VIII. Kapital und Mehrwert (Schluß)

[195] »Nach der Ansicht des Herrn Marx vertritt der Arbeitslohn nur die Bezahlung derjenigen Arbeitszeit, welche der Arbeiter wirklich für die Ermöglichung der eignen[195] Existenz tätig ist. Hierzu genügt nun eine kleinere Anzahl Stunden; der ganze übrige Teil des oft langgedehnten Arbeitstags liefert einen Überschuß, in welchem der von unserm Autor so genannte ›Mehrwert‹ oder, in der gemeingültigen Sprache geredet, der Kapitalgewinn enthalten ist. Abgesehn von der auf irgendeiner Stufe der Produktion bereits in den Arbeitsmitteln und relativen Rohstoffen enthaltnen Arbeitszeit, ist jener Überschuß des Arbeitstages der Anteil des kapitalistischen Unternehmers. Die Ausdehnung des Arbeitstages ist hiernach reiner Ausbeutungsgewinn zugunsten des Kapitalisten.«

Nach Herrn Dühring wäre also der Marxsche Mehrwert weiter nichts, als was man in der gemeingültigen Sprache Kapitalgewinn oder Profit nennt. Hören wir Marx selbst. Auf Seite 195 des »Kapital« wird Mehrwert erklärt durch die hinter diesem Wort eingeklammerten Worte: »Zins, Profit, Rente.« Auf Seite 210 gibt Marx ein Beispiel, worin eine Mehrwertsumme von 71 Schillingen in ihren verschiednen Verteilungsformen erscheint: Zehnten, Lokal- und Staatssteuern 21 Schilling, Bodenrente 28 Schilling, Pächters Profit und Zins 22 Schilling, zusammen Gesamtmehrwert 71 Schillinge. – Auf Seite 542 erklärt Marx es für einen Hauptmangel bei Ricardo, daß dieser »den Mehrwert nicht rein darstellt, d.h. nicht unabhängig von seinen besondern Formen, wie Profit, Grundrente usw.« und daß er daher die Gesetze über die Rate des Mehrwerts unmittelbar zusammenwirft mit den Gesetzen der Profitrate; wogegen Marx ankündigt: »Ich werde später, im Dritten Buch dieser Schrift, nachweisen, daß dieselbe Rate des Mehrwerts sich in den verschiedensten Profitraten, und verschiedne Raten des Mehrwerts, unter bestimmten Umständen, sich in derselben Profitrate ausdrücken können.« Auf Seite 587 heißt es: »Der Kapitalist, der den Mehrwert produziert, d.h. unbezahlte Arbeit unmittelbar aus den Arbeitern auspumpt und in Waren fixiert, ist zwar der erste Aneigner, aber keineswegs der letzte Eigentümer dieses Mehrwerts. Er hat ihn hinterher zu teilen mit Kapitalisten, die andre Funktionen im großen und ganzen der gesellschaftlichen Produktion vollziehn, mit dem Grundeigentümer usw. Der Mehrwert spaltet sich daher in verschiedne Teile. Seine Bruchstücke fallen verschiednen Kategorien von Personen zu und erhalten verschiedne, gegeneinander selbständige Formen, wie Profit, Zins, Handelsgewinn, Grundrente usw. Diese verwandelten Formen des Mehrwerts können erst im Dritten Buch behandelt werden.« Und ebenso an vielen andern Stellen.

Man kann sich nicht deutlicher ausdrücken. Bei jeder Gelegenheit macht Marx darauf aufmerksam, daß sein Mehrwert durchaus nicht mit dem[196] Profit oder Kapitalgewinn zu verwechseln, daß dieser letztere vielmehr eine Unterform und sehr oft sogar nur ein Bruchteil des Mehrwerts sei. Wenn Herr Dühring dennoch behauptet, der Marxsche Mehrwert sei »in der gemeingültigen Sprache geredet, der Kapitalgewinn«, und wenn es feststeht, daß das ganze Marxsche Buch sich um den Mehrwert dreht, so sind nur zwei Fälle möglich: Entweder weiß er's nicht besser, und dann gehört eine Schamlosigkeit sondergleichen dazu, ein Buch herunterzureißen, dessen Hauptinhalt er nicht kennt. Oder er weiß es besser, und dann begeht er eine absichtliche Fälschung.

