§ 100. Kritische Schlußbemerkungen von 1847

[359] Was ist denn, bei Lichte besehen, das, was Spinoza logisch oder metaphysisch Substanz, theologisch Gott nennt? Nichts andres als die Natur. Dies beweisen nicht nur indirekt die Bestimmungen, welche Sp. von der Substanz gibt, wie z.B., daß sie nicht um eines Zwecklos willen handle, nicht mit Vorbedacht und Absicht, sondern mit Notwendigkeit wirke – Bestimmungen, die nur in der Anwendung auf die Natur[359] Sinn haben –, sondern auch ausdrücklich und direkt seine Worte. Gott und Natur sind ihm gleichbedeutend.175 »Die Macht«, sagt er z.B. (»Eth.«, P. IV, Pr. 4, Dem.), »wodurch die einzelnen Dinge und folglich der Mensch sein Sein erhält, ist selbst die Macht Gottes oder der Natur. Die Macht des Menschen ist daher ein Teil der unendlichen Macht Gottes oder der Natur.« Seine Gegner warfen ihm daher schon bei Lebzeiten vor, daß er Gott mit der Natur konfundiere. Sie hatten recht; aber eben so recht hatte Spinoza, wenn er seinen Gegnern, den christlichen Philosophen und Theologen, vorwarf, daß sie Gott mit dem Menschen konfundierten.

Die historische Bedeutung und Würde Spinozas liegt eben gerade hierin, daß er im Gegensatz zur christlichen Religion und Philosophie die Natur vergötterte, die Natur zum Gott und Ursprung des Menschen machte, während jene das menschliche Wesen zum Gott und Ursprung der Natur machen. Der »Tractatus Theolog.-politicus« ist deswegen eine der wichtigsten Schriften Sp.s, weil er diesen Gegensatz aufs schärfste hervorhebt. Der praktische Zweck dieser Schrift ist, die Notwendigkeit und Heilsamkeit vollkommner religiöser und philosophischer Gedankenfreiheit zu beweisen, den Despotismus des Geistes zu bekämpfen, denn dort sagt er, wird am gewalttätigsten regiert, wo nicht jeder die Freiheit hat, zu sagen und lehren, was er denkt (cap. 20), wo selbst die Meinungen, zu denen jeder ein unveräußerliches Recht hat, für Verbrechen gelten (cap. 18). Seine Gründe für diese Freiheit sind aber kürzlich folgende: Die Verschiedenheit der Menschen zeigt sich nirgends mehr als in ihren Meinungen, namentlich religiösen, so daß, was den einen zur Ehrfurcht, den andern zum Lachen stimmt; es ist daher dem Urteil eines jeden zu überlassen, was er glauben will, wofern ihn nur sein Glauben zu guten Werken bewegt, denn der Staat hat sich nicht um die Meinungen, die sich ja so seiner[360] Macht entziehen, sondern nur um die Handlungen der Menschen zu bekümmern. Der Glaube, die Religion, die Theologie hat überhaupt keine theoretische Bedeutung, Wahrheit und Gültigkeit, ihr Wert und Beruf ist einzig ein praktischer, ist allein, die Menschen, die nicht durch Vernunft bestimmt werden, zum Gehorsam, zur Tugend und Glückseligkeit zu bringen; Torheit darum, tiefe Geheimnisse und Erkenntnisse geistiger und natürlicher Dinge in der Religion zu suchen. (cap. 2) Wahrheit ist nicht die Sache der Theologie, sondern der Philosophie. Philosophie und Theologie haben daher gar nichts miteinander gemein. Philosophiae enim scopus nihil est praeter veritatem, fidei autem nihil praeter obedientiam et pietatem. (cap. 14)

