Erster Theil.

Ueber die Prinzipien
der menschlichen Erkenntniss.

[3] 1. Da wir als Kinder auf die Welt kommen und übersinnliche Gegenstände urtheilen, bevor wir den vollen Gebrauch unserer Vernunft erlangt haben, so werden wir[3] durch viele Vorurtheile an der Erkenntnis der Wahrheit gehindert und es scheint kein anderes Mittel dagegen zu geben, als einmal im Leben sich zu entschliessen, an Allem zu zweifeln, wo der geringste Verdacht einer Ungewissheit angetroffen wird.

2. Es ist sogar nützlich, schon das Zweifelhafte für falsch zu nehmen, um desto sicherer das zu finden, was ganz sicher und am leichtesten erkennbar ist.

3. Dieses einstweilige Zweifeln ist aber auf die Erforschung der Wahrheit zu beschränken. Denn im thätigen Leben würde oft die Gelegenheit zum Handeln vorübergehen, ehe wir uns aus den Zweifeln befreit hätten, und hier muss man oft das blos Wahrscheinliche hinnehmen und manchmal selbst unter gleich wahrscheinlichen Dingen eine Wahl treffen.

4. Da wir hier aber blos auf die Erforschung der Wahrheit ausgehen, werden wir zunächst zweifeln, ob die sinnlichen oder bildlich vorgestellten Dinge bestehen. Denn erstens betreffen wir die Sinne bisweilen auf dem Irrthum, und die Klugheit fordert, niemals denen viel zu trauen, die uns auch nur einmal getäuscht haben. Sodann glauben wir alle Tage im Traume Vieles wahrzunehmen oder vorzustellen, was nirgends ist, und es zeigt sich gegen diese Zweifel kein sicheres Zeichen, an dem der Traum von dem Wachen zu unterscheiden wäre.

5. Wir werden auch das Uebrige bezweifeln, was wir bisher für das Gewisseste gehalten haben; selbst die mathematischen Beweise und die Sätze, welche wir bisher für selbstverständlich angesehen haben. Denn theils haben wir gesellen, dass Manche in Solchem geirrt und das, was uns falsch schien, für ganz gewiss und selbstverständlich angenommen haben; theils haben wir gehört, dass es einen allmächtigen Gott giebt, der uns geschaffen hat, und wir wissen nicht, ob er uns vielleicht nicht so hat schaffen wollen, dass wir immer und selbst in dem, was uns ganz offenbar scheint, getäuscht werden. Denn[4] dies ist ebenso gut möglich, als die Täuschung in einzelnen Fällen, deren Vorkommen wir bereits bemerkt haben. Setzen wir aber, dass nicht der allmächtige Gott, sondern wir selbst oder irgend ein Anderer uns geschaffen habe, so wird es, je weniger mächtig wir den Urheber unseres Daseins annehmen, um so wahrscheinlicher, dass wir unvollkommen sind und immerge täuscht werden.

6. Mag nun unser Urheber sein, wer er wolle, und mag er so mächtig und so trügerisch sein, als man wolle, so haben wir doch die Macht in uns, dem nicht ganz Gewissen und Ausgemittelten unsere Zustimmung zu versagen und so uns vor jedem Irrthum zu verwahren.

7. Indem wir so Alles nur irgend Zweifelhafte zurückweisen und für falsch gelten lassen, können wir leicht annehmen, dass es keinen Gott, keinen Himmel, keinen Körper giebt; dass wir selbst weder Hände noch Fusse, überhaupt keinen Körper haben; aber wir können nicht annehmen, dass wir, die wir solches denken, nichts sind; denn es ist ein Widerspruch, dass das, was denkt, in dem Zeitpunkt, wo es denkt, nicht bestehe. Deshalb[5] ist die Erkenntniss: »Ich denke, also bin ich,« von allen die erste und gewisseste, welche bei einem ordnungs-mässigen Philosophiren hervortritt.

8. Auch ist dies der beste Weg, um die Natur der Seele und ihren Unterschied vom Körper zu erkennen. Denn wenn man prüft, wer wir sind, die wir alles von uns Verschiedene für falsch halten, so sehen wir deutlich, dass weder die Ausdehnung noch die Gestalt noch die Ortsbewegung noch Aehnliches, was man dem Körper zuschreibt, zu unserer Natur gehört, sondern nur das Denken. Dies wird deshalb eher und sicherer als die körperlichen Gegenstände erkannt; denn man begreift es schon, während man über alles Andere noch zweifelt.

9. Unter Denken verstehe ich Alles, was mit Bewusstsein in uns geschieht, insofern wir uns dessen bewusst sind. Deshalb gehört nicht blos das Einsehen, Wollen, Bildlich-Vorstellen, sondern auch das Wahrnehmen hier zum Denken. Denn wenn ich sage: »Ich sehe, oder ich wandle, deshalb bin ich,« und ich dies von dem Sehen oder Wandeln, was mit dem Körper erfolgt, verstehe, so ist der Schluss nicht durchaus sicher; denn ich kann meinen, dass ich sehe oder wandele, obgleich ich die Augen nicht öffne und mich nicht von der Stelle bewege, wie dies in den Träumen oft vorkommt; ja, es könnte geschehen, ohne dass ich überhaupt einen Körper hätte. Verstehe ich es aber von der Wahrnehmung selbst oder von dem Wissen meines Sehens oder Wandeins, so ist die Folgerung ganz sicher, weil es dann auf die Seele bezogen wird, welche allein wahrnimmt oder denkt, dass sie sieht oder wandelt.

10. Ich erkläre hier viele andere Ausdrücke, deren ich mich schon bedient habe oder in dem Folgenden bedienen werde, nicht näher, weil sie an sich genügend bekannt sind. Ich habe oft bemerkt, dass Philosophen fehlerhafter Weise das Einfachste und an sich Bekannte[6] durch logische Definitionen zu erklären suchten, obgleich sie es damit nur dunkler machten. Wenn ich deshalb hier gesagt habe, der Satz: »Ich denke, also bin ich,« sei von allen der erste und gewisseste, welcher bei einem ordnungsmässigen Philosophiren hervortrete, so habe ich damit nicht bestreiten wollen, dass man vorher wissen müsse, was »Denken«, was »Dasein«, was »Gewissheit« sei; ebenso, dass es unmöglich sei, dass das, was denkt, nicht bestehe, und Aehnliches; sondern ich habe nur ihre Aufzählung nicht für nöthig erachtet, weil es die einfachsten Begriffe sind, und sie für sich allein nicht die Erkenntniss eines bestehenden Dinges gewähren.

11. Um aber einzusehen, dass wir unsere Seele nicht blos früher und gewisser, sondern auch klarer als den Körper erkennen, ist festzuhalten, wie nach natürlichem Licht es offenbar ist, dass das Nichts keine Zustände oder Eigenschaften hat. Wo wir mithin solche antreffen, da muss auch ein Gegenstand oder eine Substanz, der sie angehören, bestellen. Ferner ist ebenso offenbar, dass wir diese Substanz um so klarer erkennen, je mehr wir dergleichen Zustände in dem Gegenstande oder in der Substanz antreffen. Nur ist offenbar, dass wir deren[7] mehr in unserer Seele als in irgend einer anderen Sache antreffen, weil es unmöglich ist, dass wir etwas Anderes erkennen, ohne dass uns dies nicht auch viel sicherer zur Erkenntniss unserer Seele führte. Wenn ich z.B. annehme, dass die Erde ist, weil ich sie Fühle oder sehe, so muss ich danach noch viel mehr annehmen, dass meine Seele besteht. Denn es ist möglich, dass ich meine, die Erde zu berühren, obgleich keine Erde besteht; aber es ist unmöglich, dass ich dies meine, und meine Seele, die dies meint, nicht sei. Dasselbe gilt von allem Anderen.

12. Wenn dies Personen, die nicht ordnungsmässig philosophiren, nicht so erscheint, so kommt es davon, dass sie die Seele niemals genau von dem Körper unterschieden haben; und wenn sie auch ihr eigenes Dasein für gewisser als alles Andere erachteten, so bemerkten sie doch nicht, dass unter dem eigenen Dasein hier nur die Seele allein zu verstehen ist; vielmehr verstanden sie darunter blos ihren Körper, den sie mit ihren Augen Bähen und mit ihren Händen betasteten, und dem sie das Wahrnehmungsvermögen fälschlich zuschrieben. So wurden sie von der Erkenntniss der Natur der Seele abgeführt.

