§ 19. Der Zweck der Wissenschaft, namentlich der Naturwissenschaft

[65] Der wahre und vernünftige Zweck der Wissenschaft ist, dem menschlichen Leben Nutzen zu bringen, es mit neuen Erfindungen[65] und Schätzen zu bereichern. Ihr Zweck ist daher nicht etwa Befriedigung der Neugierde oder Amüsement oder Ruhm und Ansehen oder die Fertigkeit, gut zu parlieren und disputieren, oder Geld und Brot uns zu verschaffen. Die Wissenschaft soll nicht sein ein Ruhebett für den von Neugierde gequälten Geist oder ein Spaziergang zum Vergnügen oder ein hoher Turm, von dem man verächtlich herabblickt, oder eine Burg und Schanze für Streit und Hader oder eine Werkstatt für die Gewinnsucht und den Wucher, sondern ein reicher Warenbehälter, eine Schatzkammer zur Ehre des Werkmeisters aller Dinge und zum Nutzen der Menschheit. Der Zweck der Wissenschaft ist daher die Verbindung der ruhigen Betrachtung mit der praktischen Tätigkeit, eine Verbindung, die der Konjunktion der beiden höchsten Planeten gleicht, des Saturnus, des Fürsten (des Prinzipes) der ruhigen Beschauung, und des Jupiter, des Fürsten des tätigen Lebens. (»N. O.«, I, A. 81; »De Augm. Sc.«, II, c. 2)

Die Naturwissenschaft hat darum auch keinen an dern Zweck, als die Macht und Herrschaft des Menschen über die Natur fester zu begründen und zu erweitern. Die Herrschaft des Menschen über die Natur beruht aber allein auf der Kunst und Wissenschaft. Der Mensch vermag ja nur soviel, als er weiß; sein Wissen und Können fällt in eins zusammen; denn nur der bemeistert und beherrscht die Natur, der ihr gehorcht (ihr seinen Verstand unterwirft); denn ohne die Erkenntnis der Ursache kann man keine Wirkung hervorbringen, weil das, was für uns in der Erkenntnis die Bedeutung der Ursache hat, uns in der Anwendung zum Mittel dient oder zur Regel und Anweisung, eine Sache richtig hervorzubringen. (»N. O.«, I, A. 3, 116, 129; »Cog. et Vis.«, p. 592; »Imp. Ph.«, p. 684)

Quelle:
Ludwig Feuerbach: Geschichte der neuern Philosophie von Bacon bis Spinoza. Leipzig 1976, S. 65-66.
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