Was ist denn nun aber der Grund dieser Differenz zwischen Religion oder Theologie und Philosophie? Dieser: Der Gegenstand oder Gott, wie er Gegenstand der Religion, ist ein menschliches, der Gegenstand aber oder Gott, wie er Gegenstand der Philosophie, ein nicht menschliches Wesen. Oder: Die Religion hat zu ihrem Gegenstande nur die moralischen, die Philosophie aber die physischen Eigenschaften Gottes, jene denkt Gott nur in Beziehung auf den Menschen, diese aber in Beziehung auf sich selbst oder an und für sich selbst. »Die heilige Schrift«, sagt Sp., »gibt keine eigentliche Definition von Gott, sie offenbart nicht die absoluten Prädikate seines Wesens, sondern nur die Attribute der göttlichen Gerechtigkeit und Liebe – ein deutlicher Beweis, daß die intellektuelle oder philosophische Erkenntnis Gottes, welche seine Natur betrachtet, wie sie in sich ist und welche die Menschen nicht in einer bestimmten Lebensweise nachahmen, nicht zum Muster ihres Lebenswandels nehmen können, schlechterdings keine Sache des Glaubens und der geoffenbarten Religion ist.« (cap. 13) »Ich wenigstens«, sagt er von sich (»Epist.« 34), »habe aus der heiligen Schrift keine ewigen Attribute Gottes gelernt noch lernen können.« Die Religion stellt Gott dar, sagt er dem Sinne nach, im Einklang mit dem sinnlichen Vorstellungsvermögen, der Einbildungskraft des Menschen, sie »stellt ihn vor als Lenker, als Gesetzgeber, als König, als gerecht, als barmherzig usw., aber alle diese Attribute sind Attribute der menschlichen[361] Natur, die man von der göttlichen Natur fernhalten muß«. (»Tract. Theol.-pol.«, cap. 4) »Die Theologie stellt Gott als den vollkommnen Menschen vor, sie schreibt daher Gott Verlangen, Abscheu an den Werken der Gottlosen, Freude und Wohlgefallen an den Werken der Frommen zu; aber in der Philosophie, wo nur klare Begriffe gelten, können solche Attribute, welche Gott zu einem vollkommnen Menschen machen, sowenig ihm zugeschrieben werden als die Eigenschaften, welche einen vollkommnen Elefanten oder Esel machen, dem Menschen beigelegt werden können.« (»Epist.« 36) Aber was ist denn nun dieser philosophische Gott, dieser Gott ohne menschliche Attribute, ohne Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, ohne Auge und Ohr, dieser Gott, der ohne Rücksicht auf den Menschen wirkt, wirkt nur nach Gesetzen, welche sich nicht nach dem Wohle des Menschen, das die Religion allein im Auge hat (»Religioni humanurm tantum utile intendenti«)176, sondern nach dem Ganzen der Natur richten (»Tract. Theol.-pol.«, cap. 16), wirkt nur nach der Notwendigkeit seines Wesens? Er ist, wie gesagt, nichts andres als die Natur. Spinoza spricht dies selbst deutlich genug aus, wenn er sagt: »Gewöhnlich stellt man sich die Macht Gottes und die Macht der natürlichen Dinge als zwei der Zahl nach voneinander unterschiedene Mächte vor; allein, die Kraft und Macht der Natur ist die Kraft und Macht Gottes selbst, aber das Wirkungsvermögen, die Macht eines Dings ist sein Wesen selbst, also das Wesen der Natur das Wesen Gottes selbst. Wenn daher Gott, wie die Theologie beim Wunder annimmt, wider die Gesetze der Natur handele, so würde er wider sein eignes Wesen handeln.« (Ebd., cap. 6) »Wir kennen daher die Macht Gottes nur soweit, als wir die natürlichen Ursachen kennen, nichts ist darum törichter, als zur Macht Gottes seine Zuflucht zu nehmen, wenn man die natürliche Ursache von etwas, d.h. eben die Macht Gottes, nicht kennt.« (cap 1) »Je mehr wir die natürlichen Dinge erkennen, desto vollkommner erkennen wir Gottes Wesen, welches die Ursache aller[362] Dinge ist.« (cap. 4)