Weiter:

»Der giftige Haß, mit dem Herr Marx diese Vorstellungsart des Auspressungsgeschäfts pflegt, ist nur zu begreiflich. Aber auch ein gewaltigerer Zorn und eine noch vollere Anerkennung des Ausbeutungscharakters der auf Lohnarbeit gegründeten Wirtschaftsform ist möglich, ohne daß jene theoretische Wendung, die sich in der Marxschen Lehre von einem Mehrwert ausdrückt, angenommen wird.«

Die gutgemeinte, aber Irrige theoretische Wendung von Marx bewirkt bei diesem einen giftigen Haß gegen das Auspressungsgeschäft; die an sich sittliche Leidenschaft erhält infolge der falschen »theoretischen Wendung« einen unsittlichen Ausdruck, sie tritt zutage in unedlem Haß und in niedriger Giftigkeit, während die letzte und strengste Wissenschaftlichkeit des Herrn Dühring sich äußert in einer sittlichen Leidenschaft von entsprechend edler Natur, im Zorn, der auch der Form nach sittlich und dem giftigen Haß zudem noch quantitativ überlegen, ein gewaltigerer Zorn ist. Während Herr Dühring diese Freude an sich selbst erlebt, wollen wir zusehn, woher dieser gewaltigere Zorn stammt.

»Es entsteht«, heißt es weiter, »nämlich die Frage, wie die konkurrierenden Unternehmer imstande sind, das volle Erzeugnis der Arbeit und hiermit das Mehrprodukt dauernd so hoch über den natürlichen Herstellungskosten zu verwerten, als durch das berührte Verhältnis des Überschusses der Arbeitsstunden angezeigt wird. Eine Antwort hierauf ist in der Marxschen Doktrin nicht anzutreffen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil in derselben nicht einmal die Aufwerfung der Frage einen Platz finden konnte. Der Luxuscharakter der auf Soldarbeit gegründeten Produktion ist gar nicht ernstlich angefaßt und die soziale Verfassung mit ihren aufsaugenden Positionen keineswegs als der letzte Grund der weißen Sklaverei erkannt worden. Im Gegenteil hat sich immer das Politischsoziale aus dem ökonomischen erklärt finden sollen.«

Nun haben wir aus den oben angeführten Stellen gesehn, daß Marx keineswegs behauptet, das Mehrprodukt werde vom industriellen Kapitalisten, der sein erster Aneignet ist, unter allen Umständen im Durchschnitt[197] zu seinem vollen Wert verkauft, wie Herr Dühring hier voraussetzt. Marx sagt ausdrücklich, daß auch der Handelsgewinn einen Teil des Mehrwerts bildet, und dies ist unter den vorliegenden Voraussetzungen doch nur dann möglich, wenn der Fabrikant dem Händler sein Produkt, unter dem Wert verkauft und ihm damit einen Anteil der Beute abtritt. Wie die Frage hier gestellt wird, konnte also allerdings nicht einmal ihre Aufwerfung bei Marx einen Platz finden. Rationell gestellt, lautet sie: Wie verwandelt sich Mehrwert in seine Unterformen: Profit, Zins, Handelsgewinn, Grundrente usw.? Und diese Frage verspricht Marx allerdings. Im dritten Buch zu lösen. Wenn aber Herr Dühring nicht so lange warten kann, bis der zweite Band des »Kapital« erscheint, so mußte er sich einstweilen im ersten Band etwas genauer umsehn. Er konnte dann, außer den schon angeführten Stellen, z.B. auf S. 323 lesen, daß nach Marx die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion in der äußern Bewegung der Kapitale sich als Zwangsgesetze der Konkurrenz geltend machen und in dieser Form als treibende Motive dem individuellen Kapitalisten zum Bewußtsein kommen; daß also eine wissenschaftliche Analyse der Konkurrenz nur möglich, sobald die innere Natur des Kapitals begriffen ist, ganz wie die scheinbare Bewegung der Himmelskörper nur dem verständlich, der ihre wirkliche, aber sinnlich nicht wahrnehmbare Bewegung kennt; worauf Marx an einem Exempel zeigt, wie ein bestimmtes Gesetz, das Wertgesetz, in einem bestimmten Fall innerhalb der Konkurrenz erscheint und seine treibende Kraft ausübt. Herr Dühring konnte hieraus schon entnehmen, daß bei der Verteilung des Mehrwerts die Konkurrenz eine Hauptrolle spielt, und bei einigem Nachdenken genügen diese im ersten Band gegebnen Andeutungen in der Tat, um die Verwandlung von Mehrwert in seine Unterformen wenigstens in ihren allgemeinen Umrissen erkennen zu lassen.

