sich befindet, wo er entstanden ist, wo er erlischt. Durch weiter getriebenes Nachdenken aber kommt man nicht zu Ende. Man muß sich darauf beschränken zu sehen, wo dieser Gedanke entstanden ist, und darf nicht über den Entstehungspunkt hinaussuchen; denn das Herz (Bewußtsein) zu finden (mit dem Bewußtsein hinter das Bewußtsein zu kommen), das läßt sich nicht bewerkstelligen. Wir wollen miteinander die Zustände des Herzens zur Ruhe bringen, das ist die richtige Kontemplation. Was dem wider spricht, das ist falsche Kontemplation. Die führt zu keinem Ziel. Wenn dann die Flucht der Gedanken immer noch unaufhörlich weitergeht, so höre man auf und setze mit der Kontemplation ein. Man kontempliere und setze dann wieder mit der Fixierung ein. Das ist doppelte Kultur der Festigung der Erleuchtung. Das heißt Kreislauf des Lichts. Kreislauf ist fixieren. Das Licht ist die Kontemplation. Fixierung ohne Kontemplation ist ein Kreislauf ohne Licht. Kontemplation ohne Fixierung ist Licht ohne Kreislauf. Merkt euch das!


Der allgemeine Sinn dieses Abschnittes ist, daß für den Kreislauf des Lichts die Wahrung der Mitte von Wichtigkeit ist. Der letzte Abschnitt hatte davon gehandelt, daß der menschliche Leib ein sehr wertvolles Gut ist, wenn der Urgeist Herr ist. Wenn er aber vom bewußten Geist benützt wird, so bewirkt das, daß der Urgeist Tag und Nacht zerstreut und abgenützt wird. Wenn er sich gänzlich erschöpft hat, so stirbt der Leib. Nun wird die Methode geschildert, den bewußten Geist zu unterwerfen und den Urgeist zu beschützen: das ist unmöglich, wenn man nicht damit beginnt, das Licht in Kreislauf zu bringen. Es ist, wie wenn man ein prächtiges Haus bauen will, so muß man erst ein schönes Fundament finden. Wenn das Fundament fest ist, dann erst kann man an die Arbeit gehen und den Fuß der Mauer tief und fest gründen und die Pfeiler und Mauern aufbauen. Wenn man nicht auf diese Weise ein Fundament legt, wie kann das Haus fertig gebaut werden? Die Methode der Pflege des Lebens ist genau so. Der Kreislauf des Lichts ist zu vergleichen dem Fundament des Gebäudes. Wenn das Fundament fest steht, wie schnell kann man dann darauf bauen; mit dem Geistesfeuer die Gelbe Mitte zu wahren, das ist die Arbeit des Bauens. Darum macht der Meister die Methode wie man eintritt in die Pflege des Lebens besonders deutlich und heißt die Leute mit beiden Augen auf die Nasenspitze blicken, die Lider senken, nach innen sehen, mit aufrechtem Leib ruhig sitzen und das Herz auf das Zentrum inmitten der Bedingungen heften.[90]

Die Gedanken auf den Zwischenraum zwischen den beiden Augen heften, das bewirkt, daß das Licht eindringt. Darauf kristallisiert sich der Geist und tritt in das Zentrum inmitten der Bedingungen ein. Das Zentrum inmitten der Bedingungen ist das untere Elixierfeld, der Raum der Kraft (Sonnengeflecht).

Der Meister deutet das im geheimen an, wenn er sagt: Zu Beginn der Arbeit muß man in einem ruhigen Zimmer sitzen, der Leib sei wie trockenes Holz, das Herz sei wie erkaltete Asche. Man senke die Lider der beiden Augen und schaue nach innen und reinige das Herz, wasche das Denken, unterbreche die Lüste und wahre den Samen. Täglich setze man sich zur Meditation mit gekreuzten Beinen nieder. Man halte das Augenlicht an, kristallisiere die Lautkraft des Ohrs und verringere die Geschmackkraft der Zunge, d.h. die Zunge soll sich oben an den Gaumen anlegen; man rhythmisiere den Atem der Nase und fixiere die Gedanken auf die dunkle Pforte. Wenn man nicht erst den Atem rhythmisiert, so ist zu befürchten, daß es durch Verstopfungen Atembeschwerden gibt. Wenn man eben die Augen schließt, so richte man sich als Maßstab nach einem Punkt auf dem Nasenrücken, der nicht ganz einen halben Zoll unterhalb dem Schnittpunkt der Sehlinien liegt, da wo die Nase einen kleinen Höcker hat. Dann beginnt man die Gedanken zu sammeln, das Ohr rhythmisiert den Atem, Leib und Herz sind bequem und harmonisch. Das Licht der Augen muß ganz ruhig und lange scheinen, es darf weder Schläfrigkeit noch Zerstreuung eintreten. Das Auge blickt nicht nach außen, es senkt die Lider und leuchtet nach innen. Es leuchtet auf diesen Ort. Der Mund redet und lacht nicht. Man schließt die Lippen und atmet innerlich. Der Atem ist an diesem Ort. Die Nase riecht keine Düfte. Der Geruch ist an diesem Ort. Das Ohr hört nicht nach außen. Das Gehör ist an diesem Ort. Das ganze Herz bewacht das Innere. Sein Bewachen ist an diesem Ort. Die Gedanken laufen nicht nach außen, wahre Gedanken haben von selbst Dauer. Sind die Gedanken dauernd, so wird der Same dauernd; ist der Same dauernd, so wird die Kraft dauernd; ist die Kraft dauernd, so wird der Geist dauernd. Der Geist ist der Gedanke, der Gedanke ist das Herz, das Herz ist das Feuer, das Feuer ist das Elixier. Wenn man so das Innere betrachtet, so werden die Wunder des Öffnens und Schließens der Pforten des Himmels unerschöpflich. Aber ohne Rhythmisierung des Atems kann man die tieferen Geheimnisse nicht bewirken.