Die Natur ist also das Prinzip, der Gott, das Wesen, die Vernunft Spinozas. Was wider die Natur, sagt er selbst, ist wider die Vernunft: »Quicquid enim contra naturam est, id contra rationem est.« (Ebd., cap. 6) Aber die Natur ist dem Sp. nicht Gegenstand als sinnliches, sondern als unsinnliches, abstraktes, metaphysisches Wesen, so daß das Wesen der Natur bei ihm gar nichts andres ausdrückt als das Wesen des Verstandes, und zwar des Verstandes, der allein im Widerspruch oder Gegensatz gegen das Gefühl, den Sinn, die Anschauung erfaßt ist. Halten wir uns nur z.B. an die körperliche Substanz. Sie ist eine göttliche Wesenheit. Aber wie ist die Ausdehnung, das Wesen des Körpers, ein göttliches Attribut – abgesondert von allen den Bestimmungen, die sie in der sinnlichen Vorstellung und Anschauung hat, selbst von der Bestimmung der Teilbarkeit und Vielfachheit?177 Aber ist denn diese abstrakte Ausdehnung noch ein Ausdruck, ein Bild, eine Bejahung der körperlichen und nicht vielmehr nur der denkenden Natur, des Verstandes? Das Wasser als Wasser, sagt Sp., ist teilbar und trennbar, erzeugbar und zerstörbar, aber nicht das Wasser als körperliche Natur. Aber was ist denn das auf die dürre, trockene Bestimmung der bloßen Ausdehnung oder Körperlichkeit reduzierte Wasser? Ein bloßes Vernunftding, in dem der Verstand nur sich geltend macht, sein Wesen als das Wesen der Dinge ausspricht. Im Begriffe der körperlichen Substanz oder Ausdehnung hat freilich das Wasser ewige Existenz, aber nur weil es keine Existenz mehr hat. Dem Wasser wird die höchste Ehre angetan, indem es in den Schoß der göttlichen Substanz aufgenommen wird, aber diese höchste Ehre ist auch die letzte Ehre – die Ehre, die dem Toten erwiesen[363] wird. De mortuis nil nisi bene. Aber was habe ich davon, wenn du mich bei Lebzeiten einen »stinkenden Madensack« schmähst, um dann post festum als einen Gott mich zu preisen? Glaube mir, herrlicher Spinoza, nur das Wasser, das eine verderbliche Existenz hat, hat auch eine wirkliche und notwendige Existenz. Oder glaubst du nicht, daß das Wasser, welches meine Augen und Ohren ergötzt, meine Glieder stärkt, meinen brennenden Durst mir löscht, das sinnliche Wasser, ein an Attributen unendlich reicheres und folglich deiner eignen Philosophie zufolge göttlicheres Wesen ist als das un- und übersinnliche Wasser, das ein aller seiner individuellen Eigenschaften beraubtes Denkwesen ist? Oder glaubst du, daß ich meinen Verstand in den Fluten der Sinnlichkeit ersäufe, weil ich mich jusqu'à la tête in sie hineinstürze? Bewahre! Mir ist der Verstand so heilig wie dir, aber ich will, daß mein Verstand mit Bewußtsein sei, was er in Wahrheit ist: die Bejahung, aber nicht die Verneinung der Sinnlichkeit; ich will denken178 wie du, ich will mein Hirn nicht am Feuer der Sinnlichkeit verbrennen, aber ich will nicht in meinem Kopfe verneinen, als ein Non-Ens, ein Nichtsein, setzen, was ich mit allen meinen Sinnen und Gliedern als ein Wesen, und zwar wahres, wirkliches, göttliches Wesen, bejahe. Ich will als wahr erkennen, was ich als wirklich fühle, aber ich will auch als ein wirkliches und folglich sinnliches Wesen fühlen, was ich als wahres Wesen erkenne. Ich will nicht Bürger zweier Welten, einer Intellektual- und einer Sinnenwelt sein, ich will nur einer und derselben Welt angehören, ich will mit meiner Seele da sein und bleiben, wo ich mit meinem Leibe bin; ich will auf demselben Standpunkt denken und wollen, auf dem ich mit meinen Beinen stehe, aus denselben Wesen und Stoffen, aus denen ich meine leibliche Nahrung hole, auch mein nutrimentum spiritus schöpfen. Ich will das erquickliche Wasser der Natur und Sinnlichkeit allerdings nicht auch in meinem Kopfe trinken, genießen – suum cuique –, ich überlasse dieses Geschäft[364] andern Gliedern meines Leibes, aber ich will das Wasser, das meine Sinne erquickt, doch auch im Kopf noch als Wasser erkennen und halte nur dieses, wenngleich destillierte, doch immer noch als Wasser erkennbare und gegen seine Auflösung in das Nichts der göttlichen Substanz oder, was eins ist, des göttlichen Verstandes reagierende Wasser für das Wesen des Wassers.