Für Herrn Dühring ist indes die Konkurrenz grade das absolute Hindernis des Verständnisses. Er kann nicht begreifen, wie die konkurrierenden Unternehmer das volle Erzeugnis der Arbeit und hiermit das Mehrprodukt dauernd so hoch über den natürlichen Herstellungskosten verwerten können. Es wird sich hier wieder mit der gewohnten »Strenge«, die in der Tat Liederlichkeit ist, ausgedrückt. Das Mehrprodukt als solches hat bei Marx ja gar keine Herstellungskosten, es ist der Teil des Produkts, der dem Kapitalisten nichts kostet. Wenn also die konkurrierenden Unternehmer das Mehrprodukt zu seinen natürlichen Herstellungskosten verwerten wollten,[198] so müßten sie es eben verschenken. Doch halten wir uns bei solchen »mikrologischen Einzelheiten« nicht auf. Verwerten denn in der Tat die konkurrierenden Unternehmer nicht täglich das Erzeugnis der Arbeit über den natürlichen Herstellungskosten? Nach Herrn Dühring bestehn die natürlichen Herstellungskosten

»in der Arbeits- oder Kraftausgabe, und diese kann wiederum in ihren letzten Grundlagen durch den Nahrungsaufwand gemessen werden«;

also in der heutigen Gesellschaft aus den an Rohstoff, Arbeitsmitteln und Arbeitslohn wirklich aufgewendeten Auslagen, im Unterschied von der »Bezollung «, dem Profit, dem mit dem Degen in der Hand erzwungnen Aufschlag. Nun ist es allbekannt, daß in der Gesellschaft, in der wir leben, die konkurrierenden Unternehmer ihre Waren nicht zu den natürlichen Herstellungskosten verwerten, sondern den angeblichen Aufschlag, den Profit hinzurechnen und in der Regel auch erhalten. Die Frage, die Herr Dühring, wie er glaubte, nur aufzuwerfen braucht, um damit das ganze Marxsche Gebäude umzublasen, wie weiland Josua die Mauern von Jericho, diese Frage existiert also auch für die ökonomische Theorie des Herrn Dühring. Sehn wir, wie er sie beantwortet.

»Das Kapitaleigentum«, sagt er, »hat keinen praktischen Sinn und läßt sich nicht verwerten, wenn nicht in ihm zugleich die indirekte Gewalt über den Menschenstoff eingeschlossen ist. Das Erzeugnis dieser Gewalt ist der Kapitalgewinn, und die Größe des letztern wird daher von dem Umfang und der Intensität dieser Herrschaftsübung abhängen... Der Kapitalgewinn ist eine politische und soziale Institution, die mächtiger wirkt als die Konkurrenz. Die Unternehmer handeln in dieser Beziehung als Stand, und jeder einzelne behauptet seine Position. Ein gewisses Maß des Kapitalgewinns ist bei der einmal herrschenden Wirtschaftsart eine Notwendigkeit.«