13. Wenn nun die Seele, die zwar sich selbst erkannt hat, über alles Andere aber noch zweifelt, rings umherschaut, um ihre Kenntnisse auszudehnen, so findet sie zwar zunächst in sich die Vorstellungen von vielen Dingen; aber so lange sie nur diese Vorstellungen betrachtet, ohne zu behaupten oder zu leugnen, dass etwas ihnen Aehnliches ausserhalb ihrer bestehe, kann sie nicht irren. Sie findet auch gewisse gemeinsame Begriffe und bildet daraus mancherlei Beweise, welche sie für wahr hält, so lange sie darauf Acht hat. So bat sie z.B. die Vorstellungen der Gestalten und Zahlen in sich, und unter anderen gemeinsamen Begriffen den, dass Gleiches zu Gleichem hinzugethan, Gleiches ergiebt; auch[8] wird aus solchen leicht bewiesen, dass die drei Winkel eines Dreiecks gleich zwei rechten sind u.s.w. Hiernach hält die Seele dies und Aehnliches für wahr, so lange sie auf die Vordersätze achtet, aus denen sie dies abgeleitet hat. Da man indess nicht immer darauf Acht haben kann, und man sich später besinnt, dass man nicht sicher ist, ob man nicht mit einer solchen Natur erschaffen worden, dass man selbst in dem anscheinend Unzweifelhaftesten sich irrt, so erscheint auch hier der Zweifel für berechtigt, und jede gewisse Erkenntniss unmöglich, so lange man den Urheber seines Daseins nicht kennt.

14. Wenn die Seele dann unter ihren verschiedenen Vorstellungen die eines allweisen, allmächtigen und höchst vollkommenen Wesens betrachtet, welche bei Weitem die vornehmste ist, so erkennt sie darin dessen Dasein nicht blos als möglich oder zufällig, wie bei den Vorstellungen anderer Dinge, die sie bestimmt auffasst, sondern als durchaus nothwendig und ewig. So wie z.B. die Seele in der Vorstellung eines Dreiecks es als nothwendig darin enthalten erkennt, dass seine drei Winkel gleich zwei rechten sind, und deshalb überzeugt ist, dass ein Dreieck drei Winkel hat, die zwei rechten gleich sind, so muss sie lediglich daraus, dass sie einsieht, in der Vorstellung eines höchst vollkommenen Wesens sei das nothwendige[9] und ewige Dasein enthalten, folgern, dass das höchst vollkommene Wesen bestehe.

15. Sie wird um so mehr davon überzeugt sein, wenn sie beachtet, dass in keiner anderen von ihren Vorstellungen dieses nothwendige Dasein in dieser Weise enthalten ist; denn sie wird daraus ersehen, dass diese Vorstellung eines höchst vollkommenen Wesens nicht von ihr gebildet ist und keine chimärische, sondern eine wahre und unveränderliche Natur darstellt, welche bestehen muss, da das nothwendige Dasein in ihr enthalten ist.

16. Dies wird, sage ich, unsere Seele leicht annehmen, wenn sie sich vorher von allen Vorurtheilen losgemacht hat. Wir sind jedoch gewöhnt, bei allen anderen Dingen das Wesen von dem Dasein zu unterscheiden, auch mancherlei Vorstellungen von Dingen, die niemals sind oder waren, beliebig zu bilden, und daher kommt es leicht, dass, wenn wir nicht ganz in der Betrachtung des höchst vollkommenen Wesens uns vertiefen, nun zweifeln, ob dessen Vorstellung nicht zu denen gehöre, die wir willkürlich bilden, oder bei denen wenigstens das Dasein nicht zu ihrem Wesen gehört.

17. Wenn wir die Vorstellungen in uns weiter betrachten, so sehen wir, dass sie, als blosse Weisen zu denken, nicht sehr verschieden von einander sind, wohl aber insofern die eine diese, die andere jene Sache vorstellt, und dass, je mehr gegenständliche Vollkommenheit sie in sich enthalten, um so vollkommener ihre Ursachen sein müssen. Wenn z.B. Jemand die Vorstellung einer sehr künstlichen Maschine hat, so kann man mit Recht nach der Ursache fragen, woher er sie hat; ob er irgendwo eine solche von einem Anderen gefertigte Maschine gesehen hat, oder ob er die mechanischen Wissenschaften so genau erlernt hat, und seine erfinderische Kraft so gross ist, dass er diese nirgends gesehene Maschine bei sich selbst habe ausdenken können? Denn das ganze[10] Kunstwerk, was in seiner Vorstellung nur gegenständlich oder wie in einem Bilde enthalten ist, muss in dessen Ursache, sei sie, welche sie wolle, nicht blos gegenständlich oder vorgestellt, sondern wenigstens in der ersten und vornehmsten Ursache in gleichem oder überwiegendem Maasse wirklich vorhanden sein.

18. Deshalb können wir, da wir die Vorstellung Gottes oder eines höchsten Wesens in uns haben, mit Recht fragen, woher wir sie haben. Wir werden in dieser Vorstellung eine solche Unermesslichkeit finden, dass wir uns überzeugen, sie könne uns nur von einem Gegenstände eingeflösst sein, welcher wirklich alle Vollkommenheiten in sich vereinigt, d.h. nur von dem wirklich daseienden Gott. Denn es ist nach dem natürlichen Licht offenbar, dass aus Nichts nicht Etwas werden kann, und dass das Vollkommene nicht von einem Unvollkommeneren als seine wirkende und vollständige Ursache hervorgebracht werden kann, und dass in uns keine Vorstellung oder kein Bild einer Sache sein kann, von dem nicht irgendwo in oder ausser uns ein Urbild besteht, was alle seine Vollkommenheiten wirklich enthält. Da wir nun jene höchsten Vollkommenheiten, deren Vorstellung wir haben, auf keine Weise in uns antreffen, so folgern wir daraus mit Recht, dass sie in einem von uns verschiedenen Wesen, nämlich in Gott sein müssen oder mindestens[11] einmal gewesen sein müssen, woraus klar folgt, dass sie auch noch bestehen.

19. Dies ist denen, welche gewohnt sind, die Vorstellung Gottes zu betrachten und auf seine höchsten Vollkommenheiten zu achten, ganz gewiss und offenbar. Denn wenn wir auch diese Vollkommenheiten nicht begreifen, weil es die Natur des Unendlichen ist, dass es von uns, die wir endlich sind, nicht begriffen wird, so können wir sie doch klarer und deutlicher als die körperlichen Dinge einsehen, weil sie unser Denken mehr erfüllen, einfacher sind und durch keine Beschränkungen verdunkelt werden.

20. Da indess nicht Jedermann dies bemerkt, und da wir, gleich denen, welche die Vorstellung einer künstlichen Maschine zwar besitzen, aber meist nicht wissen, woher sie sie haben, uns auch nicht entsinnen, dass uns die Vorstellung Gottes einmal von Gott gekommen sei, indem wir sie immer gehabt haben, so ist noch zu untersuchen, von wem wir selbst sind, die wir die Vorstellung eines höchst vollkommenen Gottes in uns haben. Denn nach dem natürlichen Licht kann offenbar ein Ding, was etwas Vollkommeneres weiss, als es selbst ist, nicht von sich kommen; denn sonst hätte es sich selbst alle die Vollkommenheiten zugetheilt, deren Vorstellung es in sich hat, und deshalb kann es auch nur von Jemand kommen, der alle jene Vollkommenheiten in sich trägt, d.h. der Gott ist.

21. Nichts kann die Kraft dieses Beweises erschüttern, sobald wir auf die Natur der Zeit oder die Dauer der Dinge Acht haben; denn deren Theile sind nicht von einander abhängig noch jemals zugleich. Deshalb folgt aus unserem Dasein in diesem Augenblick nicht unser[12] Dasein in der nächst folgenden Zeit, wenn nicht eine Ursache, nämlich die, welche uns hervorgebracht hat, uns fortwährend gleichsam wieder hervorbringt, d.h. erhält. Denn es ist leicht einzusehen, dass diese uns erhaltende Kraft nicht in uns selbst sein kann, und dass der, welcher so mächtig ist, dass er uns, die wir von ihm verschieden sind, erhält, um so mehr auch sich selbst erhält, oder vielmehr, dass er der Erhaltung von Niemand bedarf und deshalb Gott ist.

22. Dieser Beweis vom Dasein Gottes aus seiner Vorstellung hat den grossen Vorzug, dass wir, soweit die Schwäche unserer Natur es zulässt, erkennen, wer er ist. Denn wenn wir auf diese uns angeborene Vorstellung blicken, so finden wir, dass er ewig, allwissend, allmächtig, die Quelle aller Güte und Wahrheit und der Schöpfer aller Dinge ist, und dass er endlich Alles in sich hat, was wir klar als eine unendliche oder durch keine Unvollkommenheit beschränkte Vollkommenheit erkennen.

