Zweite Untersuchung.
Ueber die Natur der menschlichen Seele, und dass sie uns bekannter ist als ihr Körper.

[25] Die gestrige Untersuchung hat mich in so viel Zweifel gestürzt, dass ich sie nicht mehr vergessen kann, noch weiss, wie ich sie lösen soll. Gleich als wäre ich unversehens in einen tiefen Strudel gestürzt, bin ich so verstört,[25] dass ich weder auf dem Grunde Fuss fassen, noch zur Oberfläche mich erheben kann. Dennoch will ich ausharren und nochmals den gestern eingeschlagenen Weg[26] betreten, indem ich Alles fern halte, was dem geringsten Zweifel unterliegt, gleich als hätte ich es für ganz falsch erkannt, und ich will fortfahren, bis ich etwas Gewisses erreiche, wäre es auch nichts Anderes als die Gewissheit, dass es nichts Gewisses giebt. Archimedes verlangte nur einen festen und unbeweglichen Punkt, um die ganze Erde von der Stelle zu lieben; und ich kann auf Grosses hoffen, wenn ich nur Etwas, wäre es auch noch so klein, fände, was gewiss und unerschütterlich wäre.

Es gilt mir daher Alles, was ich sehe, für falsch; ich lasse nichts von dem gelten, was das trügerische Gedächtniss mir von dem Früheren vorführt; ich habe gar keine Sinne; mein Körper, meine Gestalt, Grösse, Bewegung, Ort sind Chimären. Was bleibt da Wahres? Vielleicht das Eine, dass es nichts Gewisses giebt.

Aber woher weiss ich, dass es Nichts giebt, was, im[27] Unterschied von allem bisher Aufgezählten, nicht den mindesten Anlass zum Zweifeln giebt? Ist es nicht ein Gott, oder wie sonst ich den nennen will, der mir diesen Gedanken einflösst? – Weshalb soll ich aber dies glauben, da ich vielleicht selbst der Urheber desselben sein kann? – Bin ich selbst also wenigstens nicht Etwas? – Aber ich habe schon geleugnet, dass ich irgend einen Sinn, irgend einen Körperliebe. Doch ich stocke; denn was folgt daraus? Bin ich denn so an den Körper und die Sinne geknüpft, dass ich ohne sie nicht sein kann? – Aber ich habe mich überredet, dass es nichts in der Welt giebt, keinen Himmel, keine Erde, keine Seelen, keine Körper; weshalb also nicht auch, dass ich selbst nicht bin? – Gewiss aber war ich, wenn ich mich überredet liebe. – Aber es giebt einen, ich weiss nicht welchen höchst mächtigen und listigen Betrüger, der absichtlich mich immer täuscht. – Aber unzweifelhaft bin ich auch dann, wenn er mich täuscht; und mag er mich täuschen, so viel er vermag, nimmer wird er es erreichen, dass ich nicht bin, so lange ich denke, dass ich Etwas bin. Alles in Allem reiflich erwogen, muss zuletzt der Satz anerkannt werden: »Ich bin, ich bestelle, so oft von mir Etwas ausgesagt oder vorgestellt wird.«

Aber noch erkenne ich nicht genügend, wer ich denn Jener bin, der ich bin, und ich muss mich vorsehen, damit ich nicht etwa voreilig etwas Anderes statt meiner aufnehme und so selbst in jenem Gedanken auf Abwege gerathe, welchen ich als den gewissesten und offenbarsten von allen behaupte. Ich werde deshalb nochmals überlegen, wofür ich mich früher gehalten liebe, ehe ich auf diesen Gedanken gerieth. Davon will ich dann Alles abziehen, was durch beizubringende Gründe im Geringsten erschüttert werden kann, so dass zuletzt nur genau das übrig bleibt, was gewiss und unerschütterlich ist.