Leider wissen wir auch jetzt noch immer nicht, wie die konkurrierenden Unternehmer imstande sind, das Erzeugnis der Arbeit dauernd über den natürlichen Herstellungskosten zu verwerten. Herr Dühring denkt unmöglich von seinem Publikum so gering, um es mit der Redensart abzuspeisen, der Kapitalgewinn stehe über der Konkurrenz, wie seinerzeit der König von Preußen über dem Gesetz. Die Manöver, durch die der König von Preußen in seine Stellung über dem Gesetz kam, kennen wir; die Manöver, wodurch der Kapitalgewinn dazu kommt, mächtiger zu sein als die Konkurrenz, sind grade das, was Herr Dühring uns erklären soll und was er uns hartnäckig zu erklären verweigert. Auch kann es nichts ausmachen, wenn, wie er sagt, die Unternehmer in dieser Beziehung als Stand handeln, und dabei jeder einzelne seine Position behauptet. Wir sollen ihm[199] doch nicht etwa aufs Wort glauben, eine Anzahl Leute brauche nur als Stand zu handeln, damit jeder einzelne von ihnen seine Position behaupte? Die Zünftler des Mittelalters, die französischen Adligen 1789 handelten bekanntlich sehr entschieden als Stand und sind doch zugrunde gegangen. Die preußische Armee bei Jena handelte auch als Stand, aber statt ihre Position zu behaupten, mußte sie vielmehr ausreißen und nachher sogar stückweise kapitulieren. Ebensowenig kann uns die Versicherung genügen, bei der einmal herrschenden Wirtschaftsart sei ein gewisses Maß des Kapitalgewinns eine Notwendigkeit; denn es handelt sich ja grade darum, nachzuweisen, warum dem so ist. Nicht einen Schritt näher zum Ziel kommen wir, wenn Herr Dühring uns mitteilt:

»Die Kapitalherrschaft ist im Anschluß an die Bodenherrschaft erwachsen. Ein Teil der hörigen Landarbeiter ist in den Städten zu Gewerbsarbeiten und schließlich zu Fabrikmaterial umgestaltet worden. Nach der Bodenrente hat sich der Kapitalgewinn als eine zweite Form der Besitzrente ausgebildet.«

Selbst wenn wir von der historischen Schiefheit dieser Behauptung absehn, so bleibt sie doch immer eine bloße Behauptung und beschränkt sich darauf, das wiederholt zu beteuern, was grade erklärt und bewiesen werden soll. Wir können also zu keinem andern Schluß kommen, als daß Herr Dühring unfähig ist, auf seine eigne Frage zu antworten: wie die konkurrierenden Unternehmer imstande sind, das Erzeugnis der Arbeit dauernd über den natürlichen Herstellungskosten zu verwerten, das heißt, daß er unfähig ist, die Entstehung des Profits zu erklären. Es bleibt ihm nichts übrig, als kurzweg zu dekretieren: der Kapitalgewinn ist das Erzeugnis der Gewalt, was allerdings ganz einstimmt mit Artikel 2 der Dühringschen Gesellschaftsverfassung: Die Gewalt verteilt. Dies ist allerdings sehr schön gesagt; aber jetzt »entsteht die Frage«: Die Gewalt verteilt – was? Es muß doch etwas zu verteilen da sein, sonst kann selbst die allmächtigste Gewalt beim besten Willen nichts verteilen. Der Gewinn, den die konkurrierenden Unternehmer in die Tasche stecken, ist etwas sehr Handgreifliches und Handfestes. Die Gewalt kann ihn nehmen, aber nicht erzeugen. Und wenn Herr Dühring uns hartnäckig die Erklärung weigert, wie die Gewalt den Unternehmergewinn nimmt, so hat er gar nur Grabesschweigen als Antwort auf die Frage, woher sie ihn nimmt. Wo nichts ist, hat der Kaiser, wie jede andre Gewalt, sein Recht verloren. Aus nichts wird nichts, namentlich nicht Profit. Wenn das Kapitaleigentum keinen praktischen Sinn hat und sich nicht verwerten läßt, solange nicht in ihm zugleich die Indirekte Gewalt über den Menschenstoff eingeschlossen ist, so entsteht abermals die Frage, erstens,[200] wie der Kapitalreichtum zu dieser Gewalt kam, die mit den oben angeführten paar historischen Behauptungen keineswegs erledigt ist; zweitens, wie sich diese Gewalt in Kapitalverwertung, in Profit verwandelt, und drittens, woher sie diesen Profit nimmt.

