§ 62. Über die Cartesischen Beweise vom Dasein Gottes

[209] Der Beweis von der Existenz Gottes aus seinem Wesen oder aus der Idee von ihm, der bekanntlich den Namen des ontologischen führt, sich im wesentlichen schon bei einigen Scholastikern, namentlich Anselmus, zum Teil selbst schon bei Augustin110 angedeutet findet und nach C. mit einiger Modifikation in die Leibnizisch-Wolffische Schule überging, hat schon zur Zeit des C. heftige Anfechtungen erleiden müssen und ist in neuerer Zeit, wie bekannt, hauptsächlich von Kant kritisiert worden, dessen Kritik dann Hegel wieder in seiner Logik (B. 3.) einer strengen Prüfung unterwarf. Die wesentlichen Punkte, auf die es beim richtigen Verständnis sowohl dieses als des vorhergehenden Beweises ankommt, sind:

1. Die Idee Gottes ist nicht nur eine notwendige (nicht gemachte, willkürliche) und allgemeine, mit dem Wesen des Geistes identische (eingeborne) Idee, sondern auch ihrem Gegenstand oder Inhalt nach die vollkommenste, die reellste aller Ideen und daher von allen andern Vorstellungen oder Ideen unterschieden. Sie ist die Idee aller Ideen, die allerwahrste, die absolut positive, und daher kann der Übergang von ihr zum Sein nur dann kurios erscheinen, wenn man den wesentlichen Unterschied und Vorzug dieser Idee vor allen andern übersieht und sie mit jeder beliebigen subjektiven Vorstellung gleichsetzt. »Non enim vis mei argumenti desumitur ab idea in genere sumpta, sed a peculiari ejus proprietate, quae in idea, quam habemus de Deo, evidentissima est, atque in nullis aliarum conceptibus potest reperiri, nempe ab existensiae necessitate, quae requiritur ad cumulum perfectionum, sine quo Deum intelligere non possumus.«[209] (»R. Descart. Notae in Program. quoddam etc.«, p. 187)

2. Die Idee Gottes enthält notwendige Existenz; Gott kann gar nicht anders als seiend gedacht werden, von seinem Wesen ist sein Sein unabsonderlich, ununterscheidbar. C. selbst erklärt sich nicht näher und bestimmter über die Existenz und das Wesen Gottes und die Einheit beider in ihm. Zur Erläuterung und Entwickelung dieser Ideen mag daher kürzlich folgendes dienen. Bei endlichen Wesen ist die Existenz vom Wesen unterschieden oder absonderlich, d.h., ihr Wesen ist geistig, ihre Existenz sinnlich, und darin eben ist diese von jenem unterschieden und absonderlich. Das Wesen z.B. des Menschen ist die Geistigkeit, die Vernunft oder wie man es sonst nennen und bestimmen will, aber die Existenz desselben sind die vielen einzelnen Menschen, die in die Sinne fallen. Gottes Wesen ist klar und deutlich, seine Existenz daher, da sie eins mit dem Wesen ist, ebenso klar, so deutlich, so lichtvoll und hell wie sein Wesen; bei dem Menschen dagegen ist die Existenz gleichsam die Sonnenfinsternis der Idee; so viele Menschen, so viele Flecken in der Sonne ihres Wesens, sie verdunkeln das an sich klare und deutliche Wesen; d.i., in der Idee erkenne ich nicht, weil die Existenz des Menschen die vielen existierenden Menschen sind, die Existenz desselben, ich schaue sie nicht durch das Licht der Vernunft, es ist ein Abbruch zwischen der Idee oder dem Wesen und der Existenz, die daher, als nicht unmittelbar mit dem Wesen verbunden, zufällig, bedingt, abhängig, eine nur mögliche, aber nicht notwendige ist; sie fällt in die Sinne; die Existenz des Menschen, d. i. die Existierenden, lerne ich erst durch den Sinn die sinnliche Anschauung kennen; das Wesen fällt nur in die Vernunft. Aber bei Gott ist nicht diese Trennung, er selbst ist sein Sein, »ipse suum esse est« (Resp. V, p. 74); wie sein Wesen, so fällt daher auch seine Existenz in die Vernunft, wird zugleich mit dem Wesen von ihr geschaut und ergriffen. Die Existenz Gottes spiegelt ungetrübt sein[210] klares Wesen wider; in einem Lichte wird daher sein Sein und sein Wesen geschaut, mit einem und demselben Organe werden beide ergriffen, nämlich mit dem Auge der Vernunft. Der Begriff des Wesens Gottes ist zugleich der Begriff seiner Existenz auch, Wesen und Existenz ist in ihm eins, das Denken und Erkennen seines Wesens und Seins daher auch ein Akt. Von Gottes Wesen ist seine Existenz nicht zu unterscheiden, d.h. doch wohl, seine Existenz ist eine wesentliche, keine sinnliche, so daß ich, um von seinem Dasein mich zu überzeugen, eines andern Organs als der Vernunft bedürfte; ich kann und brauche daher nicht um mich von seiner Existenz zu überzeugen, etwa über die Vernunft oder die Idee hinauszugehen in die Region der sinnlichen Erfahrung oder einer andern unbekannten Sphäre. »Deduxi probationem Existentiae Dei ex Idea, quam in me sentio, Entis summe perfecti, quae notio communis est, quae de eo habetur. Et verum est solam considerationem talis Entis facillime deducere ad cognitionem ejus Existentiae, ita ut fere idem sit concipere Deum et concipere quod existat.« (»Epist.«, P. III, Ep. 114)

