IV. Die Frage der unsinnlichen, unbeweglichen Substanzen

[237] Ueber das, was in den sinnlichen Dingen das eigentliche Wesen ausmacht, haben wir zunächst in den Ausführungen der Physik über die Materie und später in denen über die Substanz als aktuell gehandelt. Da es aber die Frage ist, ob es neben den sinnenfälligen Dingen noch ein Unbewegtes, Ewiges gibt oder nicht, und wenn es ein solches gibt, welches es ist, so müssen wir zunächst das ins Auge fassen, was andere darüber sagen, damit wir einerseits, wenn was sie sagen nicht stichhält, nicht in die gleichen Fehler verfallen, und andererseits, wenn wir ihre Auffassung teilen, nicht uns persönlich einen Vorwurf daraus machen. Denn man darf es sich schon gefallen lassen, wenn das, was man vorzubringen weiß, entweder richtiger oder doch mindestens nicht weniger richtig ist als das, was die anderen sagen.

Über unsere Frage darf man zwei Auffassungen als die herrschenden bezeichnen. Manche betrachten als selbständige Wesen die mathematischen Gegenstände wie Zahlen, Linien, und was zu derselben Gattung gehört; andere setzen dafür die Ideen. Dabei fassen die einen diese, die Ideen und die mathematischen Zahlen, als zwei verschiedene Gattungen auf, die an deren finden in beiden die gleiche Natur wieder; noch andere nehmen dagegen bloß für die mathematischen Gegenstände die Bedeutung von selbständigen Wesen In Anspruch. Wir müssen also zunächst die mathematischen Gegenstände In der Weise untersuchen, daß wir sie von jeder fremden Beimischung rein halten, so von der Frage, ob etwa Ideen wirklich existieren oder nicht, ob sie Prinzip und Wesen des Seienden sind oder nicht, und allein die Frage nach den mathematischen Gegenständen selber stellen, ob sie sind oder nicht sind, und wenn sie sind, was sie eigentlich sind. Und dann, worin dies erledigt ist, wird insbesondere zu handeln sein von den Ideen selbst schlechthin und soweit als unerläßlich ist, um damit der herkömmlichen Pflicht ein Genüge zu tun. Denn das meiste darüber ist viel und oft vorgebracht worden, auch in den Erörterungen für ein weiteres Publikum. Und daraufhin[237] gilt es dann in ausführlicherer Behandlung die obige Frage zu entscheiden, indem wir untersuchen, ob diese Wesen und die Prinzipien des Seienden Zahlen und Ideen sind. Denn nach der Frage über die Ideen bleibt diese Frage als die dritte übrig.

Quelle:
Aristoteles: Metaphysik. Jena 1907, S. 237-238.
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