Wir mögen die Dühringsche Ökonomie anfassen, wo wir wollen, wir kommen keinen Schritt weiter. Für alle mißliebigen Umstände, für Profit, Bodenrente, Hungerlohn, Arbeiterknechtung hat sie nur Ein Wort der Erklärung: die Gewalt, und immer wieder die Gewalt, und der »gewaltigere Zorn« des Herrn Dühring löst sich eben auch auf in den Zorn über die Gewalt. Wir haben gesehn, erstens, daß diese Berufung auf die Gewalt eine faule Ausflucht ist, eine Verweisung vom ökonomischen Gebiet aufs politische, die keine einzige ökonomische Tatsache zu erklären imstande ist; und zweitens, daß sie die Entstehung der Gewalt selbst unerklärt läßt, und dies wohlweislich, indem sie sonst zu dem Ergebnis kommen müßte, daß alle gesellschaftliche Macht und alle politische Gewalt ihren Ursprung haben in ökonomischen Vorbedingungen, in der geschichtlich gegebnen Produktions- und Austauschweise der jedesmaligen Gesellschaft.

Versuchen wir jedoch, ob wir dem unerbittlichen »tieferen Grundleger« der Ökonomie nicht noch einige weitere Aufschlüsse über den Profit entringen können. Vielleicht gelingt es uns, wenn wir bei seiner Behandlung des Arbeitslohns ansetzen.

Da heißt es Seite 158:

»Der Arbeitslohn ist der Sold zum Unterhalt der Arbeitskraft und kommt zunächst nur als Grundlage für Bodenrente und Kapitalgewinn in Betracht. Um sich die hier obwaltenden Verhältnisse recht entschieden klarzumachen, denke man sich Grundrente und weiterhin auch Kapitalgewinn zuerst geschichtlich ohne Arbeitslohn, also auf Grundlage der Sklaverei oder Hörigkeit...Ob der Sklave oder Hörige, oder ob der Lohnarbeiter unterhalten werden muß, begründet nur einen Unterschied in der Art und Weise der Belastung der Produktionskosten, in jedem Fall bildet der durch die Ausnutzung der Arbeitskraft erzielte Reinertrag das Einkommen des Arbeitsherrn... Man sieht also, daß... namentlich der Hauptgegensatz, vermöge dessen auf der einen Seite irgendeine Art von Besitzrente und auf der andern die besitzlose Soldarbeit steht, nicht ausschließlich in einem seiner Glieder, sondern stets nur in beiden zugleich betroffen werden kann.«

Besitzrente ist aber, wie wir Seite 188 erfahren, ein gemeinsamer Ausdruck für Bodenrente und Kapital gewinn. Ferner heißt es Seite 174:

»Der Charakter des Kapitalgewinns ist eine Aneignung des hauptsächlichsten Teils des Ertrags der Arbeitskraft. Ohne das Korrelat der in irgendeiner Gestalt unmittelbar oder mittelbar unterworfenen Arbeit läßt er sich nicht denken.«[201]

Und Seite 183:

Der Arbeitslohn »ist unter allen Umständen nichts weiter als ein Sold, vermittelst dessen im allgemeinen der Unterhalt und die Fortpflanzungsmöglichkeit des Arbeiters gesichert sein müssen«.

