V. Vom Schlaf und den Träumen eines auf den Geruchsinn beschränkten Menschen.

1. Unsere Statue kann dahin gebracht werden, dass sie nur die Erinnerung an einen Duft ist; alsdann scheint das Gefühl ihres Daseins ihr zu entschwinden. Sie fühlt weniger, dass sie da ist, als dass sie dagewesen, und in dem Maasse, als ihr Gedächtniss die Vorstellungen minder lebhaft wiedergiebt, schwächt sich dieser Gefühlsrest noch weiter ab. Einem Lichte ähnlich, das allmählich erlischt, hört er ganz auf, wenn jenes Vermögen in völlige Unthätigkeit verfällt.

2. Nun verbietet uns aber unsere Erfahrung, daran zu zweifeln, dass die Thätigkeit endlich das Gedächtniss und die Einbildungskraft unserer Statue ermüden muss. Wir wollen also diese Vermögen in ihrer Ruhe betrachten und sie durch keine Empfindung reizen. Dieser Zustand wird der des Schlafes sein.

3. Ist ihre Ruhe derart, dass sie vollkommen ohne Thätigkeit sind, so kann man weiter nichts bemerken, als dass der Schlaf so tief als möglich ist. Wenn sie dagegen noch fortfahren, thätig zu sein, so wird das nur für einen Theil der erworbenen Vorstellungen gelten. Mehrere Glieder der Kette werden also herausgerissen sein, und die Anordnung der Vorstellungen im Schlafe kann nicht die nämliche, wie im Wachen, bleiben. Die Lust ist nun für die Leitung der Einbildungskraft nicht mehr allein maassgebend. Dieses Vermögen wird nur die Vorstellungen erwecken, über welche es noch einige Macht bewahrt hat, und wird eben so oft zum Unglück unserer Statue beitragen, als zu ihrem Glücke.

4. Hierin haben wir den Traumzustand; er unterscheidet sich von dem wachen nur dadurch, dass die Vorstellungen darin nicht dieselbe Anordnung bewahren und dass nicht immer die Lust das Gesetz ist, welches die Einbildungskraft regelt. Jeder Traum setzt also einige[55] mitten herausgerissene Vorstellungen voraus, auf welche die Seelenvermögen nicht mehr wirken können.

5. Weil unsere Statue keinen unterschied zwischen lebhaftem Vorstellen und Empfindungen haben kennt, so kann sie auch keinen zwischen Träumen und Wachen finden. Alles, was sie nach dem Einschlafen erfährt, ist daher für ihren Gesichtspunkt ebenso wirklich, als das, was sie vor dem Schlafe erfahren hat.

Quelle:
Condillac's Abhandlung über die Empfindungen. Berlin 1870, S. 53,56.
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