I. Erwägungsgründe in zehn Absätzen

[227] Im allgemeinen leiden diese an dem Versuch, zwei unvereinbare Dinge zu vereinigen: sowohl Programm wie Kommentar zum Programm zu sein. Man fürchtet, nicht deutlich genug zu sein, wenn man kurz und schlagend ist, und setzt deshalb Erläuterungen hinein, die die Sache breit und schleppend machen. Nach meiner Ansicht hat das Programm so kurz und so präzis wie möglich zu sein. Selbst wenn auch einmal ein Fremdwort oder ein nicht auf den ersten Blick in seiner ganzen Tragweite zu erfassender Satz vorkommt, schadet das nichts. Der mündliche Vortrag in den Versammlungen, die schriftliche Erklärung in der Presse tut da alles Nötige, und der kurze, prägnante Satz befestigt sich dann, einmal verstanden, im Gedächtnis, wird Schlagwort, und das passiert der breiteren Auseinandersetzung nie. Man opfre der Rücksicht auf Popularität nicht zu viel, man unterschätze nicht die geistige Begabung und Bildungsstufe unsrer Arbeiter. Sie haben weit schwerere Dinge verstanden, als das kürzeste, knappste Programm ihnen bieten kann; und wenn die sozialistengesetzliche Zeit auch die volle Durchbildung der neu hinzugekommenen Massen erschwert und stellenweise verhindert hat – unter der Leitung der Alten wird das bald[227] nachgeholt, jetzt, wo unsre Propagandaschriften wieder ungestört aufbewahrt und gelesen werden können.

Ich will versuchen, diesen ganzen Passus etwas kürzer zu fassen, und, wenn es mir gelingt, ihn beilegen oder nachschicken, und gehe nun an die einzelnen von 1 bis 10 numerierten Absätze.


Absatz 1. »Die Trennung« etc. »Bergwerke, Gruben, Minen« – drei Worte für eine Sache; zwei sollten fallen. Ich würde Bergwerke stehenlassen, die ja bei uns auch in der plattsten Ebene so heißen, und alles mit dem gebräuchlichsten Ausdruck bezeichnen. Dagegen würde ich hineinsetzen: »Eisenbahnen und andre Verkehrsmittel«.


Absatz 2. Hier würde ich setzen: »In den Händen ihrer Aneigner (oder ihrer Besitzer) sind die gesellschaftlichen Arbeitsmittel«, und ebenso nachher »Abhängigkeit... von den Besitzern (oder Aneignern) der Arbeitsmittel« usw.

Daß die Herren sich jene Dinge als »Alleinbesitz« angeeignet. Ist schon ad 1 gesagt und kann hier nur wiederholt werden, wenn man platterdings darauf besteht, das Wort »Monopolisten« hineinzubringen. Weder das eine noch das andre Wort fügt dem Sinn das Geringste zu. Was aber in einem Programm überflüssig, das schwächt ab.

»Die für den Bestand der Gesellschaft nötigen Arbeitsmittel«

– das sind immer die grade vorhandenen. Vor der Dampfmaschine wurde man ohne sie fertig, jetzt könnten wir's nicht mehr. Da heutzutage die sämtlichen Arbeitsmittel direkt oder indirekt – entweder ihrer Konstruktion nach oder vermittelst der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit – gesellschaftliche Arbeitsmittel sind, so drücken diese beiden Worte das in jedem Moment Vorhandene hinreichend aus, richtig und ohne schiefe Nebenbedeutung.

Wenn sich der Schluß an die Erwägungsgründe der internationalen Statuten anschließt, so würde ich vorziehen, daß dies ganz geschieht: »dem gesellschaftlichen Elend« (dies ist Nr. 1), »der geistigen Verkümmerung und der politischen Abhängigkeit«. Die physische Verkümmerung ist im gesellschaftlichen Elend eingeschlossen und die politische Abhängigkeit eine Tatsache, während die politische Rechtlosigkeit eine deklamatorische Phrase von nur relativer Gültigkeit ist, dergleichen nicht in ein Programm gehört.


Absatz 3. Der erste Satz muß nach meiner Ansicht geändert werden.

»Unter der Herrschaft der Alleinbesitzer«[228]

Erstens ist das, was folgt, eine ökonomische Tatsache, die ökonomisch zu erklären ist. Der Ausdruck »Herrschaft der Alleinbesitzer« bringt aber den falschen Schein hinein, als habe die politische Herrschaft jener Räuberbande das verursacht. Zweitens gehören zu diesen Alleinbesitzern nicht nur »Kapitalisten und Großgrundbesitzer« (was sollen die »Bourgeois« dahinter? sind sie eine dritte Klasse von Alleinbesitzern? sind die Großgrundbesitzer auch »Bourgeois«? sollen, wenn von Großgrundbesitzern einmal die Rede ist, denn die kolossalen Reste von Feudalismus ignoriert werden, die unsrer ganzen politischen Sauerei in Deutschland ihr spezifisch reaktionäres Gepräge geben?). Auch Bauern und Kleinbürger sind »Alleinbesitzer«, wenigstens noch heute; sie figurieren aber im ganzen Programm nicht, und deshalb muß sich so ausgedrückt werden, daß sie überhaupt nicht eingeschlossen sind in die Sorte von Al leinbesitzern, von denen man spricht.

»Die Anhäufung der Arbeitsmittel und des durch die Ausgebeuteten erzeugten Reichtums«

Der »Reichtum« besteht aus 1. Arbeitsmitteln, 2. Lebensmitteln. Es ist also ungrammatisch und unlogisch, erst von einem Teil des Reichtums zu sprechen und dann nicht vom andern Teil, sondern vom Gesamtreichtum, und beide zu verbinden durch und.

