§ 31. Hobbes' Moral

[102] Von den früher betrachteten sinnlichen Vorstellungen oder Empfindungen unterscheiden sich die Empfindungen des [102] Schmerzes und der Lust, die nicht von einer Reaktion des Herzens nach außen entspringen, sondern von einer von dem äußersten Teile des Organs gegen das Herz zu fortgesetzten Bewegung. Denn da das Herz das Prinzip des Lebens ist, so muß notwendig die vom Empfindenden bis zum Herzen fortgepflanzte Bewegung die Lebensbewegung, d. i. die Bewegung des Bluts, irgendwie erleichtern oder erschweren und sich daher als Vergnügen oder Mißvergnügen und Schmerz äußern. Wie die Vorstellungen, die von einer auswärtsgekehrten Bewegung entspringen, äußerlich zu existieren scheinen, so scheinen dagegen die Empfindungen des Schmerzes und der Lust wegen der einwärtsgekehrten Bewegung, von der sie kommen, innerlich zu existieren. ([»De Corp.«, sect. IV:] »Phys.«, c. 25, § 12)

Wie die sinnlichen Objekte die Ursachen der Vorstellungen sind, so sind sie auch die Ursachen der Lust und Unlust oder des Verlangens und Abscheus; denn das Verlangen und der Abscheu oder Widerwille unterscheiden sich von der Lust und Unlust nur so, wie sich Verlangen vom Genießen und das Zukünftige vom Gegenwärtigen unterscheidet. Auch das Verlangen ist ja Lust und der Abscheu Unlust, aber jenes Lust an einem Angenehmen, dieser Unlust an einem Unangenehmen, das noch nicht gegenwärtig, sondern erst erwartet wird. Daher verlangen wir nicht deswegen, weil wir wollen, denn der Wille ist selbst das Verlangen, noch verabscheuen wir, weil wir nicht wollen, sondern weil das Verlangen wie der Abscheu von den verlangten oder verabscheuten Objekten selbst bewirkt, eine notwendige Folge von der vorgestellten Lust oder Unlust sind, die die Objekte bewirken werden. Die Vorstellung ist früher als das Verlangen; denn ob das, was wir sehen, angenehm oder nicht sein wird, können wir ja nur durch die Erfahrung oder Empfindung wissen. Wenn dem Verlangen Überlegung vorangeht, so heißt es Wille. Wille und Verlangen sind übrigens der Sache nach eins, nur der Betrachtung nach verschieden. (l. c., § 13, u. »De Hom.«, c. 11, § 1, 2)

Die Freiheit des Wollens und Nichtwollens ist daher im Menschen nicht größer als in den Tieren; denn in dem Verlangenden ging die vollständige Ursache des Verlangens voraus, und das Verlangen selbst ist daher notwendig erfolgt. Eine Freiheit daher, die von der Notwendigkeit frei[103] wäre, kommt weder dem Willen der Menschen noch der Tiere zu. Das, was innen im Menschen vorgeht, wenn er etwas will, ist nicht unähnlich dem, was in andern Tieren vorgeht, wenn sie etwas nach vorangegangener Überlegung begehren. Wenn wir jedoch unter Freiheit die Fähigkeit verstehen, zu tun, was sie wollen, aber nicht die Fähigkeit, zu wollen, so können wir sie beiden einräumen. (»Phys.«, l. c.)

Alles, was wir begehren, heißt gut, alles, was wir fliehen, böse, d. i. übel. Nichts kann jedoch schlechtweg gut genannt werden, denn alles Gute ist immer nur für einige gut und relativ; je nach der Person, der Zeit, dem Ort und andern Umständen und Verhältnissen heißt es gut oder übel. (»De Hom.«, l. c., § 4)

Das höchste Gut oder die Glückseligkeit und der letzte Endzweck sind im gegenwärtigen Leben unerreichbar; denn mit der Erreichung des letzten Zweckes hört alles Verlangen auf; würde ihn der Mensch erreichen, so gäbe es daher kein Gut mehr für ihn, ja, er würde selbst aufhören zu empfinden, denn alle Empfindung ist mit irgendeinem Verlangen oder Abscheu verbunden, und nicht empfinden heißt nicht leben. Das größte Glück aber besteht darin, ungehemmt immer weiter von einem Ziele zum andern Ziele fortschreiten. Selbst im Genießen ist noch der Genuß des Ersehnten Verlangen, nämlich eine Bewegung der Seele des Genießenden durch die Teile der genossen werdenden Sache hindurch; denn das Leben ist beständige Bewegung, die, wenn sie nicht in gerader Linie fortschreiten kann, sich immer im Kreise herumdreht. (l. c., § 15)

Quelle:
Ludwig Feuerbach: Geschichte der neuern Philosophie von Bacon bis Spinoza. Leipzig 1976, S. 102-104.
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