Wofür also habe ich mich bisher gehalten? – Für einen Menschen. – Aber was ist der Mensch? Soll ich sagen: ein vernünftiges Thier? – Nein; denn ich müsste dann untersuchen, was ein Thier und was vernünftig ist, und so geriethe ich aus einer Frage in mehrere und schwierigere. Auch habe ich nicht so viel Masse, um sie mit solchen Spitzfindigkeiten zu vergeuden; vielmehr will ich lieber betrachten, was von selbst und unter Leitung[28] der Natur meinem Denken bisher aufstiess, so oft ich mich selbst betrachtete. Also zuerst bemerkte ich, dass ich ein Gesicht, Hände, Arme und jene ganze Gliedermaschine hatte, wie man sie auch an einem Leichnam sieht, und die ich mit dem Namen »Körper« bezeichnete. Ich bemerkte ferner, dass ich mich nährte, ging, fühlte und dachte; ich bezog diese Thätigkeiten auf die Seele; aber was diese Seele sei, nahm ich nicht wahr, oder ich stellte sie mir als ein feines Etwas vor, nach Art eines Windes oder Feuers oder Aethers, welcher meinen gröberen Bestandtheilen eingeflösst war. Ueber meinen Körper hatte ich nicht den mindesten Zweifel, sondern meinte, dessen Natur bestimmt zu kennen, und wenn ich versucht hätte, diese Natur so zu beschreiben, wie ich sie mir vorstellte, würde ich gesagt haben: Unter Körper verstelle ich Alles, was durch eine Gestalt begrenzt und örtlich umschrieben werden kann; was den Raum so erfüllt, dass es jeden anderen Körper davon ausschliesst; was durch Gefühl, Gesicht, Gehör, Geschmack oder Geruch wahrgenommen werden und sich auf verschiedene Weise bewegen kann; zwar nicht von selbst, aber von etwas Anderem, von dem es gestossen wird. Denn ich nahm an, dass die Kraft, sich selbst zu bewegen, zu empfinden und zu denken, auf keine Weise zur Natur des Körpers gehöre; vielmehr staunte ich, dass dergleichen Vermögen in einzelnen Körpern angetroffen werden. Da ich aber jetzt annehme, dass ein mächtiger und, wenn es zu sagen erlaubt ist, boshafter Betrüger absichtlich mich in Allem möglichst getäuscht habe, kann ich da auch nur das Kleinste von Alledem noch festhalten, was ich zur Natur des Körpers gerechnet habe? Ich merke auf, ich denke nach, ich überlege; ich finde nichts;[29] ich ermüde, indem ich den Versuch vergeblich wiederhole. – Was soll aber von dem gelten, was ich der Seele zutheilte, von dem Sich-ernähren und Einherschreiten? – Da ich keinen Körper habe, so sind auch dies nur Einbildungen. – Was aber von dem Wahrnehmen? – Auch dies ist ohne Körper unmöglich, und in dem Traume habe ich Vieles wahrzunehmen gemeint, von dem sich später ergab, dass ich es nicht wahrgenommen. – Was aber von dem Denken? – Hier treffe ich es; das Denken ist; dies allein kann von mir nicht abgetrennt werden; es ist sicher, ich bin, ich bestehe. – Wie lange aber? – Offenbar so lange, als ich denke; denn es könnte vielleicht kommen, dass, wenn ich mit dem Denken ganz endigte, ich sofort zu sein ganz aufhörte. Ich lasse jetzt nur das zu, was nothwendig wahr ist. Ich bin also genau nur ein denkendes Ding, d.h. eine Seele oder ein Geist oder ein Verstand oder eine Vernunft, Worte von einer mir früher unbekannten Bedeutung; aber ich bin ein wirkliches Ding, was wahrhaft bestellt. – Aber welches Ding? – Ich habe gesagt: ein denkendes. – Was weiter? – Ich will annehmen, dass ich nicht jene Verbindung von Gliedern bin, welche der menschliche Körper heisst; ich bin auch nicht ein feiner Aether, der durch diese Glieder verbreitet ist; kein Wind, kein Feuer, kein Dampf, kein Hauch, nicht, was ich sonst mir einbilde; denn ich habe angenommen, dass Alles dies nichts ist. Aber der Satz bleibt: Trotzdem bin ich Etwas. – Vielleicht aber trifft es sich, dass selbst das, was ich für nichts angenommen habe, weil es mir unbekannt ist, in Wahrheit doch von mir, den ich kenne, nicht unterschieden ist. – Ich weiss dies nicht und streite darüber nicht; ich kann nur über das urtheilen, was mir bekannt ist. Ich weiss, dass ich da bin; ich frage, wer bin ich, dieses Ich, von dem ich weiss? Offenbar kann die Erkenntniss dieses so genau aufgefassten Ich nicht von Etwas abhängen, von dem ich noch nicht weiss, dass es da ist, mithin auch nicht von Alledem, was ich mir eingebildet habe. Aber dieses Wort »eingebildet« erinnert mich an meinen Irrthum; denn ich würde in Wahrheit mir Etwas einbilden, wenn ich mir vorstellte, dass[30] ich Etwas sei; denn Vorstellen ist nichts Anderes, als die Gestalt oder das Bild eines körperlichen Gegenstandes betrachten. Nun weiss ich aber doch gewiss, dass ich bin, und zugleich, dass alle jene Bilder und überhaupt Alles, was auf die Natur von Körpern sich bezieht, möglicherweise nur Traumbilder sind. Hiernach erscheint es nicht minder verkehrt, wenn ich sage, ich will mich nur vorstellen, um genauer zu erfahren, wer ich bin, als wenn ich sagte: Ich bin zwar erwacht und sehe etwas Wirkliches; allein weil ich es noch nicht klar genug sehe, will ich mich bemühen, wieder einzuschlafen, damit die Träume mir es wahrhafter und überzeugender vorstellen sollen.

