§ 67. Die Aufhebung, der Gegensätze von Geist und Natur und deren Kritik

[226] Die Naturphilosophie des C. hat wie jede Anschauungsweise der Natur, die auf denselben allgemeinen Prinzipien, von denen C. ausgeht, oder auf diesen verwandten beruht, die Natur zu ihrem Objekte als ein Totes, Mechanisches, Äußerliches; denn sie hat sie nur in ihrem Unterschiede vom Geiste, bloß in dem Gegensatz gegen ihn, der doch das Prinzip alles Lebens ist, und darum nur als Materie zu ihrem Gegenstande. Wohl erhebt sich der Geist auch auf dem Standpunkt der Cartesischen Philosophie vermittelst des Bewußtseins von der Existenz der unendlichen Substanz, die in keinem Gegensatze steht, zur Aufhebung des Gegensatzes zwischen Geist oder Seele und Materie, und kommt also auch auf diesem Standpunkte in einem Punkte die Anschauung vom Leben, d. i. eben von der Einheit des Geistes und der Materie, zum Vorschein. Allein es kommt zu keiner wirklichen Einheit. Die Begriffe des Geistes und der Materie sind zwei ganz verschiedene; alle körperlichen Bestimmungen reduzieren sich auf die Ausdehnung als ihr gemeinschaftliches Wesen; alle geistigen Akte aber oder Bestimmungen, wie Wollen, Fühlen, Einbilden, haben zu ihrem gemeinschaftlichen Wesen das Denken, die Vorstellung oder das Bewußtsein aber die Akte des Körpers haben durchaus keine Gemeinschaft mit den Akten des Geistes, das Denken, das gemeinschaftliche Wesen der geistigen Bestimmungen, und die Ausdehnung, das gemeinschaftliche Wesen aller körperlichen Bestimmungen, sind der Gattung[226] nach unterschieden. Der Körper ist seiner Natur nach immer teilbar, der Geist aber durchaus unteilbar; denn das denkende Wesen kann keine Teile in sich unterscheiden, es ist ein durchaus identisches Wesen. Alles, was daher vom Körper gilt, muß vom Geiste verneint werden, beide schließen sich aus117, sie sind ihrem Begriffe nach selbständig, unabhängig voneinander, beide sind für sich selbst komplette oder vollständige Substanzen.118 Es ist also unmöglich, daß[227] eine lebendige, organische, aus ihrem Begriffe hervorgehende Einheit beider zustande komme, es ist nur der Denker das Subjekt, das sie verbindet, sie bleiben an sich selber auseinander; und da die Einheit nur eine willkürliche subjektive ist, keine in den objektiven Begriffsbestimmungen der Materie und des Geistes enthaltene, so kann sie nichts weiter als eine Zusammensetzung sein. Die Kategorie oder Gedankenbestimmung der Zusammensetzung ist, wenn einmal Geist und Materie in einer einseitigen Geschiedenheit voneinander angenommen und fixiert sind und diese Geschiedenheit als der richtige, wahre Begriff von ihnen vorausgesetzt ist und doch beide dann verbunden werden sollen, die einzige, in der diese ihre Verbindung aufgefaßt werden kann; denn die Zusammensetzung ist eben eine Verbindung, in der die Verbundenen unverbunden, außereinander bleiben. Statt daß daher durch die Zusammensetzung eine Einheit zustande kommen soll, kommt nur durch sie ein Widerspruch zustande; denn Materie und Geist sind sich direkt entgegengesetzt, geschieden, in dieser Geschiedenheit selbständig, unvereinbar, und doch vereint. »Intelligitur, quod notiones rei cogitantis et rei extensae sive mobilis sint plane diversae, atque a se mutuo independentes, repugnetque, ut illae res, quae a nobis tanquam diversae et independentes clare intelliguntur, separatim saltem a Deo poni non possint: adeo ut, quotiescunque illas in uno et eodem subjecto reperimus, ut cogitationem et motum corporeum in eodem homine, non debcamus idcirco existimare,[228] ipsas ibi esse unum et idem unitate naturae, sed tantum unitate compositionis.« (Resp. VI, p. 157 u. p. 156) C. sagt allerdings, daß der Geist nicht etwa wie ein Schiffer in seinem Fahrzeug in seinem Körper sei, sondern aufs innigste mit ihm verbunden und gleichsam vermischt (arctissime conjunctum et quasi permixtum) sei, so daß er gewissermaßen ein Wesen mit ihm ausmache (Medit. VI); allein das sind nur Behauptungen, die ihm die Erfahrung, welche, wie C. selbst eingesteht (»Epist.«, P. I, Ep. 30, u. Medit. VI), uns durch das bloße Gefühl schon lehrt, daß die Seele mit dem Leib eins sei, aufgedrungen hat; sie gehen nicht aus seinen Prinzipien hervor, aus den Bestimmungen, die er als die Objektiven Bestimmungen des Geistes und der Materie anerkennt, sie ändern daher nichts an der Sache, heben nicht die Unvereinbarkeit des Leibes und der Seele auf, die von vornherein als zwei selbständige Substanzen bestimmt sind. C. widerspricht sich daher auch nirgends mehr als in diesem Punkte. So sagt er z.B.: »Non est proprie de essentia mentis, quod humano corpori sit unita« (Resp. IV), die Einheit von Seele und Materie sei nur eine unitas compositionis, nicht naturae, und doch wieder, mentem substantialiter corpori esse unitam, sie sei eine unio substantialis. (Ebd.) Übrigens sah C. selbst nur zu gut die große Schwierigkeit ein, die bei seinem Begriffe vom Geiste die Vereinigung desselben mit der Materie hat; denn beide müßten zugleich als unterschieden, zugleich als identisch gefaßt werden, weil die Verbindung zweier Dinge[229] fassen nichts anders heiße, als sie in ihrer Identität begreifen: »Concipi debent ut unum quid et simul ut duo diversa; duarum enim rerum conjunctionem concipere aliud non est, quam illas ut unum quid concipere«. (»Epist.«, P. I, Ep. 30) Die Schwierigkeit, den Unterschied und die Einheit zugleich des Geistes und der Materie zu fassen, sucht C. dadurch zu heben, daß er drei Erkenntnisweisen, drei Gattungen ursprünglicher, allgemeiner Begriffe, erstlich den Begriff des Geistes, zweitens den des Körpers, drittens den der Verbindung beider, unterscheidet. Der Begriff der Seele ist ein rein intellektueller Begriff, oder die Seele erfaßt sich allein durch den reinen Verstand; der Körper kann auch durch den bloßen Verstand gefaßt werden, aber weit besser durch den Verstand in Verbindung mit der Einbildungskraft; die Verbindung aber von Leib und Seele und was darauf sich bezieht, kann nur dunkel durch den Verstand allein oder in Verbindung mit der Imagination, am klarsten aber durch das Gefühl (per sensus) erfaßt werden.119 (Ebd.)

