II. Dieser auf den geringsten Grad des Gefühls beschränkte Mensch hat weder eine Vorstellung von Ausdehnung, noch von Bewegung.

[85] 1. Wenn unsere Statue von keinem Körper berührt wird und wir sie in ruhige, massig erwärmte Luft stellen, in der sie weder eine Zu- noch Abnahme ihrer natürlichen Wärme verspürt, so wird sie auf das Grundgefühl beschränkt sein und von ihrem Dasein nur durch den unklaren Eindruck Kunde erlangen, welcher durch die Bewegung entsteht, der sie das Leben verdankt.

2. Dieses Gefühl ist einförmig und folglich für ihre Anschauung einfach; sie kann die verschiedenen Theile ihres Körpers dabei nicht bemerken, nimmt also deren Nebeneinander und Zusammenhang nicht wahr. Es ist, als existirte sie nur in einem Punkte, und zu entdecken, dass sie ausgedehnt ist, ist ihr noch unmöglich.15[85]

3. Wir wollen dieses Gefühl lebhafter machen, ihm aber seine Gleichförmigkeit lassen, z.B. die Luft erwärmen oder abkühlen: so wird sie an ihrem ganzen Körper eine gleichmässige Wärme- oder Kälteempfindung haben, und ich sehe nicht ein, was sich daraus weiter ergeben soll, als dass sie ihr Dasein lebhafter empfindet. Denn eine einzige Empfindung, so lebhaft sie auch sein mag, kann einem Wesen keine Vorstellung von Ausdehnung geben, das, weil es von seiner eignen Ausdehnung nichts weiss, diese Empfindung nicht dadurch auszudehnen versteht, dass es sie auf seine verschiedenen Körpertheile bezieht.

Folglich würde unsere Statue, wenn sie nur durch eine[86] Reihe gleichförmiger Gefühle lebte, in ihren Seelenthätigkeiten und Erkenntnissen eben so beschränkt sein, als sie mit dem Geruchsinn gewesen.

4. Wenn ich nach einander an ihren Kopf und ihre Füsse klopfe, so modifizire ich zu verschiedenen Malen ihr Grundgefühl; allein diese Modifikationen sind selbst wieder gleichförmig. Sie kann also an keiner von ihnen bemerken, dass sie ausgedehnt ist. Vielleicht wird man fragen, ob sie, wenn man zugleich an ihren Kopf und ihre Füsse klopft, nicht empfinde, dass diese Modifikationen von einander entfernt seien.

Wenn ich sie berühre, so nimmt entweder die Empfindung, die sie erfahrt, ihre Empfindungsfähigkeit so ein, dass sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht, oder die Aufmerksamkeit richtet sich auch jetzt noch auf das Grundgefühl der andern Theile. Im erstem Falle kann unsere Statue sich keinen Zwischenraum zwischen ihrem Kopf und ihren Füssen vorstellen, denn sie bemerkt das gar nicht, was diese trennt. Im zweiten kann sie es eben so wenig, weil ja das Grundgefühl keine Vorstellung von Ausdehnung giebt.

5. Ich schüttele ihren Arm, und ihr Ich empfängt eine neue Modifikation. Wird sie daher eine Vorstellung von Bewegung erlangen? Gewiss nicht. Denn sie weiss noch nicht, dass sie einen Arm hat, dass er einen Ort einnimmt und ihn ändern kann. Was in diesem Augenblicke mit ihr vorgeht, ist ein besonders deutliches Empfinden ihres Daseins in der ihr von mir gegebenen Empfindung, ohne dass sie je von dem, was sie erleidet, sich Rechenschaft geben kann.

Eben so wird es sein, wenn ich sie in die Luft hebe. Es beschränkt sich dann Alles bei ihr auf einen Eindruck, der das gesammte Grundgefühl modifizirt, und sie kann noch nicht erfahren, dass sie einen Körper hat, der sich bewegt.

Quelle:
Condillac's Abhandlung über die Empfindungen. Berlin 1870, S. 85-87.
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