Ich erkenne also, dass nichts von dem, was ich durch die Einbildungskraft erfassen kann, zu diesem Wissen gehört, was ich von mir habe, und dass die Seele mit Sorgfalt davon zurückzuhalten ist, wenn sie ihre Natur genau erkennen will. – Aber was bin ich also? – Ein denkendes Ding. – Was ist dies? – Es ist ein Ding, was zweifelt, einstellt, bejahrt, verneint, begehrt, verabscheut, auch vorstellt und wahrnimmt. Dies ist fürwahr nicht[31] wenig, wenn es Alles mir zugehört. Aber weshalb sollte dies nicht sein? Bin ich es nicht selbst, der beinahe Alles bezweifelt, der dennoch Einiges einsieht, der das Eine für wahr behauptet, das Uebrige leugnet, der mehr zu wissen begehrt, der nicht betrogen sein will, der sich Vieles selbst unwillkürlich vorstellt und Vieles als solches bemerkt, was nicht von den Sinnen ihm zugeführt worden?

Was ist von Alledem, wenn ich auch noch träumen sollte, wenn auch der, welcher mich geschaffen, nach Möglichkeit mich täuschen sollte, nicht ebenso wahr als der Satz, dass ich bin? Was unterscheidet es von meinem Denken? Weshalb kann es von mir unterschieden gesetzt werden? – Denn dass Ich Der bin, der zweifelt, der einsieht, der will, ist so offenbar, dass es nichts giebt, was dies deutlicher machen könnte. – Aber ich bin doch auch derselbe, der vorstellt. Denn wenn auch vielleicht nichts von dem, was ich vorstelle, nach meiner Voraussetzung wahr ist, so bestellt doch in Wahrheit die Kraft des Vorstellens und macht einen Theil meiner Gedanken aus; ebenso bin ich es, der wahrnimmt oder die körperlichen Dinge gleichsam durch die Sinne bemerkt. Allerdings sehe ich ein Licht, höre ein Geräusch, fühle die Wärme; aber dies ist Täuschung, denn ich träume. Aber ich meine doch zu sehen, zu hören, mich zu erwärmen; dies kann[32] nicht falsch sein; das ist eigentlich das, was in mir das Wahrnehmen heisst. Mithin ist, genau genommen, dieses Wahrnehmen nur ein Denken, und hiernach beginne ich schon etwas besser zu wissen, was ich bin. Allein dennoch scheint es mir, und ich kann mich der Meinung nicht erwehren, dass ich die körperlichen Dinge, deren Bilder im Denken geformt werden, und welche die Sinne erforschen, viel genauer kenne als jenes, ich weiss nicht was von mir, das ich mir nicht vorstellen kann. Es ist fürwahr wunderbar, dass die Dinge, die mir als zweifelhaft, unbekannt, fremd gelten, deutlicher als das, was wahr, was erkannt ist, ja als ich selbst, von mir erfasst werden. Aber ich sehe, wie es sich verhält; meine Seele freut sieh des Verirrens und lässt sich nicht in den Schranken der Wahrheit festhalten. Sei es also! wir wollen ihr noch einmal die Zügel schiessen lassen, damit, wenn sie später zur passenden Zeit angezogen werden, sie um so geduldiger sich lenken lasse. Betrachten wir die Dinge, die man gewöhnlich am genauesten zu kennen meint, d.h. die Körper, welche man fühlt, sieht; nicht die Körper überhaupt, denn diese allgemeinen Vorstellungen pflegen etwas verworren zu sein, sondern einen einzelnen. Nehmen wir z.B. dieses Wachs. Es ist erst vor Kurzem aus dem Honigkuchen ausgeschmolzen worden; es