§ 13. Fortsetzung derselben Untersuchung

[26] Das vereinigende Denken ist seinem eigensten Wesen nach[26] ein Fürsichseyn (inneres Leben und Auge) des absoluten Wissens. Bleiben wir hierbei noch länger stehen.

Nun ist das absolute Wissen nicht Freiheit allein, noch Seyn allein, sondern beides; das vereinigende Wissen müsste daher auch im Seyn ruhen, unbeschadet seiner inneren Einheit; denn es ist ein sich Ergreifen des Wissens; aber das Wissen ergreift sich nur in der Einheit, und dieses, als die Grundform der vorliegenden Reflexion, muss ihm bleiben. Oder, um die Sache noch von einer anderen Seite darzustellen, und sie noch tiefer zu umfassen. Die gegenwärtige Reflexion ist das Innere des Wissens selbst, das sich Durchdringen desselben. Aber das Wissen ist überall nicht das Absolute, sondern nur die Verschmelzung der beiden Prädicate des Absoluten in Eins; also nur absolut, als für sich, aber in dieser Absolutheit nur secondair, nicht aber primair. In jener Eins, schlechthin als solcher, mit gänzlicher Beseitigung der unendlichen Separabilität der Anschauung, ruht unsere gegenwärtige Reflexion, und durchdringt sie. Sie durchdringt sie, heisst, sie dringt über sie hinaus zu den in ihr verschmolzenen Prädicaten des Absoluten. Sie ruht im Seyn, lässt sich daher auch ausdrücken: sie ruht im Absoluten. (Es versteht sich dies eigentlich von selbst. Sie ist ein für sich Seyn des absoluten Wissens, es versteht sich als absoluten; also die ganz bestimmte Absolutheit des Wissens, sowie sie oben von unserem Standpuncte der Wissenschaftslehre beschrieben worden, muss in ihm selbst vorkommen. Es ist sonach dieses nicht mehr ein gleichsam in sich selbst gefangen gehaltenes Wissen, wie wir das Wissen bisher (besonders § 10.) beschrieben haben, sondern es ist ein sich selbst durchaus ergreifendes, durchdringendes und umfassendes Wissen; wodurch sich auch schon vorläufig ergiebt, wie wir oben zu dem scheinbaren Herausgehen aus allem Wissen kamen. Unser Verfahren gründete sich lediglich auf das hier aufgezeigte Insichgehen des Wissens: dass die beiden Prädicate des Absoluten als Einheit aufgefasst werden, versteht sich aus dem obigen.)

Nun giebt es zwei Ruhe- und Wende-Puncte dieser Reflexion im Seyn, oder im Absoluten.[27]

Entweder nemlich ruht sie im Charakter der absoluten Freiheit, die nur durch weitere Bestimmung zu der eines Wissens wird, so dass also die Freiheit schlechthin vorausgesetzt werde; sieht nur auf das Aeussere, den blossen Act; und in dieser Ansicht erscheint die absolut freie und eben darum leere und nichtige Unterlage des Wissens, als sich ergreifend durchaus und schlechthin, weil sie sich ergreift, ohne allen höheren Grund; und das herausspringende Seyn oder Absolute (des Wissens) ist inneres Sehen, Lichtzustand. Der ganze Standpunct dieser Ansicht ist eben Form, oder Freiheit des Wissens, Ichheit, Innerlichkeit, Licht. Oder sie ruht im Charakter des absoluten Seyns, so dass ein Bestehen schlechthin vorausgesetzt werde, und dieses nur zu einem Bestehen des Wissens, zu einem Bestehen in und für sich selbst erhoben werde; sie sieht also auf das Innere dieses Sichergreifens: se soll dem Acte desselben ein ruhendes Vermögen zum Acte vorausliegen; ein Zero in Beziehung auf den Act, das aber schlechtweg und ohne weiteres durch die Freiheit zum positiven Factum erhoben werden kann. Dass der Act vollzogen wird, der blossen Form nach, soll nach wie vor von der Freiheit abhängen; dass er aber vollzogen werden kann, soll in einem Seyn und Soseyn schlechthin begründet seyn. Das Wissen soll nicht, wie vorher, absolut leer seyn, und das Licht durch Freiheit erzeugen, sondern es soll das Licht absolut in sich selbst haben, und dasselbe durch Freiheit nur entwickeln und erfassen. Der bleibende Standpunct dieser Ansicht ist absolutes Bestehen.