23. Denn es giebt allerdings Vieles, worin wir einige Vollkommenheit bemerken, aber doch auch einige Unvollkommenheit oder Beschränkung antreffen, und was deshalb Gott nicht zukommen kann. So enthält die körperliche Natur in Folge der in der räumlichen Ausdehnung eingeschlossenen Theilbarkeit die Unvollkommenheit, theilbar zu sein, und deshalb ist es gewiss, dass Gott kein Körper ist. Ebenso ist unser Wahrnehmen zwar eine Vollkommenheit; allein in allem Wahrnehmen ist auch ein Leiden, und Leiden heisst von Etwas abhängen, und deshalb kann in Gott kein Wahrnehmen, sondern nur das Einsehen und Wollen angenommen werden; ebenso, dass er nicht wie wir gleichsam durch getrennte Handlungen einsieht, will und handelt, sondern durch eine, immer dieselbe und höchst einfache Handlung. Unter »Alles« verstehe ich alle Dinge; denn Gott will nicht die Bosheit der Sünde; denn sie ist kein Ding.

24. Da also Gott allein von Allem, was ist oder sein kann, die wahre Ursache ist, so folgen wir offenbar dem richtigsten Weg Im Philosophiren, wenn wir versuchen , aus der Kenntniss Gottes selbst die Erklärung der von ihm geschaffenen Dinge abzuleiten, da wir so die vollkommenste Kenntniss, nämlich die Kenntniss der Wirkung[13] aus der Kenntniss der Ursachen gewinnen. Um damit hierbei sicher und ohne Gefahr des Irrthums zu beginnen, wollen wir die Vorsicht gebrauchen und uns immer gegenwärtig halten, dass Gott der unendliche Schöpfer aller Dinge ist, und wir durchaus endlich sind.

25. Wenn daher Gott uns etwas von sich oder anderen Dingen offenbaren sollte, was die natürlichen Kräfte unseres Verstandes überschreitet, wie dies bei den Mysterien der Fleischwerdung und der Dreieinigkeit der Fall ist, so werden wir, obgleich wir sie nicht klar einsehen, doch uns nicht weigern, sie zu glauben, und wir werden uns durchaus nicht wundern, dass Vieles theils in seiner eigenen unermesslichen Natur, theils in den von ihm geschaffenen Dingen unsere Fassungskraft überschreitet.

26. Wir werden deshalb uns nicht mit Streitigkeiten über das Unendliche ermüden; denn bei unserer eigenen Endlichkeit wäre es verkehrt, wenn wir versuchten, etwas[14] darüber zu bestimmen und so es gleichsam endlich und begreiflich zu machen. Wir werden uns deshalb nicht mit der Antwort auf die Frage mühen, ob die Hälfte einer unendlichen Linie ebenfalls unendlich sei, oder ob die unendliche Zahl gleich oder ungleich sei und Aehnliches; denn nur der, welcher seine Seele für unendlich hält, kann meinen, hierüber nachdenken zu müssen. Wir werden dagegen Alles, bei dessen Betrachtung man kein Ende finden kann, zwar nicht als unendlich behaupten, aber als endlos ansehen. So kann man sich keinen Raum so gross vorstellen, dass eine Vergrösserung desselben unmöglich wäre, und man wird deshalb die Grösse der möglichen Dinge als eine endlose bezeichnen. Ebenso wird man die Grösse für ohne Ende theilbar halten, weil kein Körper in so viel Theile getheilt werden kann, dass diese Theile nicht immer noch weiter theilbar wären. Ebenso wird man die Zahl der Sterne für nicht-beschränkt[15] annehmen, weil man sich keine so grosse Zahl derselben vorstellen kann, dass Gott nicht noch mehr hätte erschaffen können. Dasselbe gilt für das Uebrige.

27. Wir nennen diese Dinge endlos statt unendlich, um das Wort »unendlich« nur für Gott aufzubewahren, weil wir in ihm allein in jeder Hinsicht nicht blos keine Grenzen finden, sondern auch bejahend erkennen, dass er keine hat, bei anderen Dingen aber nicht so bejahend ihre Grenzenlosigkeit erkennen, sondern nur zugestehen, dass wir die hier etwa vorhandenen Grenzen nicht finden können.

28. Deshalb werden wir aus dem Zwecke, welchen Gott oder die Natur bei Herstellung der natürlichen Dinge sich vorgesetzt hat, keine Gründe in Betreff dieser entnehmen können. Denn wir können uns nicht anmassen, seine Absichten dabei zu wissen, sondern wir werden ihn nur als die wirkende Ursache aller Dinge betrachten und sehen, welche Schlüsse uns das von ihm empfangene natürliche Licht gestattet aus demjenigen seiner Attribute, von denen wir nach seinem Willen einige Kenntniss haben, in Betreff seiner in den Sinn fallenden Wirksamkeit zu ziehen. Wir werden jedoch dabei eingedenk bleiben, dass wir, wie erwähnt, diesem natürlichen Lichte nur so lange vertrauen, als nicht das Entgegengesetzte von Gott selbst offenbart ist.

29. Das erste Attribut Gottes, was hier in Betracht kommt, ist seine höchste Wahrhaftigkeit, und dass er uns das natürliche Licht gegeben. Er kann uns deshalb nicht betrügen noch die eigentliche und bejahende Ursache der[16] Irrthümer sein, denen wir uns ausgesetzt sehen. Denn wenn auch die Macht zu täuschen bei den Menschen als ein Beweis von Verstand gelten möchte, so geht doch der Wille zu täuschen nur aus Bosheit, Furcht oder Schwäche hervor und kann des halb in Gott nicht vorkommen.

30. Daraus folgt, dass das natürliche Licht oder das von Gott uns verliehene Erkenntnissvermögen niemals einen Gegenstand erfassen kann, der nicht, soweit er erfasst wird, d.h. soweit er klar und deutlich erkannt ist, wahr wäre. Denn Gott müsste mit Recht ein Betrüger genannt werden, wenn er uns jenes Vermögen so verkehrt gegeben hätte, dass er das Falsche für das Wahre nähme. Damit beseitigt sich jenes Hauptbedenken, wonach wir nicht wüssten, ob wir nicht vielleicht eine Natur hätten, die auch in dem, was am offenbarsten erscheint, getäuscht werde. Ja auch die übrigen früher erwähnten Zweifelsgründe lassen sich nach diesem Grundsatz leicht sämmtlich beseitigen. Denn es können uns nunmehr die mathematischen Wahrheiten nicht mehr als verdächtig vorkommen, da sie vollkommen deutlich sind. Und wenn wir auf das, was in den Wahrnehmungen im Wachen wie im Traume klar und deutlich ist, achten und dies von dem Verworrenen und Undeutlichen absondern, werden wir leicht erkennen, was bei jeder Sache für wahr zu halten sei. Ich brauche dies hier nicht weiter darzulegen, weil es in den metaphysischen Untersuchungen schon behandelt[17] worden ist, und die genauere Erklärung von dem Späteren abhängig ist.

31. Allein trotzdem dass Gott kein Betrüger ist, trifft es doch oft, dass wir getäuscht werden; um daher den Ursprung und die Ursache unserer Irrthümer zu erforschen und uns vor ihnen in Acht zu nehmen, ist festzuhalten, dass sie nicht sowohl von dem Verstande, sondern von dem Willen abhängen, und dass sie keine Dinge sind, zu deren Hervorbringung eine wirkliche Beihilfe Gottes erforderlich ist; vielmehr sind sie in Bezug auf ihn nur Verneinungen und in Bezug auf uns nur Mängel.

32. Alle Arten zu denken lassen sich nämlich auf zwei zurückführen; die eine enthält das Wissen oder die Wirksamkeit des Verstandes, die andere das Wollen oder die Wirksamkeit des Willens. Das Wahrnehmen, das bildliche Vorstellen und das reine Denken sind nur verschiedene Arten des Wissens, und das Begehren, Verneinen, Zweifeln sind verschiedene Arten des Wollens.

33. Wenn wir etwas vorstellen, so werden wir offenbar so lange nicht getäuscht, als wir darüber nichts bejahen oder verneinen; ebensowenig dann, wenn wir unser Bejahen oder Verneinen nur auf das klar und deutlich Erkannte beschränken; vielmehr kann die Täuschung nur eintreten, wenn wir über etwas urtheilen, obgleich wir es nicht recht erfasst haben.

