§ 24. Übergang von Bacon zu Hobbes

[78] Mit der Erfahrung, der Wahrnehmung der sinnlichen Wirklichkeit, die Bacon als den wahren Weg zur Erkenntnis anpries, wurde das, was wir überhaupt das Materielle, Sinnliche oder Erscheinende nennen, das Ziel und wesentliche Objekt des Geistes, ganz im Gegensatze gegen jenes innerlich religiöse und metaphysische Leben des Mittelalters, wo der Geist jenseits der Natur, jenseits der gegenwärtigen, sinnlichen Wirklichkeit einerseits in die Anschauung des göttlichen Wesens, wie im Mystizismus, andererseits in die Betrachtung der abstrakten Bestimmungen des Wesens überhaupt, wie in der scholastischen Metaphysik, vertieft war; und der Geist, der nur das und nur so ist, was und wie sein Objekt ist, wurde dadurch selbst sinnlich, materialistisch. Wie der Mensch, wenn er aus der Schule, wo er entfernt vom Leben in der Zucht unter strengen Regeln und Gesetzen gehalten wird, heraustritt, jetzt im Bewußtsein oder Gefühle seiner Selbständigkeit sich in das Leben hineinwirft, so wurde der menschliche Geist, als er das Gymnasium des Mittelalters verließ und, befreit von der Zucht der Kirche und dem Formenwesen der alten Metaphysik, auf die Universität der neuern Zeit zog, jetzt, in der Absonderung von allem Höhern und Übersinnlichen, gleichsam vom Rausche der Sinnlichkeit ergriffen, in den Materialismus hinuntergerissen, seiner selbst entleert.

Diese Geistesausleerung zeigt sich zuerst in der Form eines Systems des Empirismus und Materialismus in Hobbes, der Unmögliches wollte, nämlich die Empirie als Philosophie selbst aussprechen und geltend machen46, dessenungeachtet[78] aber unstreitig einer der interessantesten und geistreichsten Materialisten der neuern Zeit ist. Wie die Philosophie oder richtiger der Materialismus Hobbes' nichts Ursprüngliches, nichts Unbedingtes und Absolutes, nichts aus sich selbst Bestimmendes und Bewegendes zum Inhalt und Objekt hat, so ist auch der Form nach seine Philosophie oder sein System (wenn man anders nur diese Worte bei H. anwenden darf) kein System, sondern eine Gedankenmaschine, sein Denken reiner Mechanismus, ebenso äußerlich, so locker zusammengehalten wie eine Maschine, deren Teile trotz ihres Zusammenhangs ein unlebendiges, einheitsloses Außereinander bleiben, ebenso langweilig, einförmig, trocken wie eine mechanische Operation, so indifferent und blind wie der Zufall oder die äußerliche, mechanische Notwendigkeit, indem er gleichgültig gegen den differenten, spezifischen Inhalt der Dinge alles nivelliert, d. i. ohne Unterscheidung, ja, mit der Negation der Differenz bestimmte Gesetze oder Kategorien, die nur innerhalb der beschränkten, untergeordneten Sphäre bestimmter Objekte gelten, die Gesetze des endlichen oder äußerlichen Mechanismus auf alle Objekte ausdehnt. Der logische Begriff, der den Empirismus oder Materialismus des Hobbes wie der spätern Empiristen beherrscht, ist daher, weil er eine Verneinung alles Substanziellen und Unbedingten ist, allein der Begriff der Relativität oder Bedingtheit. Denn selbst der Geist ist in ihm kein[79] Ursprüngliches, von sich selbst Anfangendes, Erstes, sondern ein lediglich Gesetztes und Bedingtes47; alle seine Erkenntnisse und Begriffe entspringen aus den Bildern und Vorstellungen der Sinne, diese aber sind Wirkungen der Bewegungen zwischen den Organen und der einwirkenden Objekte, diese Bewegung der einwirkenden Objekte ist aber selbst wieder eine von einer andern bedingte, diese letztere wieder und so fort bis ins Unendliche; denn im Begriffe der mechanischen Bewegung liegt nicht der Begriff der Ursprünglichkeit, des Selbstanfangs, sondern der der Bedingtheit. Der Empirismus hat daher keinen Anfang, keine Mitte, kein Ende, d.h. überhaupt kein Prinzip, denn er hat keine Substanziellen Begriffe zu seinem Prinzip, sondern wie sein Objekt, so sind seine Begriffe selbst relativ, bedingt; er ist und kann daher nie sein ein System; wenn auch äußerlich konsequent, ist er doch innerlich halt- und zusammenhangslos.