hat noch nicht allen Honiggeschmack verloren und hat noch etwas von dem Geruch der Blumen, aus denen es gesogen worden. Seine Farbe, Gestalt, Grösse ist offenbar; es ist hart, kalt, leicht zu greifen und giebt, wenn man es pocht, einen Ton von sich. Alles ist mithin an ihm vorhanden, was nöthig scheint, um einen Körper auf das bestimmteste zu erkennen. Aber siehe, während ich spreche, wird es dem Feuer genähert; die Reste des Wohlgeschmacks verlöschen; der Geruch verschwindet; die Farbe verändert sich; die Grösse nimmt zu; es wird flüssig, warm, kann kaum noch berührt werden und giebt, geschlagen, keinen[33] Ton mehr von sich. – Ist dies noch dasselbe Wachs geblieben? – Es ist geblieben; man muss es zugeben; Niemand leugnet es, Niemand ist anderer Meinung. – Was also war es in ihm, was man so bestimmt erfasste? – Sicherlich nichts von dem, was man durch die Sinne erreichte; denn Alles, was unter den Geschmack, den Geruch, das Gesicht, das Gefühl oder das Gehör fiel, hat sich verändert; nur das Wachs ist geblieben. Vielleicht war es das, was ich jetzt denke; nämlich, dass dieses Wachs nicht diese Süsse des Honigs, nicht dieser Duft der Blumen, nicht jene weisse Farbe, jene Gestalt, jener Ton gewesen sei, sondern ein Körper, der mir kurz vorher in diesen Bestimmungen erschien und nun in anderen. Was ist aber genau das, was ich so vorstelle? Geben wir Acht; entfernen wir Alles, was nicht zum Wachs gehört, und sehen wir, was übrig bleibt. Nichts als etwas Ausgedehntes, Biegsames, Veränderliches. Was ist aber dies Biegsame, Veränderliche? Etwa, dass ich mir vorstelle, dieses Wachs könne aus einer runden Gestalt in eine viereckige und dann wieder in eine dreieckige verwandelt werden? – Durchaus nicht; denn ich weiss wohl, dass es unzähliger solcher Veränderungen fällig ist, aber ich kann diese zahllosen im Vorstellen nicht einzeln durchlaufen, und dieser Begriff kann deshalb nicht von dem Vorstellungsvermögen herkommen. – Was ist »ausgedehnt«? Ist etwa selbst seine Ausdehnung unbekannt? Denn im schmelzenden Wachs nimmt sie zu, im heissen noch mehr, und wieder mein, wenn die Hitze gesteigert wird. Ich würde auch nicht richtig beurtheilen, was das Wachs ist, wenn ich nicht annähme, dass es der Ausdehnung nach mehr Veränderungen annimmt, als ich mir irgend vorstellen möchte. – Ich muss also anerkennen, dass ich das, was das Walire ist, nicht bildlich vorstelle, sondern nur mit der Seele allein erfasse. Ich sage das von diesem einzelnen Wachse, denn von dem Wachse überhaupt ist dies noch klarer. – Was ist nun dieses Wachs, was ich nur mit der Seele erfasse? – Es ist dasselbe, was ich sehe, berühre, mir vorstelle, also dasselbe, wofür ich es im Anfange nahm. Aber, und dies ist festzuhalten, seine Erkenntniss ist kein Sehen, kein Berühren, kein bildliches Vorstellen und ist es nie gewesen, obgleich es früher so schien, sondern ein Schauen der Seele allein,[34] welches bald unvollkommen und verworren sein kann wie vorher, bald klar und deutlich wie jetzt, je nachdem ich weniger oder mehr auf das, woraus es besteht, Acht habe.[35]