34. Zum Urtheilen gehört zwar Verstand, weil man über eine Sache, die man auf keine Weise erfasst, nicht urtheilen kann; aber es ist dazu auch Wille erforderlich, um der vorgestellten Sache die Zustimmung zu ertheilen. Es ist dazu aber nicht die volle und erschöpfende[18] Erkenntniss der Sache erforderlich (wenigstens um irgend ein Urtheil zu fällen); denn man kann Vielem zustimmen, was man nur sehr verworren und dunkel vorstellt.

35. Dieses Vorstellen des Verstandes erstreckt sich nur auf das Wenige, was sich ihm darbietet, und ist immer sehr beschränkt. Dagegen kann der Wille gleichsam unbeschränkt genannt werden, weil auf Alles, was Gegenstand eines anderen Willens oder des unermesslichen Willens in Gott sein kann, auch unser Wille sich erstrecken kann. So erstrecken wir denselben leicht über das klar Erkannte hinaus, und es ist nicht zu verwundern, wenn wir dann in Irrthum gerathen.

36. Gott kann aber in keiner Weise als der Urheber unserer Irrthümer deshalb angenommen werden, weil er uns keinen allwissenden Verstand gegeben hat; denn die Endlichkeit gehört zur Natur des erschaffenen Verstandes, und als endlicher kann er sich nicht auf Alles erstrecken.

37. Dass aber der Wille so ausserordentlich weit sich erstreckt, entspricht auch seiner Natur, und es bildet die höchste Vollkommenheit im Menschen, dass er durch seinen Willen, d.h. frei handelt. Damit ist er gewissermassen der Urheber seiner Handlungen und kann deshalb gelobt werden. Denn die Automaten lobt man nicht wegen der genauen Ausführung aller Bewegungen, auf die sie eingerichtet sind, aber man lobt ihren Werkmeister wegen der genauen Verfertigung derselben, weil er dies nicht nothwendig, sondern freiwillig vollführt hat. Aus demselben Grunde ist es mehr unsere That, dass wir das Wahre erfassen, wenn wir es erfassen, weil wir es mit Willen thun, als wenn wir es erfassen müssten.

38. Dass wir aber in Irrthümer gerathen, ist ein Mangel in unserem Handeln oder in dem Gebrauche der Freiheit, und nicht ein Mangel in unserer Natur, da diese,[19] wenn wir falsch urtheilen, dieselbe ist, als wenn wir recht urtheilen. Und obgleich Gott unserer Seele so viel Scharfsinn zutheilen konnte, dass sie niemals geirrt hätte, so hatten wir doch kein Recht, dies von ihm zu verlangen. Denn obgleich unter den Menschen der, welcher die Macht hat, etwas Böses zu hindern, und dies nicht thut, deshalb als Ursache desselben gilt, so kann doch Gott deshalb, weil er bewirken konnte, dass wir niemals irrten, nicht als die Ursache unserer Irrthümer angesehen werden. Denn die Macht, die ein Mensch über andere hat, ist zu dem Zwecke da, dass er sie zur Verhinderung des Bösen gebrauche; aber die Macht, welche Gott über Alle hat, ist durchaus unbedingt und frei. Deshalb sind wir ihm für die uns verliehenen Güter den höchsten Dank schuldig; aber wir können uns nicht mit Recht dar über beklagen, dass er uns nicht Alles das gewährt hat, was er gewähren konnte.

39. Dass aber unser Wille frei ist, und wir nach Willkür Vielem zustimmen oder nicht zustimmen können, ist so offenbar, dass es zu den ersten und gemeinsten der uns angeborenen Begriffe zu zählen ist. Dies offenbarte sich eben jetzt, als wir in dem Bestreben, Alles zu bezweifeln, so weit gingen und annahmen, ein allmächtiger Urheber unseres Daseins versuche uns auf alle Weise zu täuschen. Trotzdem gewahrten wir unsere Freiheit, denn wir konnten uns enthalten, das Nicht-ganz-Gewisse und Ermittelte zu glauben, und nichts kann selbstverständlicher und offenbarer sein als das, was uns damals unzweifelhaft erschien.

40. Jetzt kennen wir Gott und nehmen in ihm eine so grosse Macht wahr, dass es Unrecht wäre, vorauszusetzen, dass je mal etwas von uns geschehen könne, was er vorher nicht bestimmt habe. Hier können wir leicht uns in grosse Schwierigkeiten verwickeln, wenn wir versuchen, diese Vorherbestimmung Gottes mit der Freiheit[20] unserer Willkür zu vereinigen und beide zugleich zu begreifen.

41. Aus diesen Schwierigkeiten können wir uns befreien, wenn wir bedenken, dass unsere Seele endlich ist, Gottes Macht aber, durch welche er Alles, was ist oder sein kann, nicht blos von Ewigkeit vorausgewusst, sondern auch gewollt und im Voraus angeordnet hat, unendlich. Deshalb erfassen wir diese zwar genügend, um klar und deutlich einzusehen, dass sie in Gott ist, aber wir begreifen sie nicht genügend, um zu verstehen, wie sie die freien Handlungen der Menschen unbestimmt lässt. Dagegen sind wir uns unserer Freiheit und Bestimmungslosigkeit so genau bewusst, dass wir nichts Anderes so klar und vollkommen begreifen. Denn es wäre verkehrt, deshalb, weil wir die eine Sache nicht begreifen, die ihrer Natur nach uns unbegreiflich bleiben muss, eine andere zu bezweifeln, die wir völlig begreifen und in uns wahrnehmen.

42. Wenn so alle unsere Irrthümer von dem Willen kommen, kann es wunderbar scheinen, dass wir überhaupt irren, weil Niemand irren mag. Alleinirren wollen, ist etwas ganz Anderes, als dem beistimmen wollen, in dem ein Irrthum stecken kann; und obgleich in Wahrheit Niemand ausdrücklich sich irren mag, so giebt es doch kaum Jemand, der nicht oft dem beistimmen mag, worin der[21] Irrthum ihm unbewusst enthalten ist. Gerade das Verlangen nach Wahrheit bewirkt oft, dass die, welche sie nicht recht zu gewinnen wissen, über Dinge urtheilen, die sie nicht verstehen, und dass sie so in Irrthum gerathen.

43. Sicherlich aber werden wir niemals etwas Falsches für wahr halten, wenn wir nur dem klar und deutlich Erkannten beistimmen. Ich sage sicherlich, weil Gott nicht trügerisch ist und deshalb das von ihm uns gegebene Vermögen zu erkennen, sich nicht nach dem Falschen wenden kann, so wenig wie das Vermögen zuzustimmen, soweit es sich nur auf das klar Erkannte erstreckt. Dies ist, auch wenn kein Grund es bewiese, Jedem von Natur seiner Seele so eingeprägt, dass wir, sobald wir etwas klar erkennen, von selbst ihm zustimmen und an seiner Wahrheit in keiner Weise zweifeln können.

44. Es ist auch gewiss, dass, wenn wir einem Grunde, den wir nicht verstehen, beistimmen, wir entweder irren oder die Wahrheit nur zufällig treffen, und deshalb es nicht wissen, dass wir in der Wahrheit sind. Indess stimmen wir nur selten dem zu, von dem wir bemerken, dass wir es nicht verstanden haben; denn das natürliche Licht gebietet uns, nur über Dinge zu urtheilen, die wir erkannt haben. Aber darin irren wir am meisten, dass wir von Vielem annehmen, es früher eingesehen zu haben, es im Gedächtniss als solches bewahren und ihm zustimmen, obgleich wir doch in Wahrheit es niemals verstanden haben.

45. Sehr viele Menschen erfassen in ihrem ganzen Leben überhaupt nichts so richtig, dass sie ein sicheres Urtheil darüber fällen könnten. Denn zu einer Erkenntniss, auf die ein sicheres und unzweifelhaftes Urtheil gestützt werden kann, gehört nicht blos Klarheit, sondern auch Deutlichkeit. Klar nenne ich die Erkenntniss, welche der aufmerkenden Seele gegenwärtig und offen ist, wie man das klar gesehen nennt, was dem schauenden Auge[22] gegenwärtig ist und dasselbe hinreichend kräftig und offen erregt. Deutlich nenne ich aber die Erkenntniss, welche in ihrer Klarheit von allem Anderen abgesondert und ausgetrennt ist, so dass sie nur Klares in sich enthält.