Ich habe eben die Natur oder Substanz, wie sie Spinoza denkt und welcher er den Namen »Gott« gibt, und den Verstand identifiziert. Diese Identifikation wäre hinlänglich gerechtfertigt, wenn wir auch keinen andern Ausspruch Sp.s hätten als den: »Gott ist nur ein Gegenstand des Denkens oder Verstandes«, aber nicht der Imagination, d. i. der sinnlichen Vorstellung (»Epist.« 60); denn es ist durch sich selbst klar, daß, was nur ein denkbares Wesen ist, nur durch das Denken gegeben wird, auch nur ein Denk- oder Verstandeswesen ist, gleichwie, was nur ein sichtbares, durch das Auge gegebnes Wesen ist, nur eine optische Existenz und Wesenheit hat. Cartesius sagt zwar, daß eigentlich selbst die Körper nicht durch den Sinn, sondern den Verstand, den Intellekt wahrgenommen werden – allerdings gehört auch zum Sehen, zum Wahrnehmen der Körper, der Sinnenwesen überhaupt Verstand –, aber hier ist der Verstand nichts andres als der Sinn und Verstand der Sinne. Das Auge zeigt mir, um ein Cartesisches Beispiel beizubehalten, den Stock im Wasser gebrochen, die Hand gerade. Auge und Hand widersprechen sich; dieser Widerspruch reizt mich zum Denken: Was ist der Grund, was der Sinn dieser Erscheinung? Der Stock ist nur gebrochen für mein Auge, also ist dieser Bruch kein wirklicher, sondern nur ein optischer. Diese Verneinung des Bruchs als eines wirklichen und die Bejahung desselben als eines optischen sind Urteile, Denkakte, aber drücken nichts andres aus, als was mir die Sinne getrennt und für sich freilich verstandlos sagen. Etwas andres ist es dagegen bei dem Wesen, dessen Wesen nicht nur, sondern dessen Dasein selbst nur eine Sache, ein Objekt des Verstandes, des Denkens ist, dessen Wesen uns nicht durch sein Dasein, wie es bei allen andern Wesen der Fall ist, sondern dessen Dasein uns erst durch sein Wesen, seinen Begriff gegeben wird, dessen Existenz also selbst (ganz im Widerspruch mit dem Wesen und Begriffe der Existenz) eine vermittelte,[365] gedachte, abstrakte ist. Dieses Wesen hat keine Wirklichkeit außer dem Verstande – welche wäre diese? Du könntest sie dann ja noch mit einem außer dem Verstande existierenden oder von ihm unterschiednen Organ wahrnehmen –, dieses Wesen drückt nichts andres aus als das Wesen des Denkens, ist nichts andres als der sich selbst vergötternde, als das Wesen der Wesen bejahende Verstand. Dies erhellt am deutlichsten aus dem Begriffe, welcher das metaphysische Prinzip und Fundament der Spinozischen Theologie und Philosophie ist – der Bestimmung der Substanz oder Gottes als des Wesens, dessen Begriff oder Wesen die Existenz enthält oder bei dem die Existenz nicht vom Wesen unterschieden ist, während bei den partikulären, endlichen Dingen oder Wesen das Gegenteil stattfindet, die Existenz vom Wesen unterschieden ist. Was ist denn nun aber der Grund und Sinn dieses Unterschieds? Der Unterschied zwischen dem Allgemeinen und Einzelnen, der Gattung und dem Individuum. Die endlichen Wesen sind einzelne, viele, verschiedene, aber die Vernunft hebt das, worin sie sich gleichen, nicht voneinander unterscheiden, für sich hervor und bestimmt dieses Gemeinsame im Unterschied von den einzelnen als ihr Wesen. Aber dieser Unterschied zwischen der Gattung und den Individuen oder einzelnen, zwischen dem Wesen und der Existenz ist nichts andres als der Unterschied zwischen der Vernunft und Sinnlichkeit und sagt nichts weiter aus als: Die Existenz ist eine Sache des