Und endlich Seite 195:

»Was der Besitzrente zufällt, muß dem Arbeitslohn verlorengehn und umgekehrt, was von der allgemeinen Leistungsfähigkeit (!) an die Arbeit gelangt, muß den Besitzeinkünften entzogen werden.«

Herr Dühring führt uns von Überraschung zu Überraschung. In der Werttheorie und in den folgenden Kapiteln bis zur Lehre von der Konkurrenz und diese eingeschlossen, also von Seite 1 bis 155, teilten sich die Warenpreise oder Werte erstens in die natürlichen Herstellungskosten oder den Produktionswert, das heißt die Auslagen an Rohstoff, Arbeitsmitteln und Arbeitslohn, und zweitens in den Aufschlag oder Verteilungswert, die mit dem Degen in der Hand erzwungne Besteuerung zugunsten der Monopolistenklasse; ein Aufschlag, der, wie wir sahen, an der Verteilung des Reichtums in Wirklichkeit nichts ändern konnte, indem er mit der einen Hand das wiedergeben mußte, was er mit der andern nahm, und der außerdem, soweit uns Herr Dühring über seinen Ursprung und seinen Inhalt Auskunft gibt, aus nichts entstand und daher auch aus nichts bestand. In den beiden folgenden Kapiteln, die von den Einkünftearten handeln, also von Seite 156 bis 217, ist von Aufschlag keine Rede mehr. Statt dessen teilt sich der Wert jedes Arbeitserzeugnisses, also jeder Ware, jetzt in folgende zwei Teile: erstens in die Produktionskosten, worin auch der bezahlte Arbeitslohn einbegriffen, und zweitens in den »durch Ausnutzung der Arbeitskraft erzielten Reinertrag«, der das Einkommen des Arbeitsherrn bildet. Und dieser Reinertrag hat eine ganz bekannte, durch keine Tätowierung oder Anstreicherkunst zu verdeckende Physiognomie. »Um sich die hier obwaltenden Verhältnisse recht entschieden klarzumachen«, denke sich der Leser die soeben angeführten Stellen aus Herrn Dühring gedruckt gegenüber den früher angeführten Stellen aus Marx über Mehrarbeit, Mehrprodukt und Mehrwert, und er wird finden, daß Herr Dühring hier das »Kapital« in seiner Weise direkt ausschreibt.

Die Mehrarbeit in irgendeiner Form, sei es der Sklaverei, Hörigkeit oder Lohnarbeit, erkennt Herr Dühring an als Quelle der Einkünfte aller bisherigen herrschenden Klassen: genommen aus der mehrfach angeführten Stelle: »Kapital«, Seite 227: das Kapital hat die Mehrarbeit nicht erfunden[202] usw. – Und der »Reinertrag«, der »das Einkommen des Arbeitsherrn« bildet, was ist er anders als der Überschuß des Arbeitsprodukts über den Arbeitslohn, welcher letztere ja auch bei Herrn Dühring, trotz seiner ganz überflüssigen Verkleidung in einen Sold, im allgemeinen den Unterhalt und die Fortpflanzungsmöglichkeit des Arbeiters sichern muß? Wie kann die »Aneignung des hauptsächlichsten Teils des Ertrags der Arbeitskraft« vor sich gehn, außer dadurch, daß der Kapitalist, wie bei Marx, dem Arbeiter mehr Arbeit auspreßt, als zur Reproduktion der von diesem letztern verzehrten Lebensmittel nötig ist, das heißt dadurch, daß der Kapitalist den Arbeiter längere Zeit arbeiten läßt, als erforderlich ist, den Wert des dem Arbeiter gezahlten Arbeitslohns zu ersetzen? Also Verlängerung des Arbeitstags über die zur Reproduktion der Lebensmittel des Arbeiters nötige Zeit hinaus, Marxsche Mehrarbeit – das und nichts andres ist es, was sich verbirgt unter Herrn Dührings »Ausnutzung der Arbeitskraft«; und sein »Reinertrag« des Arbeitsherrn, worin anders kann er sich darstellen als in Marxschem Mehrprodukt und Mehrwert? Und wodurch anders als durch ihre unexakte Fassung unterscheidet sich die Dühringsche Besitzrente vom Marxschen Mehrwert? Den Namen »Besitzrente« übrigens hat Herr Dühring von Rodbertus entlehnt, der die Bodenrente und die Kapitalrente oder den Kapitalgewinn schon unter dem gemeinsamen Ausdruck: Rente zusammenfaßte, so daß Herr Dühring nur den »Besitz« hinzuzusetzen hatte.6 Und damit ja kein Zweifel bleibe über das Plagiat, faßt Herr Dühring die von Marx im 15. Kapitel (Seite 539 u. ff. des »Kapital«) entwickelten Gesetze über den Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft und Mehrwert in seiner Weise so zusammen, daß, was der Besitzrente zufällt, dem Arbeitslohn verlorengehn muß und umgekehrt, und reduziert damit die inhaltvollen Marxschen Einzelgesetze auf eine Inhaltlose Tautologie, denn es ist selbstredend, daß von einer gegebnen, in zwei Teile zerfallenden Größe der eine Teil nicht wachsen kann, ohne daß der andre abnimmt. Und so ist es Herrn Dühring gelungen, die Aneignung der Marxschen Ideen in einer Weise zu vollziehn, bei der die »letzte und strengste Wissenschaftlichkeit im Sinne der exakten Disziplinen«, wie sie sich in der Marxschen Entwicklung allerdings findet, vollständig verlorengeht.