Die Schwierigkeit der Vereinbarkeit oder vielmehr die Unvereinbarkeit[230] des Geistes mit der Materie in der Cart. Philosophie geht, wie schon erwähnt, daraus hervor, daß C. den Geist nur in der Bestimmung des bewußten Selbsts und dieses als die Seele, als den Geist selbst erfaßte; denn von diesem, vom Körper sich absondernden, diese Absonderung als seine positive, totale, als seine Wesenbestimmung setzenden Geiste aus ist eine Verbindung mit dem Körper unmöglich; denn das Selbst ist gerade das, was die unmittelbare Verbindung zwischen Leib und Seele aufhebt, was im Menschen nur entsteht durch die Abstraktion von seinem Leibe, in der er den Leib als ein nicht zu seinem Selbste Gehöriges, als eine bloße Materie von sich abtrennt. C. vermehrt diese Schwierigkeit noch dadurch, daß er, der überhaupt als Anfänger der neuern Philosophie noch nicht ganz frei vom Geiste der ältern Metaphysik und daher nicht imstande war, die seiner Philosophie, namentlich vom Geiste, zugrunde liegenden Ideen in strenger Konsequenz und Bestimmtheit ans Licht zu bringen und durchzuführen, die negative, unbestimmte, gespenstige Form oder Bestimmung der Unteilbarkeit und Einfachheit auf den Geist anwendet, da doch der reelle, bestimmte Unterschied des Geistes von der Materie, die Immaterialität desselben, von ihm allein in die Einheit des Denkens oder Selbstbewußtseins gesetzt ist, von welcher die Bestimmung der Einfachheit oder Unteilbarkeit erst der abgezogne Ausdruck ist und zu welcher sich diese verhält wie zum wirklichen Geist das Gespenst, zum lebendigen Wesen sein Schatten. So wie aber die Einfachheit nur das abgezehrte und abgezogene Gespenst von der lebendigen konkreten Bestimmung der Einheit des Selbstbewußtseins und daher keine positive Bestimmung ist, durch die ich den Geist oder die Seele bestimme und erkenne, so ist es auch ganz unmöglich, von dieser abgezehrten Bestimmung aus die Einheit des Geistes und der Materie, die Verbindung des einfachen Wesens mit dem zusammengesetzten zu erfassen.