Sinns, das Wesen eine Sache der Vernunft. Ewigkeit des Wesens – aber Ewigkeit ist eben keine Sache der Imagination, nichts sinnlich Vorstellbares, sondern nur eine Sache der Vernunft, ja, es gehört zum Wesen der Vernunft, die Dinge, d.h. ihr von der Sinnlichkeit abgesondertes Wesen, als ewig zu denken – kommt daher auch den endlichen Dingen zu, aber nur nicht ewige Existenz. Diese kommt allein Gott zu. Aber warum? Weil er kein sinnliches Wesen, also bei ihm der Unterschied zwischen Gattung und Individuum, Begriff und Anschauung aufgehoben ist. Von Gott, sagt Sp., läßt sich kein allgemeiner Begriff abstrahieren.179[366] Allein, indem die Vernunft das Wesen, worin sich dieser Unter schied zwischen Begriff und Existenz aufhebt, als das göttliche, wahre Wesen ausspricht, spricht sie nur sich als das wahre Wesen aus. Sie verurteilt ja nur deswegen die Dinge zur Vergänglichkeit, Endlichkeit, Nichtigkeit, weil ihre Existenz nicht mit ihrem Begriffe, d.h. nicht durch die Vernunft, sondern ein von der Vernunft unterschiednes Organ, den Sinn, gegeben wird; sie hält es für eine Beleidigung ihrer Majestät, daß sie sich zu den Sinnen herablassen, erniedrigen muß, um sich von ihrer Existenz zu überzeugen; sie erklärt sich selbst für das Kriterium der Wahrheit und Gottheit, indem sie nur das mit ihrem Wesen übereinstimende, das mit dem Gedachtwerden identische Sein für das göttliche, wahre Sein erklärt. Die Identität des Wesens und der Existenz drückt nichts weiter aus als die Identität der Vernunft mit sich selbst. Wo die Existenz vom Wesen unterscheiden ist, da ist Gütergemeinschaft zwischen ihr und den Sinnen, da gehört bloß ein Teil ihr, der andere aber den Sinnen, da ist sie im Widerspruch mit sich, denn sie hat nur etwas und will doch alles haben, nichts den Sinnen lassen; wo aber dieser Unterschied sich aufhebt, wo das Wesen selbst die Existenz ist, wo Sein und Gedachtsein zusammenfällt, da ist sie unumschränkt, vollkommen bei sich, frei von der lästigen Opposition der Sinne. Wo die Sinne ein Wort mit darein zu reden haben, da kann sich die Vernunft nur bedingt bejahen und geltend machen; das Wesen aber, das nicht teilweise Vernunft (oder Objekt der Vernunft, der adäquaten Idee), teilweise Unvernunft (oder Objekt der Sinne, der konfusen Idee), sondern ganz Vernunft ist, ist und drückt nichts andres aus als die unbedingte Selbstbejahung der Vernunft, als den Satz: Die Vernunft ist das absolute Wesen. Die sinnlichen Wesen sind beschränkt, weil der Sinn die Grenze der Vernunft ist, die Sinne der Vernunft ein »Bis hierher und nicht weiter!« zurufen, Gott aber ist das unendliche Wesen, weil er der Vernunft keine Schranken auflegt, weil sie in ihm an kein andres, keine Negation anstößt, also in ihm sich als ein unendliches Wesen fühlt.180[367] Der Beweis von der Existenz Gottes ist folglich gar nichts andres als der Beweis von der Gottheit der Vernunft. Dies erhellt auch schon daraus, daß, was Sp. dem Objektiven Wesen, er auch dem subjektiven Wesen, dem Begriff, der Idee zuschreibt, denn je vollkommner, je vortrefflicher der Gegenstand der Idee, desto vollkommner, desto vortrefflicher ist auch die Idee selbst. (»De Intell. Emend.«, p. 456) Wie es daher absolute Wesenheiten gibt, dergleichen die Attribute der Substanz sind, so gibt es auch absolute Begriffe oder Ideen. Was wir in der Substanz, das haben wir im Verstande, im Intellekt, und umgekehrt; der Verstand ist die (sozusagen) idealistische oder subjektive Substanz, die Substanz der realistische oder Objektive Verstand, der Verstand als res, als Wesen, Ding.181»Mens nostra... Dei naturam objective (in unserer Sprache: subjektiv) in se continet et de eadem participat.