II. Von dem Gehör, Geruch und Getast in ihrer Vereinigung.

[138] 1. Unsere Statue wird, wie im vorigen Kapitel, erstaunt sein, sich als das zu finden, was sie gewesen wenn sie in dem Augenblicke, wo wir zum Geruch und Tastsinn das Gehör fügen, alle Gewöhnungen wiedererlangt, die sie mit dem letzten dieser Sinne angenommen hatte. Hier ist sie der Gesang der Vögel, da das Geräusch eines Wasserfalles, weiterhin das Rauschen der Bäume, einen Augenblick später das Getöse des Donners oder eines furchtbaren Sturmes.

Bei gänzlicher Hingebung an diese Gefühle sind ihr Getast und ihr Geruch nicht mehr in Thätigkeit. Es trete plötzlich tiefes Schweigen ein, so wird es ihr vorkommen, als wäre sie sich entrückt worden. Eine[138] Zeit lang bleibt sie, ohne den Gebrauch ihrer ersten Sinne wiederaufnehmen zu können. Ist sie endlich allmählich wieder zu sich gekommen, so beginnt sie von Neuem sich mit den greifbaren und riechenden Dingen zu beschäftigen.

2. Sie findet, was sie nicht suchte; denn nachdem sie einen tönenden Körper ergriffen hat, bewegt sie ihn absichtslos hin und her, und wenn sie ihn von ungefähr bald näher ans Ohr, bald weiter davon gehalten hat, so reicht das hin, sie zu wiederholtem Annähern und Entfernen zu bestimmen. Durch die verschiedenen Abstufungen des Eindrucks geleitet, bringt sie ihn ans Gehörorgan, und nachdem sie diesen Versuch wiederholt hat, urtheilt sie, dass die Töne in diesem Körpertheile seien, wie sie die Gerüche in einen anderen verlegt hat.

3. Jedoch beobachtet sie, dass ihr Ohr nur bei Gelegenheit dessen, was mit jenem Körper vorgeht, Veränderungen erleidet; sie vernimmt Töne, wenn sie ihn hin und her bewegt, vernimmt aber nichts mehr, wenn sie es sein lässt. Mithin urtheilt sie, dass diese Töne von ihm kommen.

4. Sie wiederholt dieses Urtheil und vollzieht es am Ende so rasch, dass sie keinen Zeitraum zwischen dem Augenblick bemerkt, wo diese Töne ihr Ohr treffen, und dem, wo sie urtheilt, sie seien in jenem Körper. Diese Töne hören und nach aussen verlegen, sind zwei Thätigkeiten, die sie nicht mehr unterscheidet. Anstatt sie also als Daseinsweisen ihrer selbst wahrzunehmen, nimmt sie dieselben als Daseinsweisen des tönenden Körpers wahr. Kurz, sie vernimmt sie an jenem Körper.

5. Lassen wir sie mit anderen Tönen dieselbe Erfahrung machen, so wird sie wieder dieselben Urtheile fällen und mit der Empfindung zusammenfliessen lassen. Ja, in der Folge wird sie mit dieser Art zu empfinden so vertraut werden, dass ihr Ohr die Unterweisung des Getastes nicht mehr braucht. Jeder Ton wird ihr von aussen zu kommen scheinen, selbst in den Fällen, wo sie die Körper, die ihn ihr übermitteln, nicht berühren kann. Denn wenn ein Urtheil durch Gewöhnung mit einer Empfindung zusammengeflossen ist, so muss es mit allen Empfindungen gleicher Art zusammenfliessen.

6. Wenn mehrere Töne, welche die Statue kennen gelernt hat, zusammenklingen, so wird sie nicht allein darum[139] sie unterscheiden, weil ihr Ohr befähigt ist, bis zu einem gewissen Punkte ihren Unterschied aufzufassen, sondern zumeist darum, weil sie sich bereits die Fertigkeit angeeignet hat, sie in Körper, die sie unterscheidet, zu verlegen. Somit trägt der Tastsinn dazu bei, die Unterscheidungsgabe des Gehörs zu erhöhen. Je mehr sie folglich den Tastsinn zu Hülfe nimmt, um Unterschiede in den Tönen zu machen, desto besser wird sie dieselben unterscheiden lernen. Sie wird sie jedoch allemal dann vermischen, wenn die Körper, durch welche sie hervorgebracht werden, für das Getast nicht mehr unterscheidbar sind. Die Unterscheidungsgabe des Gehörs hat also ihre Grenzen, weil es Fälle giebt, wo der Tastsinn selbst nicht Alles zu unterscheiden vermag. Ich rede nicht von den Grenzen, die in einer Missbildung ihre Ursache haben.

7. Die Statue beginnt ihre Versuche mit den Dingen, die sie mit der Hand erreichen kann. Demzufolge meint sie anfänglich bei jedem Geräusche, das ihr Ohr trifft, sie brauche, wenn sie den Körper erreichen wolle, der es von sich giebt, nur den Arm auszustrecken; denn sie hat noch nicht gelernt, ihn für weiter entfernt zu halten. Allein da sie darin geirrt, so macht sie einen Schritt, macht noch einen, und beobachtet, dass in dem Maasse, als sie vorwärtsgeht, das Geräusch zunimmt, bis zu dem Augenblick, wo der Körper, der es erzeugt, ihr so nahe ist, als er nur sein kann.

Durch diese Erfahrungen lernt sie allmählich die verschiedenen Abstände jenes Körpers beurtheilen, und diese ihr vertraut gewordenen Urtheile werden so rasch wiederholt, dass sie, indem sie mit der Empfindung selbst zusammenfliessen, am Ende die Entfernungen am Gehör erkennt. Auf gleiche Weise wird sie erfahren, ob ein Körper rechts oder links von ihr ist. Kurz, sie wird jedesmal dann die Entfernung und Lage eines Dinges mit dem Gehör wahrnehmen, wenn beide so sind, wie in den Fällen, wo sie Gelegenheit hatte, viele Versuche zu machen. Ja, weil sie nur dieses Mittel hat, um sicher zu gehen, wenn das Getast sie im Stiche lässt, so wird sie davon so oft Gebrauch machen, dass sie manchmal eben so sicher urtheilt, als wir selbst mit den Augen.

Aber so oft sie Körper hört, deren mancherlei Lagen[140] und Entfernungen sie noch nicht erforscht hat, so wird sie Gefahr laufen, sich zu irren. Sie muss sich demnach daran gewöhnen, eben so viele verschiedene Urtheile zu fällen, als es Arten tönender Körper und Umstände giebt, unter denen sie hörbar werden.

8. Hätte sie nie einen und denselben Ton gehört, ohne eine und dieselbe Figur zu berühren, und umgekehrt, so würde sie glauben, die Figuren schlössen die Vorstellungen der Töne ein, und die Töne die Vorstellungen der Figuren, und würde dem Tastsinn und dem Gehör die Vorstellungen, die jedem dieser Sinne zukommen, nicht zuertheilen können. Ebenso würde es ihr, wenn jeder Ton beständig von einem gewissen Geruche, und jeder Geruch von einem gewissen Tone begleitet gewesen wäre, nicht möglich sein, die Vorstellungen, die sie dem Geruchsinn verdankt, von denen zu unterscheiden, die sie dem Gehöre verdankt. Diese Irrungen sind denen ähnlich, in welche wir sie im vorigen Kapitel verfallen liessen, und bereiten auf die Beobachtungen vor, die wir mit dem Gesichtsinn anstellen wollen.

Quelle:
Condillac's Abhandlung über die Empfindungen. Berlin 1870, S. 138-141.
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