»...nimmt ...in den Händen der Kapitalisten mit wachsender Geschwindigkeit zu«

Wo bleiben da die »Großgrundbesitzer« und die »Bourgeois« von oben? Genügen die Kapitalisten hier, so sollten sie auch oben genügt haben. Geht man aber ins einzelne, so genügen sie überhaupt nicht.

»Immer größer wird die Zahl und das Elend der Proletarier«

Dies ist nicht richtig, so absolut gesagt. Die Organisation der Arbeiter, ihr stets wachsender Widerstand wird dem Wachstum des Elends möglicherweise einen gewissen Damm entgegensetzen. Was aber sicher wächst, ist die Unsicherheit der Existenz. Das würde ich hineinsetzen.


Absatz 4.

»Die im Wesen der kapitalistischen Privatproduktion begründete Planlosigkeit«

verdient starke Verbesserung. Ich kenne eine kapitalistische Produktion als Gesellschaftsform, als ökonomische Phase; eine kapitalistische Privatproduktion als eine innerhalb dieser Phase so oder so vorkommende Erscheinung. Was heißt denn kapitalistische Privatproduktion? Produktion durch den einzelnen Unternehmer, und die wird ja schon mehr und mehr Ausnahme. Kapitalistische Produktion durch Aktiengesellschaften ist schon[231] keine Privatproduktion mehr, sondern Produktion für assoziierte Rechnung von vielen. Und wenn wir von den Aktiengesellschaften übergehn zu den Trusts, die ganze Industriezweige beherrschen und monopolisieren, so hört da nicht nur die Privatproduktion auf, sondern auch die Planlosigkeit. Man streiche »Privat«, und der Satz kann allenfalls passieren.

»Den Ruin weiter Volksschichten«

Statt dieser deklamatorischen Phrase, die aussieht, als täte uns dieser Ruin von Bourgeois und Kleinbürgern noch leid, würde ich die einfache Tatsache erzählen: »die durch den Ruin der städtischen und ländlichen Mittelstände, der Kleinbürger und Kleinbauern, den Abgrund zwischen Besitzenden und Besitzlosen erweitern (oder vertiefen)«.

Die beiden Schlußsätze sagen zweimal dasselbe. Ich gebe in der Beilage I einen Änderungsvorschlag.


Absatz 5. »der Ursachen« muß heißen »seiner Ursachen«, was wohl nur Schreibfehler ist.


Absatz 6. »Bergwerke, Minen, Gruben«, wie oben ad 1. »Privatproduktion«, wie oben. Ich würde sagen: »Umwandlung der gegenwärtigen kapitalistischen Produktion für Rechnung von einzelnen oder Aktiengesellschaften in sozialistische Produktion für Rechnung der gesamten Gesellschaft und nach vorherbestimmtem Plan, eine Umwandlung, etc.... schafft, und durch welche allein die Befreiung der Arbeiterklasse und damit die Befreiung aller Gesellschaftsglieder ohne Ausnahme verwirklicht wird.«


Absatz 7. Ich würde sagen wie in Beilage I.


Absatz 8. Statt »klassenbewußt«, was zwar unter unsern Kreisen leicht verständliche Abkürzung, würde ich sagen im Interesse des allgemeinen Verständnisses und der Übersetzung in fremde Sprachen: »mit den zum Bewußtsein ihrer Klassenlage durchgedrungnen Arbeitern« oder ähnliches.


Absatz 9. Schlußsatz: »... setzt und damit die Macht der ökonomischen Ausbeutung und politischen Unterdrückung in einer Hand vereinigt.«


Absatz 10. Hinter »Klassenherrschaft« fehlt: »und der Klassen selbst«. Die Abschaffung der Klassen ist unsre Grundforderung, ohne sie die Abschaffung der Klassenherrschaft ökonomisch ein Unding. Statt »für das gleiche Recht aller« schlage ich vor: »für gleiche Rechte und gleiche Pflichten aller« etc. Die gleichen Pflichten sind für uns eine ganz besonders wesentliche Ergänzung der bürgerlich-demokratischen gleichen Rechte und nehmen ihnen den spezifisch bürgerlichen Sinn.[232]

Den Schlußsatz: »In ihrem Kampfe... geeignet sind«, möchte ich lieber streichen. In seiner Unbestimmtheit: »welche die Lage des Volks im allgemeinen« (wer ist das?) »... zu verbessern geeignet sind«, kann er alles umfassen, Schutzzölle und Freihandel, Zünfte und Gewerbefreiheit, Bodenkredit, Tauschbanken, Impfzwang und Impfverbot, Alkoholismus und Antischnaps etc. etc. Was er sagen soll, steht im Vordersatz schon drin, und daß, wenn man das Ganze will, man auch jedes einzelne Stück mitnimmt, braucht man doch nicht extra zusagen, ich meine, es schwächt den Eindruck ab. Will man den Satz aber als Übergang zu den Einzelforderungen, dann könnte man etwa sagen: »verficht die Sozialdemokratie alle Forderungen, welche sie diesem Ziele näherführen« (»Maßregeln und Einrichtungen« als Wiederholung zu streichen). Oder aber, was noch besser: man sagt geradezu, um was es sich handelt, daß man die versäumte Arbeit der Bourgeoisie nachholen muß; in dem Sinn habe ich einen Schlußsatz in Beilage I gesetzt. Diesen halte ich für wichtig wegen meiner Bemerkungen im folgenden Abschnitt und zur Motivierung meiner dort gemachten Vorschläge.

Quelle:
Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Berlin 1963, Band 22, S. 227-229,231-233.
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