§ 21.

[43] Der Mittelpunct der gegenwärtigen Synthesis war das absolute (alles eigentliche Wissen umfassende und selbst bestimmende, also über dasselbe hinausgegangene) Wissen: es hatte sich ergeben, dass das Wissen formaliter nur frei seyn könne, sich durchaus aus sich selbst erklären und in sich begründen müsse, und ausserdem gar nicht möglich sey. Zufolge seiner Unmittelbarkeit aber und der davon unabtrennlichen ursprünglichen Bestimmtheit, die in ihrer Unendlichkeit nur durch Denken fixirt, unterschieden zugleich und bezogen werden kann, ist es ein bestimmtes nothwendiges Denken, mit welchem das Wissen anhebt und welches nach dem gegenwärtigen Zusammenhange kein anderes seyn kann, als eben das absolute Denken und dadurch nothwendig Machen (denn absolutes Denken und Nothwendigkeit sind ja Eins) der Freiheit selbst. So ist es unmittelbar gedacht in Rücksicht dessen, dass es ist ein Wissen; factisches Seyn des Denkens. In der höheren Reflexion aber wird es erkannt, als durch absolute Freiheit erzeugt, durch Fixirt- und Gebundenseyn der ursprünglichen Freiheit in einer unmittelbaren Bestimmtheit und zugleich als freies[43] Hinausschreiten über dies separable Bestimmte, um es (denkend) zu beziehen: als Einheit also des Gebundenseyns und des Darüberhinausgehens, des Seyns und der Freiheit. (Der formale Unterschied zwischen absolutem Seyn und factischem Seyn werde wohl festgehalten; da beide Bestimmungen auf Ein Glied (das Denken) übertragen sind, beides also nur verschiedene Ansichten Eines und desselben sind.)

Aber – so argumentiren vorläufig wir – wenn durch jenes absolute Gesetz alles Wissen bestimmt ist, so muss ja selbst das Wissen von diesem Gesetze – als ein Wissen, mit dem etwas Anderes im Wissen zusammenhängen soll, – durch dasselbe bestimmt seyn: dieses Wissen muss insofern sich selbst als durch Freiheit factisch erzeugt oder erleuchtet ansehen; oder, was dasselbe heisst, in und für sich so seyn. (Jeder sieht, dass das in der von uns vollzogenen Reflexion, wie es scheint, aus sich herausgegangene Wissen hierdurch wiederum in sich selbst einkehrt, oder dass es nur eine doppelte Ansicht dieses sich selbst umfassenden und bestimmenden Wissens, als eines äusseren und als eines inneren, giebt, und dass wohl im Einheitspuncte dieser Duplicität, im Schweben zwischen beiden Ansichten der eigentliche Focus des absoluten Bewusstseyns liege. – Dies lässt sich von verschiedenen anderen mittelbaren Seiten vorstellen. Z.B.: das Denken, dass das vorliegende Wissen durch Freiheit erzeugt sey, da ja alles Wissen nur dadurch erzeugt werden könne, ist, so wie wir es aufgestellt haben, factisch selbst ein freies Denken, ein Unterordnen eines Besonderen unter eine allgemeine Regel. Sonach muss die Regel in dem freien Denken doch vorkommen und ihm zugänglich seyn. – Im freien Denken aber heisst: im frei erzeugten factischen Denken, – so dass dies sich selbst dabei voraussetzte. –

Oder: ich soll auf das vorausgesetzte Wissen mit Freiheit – die Freiheit übertragen; so muss ich ja dies schon im freien Wissen haben. Kurz immer ist es der schon im Aufsteigen vorgekommene Satz: um mein Wissen mit Freiheit auf etwas zu richten, muss ich ja selbst von dem, worauf ich es richte, schon wissen; und um von diesem zu wissen, muss ich selbst[44] die Freiheit darauf gerichtet haben, und so ins unendliche, welcher unendliche Regress eben durch eine hier aufzuzeigende Absolutheit aufgehoben werden muss.)

Es versteht sich, dass die Behauptung nicht nur für den Mittelpunct des Wissens, sondern eben, vermittelst desselben und von ihm aus, für alle seine Synthesen gilt.

Gehen wir an die Exposition dieses Wissens im Mittelpuncte. Das Wissen, dass das Wissen formaliter frei sey, soll in sich selbst seyn. Dann ist zuvörderst, – dass wir von diesem, als dem leichtesten Puncte anheben, – die Freiheit in sich selbst und ruht auf sich: sie schaut sich an, oder – was dasselbe heisst, da nur das auf sich Ruhen oder die Innerlichkeit der Freiheit Anschauung heisst: – die Anschauung steht, es wird eben schlechthin angeschaut, – welches ein Schweben des Wissens in der unbedingten Separabilität (noch ununterschiedenen Unendlichkeit) giebt.

