Definitionen.

[124] 1. Unter dem Namen Denken befasse ich Alles, was so in uns ist, dass wir dessen uns unmittelbar bewusst sind. Deshalb ist jedes Wollen, Einsehen, bildliche Vorstellen[124] und sinnliche Wahrnehmen ein Denken. Ich habe[125] »unmittelbar« beigefügt, um das auszuschliessen, was erst[126] daraus folgt. So hat die willkürliche Bewegung zwar das[127] Denken zu ihrem Ausgangspunkte, aber ist nicht selbst ein Denken.

2. Vorstellung nenne ich jene Form irgend eines Gedankens, durch deren unmittelbare Erfassung ich dieses Gedankens selbst bewusst bin. So kann ich nichts mit Worten ausdrücken, wenn ich nämlich weiss, was ich spreche, ohne dass nicht daraus offenbar erhellt, dass eine Vorstellung von dem, was jene Worte bezeichnen, in mir ist. Deshalb nenne ich nicht blos die in der Phantasie eingezeichneten Bilder Vorstellungen; ja ich nenne sie keineswegs Vorstellungen, soweit sie nur in der körperlichen[128] Phantasie, d.h. in einem Theile des Gehirns eingezeichnet sind, sondern nur soweit sie die auf diesen Theil des Gehirns gerichtete Seele selbst unterrichten.

3. Unter »gegenständlicher (objektiver) Realität der Vorstellung« verstehe ich das Sein des durch die Vorstellung dargestellten Dinges, sofern dieses Sein in der Vorstellung ist. In diesem Sinne kann auch von einer gegenständlichen Vollkommenheit und von einem gegenständlichen Kunstwerk u.s.w. gesprochen werden. Denn Alles, was wir wahrnehmen, als in den Gegenständen der Vorstellungen befindlich, das ist in deren Vorstellungen »gegenständlich«.

4. Man sagt, dass dies »formal« in den Gegenständen der Vorstellungen ist, wenn es so in denselben ist, wie wir es erfassen; und dass es in »höherem Maasse« darin ist, wenn es zwar nicht in gleicher Art, aber doch in dem Grade darin ist, dass es die Stelle jenes vertreten kann.[129]

5. Jedes Ding, dem unmittelbar, wie dem Subjekte, etwas innewohnt, oder durch das etwas besteht, was wir wahrnehmen, d.h. eine Eigenschaft oder Beschaffenheit oder ein Attribut, dessen reale Vorstellung in uns ist, heisst Substanz. Denn wir haben von der Substanz im strengen Sinn keine andere Vorstellung, als dass es ein Ding ist, in welchem formal oder in höherem Maasse (eminenter) das besteht, was wir wahrnehmen, oder was gegenständlich in einer unserer Vorstellungen ist. Denn das natürliche Licht lehrt, dass das Nichts kein reales Attribut haben kann.

6. Die Substanz, welcher unmittelbar das Denken einwohnt, ist die Seele. Ich brauche hier das Wort Seele (mens) statt des Wortes Lebensprinzip (anima), weil dieses zweideutig ist und oft für körperliche Dinge gebraucht wird.

7. Die Substanz, welche das unmittelbare Subjekt der räumlichen Ausdehnung und der Accidenzen ist, welche die Ausdehnung voraussetzen, wie Gestalt, Länge, Ortsbewegung, heisst Körper. Ob das, was Seele und Körper heisst, eine Substanz ist oder zwei verschiedene, wird später untersucht werden.

8. Die Substanz, welche wir als höchst vollkommen erkennen, und in der wir nichts vorstellen, was einen[130] Mangel oder eine Schränke der Vollkommenheit enthält, heisst Gott.

9. Wenn wir sagen, dass etwas in der Natur oder in dem Begriffe eines Dinges enthalten sei, so heisst dies so viel, als dass dies von dem Dinge wahr sei oder von ihm bejaht werden könne.

10. Zwei Substanzen heissen wirklich unterschieden, wenn jede von ihnen ohne die andere bestehen kann.

Quelle:
René Descartes' philosophische Werke. Abteilung 2, Berlin 1870, S. 124-131.
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