46. Wenn z.B. Jemand einen heftigen Schmerz fühlt, so ist die Wahrnehmung dieses Schmerzes ganz klar, aber nicht immer deutlich; denn gemeiniglich vermengen die Menschen sie mit ihrem dunkelen Urtheil über die Natur des Schmerzes, indem sie meinen, dass in dem schmerzenden Gliede etwas dem Gefühl des Schmerzes, den sie allein wahrnehmen, Aehnliches enthalten sei. So kann eine Vorstellung klar, aber undeutlich sein; aber jede deutliche ist auch klar.

47. In dem Kindesalter ist die Seele so in den Körper getaucht, dass sie zwar Vieles klar, aber nicht deutlich erkennt; dessenungeachtet urtheilt sie über Vieles, und daher kommt die Menge von Vorurtheilen, die von den Meisten niemals abgelegt werden. Damit wir indess uns derselben entledigen können, will ich hier summarisch alle einfachen Begriffe aufzählen, aus denen unsere Gedanken sich zusammensetzen, und zeigen, was in den einzelnen klar und was dunkel ist, oder worin wir irren können.[23]

48. Alles von uns Vorgestellte nehmen wir entweder als Ding oder als den Zustand eines Dinges oder als eine ewige Wahrheit, die nur in unserem Denken besteht. Von denen, die wir als Dinge nehmen, sind die allgemeinsten die Substanz, die Dauer, die Ordnung, die Zahl und was sonst noch sich auf alle Arten der Dinge erstreckt. Ich erkenne aber nur zwei oberste Arten von Dingen an: die der geistigen oder denkenden Dinge, d.h. die, welche zur Seele oder zur denkenden Substanz gehören, und die der körperlichen Dinge oder der zur ausgedehnten Substanz, d.h. zu dem Körper gehörenden. Die Vorstellung, der Wille und alle Zustände des Vorstellens und Willens gehören zur denkenden Substanz; dagegen gehört zur ausgedehnten die Grösse oder die Ausdehnung in Länge, Breite und Tiefe, die Gestalt, die Bewegung, die Lage, die Theilbarkeit der einzelnen Theile und Aehnliches. Dagegen treffen wir in uns auch anderes, was sich nicht blos auf die Seele und nicht blos auf den Körper bezieht, und was, wie später gezeigt werden wird, von der ewigen und innigen Verbindung der Seele mit dem Körper herkommt, nämlich die Begehren des Hungers, des Durstes u.s.w.; ebenso die Erregungen oder Gefühle der Seele, die nicht in blossem Denken bestehen, wie die Erregung des Zornes, der Fröhlichkeit, der Traurigkeit, der Liebe u.s.w.; endlich alle Empfindungen, wie die des Schmerzes, des Kitzels, des Lichtes und der Farben, der Töne, der Gerüche, der Geschmäcke, der Wärme, der Härte und anderer solcher Eigenschaften.

49. Dieses Alles nehmen wir als Dinge oder als Eigenschaften oder Zustände der Dinge wahr. Wenn wir aber anerkennen, dass aus Nichts nicht Etwas werden kann, dann gilt der Satz: Aus Nichts wird Nichts, nicht als ein bestehendes Ding und auch nicht als Zustand eines Dinges, sondern als eine ewige Wahrheit, welche in unserer Seele ihren Sitz hat und ein Gemeinbegriff oder ein Axiom genannt wird Von dieser Art sind die Sätze: Es ist unmöglich, dass Dasselbe zugleich ist und nicht ist; das Geschehene kann nicht ungeschehen werden; wer denkt, muss,[24] während er denkt, sein, und unzählige andere Sätze, die nicht wohl alle aufgezählt werden können, aber doch gekannt sein müssen, wenn die Gelegenheit kommt, an sie zu denken und durch keine Vorurtheile sich verblenden zu lassen.

50. Diese Gemeinbegriffe müssen offenbar klar und deutlich erkannt werden können, denn sonst könnten sie nicht Gemeinbegriffe heissen; wie denn auch in Wahrheit einzelne derselben nicht bei Allen diesen Namen verdienen, da sie nicht von Allen gleich erkannt werden; nicht deshalb etwa, weil das Erkenntnissvermögen bei dem einen Menschen sich weiter als bei dem anderen erstreckt, sondern weil zufällig diese Gemeinbegriffe mit den vorgefassten Meinungen Einzelner sich nicht vertragen, und diese deshalb sie nicht leicht fassen können, obgleich Andere, die von diesen Vorurtheilen frei sind, sie auf das Klarste erfassen.

51. Was dagegen das anlangt, was uns als Ding oder dessen Zustand gilt, so ist es der Mühe werth, es einzeln für sich zu betrachten. Unter Substanz können wir nur ein Ding verstehen, das so besteht, dass es zu seinem Bestehen keines anderen Dinges bedarf; und eine Substanz, die durchaus keines anderen Dinges bedarf, kann nur als eine einzige bestehen, nämlich als Gott. Alle anderen aber können, wie wir einsehen, nur mit Gottes Beistand bestehen. Deshalb gebührt der Name Substanz Gott und den übrigen Dingen nicht in gleichem Sinne, univoce, wie man in den Schulen sagt, d.h. es giebt keine deutlich[25] einzusehende Bedeutung dieses Wortes, welche Gott und den Geschöpfen gemeinsam ist.

52. Dagegen können die körperliche Substanz und die Seele oder die denkende Substanz, als geschaffen, unter einem gemeinsamen Begriff gefasst werden, weil sie Dinge sind, die blos Gottes Beistand zu ihrem Dasein bedürfen. Indess kann die Substanz nicht gleich daraus allein erkannt werden, dass sie ein daseiendes Ding ist, weil dieses Allein für sich uns nicht bemerkbar ist; aber wir erkennen sie leicht aus jedem ihrer Attribute in Folge jenes Gemeinbegriffs, dass das Nichts keine Attribute, keine Eigenschaften und keine Eigenthümlichkeiten hat. Denn daraus, dass wir die Gegenwart eines Attributs wahrnehmen, schliessen wir, dass irgend ein bestehendes Ding oder eine Substanz, dem jenes zugetheilt werden kann, nothwendig da sein müsse.

53. Nun wird allerdings aus jedem Attribut die Substanz erkannt, aber es giebt doch für jede Substanz eine vorzügliche Eigenschaft, welche ihre Natur und ihr Wesen bildet, und auf die alle anderen bezogen werden. Nämlich die Ausdehnung in die Länge, Breite und Tiefe bildet die[26] Natur der körperlichen Substanz, und das Denken bildet die Natur der denkenden Substanz. Denn Alles, was sonst dem Körper zugetheilt werden kann, setzt die Ausdehnung voraus und ist nur ein Zustand der ausgedehnten Sache; ebenso ist Alles, was man in der Seele antrifft, nur ein besonderer Zustand des Denkens. So kann z.B. die Gestalt nur an einer ausgedehnten Sache vorgestellt werden; ebenso die Bewegung nur in einem ausgedehnten Raume; ebenso das bildliche Vorstellen, das Wahrnehmen und der Wille nur in einem denkenden Dinge. Dagegen kann die Ausdehnung ohne Gestalt und Bewegung vorgestellt werden, und das Denken ohne bildliches Vorstellen oder Wahrnehmen; dasselbe gilt für das Uebrige, wie jedem Aufmerksamen klar ist.[27]

54. So haben wir also zwei klare und deutliche Begriffe oder Vorstellungen; die eine von einer erschaffenen denkenden Substanz, die andere von einer körperlichen Substanz; wenn wir nämlich alle Attribute des Denkens genau von den Attributen der Ausdehnung unterscheiden. Wir können selbst die klare und deutliche Vorstellung einer denkenden, unerschaffenen und unabhängigen Substanz haben, d.h. Gottes; nur dürfen wir nicht glauben, dass sie Alles, was in Gott ist, angemessen darbiete, auch dürfen wir in sie nichts hineinlegen, sondern nur das auffassen, was sie in Wahrheit enthält, und von dem wir klar einsehen, dass es zur Natur eines höchst vollkommenen Wesens gehört. Niemand wird sicherlich das Dasein einer solchen Vorstellung von Gott in uns bestreiten, er müsste denn gar keine Kenntniss von Gott in den menschlichen Seelen annehmen.

55. Die Dauer, die Ordnung und die Zahl werden ebenfalls ganz deutlich von uns vorgestellt, wenn wir ihnen nicht den Begriff einer Substanz einfügen, sondern die Dauer eines Dinges nur als den Zustand nehmen, unter dem wir die Sache, sofern sie zu sein fortfährt, vorstellen. Aehnlich ist die Ordnung und die Zahl nichts Besonderes neben den geordneten und gezählten Dingen, sondern es sind nur Zustände, unter denen wir diese betrachten.

