§ 84. Die allgemeinen Prinzipien derselben

[306] I. Def[inition]. Unter Ursache seiner selbst verstehe ich das, dessen Wesen die Existenz in sich einschließt oder dessen Wesen gar nicht anders als existierend gedacht werden kann. II. Das Ding heißt in seiner Art endlich, welches durch ein andres von derselben Art oder Natur begrenzt[306] werden kann. So heißt z.B. ein Körper endlich, weil wir uns immer noch einen größern vorstellen können. So wird ein Gedanke durch einen andern begrenzt. Aber der Körper wird nicht durch einen Gedanken noch der Gedanke durch einen Körper begrenzt oder beschränkt. III. Unter Substanz verstehe ich das, was in sich ist und durch sich gedacht oder begriffen wird, d.h. das, dessen Begriff nicht des Begriffs eines andern Dings bedarf, um aus ihm erst gebildet zu werden; IV. unter Attribut das, was der Verstand von der Substanz als ihr Wesen ausmachend oder als das Wesen der Substanz begreift; V. unter Modus (Art und Weise, Bestimmtheit oder Beschaffenheit) die Affektionen der Substanz oder das, was in einem andern ist, durch welches es auch gedacht oder begriffen wird; VI. unter Gott das absolut unendliche Wesen oder die Substanz, die aus unendlichen Attributen besteht, von denen ein jedes ewige und unendliche Wesenheit ausdrückt. Ich sage: das absolut, nicht in seiner Art unendliche Wesen, denn dem, was nur in seiner Art unendlich ist, können unendliche Attribute abgesprochen werden, zum Wesen des absolut Unendlichen aber gehört alles, was Wesenheit ausdrückt und keine Verneinung in sich enthält. VII. Das Wesen heißt frei, welches allein durch die Notwendigkeit seiner Natur existiert und von sich allein zum Wirken bestimmt wird, notwendig aber oder vielmehr gezwungen das, was auf eine gewisse und bestimmte Weise zur Existenz und zum Wirken von einem andern bestimmt wird. VIII. Unter Ewigkeit verstehe ich die Existenz selbst, inwiefern sie allein aus der Definition der ewigen Sache als eine notwendige Folge erkannt wird.

Axiome. I. Alles, was ist, ist entweder in sich oder in einem andern. II. Das, was durch ein andres nicht begriffen werden kann, muß durch sich begriffen werden. III. Aus einer bestimmten gegebnen Ursache folgt notwendig eine Wirkung und umgekehrt: Ist keine bestimmte Ursache gegeben, so ist es unmöglich, daß eine Wirkung erfolge. IV. Die Erkenntnis der Wirkung hängt von der Erkenntnis der Ursache ab und schließt sie ein. V. Dinge, die nichts miteinander gemein haben, können auch nicht durch einander begriffen werden, oder der Begriff des einen schließt den Begriff des andern nicht ein. VI. Die wahre Idee muß mit ihrem Gegenstande übereinstimmen. VII. Was als nicht[307] existierend gedacht werden kann, dessen Wesen schließt nicht die Existenz ein.

Lehrsätze. I. Die Substanz ist der Natur nach früher als ihre Affektionen. (Dies erhellt aus Def. 3 u. 5.)

II. Zwei Substanzen, die verschiedene Attribute haben, haben nichts miteinander gemein. Dies erhellt auch aus Def. 3. Denn eine jede muß in sich sein und durch sich gefaßt werden, oder der Begriff der einen schließt nicht den Begriff der andern ein.

III. Von Dingen, die nichts miteinander gemein haben, kann keine die Ursache der andern sein. Beweis: Wenn sie nichts miteinander gemein haben, so können sie nicht (Ax. 5) durch einander begriffen werden, also kann keine (Ax. 4) die Ursache der andern sein.

IV. Zwei oder mehrere verschiedene Dinge werden entweder durch die Verschiedenheit der Attribute der Substanzen oder die Verschiedenheit ihrer Affektionen voneinander unterschieden. Bew.: Alles, was ist, ist entweder in sich oder in einem andern (Ax. 1), d.h. (Def. 3 u. 5), außer dem Verstande existieren nur Substanzen oder ihre Attribute und Affektionen, außer ihnen gibt es also nichts, wodurch mehrere Dinge voneinander unterschieden werden können.

V. In der Wirklichkeit kann es nicht zwei oder mehrere Substanzen von demselben Attribut oder Wesen geben. Bew.: Gäbe es mehrere unterschiedene, so müßten sie (Lehrs. 4) entweder durch die Verschiedenheit der Attribute oder Affektionen unterschieden werden. Ist das erste der Fall, so wird man also zugeben, daß es nur eine Substanz von demselben Attribut gibt. Im zweiten Falle aber kann die Substanz, wenn man von ihren Affektionen, als welche der Natur nach später sind als die Substanz, abstrahiert und sie in sich selbst, d. i. wahrhaft (Def. 3 u. 6), betrachtet, nicht als verschieden von einer andern gedacht werden, d.h. (L. 4), es kann nur eine, aber nicht mehrere Substanzen geben.

VI. Keine Substanz kann von einer andern hervorgebracht werden. Bew.: In der Wirklichkeit kann es nicht zwei Substanzen von demselben Attribute geben, d.h. (L. 2), die etwas miteinander gemein haben. Also kann keine (L. 3) die Ursache der andern sein, folglich die Substanz von nichts anderm hervorgebracht werden. Widrigenfalls hinge ihre Erkenntnis[308] von der Erkenntnis ihrer Ursache ab; sie wäre also nicht Substanz (Ax. 4, Def. 3).

VII. Die Existenz gehört zum Wesen der Substanz. B.: Die Substanz kann nicht von andern hervorgebracht werden, sie wird also Ursache ihrer selbst sein, d.h. (Def. 1), ihr Wesen enthält notwendig Existenz oder Existenz gehört zu ihrem Wesen.

VIII. Jede Substanz ist notwendig unendlich. B.: Es existiert nur eine Substanz von einem und demselben Attribut (L. 5), und die Existenz gehört zu ihrem Wesen (L. 7). Es gehört also zu ihrer Natur, entweder endlich oder unendlich zu existieren. Das erste kann aber nicht sein; denn (Def. 2) sie müßte dann von einer andern Substanz derselben Art, die auch notwendig existieren müßte, beschränkt werden, und es gäbe daher (L. 7) zwei Substanzen von demselben Attribute, was sich widerspricht (L. 5). Sie existiert also unendlich. Scholion I. Da Endlichsein in der Tat zum Teil eine Verneinung, aber Unendlichsein die absolute Bejahung der Existenz eines Wesens ist, so folgt also schon aus dem siebenten Sätze, daß jede Substanz unendlich sein muß.

IX. Jede Substanz ist unteilbar. Dies erhellt schon daraus, daß die Natur oder das Wesen der Substanz nur unendlich gedacht und unter einem Teil der Substanz nichts anders verstanden werden kann als eine endliche Substanz, was sich aber (L. 8) offenbar widerspricht. (»Ethices« P. I)

Quelle:
Ludwig Feuerbach: Geschichte der neuern Philosophie von Bacon bis Spinoza. Leipzig 1976, S. 306-309.
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