Wir können also nicht umhin anzunehmen, daß das auffallende Gepolter,[203] das Herr Dühring in der »Kritischen Geschichte« über »Das Kapital« erhebt, und namentlich der Staub, den er aufwirbelt mit der famosen Frage, die beim Mehrwert entsteht, und die er besser ungefragt gelassen hätte, sintemal er sie selbst nicht beantworten kann – daß das alles nur Kriegslisten sind, schlaue Manöver, um damit das im »Cursus« an Marx begangne grobe Plagiat zu verdecken. Herr Dühring hatte in der Tat alle Ursache, seine Leser zu warnen vor der Beschäftigung mit »dem Knäuel, welches von Herrn Marx Kapital genannt wird«, vor den Bastarden historischer und logischer Phantastik, den Hegelschen konfusen Nebelvorstellungen und Flausen usw. Die Venus, vor der dieser getreue Eckart die deutsche Jugend warnt, hatte er sich selbst zum eignen Gebrauch aus den Marxschen Gehegen im stillen in Sicherheit gebracht. Gratulieren wir ihm zu diesem durch die Ausnutzung der Marxschen Arbeitskraft erzielten Reinertrag und zu dem eigentümlichen Licht, den seine Annexion des Marxschen Mehrwerts unter dem Namen der Besitzrente auf die Motive seiner hartnäckigen, weil in zwei Auflagen wiederholten, falschen Behauptung wirft, als verstehe Marx unter Mehrwert nur den Profit oder Kapitalgewinn.

Und so müssen wir Herrn Dührings Leistungen schildern in Herrn Dührings Worten wie folgt:

»Nach der Ansicht des Herrn« Dühring »vertritt der Arbeitslohn nur die Bezahlung derjenigen Arbeitszeit, welche der Arbeiter wirklich für die Ermöglichung der eignen Existenz tätig ist. Hierzu genügt nur eine kleinere Anzahl Stunden; der ganze übrige Teil des oft langgedehnten Arbeitstags liefert einen Überschuß, in welchem die von unserm Autor so genannte« Besitzrente... »enthalten ist. Abgesehn von der auf irgendeiner Stufe der Produktion bereits in den Arbeitsmitteln und relativen Rohstoffen enthaltenen Arbeitszeit, ist jener Überschuß des Arbeitstags der Anteil des kapitalistischen Unternehmers. Die Ausdehnung des Arbeitstags ist hiernach reiner Auspressungsgewinn zugunsten des Kapitalisten. Der giftige Haß, mit dem Herr« Dühring »diese Vorstellungsart des Ausbeutergeschäfts pflegt, ist nur zu begreiflich«...

Weniger begreiflich dagegen ist, wie er nun wieder zu seinem »gewaltigeren Zorn« kommen will?

6

Und auch dies nicht einmal. Rodbertus sagt (»Sociale Briefe«, 2. Brief, S.59): »Rente ist nach dieser« (seiner) »Theorie alles Einkommen, was ohne eigne Arbeit, lediglich auf Grund eines Besitzes bezogen wird.«

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1962, Band 20, S. 195-204.
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