Aber währenddem staune ich, wie sehr meine Seele zu dem Irrthum neigt; denn obgleich ich dies bei mir still und schweigend bedenke, bleibe ich doch in den Worten stecken und werde durch den Sprachgebrauch beinahe irre geführt. Denn wir sagen, dass wir das Wachs selbst sehen, und wenn es da ist, dies nicht aus seiner Farbe oder Gestalt erst folgern; ich würde deshalb angenommen haben, dass das Wachs durch das Sehen der Augen und nicht durch das Schauen der Seele allein erkannt werde; allein ich hatte schon oft von meinem Fenster Menschen auf der Strasse vorübergehen sehen, von denen ich ebenso wie von dem Wachs zu sagen pflegte, dass ich sie selbst sähe. Aber was hatte ich gesehen, ausser Hüte und Kleider, unter denen Automaten stecken konnten, die ich aber für Menschen hielt? So erfasste ich das, was ich mit den Augen zu sehen meinte, nur durch die Urtheilskraft, die in meiner Seele ist. Wer indess weiser als die Menge sein will, muss sich hüten, seine Zweifel blos aus[36] Redensarten zu entnehmen, welche die Menge erfunden hat; wir müssen also fortfahren, indem wir Acht haben, ob ich vollkommen und offenbar erkannte, was das Wachs ist, als ich es zuerst erblickte und glaubte, dass ich es durch die äusseren Sinne oder wenigstens durch den gemeinen Menschenverstand, wie man sagt, d.h. durch das Vorstellungsvermögen erkannte; oder ob vielmehr erst jetzt, wo ich genauer erforscht habe, was es ist, und wie es erkannt wird. Darüber zu zweifeln, wäre sicherlich verkehrt. Denn was war in der ersten Vorstellung deutlich? Was war darin nicht derart, dass jedes Thier es fassen konnte? Aber wenn ich das Wachs von seinen äusseren Bestimmungen unterscheide und gleichsam nach abgenommenen Kleidern nackt betrachte, so kann ich es dann in Wahrheit nicht ohne den menschlichen Verstand erfassen, sollte dabei auch ein Irrthum in mein Urtheil unterlaufen. Was soll ich aber von dieser Seele selbst sagen oder von mir selbst, da ich schon nichts Anderes neben der Seele in mir anerkenne? Wie sollte ich, der ich dieses Wachs so bestimmt zu erfassen scheine, nicht mich selbst viel wahrhafter, gewisser, sowie viel deutlicher und klarer erkennen? Denn wenn ich das Dasein des Wachses daraus abnehme, dass ich es sehe, so folgt sicherlich gerade daraus, dass ich es sehe, noch viel gewisser, dass auch ich selbst bestehe. Denn es kann sein, dass das, was ich sehe, nicht wirklich Wachs ist; es ist selbst möglich, dass ich keine Augen habe, durch welche etwas gesehen wird; aber es ist unmöglich, dass, wenn ich sehe oder (was ich nicht für verschieden halte) wenn ich zu sehen denke, Ich nicht selbst ein denkendes Etwas bin. Auf gleiche Weise folgt, wenn ich das Dasein des Wachses daraus abnehme, dass ich es fühle, dasselbe, nämlich dass ich bin; ebenso folgt dasselbe daraus, dass ich mir etwas vorstelle, oder ans sonst einem Grunde. Das, was ich bei dem Wachse bemerke, lässt sich nun auf alles Andere, was ausser mir ist, anwenden. Wenn mithin die Kenntniss des Wachses deutlicher geworden ist, nachdem sie mir nicht blos durch das Gesicht und Gefühl allein, sondern aus mehreren Umständen bekannt geworden, um wie viel bestimmter muss ich offenbar mich selbst erkennen, da kein Umstand zur Kenntniss des Wachses oder irgend eines anderen Körpers beitragen[37] kann, ohne nicht zugleich die Natur meiner Seele besser darzulegen. Aber es giebt ausserdem noch so vieles Andere in der Seele, was deren Kenntniss deutlich machen kann, dass das, was aus den Körpern sich dafür ergiebt, kaum zu rechnen ist.

So bin ich denn unwillkürlich dahin zurückgekommen, wohin ich wollte. Denn da sich nun ergeben hat, dass selbst die Körper nicht eigentlich von den Binnen oder von dem Vorstellen, sondern nur von dem Verstände allein erkannt werden, und dass diese Erkenntniss nicht auf dem Fühlen oder Sehen derselben beruht, sondern darauf, dass der Verstand sie auffasst, so erkenne ich klar, dass nichts leichter und sicherer von mir erkannt werden kann als meine Seele. Da indess die Gewohnheit alter Meinungen nicht so schnell abgelegt werden kann, so will ich hier anhalten, damit diese neue Erkenntniss durch längeres Erwägen sich meinem Gedächtniss tiefer einpräge.[38]

Quelle:
René Descartes' philosophische Werke. Abteilung 2, Berlin 1870, S. 25-39.
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