Vorwort an den Leser.

[11] Schon vor einiger Zeit habe ich die Fragen über Gott und die menschliche Seele in der Abhandlung berührt, welche ich über »die Methode, richtig zu denken und die Wahrheit in den Wissenschaften aufzusuchen«, im Jahre 1637 in französischer Sprache veröffentlicht habe. Es war damals nicht meine Absicht, diese Fragen ausführlich zu behandeln, sondern nur sie zu erwägen und aus den Ansichten der Leser zu erfahren, wie ich sie später zu behandeln hätte. Auch schienen sie mir von solcher Wichtigkeit, dass ich ihre wiederholte Untersuchung für nöthig hielt. Endlich habe ich jetzt bei ihrer Darstellung einen so wenig betretenen und von dem gemeinen Gebrauch so entfernten Weg eingeschlagen, dass es mir nicht zweckmässig schien, es in einer französisch geschriebenen und damit Allen zugänglichen Schrift zu thun, weil dann auch schwache Köpfe sich leicht für berufen halten könnten, diesen Weg zu betreten.

Ich hatte dort gebeten, mir es mitzutheilen, wenn Jemand etwas Tadelnswerthes in meiner Schrift finden sollte. Von allen mir zugegangenen Entgegnungen in Bezug auf diese Fragen sind mir indess nur zwei so erheblich erschienen, dass ich mit Wenigem darauf antworten will, ehe ich auf die genauere Erörterung der Fragen eingehe. Die erste Entgegnung geht dahin, dass, wenn die menschliche Seele bei ihrer Selbstbeobachtung sich nur als denkendes Ding erfasst, nicht daraus folge, dass ihre Natur oder ihr Wesen darin allein bestehe, dass sie ein denkendes[11] Ding sei, mithin nur das Wort »allein« alles Andere ausschliesse, was man auch als zur menschlichen Seele gehörig anführen könnte.

Darauf erwidere ich, dass auch ich dies nicht habe ausschliessen wollen in Bezug auf die Wahrheit der Sache (denn darum handelt es sich dabei nicht), sondern nur in Bezug auf meine Auffassung. Der Sinn ist also, dass ich nichts als zu meinem Wesen gehörig erkenne, ausser dass ich ein denkendes Ding bin, oder ein Ding, was das Vermögen zu denken besitzt. In dem Folgenden werde ich aber zeigen, wie aus meiner Erkenntniss, dass nichts weiter zu meinem Wesen gehöre, sich ergiebt, dass auch wirklich nichts weiter dazu gehört.

Nach der zweiten Entgegnung soll daraus, dass ich die Vorstellung einer vollkommeneren Sache, als ich bin, habe, noch nicht folgen, dass diese Vorstellung selbst vollkommen sei, und noch weniger, dass dieses in dieser Vorstellung Enthaltene bestehe. Hierauf antworte ich, dass hier in dem Wort »Vorstellung« eine Zweideutigkeit besteht; denn man kann es materiell für eine Thätigkeit der Seele nehmen, in welchem Falle die Vorstellung nicht vollkommener als ich genannt werden kann, oder gegenständlich für die Sache, die durch diese Thätigkeit vorgestellt wird, welche Sache, wenn sie auch nicht als ausserhalb des Denkens bestellend angenommen wird, doch in Bezug auf ihr Wesen vollkommener als ich sein kann. Wie aber daraus allein, dass die Vorstellung einer vollkommeneren Sache, als ich bin, in mir ist, folgt, dass diese Sache wirklich bestellt, wird in dem Folgenden ausführlich dargelegt werden.

Ausserdem habe ich zwar noch zwei lange Aufsätze gelesen; aber es wurden darin weniger meine Gründe über diese Fragen als meine Schlussfolgerungen mit Beweisen angegriffen, die den Gemeinplätzen der Atheisten entlehnt sind. Da solche Beweise für Die keine Kraft haben, welche meine Gründe verstehen, und die Urtheilskraft bei Vielen so verkehrt und schwach ist, dass sie sich mehr von dem überzeugen lassen, was sie zuerst[12] hören, sei es auch noch so falsch und unvernünftig, als von der Widerlegung, die später kommt, sei sie auch noch so wahr und sicher, so mag ich darauf nicht antworten, damit ich es nicht erst mitzutheilen brauche. Nur im Allgemeinen will ich sagen, dass Alles, was gewöhnlich von den Atheisten gegen das Dasein Gottes vorgebracht wird, immer darauf hinausläuft, dass Gott menschliche Affekte zugetheilt werden, oder dass für unseren Geist eine solche Kraft und Weisheiten Anspruch genommen wird, dass wir meinen, Alles, was Gott thun könne und müsse, bestimmen und begreifen zu können.

Sind wir indess eingedenk, dass unser Geist nur als endlich, Gott aber als unbegreiflich und unendlich aufzufassen ist, so können uns diese Einwürfe keine Schwierigkeit verursachen.

So will ich denn, nachdem ich bereits einmal die mannichfachsten Urtheile der Menschen erfahren habe, nochmals diese Fragen über Gott und die menschliche Seele und zugleich die Grundlagen der ganzen Philosophie behandeln. Ich erwarte hierbei weder den Beifall der Menge noch eine grosse Zahl Leser; denn ich schreibe nur für solche, die ernstlich mit mir nachdenken und ihren Geist von ihren Sinnen und zugleich von allen Vorurtheilen abtrennen können und wollen, und deren giebt es, wie ich wohl weiss, nur Wenige. Diejenigen aber, die sich nicht die Mühe nehmen, die Folge und Verknüpfung meiner Gründe zu begreifen, die vielmehr ihre Beweise, wie es sehr gebräuchlich ist, nur gegen einzelne Sätze richten, werden keinen grossen Nutzen von dieser Schrift haben. Sie werden vielleicht oft Anlass zum Spotten finden; aber sie werden schwerlich etwas Schlagendes und der Antwort Werthes entgegenstellen.

Allein da ich auch nicht versprechen kann, die Uebrigen gleich auf den ersten Blick zu befriedrigen, und ich nicht so anmassend bin, alle die Schwierigkeiten vorauszusehen, die dem Leser aufstossen könnten, so werde ich in der Abhandlung selbst zunächst die Gedanken darlegen, durch deren Hülfe ich glaube zur gewissen und deutlichen Erkenntniss der Wahrheit gelangt zu sein, und ich will[13] versuchen, ob ich mit denselben Gründen, die mich überzeugt haben, auch Andere überzeugen kann. Demnächst werde ich auf die Entgegnungen antworten, die mir von einigen durch Scharfsinn und Gelehrsamkeit ausgezeichneten Männern zugegangen sind, welchen ich diese Untersuchungen vor dem Druck zur Prüfung mitgetheilt hatte. So Vieles und so Verschiedenes ist da entgegnet, dass ich glauben möchte, es werde nichts von Erheblichkeit je aufgefunden werden können, was nicht da schon berührt worden. Deshalb bitte ich wiederholt die Leser, über diese Schrift nicht eher abzusprechen, als bis sie auch diese Entgegnungen und deren Widerlegungen sämmtlich durchlesen haben.[14]

Quelle:
René Descartes' philosophische Werke. Abteilung 2, Berlin 1870, S. 11-15.
Lizenz:
Kategorien: