§ 41. Kritischer Rückblick auf Gassendi

[126] Es erhellt aber auch hier wieder auf der Stelle, wie wenig der Gassendi, der die Atome als Prinzipien der Welt annimmt, mit dem Gassendi, der aus der Unkörperlichkeit der Seele auf ihre Unsterblichkeit schließt, im Zusammenhange steht. Ganz unlogisch ist es, wenn er an einer Stelle behauptet, die Annahme selbst von unvergänglichen Körpern hebe nicht die Richtigkeit seines Arguments auf; denn wenn sogar der Körper unvergänglich sein könne, müsse es der Geist um so viel mehr sein; »licet aliqua corpora incorrupta sint, non minus, imo magis res incorporeae sint incorruptae«. Und wie stimmt das mit den Atomen überein, die keine andere Unkörperlichkeit als die Leerheit kennen, denen Nicht-Körper-Sein gleich Nichtsein ist? Mit den Gassendischen Atomen stimmt es freilich überein; aber diese stimmen mit sich selbst nicht überein, widersprechen sich selbst; denn sie sind nicht die absolut festen, tapfern jede Teilung von sich abweisenden, gegen jeden An- und Eingriff gewappneten Kampfhelden des Epikur, sondern alleruntertänigste Diener der Willkür, ganz feige, gutmütige Tölpel, die ohne Einspruch und Gegenwehr sich die Seele aus dem Leibe ziehen lassen; denn ob sie gleich schon anfangs[126] aufs geduldigste sich ausplündern ließen und so hinreichende Proben ihrer Untertänigkeit und Gutwilligkeit gegeben haben, so sollen doch die blutarmen Teufel zuletzt noch sogar die Unauflöslichkeit durch die Länge der Zeit verlieren. (»Phys.«, Sect. III, L. XIV, fol. 628, T. II) Was ist aber das für ein Atom, d. i für ein Unauflösliches, das auflöslich ist? Freilich ist auch diese Bestimmung der Unauflöslichkeit ihnen eigentlich schon dadurch genommen, daß sie als hervorgebrachte vorgestellt werden; denn das Unauflösliche ist eben ein Erstes, über das ich nicht hinausgehen kann, was kein Prinzip hat, es mag dieses bestimmt werden, wie es wolle. Übrigens ist zur Entschuldigung dieser Widersprüche die Bemerkung hinreichend, daß für G. das Atom selbst eigentlich keine andere als hypothetische Bedeutung und Existenz hat.[127]

Quelle:
Ludwig Feuerbach: Geschichte der neuern Philosophie von Bacon bis Spinoza. Leipzig 1976, S. 126-128.
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