« (»Tract. Theol.-pol.«, cap. 1) Der klare und deutliche Begriff, sagt Sp. z.B. »Epist.« 42, hängt ab von der »absoluten Macht unsers Geistes«, folglich, da Macht und Wesen identisch sind, von seinem absoluten, unabhängigen, durch sich selbst allein begreifbaren Wesen, aber das Wesen Gottes oder der Substanz ist ein adäquater, klarer und deutlicher Begriff, also ist das göttliche Wesen nicht das absolute Wesen schlechtweg und ohne Beisatz, sondern das absolute Wesen des Geistes, der Vernunft, des Denkvermögens.[368] Doch wieder zurück zur Hauptsache. Das Geheimnis, der wahre Sinn der spinozistischen Philosophie ist – die Natur. Aber die Natur ist ihm nicht als Natur, das sinnliche, antitheologische Wesen der Natur ist ihm nur als abgezognes, metaphysisches, theologisches Wesen – als Gott Gegenstand. Sp. hebt in der Natur Gott auf, aber er hebt auch wieder umgekehrt die Natur in Gott auf. Er verwirft den Dualismus von Gott und Natur: Die Wirkungen der Natur, nicht die Wunder, sind Wirkungen Gottes, aber gleichwohl bleibt doch Gott als ein von der Natur unterschiednes Wesen zugrunde liegen, so daß Gott die Bedeutung des Subjekts, die Natur nur die des Prädikats hat. Die christlichen Philosophen und Theologen warfen dem Sp. Atheismus vor. Mit Recht; die Aufhebung der Gemütlichkeit, der Gütigkeit und Gerechtigkeit, der Übernatürlichkeit, der Ungebundenheit, der Wundertätigkeit, kurz, der Menschlichkeit Gottes ist die Aufhebung Gottes selbst. Ein Gott, der keine Wunder tut, keine von den Naturwirkungen unterschiedne Wirkungen hervorbringt, sich also nicht als ein von der Natur unterschiednes Wesen erweist, ist in der Tat kein Gott. Aber Sp. wollte kein Atheist sein und konnte es auch auf seinem Standpunkt und in seiner Zeit nicht sein. Er macht also die Verneinung Gottes zur Bejahung Gottes, das Wesen der Natur zum Wesen Gottes. Ist aber Gott kein besonderes, persönliches, von der Natur und dem Menschen unterschiednes Wesen, so ist er ein ganz überflüssiges Wesen – denn nur in dem Unterschied liegt der Grund und die Notwendigkeit eines Wesens –, der Gebrauch des Wortes »Gott«, mit dem sich immer die Vorstellung eines besondern, unterschiednen Wesens verbindet, ein störender, verwirrender Mißbrauch. »Gott ist ein ausgedehntes Wesen.« Warum? Weil die Ausdehnung Wesenheit, Wirklichkeit, Vollkommenheit ausdrückt. Wozu machst du also die Ausdehnung und das mit ihr verbundne Denken zu Attributen oder Prädikaten eines Wesens, das dir eben durch diese Prädikate nur als etwas Wesenhaftes, Seiendes, Wirkliches gegeben ist? Hast du nicht ebensoviel Wahrheit, Wesenheit, Vollkommenheit ohne Gott als mit Gott? Ist er etwas andres als ein Name, und zwar ein Name, mit dem du nur deine eigne Unbestimmtheit, Unklarheit und Unfreiheit ausdrückst? Warum willst du als Naturalist noch Theist und als Theist zugleich Naturalist[369] sein? Weg mit diesem Widerspruch! Nicht »Deus sive Natura«, sondern »Aut Deus, aut Natura« ist die Parole der Wahrheit. Wo Gott mit der Natur oder umgekehrt die Natur mit Gott identifiziert oder konfundiert wird, da ist weder Gott noch Natur, sondern ein mystisches, amphibolisches Zwitterding. Dies ist der Grundmangel Spinozas.[370]