Da C. lediglich in das Selbstbewußtsein das Wesen des Geistes setzt, das bewußte oder denkende Selbst nach ihm die ganze Seele oder der ganze Geist ist – denn er unterscheidet nicht Seele und Geist, wo also kein Bewußtsein und Wille, auch keine Seele, sondern nur Materie ist –, so ist es auch eine notwendige Folge seiner Philosophie, daß die[231] Tiere bloße Automate, Maschinen, alle ihre Bewegungen nur mechanisch sind120, nicht aus einem geistigen Prinzip erfolgen – eine notwendige Folge überhaupt, daß C. in der Erklärung der Lebens- und Seelenerscheinungen ein bloßer Materialist ist, denn alle Tätigkeiten und Bewegungen, die ohne unser Selbst, ohne unsern Willen geschehen, geschehen nach ihm ohne Seele, also auf nur materielle oder vielmehr mechanische Weise. »Ita ut omnes motus, qui nobis eveniunt, voluntate nostra nihil ad eos conferente, (ut saepe evenit, nos respirare, ambulare et denique omnes actiones facere, quae nobis cum bestiis communes sunt) non aliunde pendeant, quam a conformatione nostrorum membrorum, et cursu, quem spiritus excitati per calorem cordis naturaliter sequuntur in cerebro, in nervis et in musculis: eodem modo, quo motus automati producitur sola virtute manuclae et figura suarum rotularum.« (»De Passionibus«, P. I, Art. 36) »Wenn jemand«, sagt er ebendaselbst, Art. 13, »geschwind die Hand nach unsern Augen ausstreckt, als wenn er uns schlagen wollte, so können wir, wenn wir gleich wissen, daß er unser Freund ist und es nur aus Scherz tut, also uns kein Leid zufügen wird, uns doch nicht enthalten, die Augen zu schließen – ein Beweis, daß sie nicht durch unsere Seele geschlossen werden, denn es geschieht wider unsern Willen, welcher ihre einzige oder wenigstens vorzüglichste Tätigkeit ist, sondern daß die Maschine unseres Körpers so gemacht ist, daß die Bewegung[232] jener Hand gegen unsere Augen eine andere Bewegung in unserm Hirn erregt, welche die Lebensgeister in die die Augenlider zusammendrückenden Muskel hinabführt.«