56. Wir verstehen hier unter »Zustand« ganz das selbe wie anderwärts unter »Attribut« und »Eigenschaft«. Wenn wir indess vorstellen, dass die Substanz von ihnen erregt oder verändert wird, nennen wir sie Zustand;[28] wenn die Substanz durch diese Veränderung eine »solche« genannt werden kann, nennen wir sie Eigenschaft; und endlich nennen wir sie Attribut, wenn wir nur im Allgemeinen beachten, dass es der Substanz innewohnt. Deshalb sagen wir, dass in Gott nicht eigentlich Zustände und Eigenschaften, sondern nur Attribute sind, weil in ihm keine Veränderung vorgestellt werden kann. Auch bei den erschaffenen Dingen muss das, was sich in ihnen nie auf verschiedene Weise verhält, wie das Dasein und die Dauer, in einer bestehenden und dauernden Sache nicht Eigenschaft oder Zustand, sondern Attribut genannt werden.

57. Diese Attribute und Zustände in den Dingen selbst, von denen sie ausgesagt werden, sind verschieden von denen in unserem blossen Denken. Wenn wir z.B. die Zeit von der Dauer überhaupt unterscheiden und sagen, sie sei die Zahl der Bewegungen, so ist dies nur ein Zustand des Denkens; denn wir bemerken fürwahr in der Bewegung keine andere Dauer als in den nicht bewegten Dingen, wie daraus erhellt, dass, wenn zwei Körper sich, der eine schnell, der andere langsam, eine Stunde lang bewegen, wir nicht mehr Zeit in dem einen als in dem andern zählen, obgleich in dem einen viel mehr Bewegung ist. Um aber die Dauer aller Dinge zu messen, vergleichen wir sie mit der Dauer jener grössten und gleichmässigsten Bewegung, von welcher die Jahre und Tage kommen, und nennen diese Dauer die Zeit. Dies fügt der allgemein gefassten Dauer nur einen Zustand des Denkens hinzu.[29]

58. So ist auch die Zahl nur ein Zustand des Denkens, wenn man sie nicht in den erschaffenen Dingen, sondern blos abstrakt oder in ihrer Art betrachtet. Dies gilt von Allem, was man die Universalien nennt.

59. Diese Universalien entstehen nur daraus, dass man sich einer und derselben Vorstellung bedient, um alle einzelnen, die einander ähnlich sind, zu denken. Deshalb geben wir auch denselben Namen allen durch diese Vorstellung befassten Gegenständen, und dieser Name ist das Universale. Wenn wir z.B. zwei Steine sehen und nicht auf ihre Eigenthümlichkeit, sondern nur darauf achten, dass es zwei sind, so bilden wir die Vorstellung dieser Zahl, welche wir die Zwei nennen. Sehen wir später zwei Vögel oder zwei Bäume und beachten ihre Natur weiter nicht, sondern nur, dass sie zwei sind, so treffen wir die frühere Vorstellung, die deshalb universal ist, und wir nennen diese Zahl mit demselben universellen Wort Zwei. Ebenso bilden wir bei Betrachtung einer aus drei Linien bestehenden Figur eine gewisse Vorstellung davon, welche wir die Vorstellung des Dreiecks nennen, und bedienen uns später derselben als einer universellen, um alle anderen durch drei Linien eingeschlossenen Figuren unserer Seele damit darzubieten. Ebenso bilden wir, wenn wir bemerken, dass unter den Dreiecken manche einen rechten Winkel haben, und andere nicht, die universale Vorstellung eines rechtwinkligen Dreiecks, welche in Beziehung auf die vorgängige allgemeinere die Art genannt wird. Diese Rechtwinkligkeit ist ein universaler Unterschied, wodurch sich alle rechtwinkligen Dreiecke von den übrigen unterscheiden. Und dass das Quadrat der Grundlinie den Quadraten der Seiten gleich ist, ist eine Eigenthümlichkeit, die ihnen allen nur allein zukommt. Nehmen wir endlich an, dass einzelne dieser Dreiecke sich bewegen, andere nicht, so wird dies in ihnen ein universales Accidenz sein. Auf diese Weise werden gemeiniglich fünf Universalien angenommen: die [30] Gattung, die Art, der Unterschied, das Eigenthümliche und das Accidenz.

60. Die Zahl in den Dingen selbst entsteht aus deren Unterschied, welcher dreifach ist: der reale, der modale und der der Beziehung. Ein realer Unterschied ist eigentlich nur unter zwei oder mehr Substanzen; wir erkennen, dass diese real von einander unterschieden sind, blos weil wir die eine ohne die andere klar und deutlich einsehen können. Denn durch die Kenntniss Gottes sind wir sicher, dass er das bewirken kann, was wir klar einsehen. Wenn wir also z.B. die Vorstellung einer ausgedehnten oder körperlichen Substanz haben, so sind wir, wenn wir auch noch nicht wissen, ob irgend eine solche Substanz wirklich besteht, doch gewiss, dass sie bestehen kann, und dass, wenn sie besteht, jeder Theil derselben, der von uns besonders gedacht wird, auch real von den andern Theilen dieser Substanz unterschieden ist. Ebenso[31] ist es daraus allein, dass Jeder sich als eine denkende Substanz erkennt und im Denken jede andere denkende oder ausgedehnte Substanz von sich ausschliessen kann, gewiss, dass Jeder, so aufgefasst, sich auch wirklich (realiter) von jeder anderen denkenden und körperlichen Substanz unterscheidet. Und wenn wir auch annehmen, dass Gott mit einer solchen denkenden Substanz eine körperliche Substanz so eng als möglich verbunden habe, und so beide in Eins zusammengeflossen seien, so bleiben beide doch wirklich verschieden. Denn wenn Gott sie auch noch so eng verbunden hat, so kann er sich doch nicht der früheren Macht entkleiden, sie zu trennen oder eine ohne die andere zu erhalten; was aber von Gott getrennt oder besonders erhalten werden kann, ist auch wirklich unterschieden.

61. Der modale Unterschied ist ein zwiefacher. Der eine ist der Unterschied zwischen dem eigentlichen Zustand und der Substanz, deren Zustand sie ist; der andere zwischen zwei Zuständen derselben Substanz. Der erste wird daraus erkannt, dass man die Substanz klar und deutlich ohne den als unterschieden von ihr benannten Zustand vorstellen kann, aber dass man nicht umgekehrt den Zustand ohne die Substanz vorstellen kann. So unterscheiden sich z.B. die Gestalt und die Bewegung modal von der Substanz, der sie einwohnen; ebenso das Bejahen und Erinnern von der Seele. Der andere modale Unterschied wird daraus erkannt, dass man einen Zustand ohne den andern wechselweise vorstellen kann, aber keinen ohne die Substanz, der sie einwohnen. So kann ich z.B. bei einem bewegten viereckigen Steine seine viereckige Gestalt ohne Bewegung vorstellen und umgekehrt seine Bewegung ohne seine viereckige Gestalt, aber ich kann mir weder jene Bewegung noch jene Gestalt ohne die Substanz des Steines vorstellen. Dagegen ist der Unterschied zwischen dem Zustand der einen Substanz und[32] einer anderen Substanz oder zwischen dem Zustand einer anderen Substanz, wie z.B. der Unterschied der Bewegung des einen Körpers von einem anderen Körper oder von einer Seele, oder der Unterschied zwischen der Bewegung und dem Zweifel eher real als modal zu nennen, weil jene Zustände ohne real unterschiedene Substanzen, deren Zustände sie sind, nicht klar aufgefasst werden können.

62. Der Beziehungsunterschied besteht zwischen der Substanz und einem ihrer Attribute, ohne die sie selbst nicht aufgefasst werden kann, oder zwischen zwei solchen Attributen einer Substanz. Man erkennt ihn daran, dass man keine klare und deutliche Vorstellung dieser Substanz bilden kann, wenn man dies Attribut davon ausschliesst, oder dass man das eine Attribut, getrennt von dem anderen, nicht klar auffassen kann. So hört z.B. jede Substanz, wenn sie zu dauern aufhört, auch zu sein auf, und sie wird deshalb nur in dem Denken von ihrer Dauer unterschieden. So unterscheiden sich auch alle Zustände des Denkens, deren Inhalt wir in die Gegenstände verlegen, nur der Beziehung nach von den Gegenständen, von denen sie gedacht werden, und von einander in ein und demselben Gegenstande. Ich entsinne mich allerdings, dass ich anderwärts diesen Unterschied mit dem modalen als einen behandelt habe, nämlich am Schluss der Antwort auf die ersten Einwürfe gegen die Untersuchungen über die Grundlagen der Philosophie; allein dort war nicht der Ort, sie genauer zu erörtern, und es genügte dort für meinen Zweck, beide von dem realen Unterschiede abzusondern.[33]

63. Das Denken und die Ausdehnung können als das angesehen werden, was die Natur der denkenden und körperlichen Substanz ausmacht; sie dürfen auch dann nicht anders aufgefasst werden, als wie die denkende und die ausgedehnte Substanz selbst, d.h. nur als Seele oder Körper; auf diese Art werden sie am klarsten und deutlichsten aufgefasst. Man fasst auch die ausgedehnte oder denkende Substanz leichter auf als die Substanz allein, mit Weglassung des Denkens oder der Ausdehnung. Denn es hält etwas schwer, den Begriff der Substanz von den Begriffen des Denkens und der Ausdehnung abzutrennen, da letztere von jener nur im Denken zu unterscheiden sind, und ein Begriff wird deshalb nicht deutlicher, dass man weniger in ihm befasst, sondern dadurch, dass man das darin Befasste von allem Anderen genau unterscheidet.