Es ergibt sich auch hieraus 3., daß der Beweis vom Dasein Gottes, obwohl ihn C. als einen Beweis darstellt und ihn auch in die Form eines Schlusses bringt, nur der Form nach, aber nicht dem Wesen, der Sache, der Substantiellen Idee nach ein Schluß oder Beweis ist. Die Hauptsache, worauf es hier ankommt, ist die Idee Gottes als des Wesens, in dem das Wesen nicht von der Existenz unterschieden ist. Diese Idee ist für sich selbst der Beweis, daß er ist. Die Idee selbst ist die Gewißheit, das Zeugnis, daß Gott ist; er kann gar nicht anders gedacht werden als seiend; indem ich ihn denke, die Idee von ihm habe, so bin ich schon gewiß, daß er ist; sonst habe ich nicht die Idee von ihm. Die Existenz wird nicht erst durch ein andres oder Drittes mit dem Wesen verbunden; nicht durch ein andres oder die Verknüpfung mit ihm werde ich erst gewiß, daß er ist; die Gewißheit von seinem Dasein kommt nirgendwoanders her als[211] aus seiner Idee. Der Begriff Gottes ist der Beweis von seinem Dasein. Die Form des Beweises ist daher nur äußerlich, tut nichts zur Sache, ist nur eine der damaligen und auch noch spätern Gewohnheit, alles in mathematische oder logische Beweisformen zu bringen, gemäße Verständigung für das Subjekt. Gott denken und gewiß sein, daß er ist, ist nicht ein in sich verschiedener, getrennter und vermittelter Akt; die Schluß- und Beweisform, die wesentlich nur ist eine Verbindung von Getrenntem oder wenigstens Verschiedenem, ist also hier nur ein Unwesentliches. C. sagt selbst: »Quod autem ad Deum attinet, certe nisi praejudiciis obruerer, et rerum sensibilium imagines cogitationem meam omni ex parte obsiderent, nihil illo prius aut facilius agnoscerem, nam quid ex se apertius, quam summum ens esse sive Deum, ad cujus solius essentiam existentia pertinet, existere?« (Medit. V) Ferner: »Considerent in aliarum quidem omnium naturarum ideis existentiam possibilem, in Dei autem Idea non possibilem tantum, sod omnino necessariam contineri. Ex hoc enim solo et absque ullo discursu cognoscent, Deum existere, eritque ipsis non minus per se notum, quam numerum binarium esse parem, vel ternarium imparem et similia. Nonnulla enim quibusdam per se nota sunt, quae ab aliis non nisi per discursum intelliguntur.« (»Ration. mor. geom. disp.«, S. 87)