117

»Omnes illi actus (scl. corporei) conveniunt sub una communi ratione extensionis: sunt deinde alii actus, quos vocamus cogitativas, ut intelligere, velle etc., qui omnes sub ratione communi cogitationis sive perceptionis sive conscientiae conveniunt. Actus cogitativi nullam cum actibus corporeis habent affinitatem, et cogitatio, quae est ipsorum ratio communis, toto genere differt ab extensione, quae est ratio communis aliorum (corporeorum).« (Resp. III) »Adverto, magnam esse differentiam inter mentem et corpus in eo, quod corpus ex natura suasit semper divisibile, mens autem plane indivisibilis; nam sane cum hanc considero sive me ipsum, quatenus sum tantum res cogitans, nullas in me partes possum destinguere, sod rem plane unam et integram me esse intelligo, neque etiam facultates volendi etc. ejus partes dici possunt, quia una et eadem mens est, quae vult, quae sentit, quae intelligit.« (Medit. VI) »De mente non modo intelligimus, illam esse sine corpore, sed etiam omnia illa, quae ad corpus pertinent, de ipsa posse negari.« (Resp. IV)

118

In Beziehung auf den Menschen, den Geist und Materie konstituieren, nennt C. beide unvollständige Substanzen. »Mens et corpus sunt substantiae incompletae, cum referuntur ad hominem, quem componunt, sed solae spectatae sunt completae.« (Resp. IV, p. 122, u. »R Desc. Notae«, p. 180) Abgesehen davon, daß C. der wahren Idee seiner Philosophie widerspricht, indem er den Geist insofern gleichsetzt der Materie, da doch nur dem Geiste eine unvermittelt gewisse und unbedingt reale Existenz zukommt, aber nicht der Materie, so hätte vielmehr C. – wiewohl nicht zu leugnen ist, daß auch der Geist, der zu seinem Gegensatz die Materie hat, ein unvollständiger Geist ist – nicht in der Materie, wie sie mit dem Geiste zu einem Wesen verbunden ist, sondern in ihr selbst wie sie für sich ist und für sich betrachtet wird, ihre Unvollständigkeit erkennen, gerade in ihrer Trennung ihren Mangel und ihr Elend finden sollen.

119

Einige Stellen sind allerdings auch im Cartesius, die auf die Einheit von Geist und Materie hindeuten, aber sie stehen ganz isoliert da. So sagte er vom organischen Leibe: »Id (corpus) unum est et quodammodo indivisibile ratione dispositionis suorum organorum, quae omnia ita ad se mutuo referuntur, ut quodam ex illis ablato reddatur totum corpus mancum ac defectivum.« (»De Passionibus«, P. I, Art. 30) Er erkennt also hier in dem Leibe die Bestimmung der Einfachheit und Unteilbarkeit an, die er sonst nur dem Geiste beilegt. So sagt er auch: »Quamvis possit quispiam animam ut rnaterialem concipere (quod proprie est ejus cum corpore conjunctionem concipere), nihilominus postea cognoscitur, illam esse ab eo separabilem. Extensionem animae tribuere hoc enim aliud non est, quam illam corpori unitam concipere.« (»Epist.«, P. I, Ep. 30) Eine Stelle, die übrigens ebenso isoliert als dunkel dasteht.

120

Es tut nichts zur Sache, wenn C. schon lange vor seinen metaphysischen Meditationen diese seine Ansicht von den Tieren in einer Jugendarbeit niedergelegt hat. Vergl. Baillet, »La Vie de Mr. Des-Cartes«, Liv. I, ch. 11. – Daß die Tiere nicht denken, beweist C daraus, daß sie keine eigentliche Sprache haben, und diesen Mangel leitet er nicht ab von dem Mangel der Organe, sondern dem Mangel des Denkens. (»Epist.«, P. I, Ep. 67, 54)

Quelle:
Ludwig Feuerbach: Geschichte der neuern Philosophie von Bacon bis Spinoza. Leipzig 1976, S. 226-233.
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