64. Das Denken und die Ausdehnung können auch als Zustände der Substanz genommen werden, insofern nämlich dieselbe Seele verschiedene Gedanken haben kann, und derselbe Körper ohne Veränderung seiner Grösse sich in verschiedener Weise ausdehnen kann; bald mehr in die Länge, bald mehr in die Breite, bald mehr in die Tiefe und bald darauf wieder umgekehrt mehr in die Breite als in die Länge. In solchem Falle werden sie modal von der Substanz unterschieden und können ebenso klar und deutlich wie die Substanz aufgefasst werden, wenn sie nur nicht als Substanzen oder von einander getrennte Dinge, sondern als Zustände derselben betrachtet werden. Denn dadurch, dass wir sie selbst in den Substanzen,[34] deren Zustände sie sind, betrachten, unterscheiden wir sie von diesen Substanzen und erkennen, was sie in Wahrheit sind. Wollten wir dagegen umgekehrt sie ohne die Substanzen, denen sie innewohnen, betrachten, so würden wir sie wie für sich bestehende Dinge auffassen und so die Vorstellungen der Zustände und der Substanzen vermengen.

65. Ebenso werden die verschiedenen Zustände des Denkens, wie das Erkennen, das bildliche Vorstellen, das Erinnern, das Wollen u. s. w, ferner die verschiedenen Zustände der Ausdehnung oder solche, die sich darauf beziehen, wie alle Gestalten und die Lagen der Theile und deren Bewegung, am besten aufgefasst, wenn sie nur als Zustände der Dinge, denen sie einwohnen, aufgefasst werden, und wenn bei der Bewegung nur die örtliche darunter verstanden wird, und über die Kraft, von der sie verursacht wird (die ich indess am passenden Orte zu erklären versuchen werde), nichts entschieden wird.

66. Es bleiben noch die Wahrnehmungen, die Gefühle und die Begehren, die man zwar auch klar erfassen kann, wenn man sich genau vorsieht und gerade nur das über sie ausspricht, was in unserem Vorstellen darüber enthalten ist, und dessen wir vollständig bewusst sind. Indess ist es sehr schwer, dies innezuhalten, weil wir Alle von Kindheit ab vorausgesetzt haben, dass alles Wahrgenommene ein ausserhalb der Seele bestehender Gegenstand sei, der seiner sinnlichen Wahrnehmung, d.h. seiner Vorstellung, ganz ähnlich sei. Wenn wir z.B. eine Farbe sahen, meinten wir eine ausser uns befindliche und eine der Vorstellung dieser von uns wahrgenommenen Farbe ganz ähnliche Sache zu sehen und in Folge der Gewohnheit so zu urtheilen, glaubten wir diese Sache so klar und[35] deutlich zu sehen, dass sie uns für gewiss und zweifellos galt.

67. Ganz ebenso verhält es sich mit allem Wahrgenommenen, auch mit der Lust und dem Schmerze. Denn wenn auch diese letzten nicht ausserhalb unserer verlegt werden, so werden sie doch nicht in die Seele oder in unsere Vorstellung allein gesetzt, sondern in die Hand oder in den Fuss oder in einen anderen Theil unseres Körpers. Es ist aber durchaus nicht sicherer, dass der z.B. in dem Fusse gefühlte Schmerz etwas ausserhalb unserer Seele sei und in dem Fusse sich befinde, als dass das in der Sonne gesehene Licht auch in der Sonne sich befinde; vielmehr sind beides Vorurtheile aus unserer Kinderzeit, wie unten sich klar ergeben wird.

68. Um aber hier das Klare von dem Dunkeln zu sondern, ist sorgsam zu beachten, dass der Schmerz und die Farbe und Aehnliches nur klar und deutlich aufgefasst werden, wenn sie nur als Wahrnehmungen oder Gedanken gelten; sobald sie aber als Dinge ausserhalb unserer Seele genommen werden, so kann man sich durchaus nicht vorstellen, welcher Art sie sind; vielmehr ist es, wenn Jemand sagt, er sehe an einem Körper eine Farbe oder fühle in einem Gliede einen Schmerz ebenso, als wenn er sagte, dass er dort zwar etwas sehe oder fühle, aber was es sei, wisse er nicht, d.h. dass er nicht wisse, was er sehe oder fühle. Allerdings meint man bei geringer Aufmerksamkeit leicht, davon einige Kenntniss zu haben, weil man meint, es sei etwas der innerlichen Wahrnehmungsvorstellung jener Farbe oder jenes Schmerzes Aehnliches; untersucht man aber, was jene Wahrnehmung der Farbe oder des Schmerzes in dem angeblich gefärbten Körper oder schmerzenden Gliede vorstellt, so bemerkt man seine gänzliche Unwissenheit.[36]

69. Namentlich, wenn man bedenkt, dass man auf ganz andere Weise erkennt, was in dem gesehenen Körper die Grösse, die Gestalt oder Bewegung (wenigstens die örtliche; denn die Philosophen haben sich noch gewisse andere, von der örtlichen verschiedene Bewegungen erdacht und dadurch das Verständniss ihrer Natur sich erschwert) oder die Lage oder die Dauer oder die Zahl und Aehnliches ist, deren klare Auffassung bei den Körpern schon früher erwähnt worden, als was in demselben Körper die Farbe oder der Schmerz oder der Geruch oder der Geschmack oder anderes auf die sinnliche Wahrnehmung Bezügliches ist; denn wenngleich wir bei dem Anblick eines Körpers seines Daseins ebenso deshalb gewiss sind, weil er gestaltet, als weil er farbig erscheint, so erkennen wir doch viel offenbarer, was so gestaltet an ihm ist, als was seine Färbung ist.

70. Es ist also offenbar sachlich dasselbe, ob wir sagen, wir nehmen die Farben in den Gegenständen wahr, als wenn wir sagen, dass wir in den Gegenständen etwas wahrnehmen, von dem wir zwar nicht wissen, was es ist, aber was in uns eine sehr klare und bestimmte Empfindung bewirkt, welche die Empfindung der Farbe genannt wird. In dem Urtheil darüber ist es aber ein grosser Unterschied, ob wir nur urtheilen, dass in den Gegenständen (d.h. in den Dingen, welcher Beschaffenheit sie auch sind, von denen diese Empfindung in uns ausgeht) etwas ist, was wir aber nicht kennen, in welchem Falle wir vor allem Irrthum geschützt sind, ja selbst dem Irrthum vorbeugen, indem wir durch die Bemerkung unserer[37] Unwissenheit weniger zu voreiligen Urtheilen neigen; oder ob wir behaupten, die Farben an den Gegenständen wahrzunehmen, obgleich wir nicht wissen, was das mit Farbe Bezeichnete ist, und keine Aehnlichkeit zwischen der in dem Gegenstande vorausgesetzten Farbe und der in der Wahrnehmung empfundenen eingesehen werden kann. Dann gerathen wir leicht in den Irrthum, im Falle wir dies nicht beachten, da auch vieles Andere, wie die Grösse, die Gestalt, die Zahl u.s.w., die wir klar erfassen, doch von uns nicht anders wahrgenommen oder angesehen werden können, als dass sie in dem Gegenstande sind oder wenigstens sein können, und wir dann urtheilen, dass die Farbe in dem Gegenstande der empfundenen Farbe ganz ähnlich sei, und meinen das, was wir durchaus nicht erfassen, doch klar zu erfassen.