Wenn der Lernende beginnt und seine Gedanken nicht an die Stelle zwischen die beiden Augen heften kann, wenn er die Augen schließt, aber die Kraft des Herzens nicht zur Beschauung des Raums der Kraft bringt, so ist die Ursache höchst wahrscheinlich die, daß der Atem zu laut und hastig ist und daraus andere Übel entspringen, weil Leib und Herz sich noch immer[91] damit beschäftigen, die auftreibende Kraft und den hitzigen Atem mit Gewalt zu unterdrücken.

Wenn man nur die Gedanken an die beiden Augen heftet, aber den Geist nicht kristallisiert im Sonnengeflecht (dem Zentrum inmitten der Bedingungen), so ist es, als wäre man zur Halle aufgestiegen, aber noch nicht eingetreten in das innere Gemach. Dann wird das Geistesfeuer nicht entstehen, die Kraft bleibt kalt, und schwerlich wird dann die wahre Frucht sich offenbaren.

Darum hegt der Meister die Befürchtung, daß die Menschen bei ihren Bemühungen nur die Gedanken auf den Nasenraum heften, aber nicht daran denken, die Vorstellungen auf den Kraftraum zu heften; darum gebraucht er das Gleichnis wie der Maurer die Richtschnur benützt. Der Maurer benützt die Richtschnur nur um zu sehen, ob seine Mauer senkrecht oder schief ist, dafür dient der Faden als Richtlinie; wenn er die Richtung bestimmt hat, dann kann er mit der Arbeit beginnen. Aber er arbeitet dann an der Mauer, nicht an der Richtschnur, das ist klar. Daraus sieht man, daß das Heften der Gedanken zwischen die Augen nur den Sinn hat, wie der Maurer die Richtschnur benützt. Der Meister deutet wiederholt darauf hin, weil er fürchtet, man möchte seine Meinung nicht verstehen. Und wenn die Lernenden begriffen haben, wie sie Hand anlegen müssen, fürchtet er, sie könnten ihre Arbeit unterbrechen, darum sagt er abermals: »Nach einer konsequenten Arbeit von hundert Tagen erst ist das Licht echt; dann erst kann man an die Arbeit mit dem Geistesfeuer gehen.« Wenn man also gesammelt vorgeht, so entsteht nach hundert Tagen im Licht ein Punkt des echten schöpferischen Lichtes (Yang) von selbst. Die Lernenden müssen das mit aufrichtigem Herzen untersuchen.

7

Ein Schüler des Laotse.

8

Die beiden seelischen Pole werden hier als Logos (Herz, Bewußtsein), der unter dem Zeichen des Feuers steht, und Eros (Nieren, Sexualität), der unter dem Zeichen des Wassers steht, einander gegenübergestellt. Der »natürliche« Mensch läßt diese beiden Kräfte nach außen wirken (Intellekt und Zeugungsvorgang), wodurch sie »ausfließen« und sich aufzehren. Der Adept wendet sie nach innen und bringt sie in Kontakt, wodurch sie einander befruchten und so ein seelisch blutvolles und daher starkes Geistleben erzeugen.

9

Das Zeichen Ho, das mit »Individuation« übersetzt ist, wird geschrieben mit dem Symbol von »Kraft« innerhalb einer »Umschließung«. Es bedeutet also die zur Monade geprägte Form der Entelechie. Es ist die Ablösung einer Krafteinheit und ihre Umhüllung mit den Keimkräften, die zur Verkörperung führen. Der Vorgang wird als mit einem Ton verbunden vorgestellt. Empirisch fällt er zusammen mit der Empfängnis. Von da ab findet eine immerfortschreitende »Entwicklung«, »Entäußerung« statt, bis die Geburt das Individuum ans Licht bringt. Von da ab geht es automatisch weiter, bis die Kraft erschöpft ist und der Tod eintritt.

10

Suramgama-sutra, buddhistisches Sutra.

11

Yin Fu Ging, taoistisches Sutra.

12

Su Wen, ein taoistisches Werk aus späterer Zeit, das sich als von dem mythischen Herrscher Huang Di stammend ausgibt.

13

Die Methode der fixierenden Kontemplation (Dschï Guan) ist die Meditationsmethode der buddhistischen Tië Tai Schule. Sie wechselt zwischen Beruhigung der Gefühle durch Atemübung und Kontemplation ab. Es werden im folgenden einige ihrer Methoden übernommen. Die »Bedingungen« sind die Umstände, die »Umwelt«, die im Zusammenwirken mit den »Ursachen« (Yin) den Kreislauf des Wahns in Bewegung setzen. Im »Zentrum der Bedingungen« ist ganz wörtlich der »ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht«.

Quelle:
Das Geheimnis der goldenen Blüte. Olten/Freiburg i. Br. 1971, S. 85-92.
Lizenz:

Buchempfehlung

Jean Paul

Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch

Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch

Als »Komischer Anhang« 1801 seinem Roman »Titan« beigegeben, beschreibt Jean Paul die vierzehn Fahrten seines Luftschiffers Giannozzos, die er mit folgenden Worten einleitet: »Trefft ihr einen Schwarzkopf in grünem Mantel einmal auf der Erde, und zwar so, daß er den Hals gebrochen: so tragt ihn in eure Kirchenbücher unter dem Namen Giannozzo ein; und gebt dieses Luft-Schiffs-Journal von ihm unter dem Titel ›Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten‹ heraus.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon