§ 78. Gott das Prinzip und das wahre Objekt des Willens

[270] Wie Gott das Prinzip aller Erkenntnis im Geiste ist, so ist er auch in ihm das Prinzip aller Bewegung und Tätigkeit das Prinzip des Willens und der Neigungen.

Wie die Geister nichts erkennen können, wenn sie nicht Gott erleuchtet, nichts fühlen, wenn sie nicht Gott bestimmt, so können sie auch nichts wollen, wenn nicht Gott in ihnen den Trieb zum Guten überhaupt, d.h. zu Gott, erweckt. Sie können zwar dieser Bewegung oder diesem Triebe eine andere Richtung geben, nämlich die Richtung auf andere Objekte als Gott, aber dieses Können kann man wohl nicht ein positives Vermögen nennen. Denn wenn Sündigenkönnen ein Vermögen ist, so ist das ein Vermögen, das der Allvermögende nicht hat. Hätten die Menschen von sich selbst die Macht oder das Vermögen, das Gute zu lieben, so könnte man ihnen wohl einige Macht zuschreiben; aber die Menschen können nur deswegen lieben, weil Gott will, daß sie lieben, und sein Wille seine Wirkung nicht verfehlt. Sie[270] können nur lieben, weil Gott unaufhörlich den Trieb zu dem allgemeinen Gut, d.h. zu sich, in ihnen erzeugt; denn da sie Gott seinetwegen erschafft, so erhält er sie auch nicht, ohne sie an sich zu ziehen oder ihnen den Impuls zu seiner Liebe zu geben. (T. II, Liv. VI, P. II, ch. 3, und Liv. III, P. II, ch. 6)

Der Wille ist nichts andres als der natürliche Trieb zu dem unbestimmten und allgemeinen Gut und die Freiheit oder Kraft unsres Geistes, jenen Trieb auf Objekte hin zu richten, die uns gefallen, und so die vorher unbestimmten Neigungen unsrer Natur jetzt durch die Richtung auf irgendein besondres Objekt zu bestimmen. Daß wir wollen, d. i., das Gute überhaupt verlangen und zu ihm uns hinneigen, ist daher zwar eine Notwendigkeit; daß wir aber dieses oder jenes wollen, zu diesem besondern Gut uns bestimmen, ist unsre Freiheit; denn Gott treibt uns unaufhörlich und durch einen unwiderstehlichen Eindruck zur Liebe des Guten überhaupt an. Gott stellt uns zwar auch die Idee eines besondern Gutes vor oder gibt uns das Gefühl von ihm; denn nur er erleuchtet uns, und die uns umgebenden Körper können nicht auf uns einwirken, noch sind wir selbst unsre Glückseligkeit oder unser Licht. Gott bewegt uns daher auch zu dem besondern Gute hin, insofern er in uns die Vorstellung davon erzeugt; denn Gott erregt in uns den Trieb zu allem, was gut ist. Aber Gott treibt uns nicht notwendig noch unwiderstehlich zur Liebe dieses Gutes an. Es steht in unsrer Freiheit, ob wir uns bei diesem besondern Gute aufhalten oder weitergehen wollen. Denn wir haben das Vermögen, an alle Dinge zu den ken, weil unsre natürliche Liebe zu dem Guten überhaupt alle Güter umfaßt, an die wir denken können, und wir können zu jeder Zeit an alle Dinge denken, weil wir mit dem vereint sind, der alle Dinge in sich enthält. Wir haben daher ein Selbstbestimmungsprinzip in uns, und dieses Prinzip ist immer frei in Betracht der besondern Güter. Denn, da wir sie prüfen und mit unsrer Idee vom höchsten Gute oder mit andern besondern Gütern vergleichen können, so sind wir nicht zu ihrer Liebe gezwungen. (Éclairc., I. Écl.)

Gott ist also, wie das Prinzip des Willens, so auch das wahre, das eigentliche Objekt desselben. Denn es ist unbezweifelbar, daß Gott der Urheber aller Dinge ist, daß er[271] sie um seinetwillen geschaffen hat und daß er das menschliche Herz durch einen unwiderstehlichen Impuls stets zu sich hinreißt. Gott kann ja nicht wollen, daß irgendein Wille ihn nicht liebt oder ihn weniger als irgendein andres Gut liebt, wenn es anders außer ihm ein Gut noch geben kann. Denn er kann nicht wollen, daß ein Wille das nicht liebe, was der höchste Grad des Liebenswürdigen ist, und das am meisten liebe, was der geringste Grad des Liebenswürdigen ist. Unsre eingeborne oder natürliche Liebe hat daher Gott zu ihrem Objekte; denn sie kommt von Gott, und es wäre nichts imstande, diese Neigung zu Gott von ihm abzuwenden, als Gott selbst, der sie uns eindrückt. Jeder Wille folgt daher notwendig den Bewegungen dieser Liebe. Die Gerechten wie die Gottlosen, die Seligen wie die Verdammten lieben Gott mit dieser Liebe. Denn da diese unsre natürliche Liebe zu Gott eins ist mit unsrer natürlichen Neigung zu dem allgemeinen Gut, zu dem unendlichen Gut, zu dem höchsten Gut, so ist offenbar, daß alle Geister Gott mit dieser Liebe lieben, da nur er allein das allgemeine Gut, das unendliche, das höchste Gut ist. Denn alle Geister und selbst die Teufel brennen vor Begierde, glücklich zu sein und das höchste Gut zu besitzen, und verlangen es ohne Wahl, ohne Überlegung, ohne Freiheit, bloß aus einem notwendigen Triebe ihrer Natur. Da wir für Gott erschaffen sind, für ein unendliches Gut, für ein Gut, das alle Güter in sich faßt so kann daher auch erst der Besitz dieses Gutes das Verlangen, den Trieb unsrer Natur stillen. (Liv. III, ch. 4, u. Liv. I, ch. 17)

Quelle:
Ludwig Feuerbach: Geschichte der neuern Philosophie von Bacon bis Spinoza. Leipzig 1976, S. 270-272.
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