1. Der sittliche Wert der Gefühle

[216] In diese Ausführungen schließt sich naturgemäß eine Untersuchung über das Wesen des Gefühles.

Das Gefühl der Lust, darf man sagen, ist mit der Natur des Menschen aufs innigste verwachsen; deshalb regiert man ja auch die Jugend beim Werke der Erziehung durch das Mittel von Lust und Schmerz. Für die früheste Charakterbildung gilt es als das Moment von höchster Bedeutung, daß man lerne seine Freude zu haben an dem was der Freude wert ist, und Widerwillen zu empfinden gegen das, was Widerwillen verdient. Das behält dann seine Wirksamkeit das ganze Leben hindurch; es übt eine ausschlaggebende Macht auf die sittliche Lebensführung und auf die Glückseligkeit; denn der Mensch begehrt was angenehm, und meidet was schmerzlich ist. An so wichtigen Gegenständen möchte man meinen darf man am wenigsten stillschweigend vorbeigehen, schon aus dem Grunde nicht, weil sie zu so großen Meinungsverschiedenheiten Anlaß geben.

Quelle:
Aristoteles: Nikomachische Ethik. Jena 1909, S. 216.
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