Nun soll jedoch die Anschauung hier nicht überhaupt seyn, sondern sich setzen als formaliter frei, das Dass dieses Seyns schlechterdings in sich selbst enthaltend; und diese formale Freiheit der Anschauung – denn dies ist ja unser Zweck – soll sich selbst anschauen. Wie dies ausfalle, können wir eben nur bei der Anschauung selbst erkunden. (Wie vermöchten wir dies wohl ohne Phantasie? Diese giebt die Materie. Aber das Denken fehlt nicht, denn wir phantasiren ja nicht willkürlich und ins Leere hin, sondern wir richten unsere Phantasie auf den bestimmter Punct der Untersuchung.)

Jeder ohne Zweifel findet es so: Die ins unbestimmte Separable aufgelöste und zerfliessende Freiheit muss, um Anschauung zu werden, in Einen Punct sich zusammenfassen und in ihm sich ergreifen (verdoppeln), eben für sich seyn. Hierdurch kann sie erst sich zum Lichtpuncte bilden, und nun aus sich das Licht über das unbestimmte Separable verbreiten.

Ich sage: in diesem Einheitspuncte geht sie sich selbst erst, als Licht, auf; von diesem aus geht ihr sonach, nicht nur über das Separable, wie ich soeben sagte, sondern auch über die beiden Ansichten des Separablen ein Licht auf. Diese sind, theils ein in sich selbst Zerfliessen, theils ein in sich selbst[45] Erfassen und Gehaltenseyn des Lichts, das letztere von einem Centralpuncte aus, der im Zerfliessen eben nicht ist. Man muss daher von diesem Standpuncte aus sagen: der Focus dieser Anschauung der formalen Freiheit liegt weder in dem Centralpuncte (als von sich durchdrungenem), noch in den beiden qualitativen terminis desselben (als dem durchdringenden), sondern zwischen beiden. Inwiefern das Licht sich in einem solchen Einheitspuncte durchdrungen hat, und eben diese Durchdrungenheit und die von der Anschauung derselben unzertrennliche Mannigfaltigkeit, als eben aus dem Einheitspuncte durchdrungen, anschaut: so ist das Licht factisch und die formale Freiheit, das Dass, unmittelbar gesetzt. Inwiefern es aber, eben um ihn durchdringend, sich anzuschauen, das nun deswegen in ein Unendliches ohne Einheit zerfliessende Mannigfaltige anschaut, vernichtet es und hebt auf das Factische; und dieses absolute Schweben zwischen Setzen des Factums und Vernichten desselben (Vernichten, um es setzen zu können, Setzen, um es vernichten zu können) ist von Seiten der Anschauung der eigentliche Focus des absoluten Bewusstseyns. (Beides vereinigt exemplificirt sich in jeder Anschauung: das Anschauen des bestimmten Hier und Jetzt ist ebenso Vernichten der unbestimmten Unendlichkeit des Räumlichen oder Zeitlichen, als beides doch im Hier und Jetzt mitgesetzt und umgekehrt das jedes Hier und Jetzt Vernichtende ist. Das Anschauen des bestimmten Diesen (=X) hebt dies X (Baum) aus der unendlichen Reihe aller anderen Dieser (Bäume und Nicht-Bäume) heraus und vernichtet diese daran, wie doch umgekehrt diese, um X als solches anzuschauen, d.h. von ihnen zu unterscheiden, darauf mitbezogen, also mitgesetzt seyn müssen u. s. w.)

Nun ist hierbei weiter anzumerken, dass hier die Quantität, eben das unendlich Separable, unmittelbar an die Qualität geknüpft und als unzertrennlich mit ihr vereinigt aufgewiesen ist, wie dies in der Erörterung des Begriffs des absoluten Bewusstseyns ohne allen Zweifel geschehen musste. Nemlich diese formale Freiheit, die hier zur Anschauung wird, – was ist sie denn Anderes, als die absolute Qualität des Wissens,[46] äusserlich; und die Anschauung, dieser formalen Freiheit selbst – was ist sie, als absolute, aber innerliche, (Für-) Qualität des Wissens, als eines Wissens? Und da fand sich denn – in der Anschauung eben selbst, und anderswo kann es sich nicht finden, da die Anschauung ja absolute Anschauung und absolut nur Anschauung ist, – dass die formale Freiheit sich nur anschaue, als Zusammenziehen eines verfliessenden Mannigfaltigen möglichen Lichtes zu einem Centralpuncte, und Verbreiten dieses Lichtes aus diesem Centralpuncte über ein nur dadurch gehaltenes und factisch erleuchtetes Mannigfaltige.

(Die Quelle aller Quantität liegt daher nur im Wissen, und zwar im eigentlichen Wissen im engeren Sinne, in dem sich selbst als ein solches begreifenden Wissen. Jeder kann diesen Satz einsehen, der nur mit seinem Wissen an sich selbst ins Reine, Klare und Feste kommt; und dies verbreite dann abermals Licht über den transcendentalen Idealismus – und über Carricaturen desselben! Das absolut Eine existirt nur in der Form der Quantität. Wie kommt es denn in diese Form? Das sehen wir hier. – Wie kommt es in das Wissen selbst, das qualitative, um sodann in seine Form der Quantität zu treten? Davon nun.)

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846, S. 43-47.
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