XII. Vom Gesicht mit dem Geruch, Gehör und Geschmack.

[81] 1. Die Vereinigung von Gesicht, Geruch, Gehör und Geschmack vermehrt die Zahl der Daseinsweisen unserer Statue. Die Reihe ihrer Vorstellungen wird dadurch erweitert und mannichfaltiger. Die Gegenstände ihrer Aufmerksamkeit, ihrer Begehrungen und ihres Genusses vervielfältigen sich: sie bemerkt eine neue Klasse ihrer Wandlungen und glaubt sich als eine Menge ganz verschiedener Wesen wahrzunehmen. Aber sie sieht immer noch nur sich, und noch nichts kann sie von sich abziehen, um sie auf das draussen Befindliche zu lenken.

2. Es kommt ihr also nicht bei, dass sie ihre Daseinsweisen fremden Ursachen verdankt; sie weiss nicht, dass sie ihr durch vier Sinne zu Theil werden. Sie sieht, riecht, schmeckt, hört, ohne zu wissen, dass sie Augen, Nase, Mund, Ohren hat; sie weiss nicht, dass sie einen Leib hat. Endlich bemerkt sie erst dann, dass sie diese verschiedenartigen[81] Empfindungen zusammen erleidet, wenn sie dieselben gesondert studirt hat.

3. Liessen wir, unter der Voraussetzung, dass sie ununterbrochen dieselbe Farbe sei, Düfte, Geschmacksempfindungen und Töne sich in ihr folgen, so würde sie sich wie eine Farbe vorkommen, die nach einander duftend, schmackhaft und tönend ist. Sie würde sich wie ein schmackhafter, tönender und bunter Duft vorkommen, wenn sie beständig der nämliche Duft wäre, und das Gleiche muss sich unter allen Voraussetzungen dieser Art zeigen; denn in der Daseinsweise, in der sie sich immer wiederfindet, muss sie jenes »Ich« empfinden, das ihr als das Subjekt aller Wandlungen erscheint, deren sie fähig ist.

Wenn wir nun geneigt sind, die Ausdehnung als das Subjekt aller wahrnehmbaren Eigenschaften anzusehen – kommt das daher, weil sie wirklich das Subjekt dazu ist, oder nur daher, dass diese Vorstellung vermöge einer von uns angeeigneten Gewöhnung jederzeit überall da ist, wo die anderen sind, und die nämliche bleibt, obgleich die anderen wechseln, und deshalb durch sie modifizirt erscheint, ohne es zu sein?

Ferner, wenn Philosophen versichern, es gebe nur Ausdehnung, giebt es wirklich keine andere Substanz?[82] Ja, ist die Ausdehnung eine solche, oder urtheilen sie nur deshalb so, weil diese Vorstellung ihnen geläufig ist und sie dieselbe überall wiederfinden? Die Statue könnte sich mit demselben Rechte für eine blosse Farbe oder einen blossen Duft, und diese Farbe oder diesen Duft für ihr Wesen, ihre Substanz halten. Allein hier ist nicht der Ort, mich bei dergleichen Systemen aufzuhalten, und sie sind genügend widerlegt, wenn man zeigt, dass sie nicht besser begründet sind, als die Urtheile, die wir oben unsere Statue haben fällen lassen.[83]

Quelle:
Condillac's Abhandlung über die Empfindungen. Berlin 1870, S. 81-84.
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