175

Mosheim (»Notae ad Cudworth Systema Intell.«, Jenae 1733, p. 209) führt aus J. Clericus, »Biblioth. anc. et mod,« an, daß diesem ein glaubwürdiger Mann erzählt habe, Spinoza hätte in seiner »Ethik`« ursprünglich nur das Wort »Natur«, nicht »Gott« gebraucht, aber auf die Vorstellung seines Freundes Meyer endlich an die Stelle des Wortes Natur den Namen Gott gesetzt. Wahrscheinlich beruht aber diese Erzählung bloß auf theologischer Klatscherei.

176

So wichtig und richtig dieser Ausspruch Sp.s ist, so richtig und wichtig ist der von ihm in der Praefatio ausgesprochene Gedanke, daß alle Menschen von Natur dem Aberglauben unterworfen sind... »Sequitur, omnes homines natura superstitioni esse obnoxios.«

177

Übrigens gibt Sp. die Teilbarkeit der Materie preis, wenn man nur ihre Ewigkeit und Unendlichkeit anerkenne, aber unhaltbar ist der Grund, den er anführt, warum sie ihrer Teilbarkeit ungeachtet nicht der göttlichen Natur unwürdig, nämlich weil außer Gott keine Substanz sei, also Gott von keinem andern Wesen etwas leiden könne, wenn er gleich als ausgedehnt und die Ausdehnung als teilbar angenommen würde. Wenn das Außereinandersein Nichtsein, Unrealität ist, so ist es auch das Körper oder Ausgedehntsein; wenn du daher jenes verneinst, so mußt du auch dieses verneinen; widrigenfalls machst du die Negation des Körpers zum Wesen desselben.

178

Auch handeln; aber die Handlung gehört nicht hierher, d.h. aufs Papier. Dem Papier gehört nur die zu vollbringende oder schon vollbrachte Tat, d.h. die Tat, die noch nicht oder nicht mehr Tat ist.

179

Ich verweise in betreff dieses Gegenstandes auf »Epist.« 28, 29, 39, 40, 50, »Eth.« P. I, Prop. 8, Schol., Prop. 17, Schol., u. »Tract. de Emend. Intell.«, p. 442-443, ed. Paul.

180

Sp. sagt in der schon § 85 aus »Epist.« 28 zitierten Stelle: »Die Erfahrung bedürfen wir nur zu dem, was aus der Definition eines Gegenstandes nicht gefolgert werden kann, wie z.B. die Existenz der Moden, d. i. der einzelnen, sinnlichen Dinge, denn diese Existenz kann nicht aus der Definition gefolgert werden.« Aber dieses Nichtkönnen, diese Schranke der Vernunft, wird auf diesem Standpunkt als eine Schranke der Dinge, nicht der Vernunft erfaßt und ausgesprochen, ein deutlicher Beweis, daß das Wesen, wo die Vernunft die Existenz aus der Definition ableiten kann, nur deswegen als das unendliche, göttliche Wesen bestimmt wird, weil es dem Egoismus der Vernunft nicht widerspricht, ihr keinen Abbruch tut, ihrer Macht zu denken keine Grenze setzt. Übrigens bemerke ich, daß in meinem Sinne die Sinnlichkeit keine Schranke der Vernunft ist, weil mir Sinnlichkeit mit Wahrheit und Wesentlichkeit identisch ist.

181

Schon Condillac, a. a. O., macht daher bei Gelegenheit der Demonstration der 16. Proposition (»Eth.«, P. I) dem Spinoza den Vorwurf, daß er voraussetze, »que la définition et l'essence ne sont qu'une même chose«.

Quelle:
Ludwig Feuerbach: Geschichte der neuern Philosophie von Bacon bis Spinoza. Leipzig 1976.
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