Richten wir jetzt unsere Betrachtung auf das innere Wesen der Reflexion, als solcher selbst. Sie ist ein Fürsichseyn des Wissens oder des Fürsichseyns, und in dieser Ansicht, der wir auch bisher gefolgt sind, erhalten wir ein doppeltes Wissen, ein solches, für welches das andere ist (in der Anschauung das obere, oder das subjective), und ein solches, welches durch das andere ist (in der Anschauung das unten liegende, das objective). Nun wäre weder das eine, noch das andere, und daher auch beides nicht ein Wissen, und es fehlte zwischen ihnen das Band, wenn sie nicht zusammen Ein Wissen wären, und beides innigst sich durchdränge. Sehen wir auf[28] dieses organische sich Durchdringen des Reflectirens und des Reflectirtseyns selbst, überhaupt, und besonders in unserem Falle.

Was in seiner Verschmelzung ein Wissen bildet, ist immer Freiheit und Seyn. Nun ist in der Reflexion, von der wir sprechen, das obere, Subjective, und ihr eigentlicher Erfolg innerhalb des Wissens ein Vereinigen, mithin ein Act oder Freiheit des Wissens. Dieses könnte selbst zu einem Wissen nur mit einem dasselbe unmittelbar berührenden Seyn des Wissens verschmelzen. (Vorläufig: die zu ziehende Linie kann als Linie in einem Wissen vorkommen nur innerhalb eines selbst Ruhenden und fest Bestehenden.)

Was in unmittelbarer Nachbarschaft und Berührung mit dem Vereinigen steht, ist laut obigem der Standpunct der vereinigenden Reflexion in der Einheit des Punctes, welcher überhaupt ein zwiefacher seyn konnte. Das Wissen in ihm müsste seyn ein ruhiges, unveränderliches Bestehen, ein Seyn schlechthin, was es ist: also ein Beruhen schlechthin in dem Standpuncte, in welchem es nun einmal ruht, ohne Wanken und Wandel, keinesweges aber ein Schweben zwischen beiden. Entweder ruhte das Denken also in dem zuerst beschriebenen Standpuncte der absoluten Freiheit, so würde die Linie von ihm aus beschrieben nach dem des Seyns; das Wissen würde betrachtet, als schlechthin sein eigener Grund, und alles Seyn des Wissens, und alles Seyn für das Wissen, inwiefern es eben im Wissen vorkommt, als begründet durch die Freiheit. (Der materielle Inhalt der beschriebenen Linie wäre Beleuchtung.) Der Ausdruck dieser Ansicht wäre: es giebt schlechthin kein Seyn (für das Wissen nemlich; denn im Standpuncte desselben ruht ja diese Ansicht), ausser durch das Wissen selbst. Wir wollen diese Reihe die ideale nennen. Oder das Denken ruhte in dem zuletzt beschriebenen Standpunct des Bestehens: so beschriebe es seine Linie von dem Puncte des absoluten Seyns und in sich Habens des Lichts aus zur Entwickelung und Auffassung desselben durch absolute Freiheit (und das Materiale der Linie wäre Aufklärung). Wir wollen diese Reihe die reale nennen. In einem dieser beiden Puncte aber stände das Denken[29] nothwendig, und es stände sodann nicht im zweiten; und eine von beiden Richtungen erhielte die Linie nothwendig, und sodann nicht die zweite, so dass beide Richtungen nimmer sich begegneten, noch sich aufhielten, als wodurch es nie zu einer Linie käme.

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846, S. 26-30.
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