4. Gassendi macht dem C. den Einwurf, daß er die Existenz unter die Perfektionen oder Eigenschaften Gottes rechne. »Allein, weder in Gott noch sonstwo ist die Existenz eine[212] Vollkommenheit oder Eigenschaft, sondern die Voraussetzung der Vollkommenheiten. Denn was nicht existiert, hat weder Vollkommenheit noch Unvollkommenheit; und was existiert und mehrere Vollkommenheiten hat, das hat nicht die Existenz als eine unter andern Vollkommenheiten, sondern als das, wodurch sowohl es selbst als die Vollkommenheiten wirklich sind.« (Object. V) C. erwidert hierauf: »Ich sehe nicht ein, warum nicht die Existenz ebensogut eine Eigenschaft (proprietas) genannt werden kann als die Allmächtigkeit, wenn man nämlich unter dem Wort Eigenschaft jedes Attribut oder alles, was von einer Sache ausgesagt werden kann, versteht, wie es hier verstanden werden muß. Im Gegenteil, die notwendige Existenz ist in Gott im strengsten Sinne eine Eigenschaft, denn nur ihm kommt sie zu und in ihm allein ist sie ein Bestandteil des Wesens.« (Resp. V, p. 74) Allerdings hat G. recht, wenn er behauptet, daß die Existenz keine Perfektion oder Eigenschaft oder Attribut ist. Allein diese unrichtige Vorstellung hebt nicht die Wahrheit der Idee auf; und es kommt ja alles darauf an, daß die Existenz in der Beziehung nur zum Wesen steht, in welcher Beziehung die Existenz die Bedeutung einer bloßen Perfektion verliert und die der Perfektion der Perfektionen, der Realität der Realitäten bekommt.

Dem C. wurde außerdem noch von seinen Gegnern, so auch von dem Jesuiten Gabriel Daniel in seinem satyrischen »Voyage du monde de Des-Cartes«, der Vorwurf gemacht, daß Gott nach ihm das Prinzip der Gewißheit sei, er erst durch die Gewißheit von Gottes Dasein gewiß werde, daß das, was er klar und deutlich einsehe, wahr sei, und doch daher, daß er klar und deutlich einsehe, daß die Existenz notwendig in der Idee Gottes enthalten sei, die Gewißheit herhole, daß Gott existiere, also das erste durch das zweite und das zweite durch das erste beweise.111 Allein, es ist zu bemerken, daß der Geist nicht erst vermittelst der Gewißheit von Gottes Dasein, sondern unmittelbar – denn das macht ja ihn gerade zum Geist, zum Bewußtsein – seiner[213] selbst, seiner Existenz gewiß ist und ebenso aus sich selbst gewiß ist und sein kann, daß das, was er klar und deutlich einsieht, wahr ist, daß ferner Gott nicht sowohl erst das Prinzip der Gewißheit ist als vielmehr das Prinzip der Vervollständigung der Gewißheit, der Bestätigung, der objektiven Autorisation, daß das, was dem Geiste durch seinen klaren und deutlichen Begriff aus ihm selbst gewiß ist, auch wirklich wahr sei. Allerdings bleibt ein Widerspruch übrig, der aber in der Sache selbst enthalten ist, in dem Geiste nämlich, wiefern er Selbst ist, und der sich daher auch später auf eine noch viel stärkere Weise als in C. in verschiedenen moralischen und religiösen, selbst philosophischen Ansichten der neuern Zeit vorfindet, die den Geist als Selbst zu ihrem Prinzip haben, und als ein Niederschlag, gleichsam als der Satz der Cart. Philosophie angesehen werden müssen.

110

Eine Zusammenstellung der Gedanken Augustins überhaupt, die mit den Gedanken des C. über das Wesen des Geistes Ähnlichkeit haben, gab Lud. de la Forge in der Praefatio zu seinem »Tract. de Mente humana«.

111

»Iter per Mundum C.«, Amstel. 1694, p. 83-84. Sosehr übrigens C. in dieser unterhaltenden und für die Geschichte der C. Philosophie wichtigen Schrift mitgenommen und lächerlich gemacht wird, so werden doch zugleich seine Verdienste anerkannt.

Quelle:
Ludwig Feuerbach: Geschichte der neuern Philosophie von Bacon bis Spinoza. Leipzig 1976, S. 209-214.
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