§ 22.

[47] Das absolute Seyn ist bekanntlich im absoluten Denken (§ 17). Dieses wäre in das freie Wissen eingetreten, hiesse: die (§ 21 geschilderte) Anschauung, in ihrer unmittelbaren Facticität und in ihrem zugleich gesetzten Vernichten dieses Factischen, wäre (eben darum) mit dem Denken völlig Eins; und zwar im Wissen selbst: d.h. dies würde gewusst und absolut gewusst.

Was ist nun dies für ein Bewusstseyn? Offenbar ein vereinigendes, eben der absoluten Anschauung der formalen Freiheit, sodann ein absolutes herausgeben aus dieser Anschauung zu einem Denken, wenn man im Standpuncte der Anschauung steht. Also kurz: ein sich selbst Erfassen des Wissens, als hier zu Ende und absolut fixirt. Es denkt sich nur, indem es[47] sich also fasst; es geht aus sieh heraus nur, indem es hier sein Ende fasst, also – eben sich ein Ende setzt.

Die Erscheinung davon ist das Gefühl der Gewissheit, der Ueberzeugung, als absolute Form des Gefühls: sie ist zugleich gesetzt mit dem Sichsubstantialisiren des Wissens, mit dem Ausdrucke, dass irgend ein Mannigfaltiges (worin dieses bestehe, darüber bitte ich nicht vorzugreifen,) sey, schlechthin sey. –

Diese, also in sich verlaufende formale Freiheit ist der absolute Grund alles Wissens, als solchen, – für uns, als Wissenschaftslehrer; und – denn dies ist der Inhalt unserer Synthesis – für sich. Sie ist absolut für sich, heisst: diese Freiheit und das von ihr erzeugte Wissen wird gedacht, als alle Freiheit und alles Wissen schlechthin: es wird eben gedacht, als Ruhen in einer absoluten Einheit. Das Wissen umfasst, vollendet und umschliesst sich selbst in diesem Denken: als das Eine und ganze Wissen. – Offenbar ist, wenn wir Denken und Anschauung als zwei besondere denken, ihre Vereinigung durchaus unmittelbar und absolut: es ist das absolute Wissen selbst, das aber als solches nicht weiter von sich weiss, noch wissen kann, – es ist mit Einem Worte das unmittelbare Gefühl der Gewissheit (d. i. Absolutheit, Unerschütterlichkeit, Unveränderlichkeit) des Wissens. (Es ist hier abermals die absolute Vereinigung, der Anschauung und des Denkens, worin die Grundform des Wissens bestand, und diese zwar – im Seyn des Wissens selbst – genetisch sich erklärend. )

(Um diesen Satz, der, um in solcher Einfachheit unmittelbar evident zu seyn, etwa Schwierigkeit machte, weiter zu vermitteln, bedenke man dies. Oben hiess es (§ 21. S. 45.): die Freiheit soll sich auf etwas, als bestimmt vorausgesetztes, richten; um aber diese Richtung darauf auch nur nehmen zu können, muss sie von ihm schon wissen, welches sie nur durch Freiheit kann, wobei abermals ein Bestimmtes vorausgesetzt würde, und wir an einen unendlichen Progress gewiesen wären. Dieser Progress ist jetzt aufgehoben (vergl. S. 44. Ende) Die Freiheit bedarf keines Punctes ausser ihr, nach dem sie die Richtung nehme: sie[48] selbst in und für sich ist das höchste Bestimmte (nachmaliges Materiale alles Wissens) und wird, als sich selbst genügend, absolut gesetzt. –

Oder: – da das Wissen von vorn herein immer betrachtet worden, als die Zusammenfassung eines unbedingten Mannigfaltigen, so hinge das Wissen vom Wissen eben davon ab, dass man wüsste, man habe den durchaus unvertilgbaren Einheitscharakter aller, in übrigen Rücksichten unendlich verschieden seyn könnender besonderer Acte des Wissens aufgefasst. Aber wie kann man dies wissen? Durch Betrachtung und Analyse des Besonderen nicht, denn diese wären nie vollendet. Also dadurch, dass man dem Besonderen eben durch diese Einheit gleichsam ein Gesetz vorschriebe, wie allein es seyn könnte. Hier ist nun von absolutem Wissen, also von der Einheit aller besonderen Bestimmungen des Wissens (und seiner Objekte, welches dasselbe ist) die Rede. Diesem müsste ein Gesetz vorgeschrieben werden, indem es als Eines, sich selbst gleiches, ewiges, unveränderliches, von sich selbst erkannt und so in die eigene Einheit zusammengefasst würde. Dies ist hier und auf die angezeigte Weise geschehen.)

Auf diese Art also ist das Seyn mit dem Wissen verbunden, indem das Wissen selbst sich als ein absolutes und unveränderliches Seyn (ein Seyn, was es ist, in dem es ursprünglich sich fixirt findet) auffasst.

– Offen liegt hier der Wendepunct und Zusammenhang mit dem früheren Raisonnement: er liegt zwischen Freiheit und Nichtfreiheit. Die Freiheit (immer die formale – mit der materialen oder quantitativen – innerhalb der Quantität, welche letztere hier selbst durch die erstere herbeigeführt ist, – haben wir es in diesem ganzen Abschnitte nicht zu thun) ist selbst nichtfrei, d. i. sie ist gebundene Freiheit, diese in Form der Nothwendigkeit, – wenn einmal ein Wissen ist. – Möglichkeit des Wissens allein durch Freiheit, Nothwendigkeit derselben fürs wirkliche Wissen: dies ist der Zusammenhang mit dem Obigen. Die Aufgabe ist gelöst, und der Mittelpunct der vorigen Synthesis selbst ins Wissen aufgenommen, d.h. der Mittelpunct der jetzigen aufgestellt. Das Wissen ist in sich[49] selbst zu Ende: es umfasst sich und ruht auf sich selbst als Wissen.

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846, S. 47-50.
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