Aber gerade in dieser Entleerung und Entäußerung des Geistes, in dieser exzentrischen Materialität des Denkens liegt das Interessante und historisch Bedeutsame des Hobbesschen Systems, liegt seine Notwendigkeit, sein Zusammenhang mit der Geschichte der neuern Zeit und in diesem seine Rechtfertigung und Würdigung. Denn es war ganz in der Ordnung, daß der menschliche Geist, als er aus dem engen und dumpfen Gymnasium des Mittelalters, aus dem beschränkten Kreise seiner frühern klösterlichen Eingezogenheit und Abgeschiedenheit von dem Leben und der Welt in das freie Universitätsleben der neuern Zeit überging, in das entgegengesetzte Extrem verfiel und alles Ideale, Übersinnliche, alle Metaphysik jetzt als ein Nichtiges verwarf. Der Empirismus und Materialismus ist im Lebenslauf des denkenden Geistes, was im Lebensgang des einzelnen die Periode ist, wo er von der Höhe seiner ersten, nur noch subjektiven, durch keine Erfahrung begründeten idealen Anschauungen in die Fluten des sinnlichen Lebens sich hinabstürzt Erst der Idealismus, welcher aus den Zerstreuungen dieser erfahrungsreichen Periode zurückkehrt, ist bewährter,[80] seiner selbst gewisser Idealismus. Daher wurde auch der abstrakte, subjektive Idealismus der Cartesischen Philosophie erst auf der Rückkehr aus dem Empirismus der Engländer in Kant und Fichte, in denen der Geist wieder zu sich selbst kam, sich in sich sammelte, inhaltsreicher, bewährter Idealismus.48

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Allerdings ist es ein Widerspruch, die Empirie, wenigstens die rohe, unausgebildete, unvollendete Empirie als Philosophie aussprechen zu wollen. »Wird denn aber je die Empirie fertig, verläuft sie sich nicht ins Unendliche?« Aber, frage ich dagegen, wird denn je die Philosophie fertig? Für sich freilich ist der Philosoph fertig, seine Bestimmungen gelten ihm für die absoluten, adäquaten, letzten, schlechthin notwendigen und allgemeinen; aber sind sie es auch für die andern, für die Zukünftigen? Mitnichten; das »absolute Wissen« dieser Philosophie erweist sich mit der Zeit als endliches Wissen, ihr Allgemeines als Partikuläres, ihr absolut Notwendiges nur als zeitlich, historisch Notwendiges. Und die Philosophie wird sieh solange ins Unendliche verlaufen, solange es einen empirischen Verlauf ins Unendliche gibt, d.h. solange, als Zeiten auf Zeiten, Menschen auf Menschen folgen. Die Vorwürfe, die die spekulative Philosophie dem Empirismus macht, treffen daher sie selbst. Übrigens ist der Hobbessche, überhaupt moderne Empirismus keineswegs der absolute, sondern ein endlicher, beschränkter Empirismus, denn überall macht er bestimmte Erscheinungen zum absoluten Wesen. So macht H. das Rechnen zum Wesen des Denkens, so die Erscheinung des Menschen im Bürgerkrieg zum ursprünglichen Wesen des Menschen. Im »Leviathan«, c. 13, führt er selbst ausdrücklich den Bürgerkrieg als ein Beispiel von dem Naturstand des Menschen an.

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Der Geist ist nichts anderes, sagt H. in seinen Einwürfen gegen Cartesius, als eine Bewegung in gewissen Teilen des organischen Körpers.

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Gegen die Bedeutung, die hier dem Empiris- und Materialismus gegeben wird, wird man wohl nicht einwenden, daß ja auch die Materialisten zum Teil vom Sinnlichen als einem bloßen Scheine, wie Hobbes von dem great deception of sense, sprechen, die Realität der Sinnvorstellungen aufheben; denn der Idealismus, wie er sich innerhalb des Empirismus findet, ist selbst Materialismus. Auch ist wohl zu merken, daß hier der Empirismus überhaupt nach seinem allgemeinen Begriff bezeichnet wird. Hobbes ist ein ganz abstrakter Materialist, d.h. der Begriff, der seine Philosophie beherrscht, ist der Begriff der bloßen Materie, des bloßen Körpers, oder richtiger des abstrakten, mathematischen Körpers, dessen wesentliche Bestimmung allein die Quantität ist. Dieser reine gedankenhelle Körper ist das Substanzielle in seiner Philosophie, in dieser Reinheit und Abstraktion ist er aber die Negativität und Idealität aller sinnlichen Akzidenzen, d. i. aller Qualität, d.h., ist nur die durch den Gedanken allein wahrnehmbare Beschaffenheit, die ganz abstrakte Qualität, die Quantität die Substanzielle Bestimmung des Körpers; bei spätern Materialisten dagegen, besonders französischen, ist der Begriff, der sie beherrscht, der der sinnlichen Materie, des sinnlichen Körpers, die Versenkung in die abstrakte Körperlichkeit der Materialität ist bei ihnen zur Versenkung in die Sinnlichkeit, in das Wesen der sinnlichen Vorstellung und Empfindung geworden.

Quelle:
Ludwig Feuerbach: Geschichte der neuern Philosophie von Bacon bis Spinoza. Leipzig 1976, S. 78-81.
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