71. Dies kann man als die erste und Hauptursache aller Irrthümer ansehen. Denn in der Kindheit war unsere Seele so eng mit dem Körper verbunden, dass sie nur solchen Gedanken Raum gab, durch welche sie das wahrnahm, was den Körper anregte; ja sie bezog sie nicht einmal auf etwas ausserhalb Befindliches, sondern sie fühlte nur Schmerz, wenn dem Körper etwas Nachtheiliges begegnete, oder Lust, wenn etwas Nützliches. Wurde dagegen der Körper weder erheblich zum Vortheil noch zum Nachtheil erregt, so hatte die Seele je nach den Orten und der Art der Erregung verschiedene Empfindungen, wie sie die Empfindungen des Geschmacks, Geruchs, der Töne, der Wärme, der Kälte, des Lichts, der Farben und dergleichen genannt werden, die nichts ausserhalb des Denkens Befindliches vorstellen. Zugleich erfasste sie auch die Grössen, die Gestalten, Bewegungen und Aehnliches, was der Seele nicht als Empfindungen, sondern als gewisse Dinge oder Zustände derselben sich bot, die ausserhalb des Denkens bestanden oder wenigstens bestehen konnten, obgleich sie diesen Unterschied derselben noch nicht bemerkte. Als dann in Folge der Einrichtung des Körpers, wonach er durch seine eigene Kraft sich mannichfach bewegen kann, er bei einer solchen unwillkürlichen Bewegung zufällig einen Vortheil erlangte oder einem Nachtheil entging, begann die ihm innewohnende Seele zu bemerken, dass das Erstrebte oder Geflohene ausserhalb ihrer sei, und theilte demselben nicht[38] blos die Grössen, die Gestalten, die Bewegungen und Aehnliches zu, was sie als Dinge oder Zustände der Dinge auffasste, sondern auch die Geschmäcke, die Gerüche und das Uebrige, von dem sie bemerkte, dass es die Empfindung in ihr bewirke. Indem sie Alles auf den Vortheil ihres Körpers bezog, worin sie sich befand, nahm sie in jedem Gegenstande, der sie erregte, mehr oder weniger Realität an, je nachdem sie mehr oder weniger von ihm erregt wurde. Deshalb galten ihr die Felsen und Metalle für mehr Substanz oder Körperlichkeit als das Wasser und die Luft; denn sie fühlte mehr Härte und Schwere in jenen; ja sie achtete die Luft für Nichts, so lange sie keine Kälte oder Wärme in ihr wahrnahm; und weil von den Sternen das Licht ihr nicht stärker glänzte als von der kleinen Flamme einer Laterne, so stellte sie sich diese Sterne nicht grösser als diese Flammen vor. Und weil sie nicht sah, dass die Erde sich im Kreise dreht, und dass ihre Oberfläche sich zu einer Kugel krümmt, so neigte sie mehr dazu, sie für unbeweglich und ihre Oberfläche für eben zu halten. Und so wird unsere Seele von Kindheit an noch mit tausend anderen Vorurtheilen beladen, von denen mau später auch nicht mehr entsinnt, dass sie ohne genügende Prüfung angenommen worden sind, sondern die man als wahrgenommen oder von Natur so mitgetheilt für das Wahrste und Unzweifelhafteste hält.

72. Wenn nun auch die Seele in unseren Jähren, wo sie dem Körper nicht mehr ganz dient und nicht Alles auf ihn bezieht, sondern auch die Wahrheit der Dinge au sich selbst untersucht, vieles früher so Angenommene für falsch erkennt, so beseitigt sie dies doch nicht leicht aus dem Gedächtniss, und so können diese Vorurtheile, so lange sie darin hängen bleiben, mancherlei Irrthümer verursachen. So wird es uns z.B. sehr schwer, die Sterne, die wir uns in der Kindheit als sehr klein vorgestellt haben, nun anders als früher vorzustellen, obgleich die astronomischen Gründe uns klar lehren, dass sie sehr gross sind; so mächtig ist die vorgefasste Meinung.

73. Ueberdies kann unsere Seele nicht ohne Schwierigkeit und Ermüdung auf Alles Acht haben, und am schwersten wird ihr dies bei dem, was den Sinnen oder dem bildlichen Vorstellen nicht gegenwärtig ist, sei es, dass dies von ihrer Verbindung mit dem Körper herrührt,[39] oder dass sie in der Kindheit, wo sie nur mit Sinnlichem und bildlich Vorgestelltem sich beschäftigte, im Denken über diese Dinge mehr Uebung und Leichtigkeit erlangt hat als über Anderes. Deshalb können Viele keine andere Substanz sich vorstellen als eine bildliche, körperliche und sinnliche. Sie wissen nicht, dass nur das, was aus Bewegung, Gestalt und Ausdehnung besteht, bildlich vorstellbar ist, obgleich noch vieles Andere erkennbar ist; sie meinen, es gäbe nur Körper, und jeder Körper sei auch wahrnehmbar. Da nun in Wahrheit keine Sache, wie sie ist, mit dem Sinn allein erfasst wird, was unten klar dargelegt werden wird, so kommt es, dass die Meisten während ihres ganzen Lebens nur verworrene Vorstellungen haben.

74. Endlich knüpfen wir des Sprechens wegen alle unsere Begriffe an Worte, durch die wir sie ausdrücken, und wir behalten sie nur mit diesen Worten im Gedächtniss. Später entsinnen wir uns aber leichter der Worte als der Dinge und haben deshalb von keiner Sache einen so deutlichen Begriff, dass wir ihn von der Vorstellung der Worte gänzlich trennen; deshalb bewegt sich das Denken der meisten Menschen mehr in Worten als in Sachen, so dass sie den Worten, obgleich sie sie nicht verstanden haben, oft beistimmen; denn sie meinen, sie früher verstanden öder von Anderen, die sie richtig verstanden, gehört zu haben. Obgleich dies Alles noch nicht genau dargelegt werden kann, weil die Natur des menschlichen Körpers noch nicht erklärt, und das Dasein der Körper überhaupt noch nicht bewiesen ist, so kann es doch insoweit eingesehen werden, als nöthig ist, um die klaren und deutlichen Begriffe von den dunkelen und verworrenen zu unterscheiden.

75. Um ernstlich zu philosophiren und die Wahrheit aller erkennbaren Dinge aufzusuchen, müssen deshalb zunächst alle Vorurtheile abgelegt werden, d.h. man muss sich vorsehen und den früher angenommenen Ansichten nicht vertrauen, bevor sie nicht einer neuen Prüfling unterworfen und als wahr erkannt worden sind. Dann ist der Reihe nach auf die Begriffe zu achten, die wir in uns haben, und nur die, welche bei solcher Prüfung als klare und deutliche erkannt werden, aber auch diese sämmtlich, sind für wahr zu halten. Bei diesem Geschäft werden[40] wir zunächst bemerken, dass wir sind, soweit wir denkender Natur sind; ferner, dass Gott ist, dass wir von ihm abhängen, und dass aus der Betrachtung seiner Attribute die Wahrheit der übrigen Dinge kann erforscht werden, weil er ihre Ursache ist; endlich, dass ausser den Vorstellungen Gottes und unserer Seele in uns auch die Kenntniss vieler Sätze von ewiger Wahrheit bestehen, z.B. dass aus Nichts Nichts wird u.s.w.; ferner die Kenntniss der körperlichen, d.h. ausgedehnten, theilbaren, beweglichen Natur u.s.w.; ferner einiger uns erregenden Empfindungen, wie des Schmerzes, der Farben, der Geschmäcke u.s.w., obgleich wir noch nicht die Ursache kennen, weshalb sie uns so erregen. Indem wir das mit unseren früheren Gedanken vergleichen, werden wir die Fertigkeit erlangen, von allen erkennbaren Dingen klare und deutliche Begriffe zu bilden. – In diesem Wenigen scheinen mir die Hauptsätze der menschlichen Erkenntniss enthalten zu sein.

76. Vor Allem aber haben wir unserem Gedächtniss als oberste Regel einzuprägen, dass das, was Gott uns offenbart hat, als das Gewisseste von Allem zu glauben ist. Wenn daher auch das Licht der Vernunft etwas Anderes noch so klar und überzeugend uns zuführt, so sollen wir doch nur der göttlichen Autorität, nicht unserem eigenen Urtheil vertrauen. Aber in Dingen, wo der göttliche Glaube uns nicht belehrt, ziemt es dem Philosophen nicht, etwas für wahr zu halten, was er nicht als wahr erkannt hat, und den Sinnen, d.h. den unbedachten Urtheilen[41] seiner Kindheit, mehr zu trauen als der gereiften Vernunft.

Quelle:
René Descartes' philosophische Werke. Abteilung 3, Berlin 1870, S. 3-42.
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